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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 11.06.2009
Aktenzeichen: 1 WF 126/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 b
Die Kosten für die Fahrt zum Arbeitsplatz, welche das im Rahmen der Prozesskostenhilfe einzusetzende Einkommen mindern, ermittelt der Senat in Anlehnung an Ziffer 10.2.2. der Thüringer Leitlinien.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 WF 126/09

In der Familiensache

hat der 1. Familiensenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena auf die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors vom 05.06.2008, eingegangen am 09.06.2008, gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Sömmerda vom 24.04.2008 (Az. 2 F 360/07), Nichtabhilfeentscheidung vom 24.03.2009, durch Richterin am Oberlandesgericht Martin als Einzelrichterin

am 11.06.2009

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landgericht Erfurt wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Sömmerda vom 24.04.2008 (Az. 2 F 360/07) abgeändert.

Der Beklagte hat ab dem 01.10.2009 monatliche Raten in Höhe von 15,- € an die Landeskasse zu zahlen.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Eine Kostenentscheidung sowie die Festsetzung des Beschwerdewertes sind im Verfahren über die Prozesskostenhilfe nicht veranlasst.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Familiengericht- Sömmerda hat dem Beklagten mit Beschluss vom 24.04.2008 Prozesskostenhilfe für den Abschluss eines Vergleiches im Prozesskostenhilfeerörterungstermin vom 15.11.2007 unter Beiordnung von Rechtsanwältin N., J. - rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung - ratenfrei bewilligt.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors vom 05.06.2008, der angeführt hat, die monatlichen Fahrtkosten seien nach § 3 Abs. 6 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII vom 28.11.1962 zu berechnen.

Der Bezirksrevisor hat mit Schriftsatz vom 05.01.2009 beantragt, dem Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses monatliche Raten in Höhe von 45,- € auf die entstandenen und entstehenden Prozesskosten aufzuerlegen.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 24.03.2009 der sofortigen Beschwerde der Staatskasse nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, es sei von einem anrechenbaren Nettoeinkommen in Höhe von 1782,11 € für 2008 auszugehen. Bringe man hiervon den Erwerbstätigenfreibetrag in Höhe von 176,- €, den Freibetrag für die Partei in Höhe von 386,- €, die Lohnpfändung in Höhe von 43,42 €, die Fahrtkosten in Höhe von 440,- €, den gezahlten Kindesunterhalt in Höhe von 494,- € und die Mietkosten in Höhe von 231,- € in Abzug, so verbleibe ein Einkommen in Höhe von 11,75 € (rechnerisch 11,69 €). Da bis zu einem einzusetzenden Einkommen von 15,- €/Monat keine Rate festzusetzen sei, sei der Beschwerde nicht abzuhelfen.

Bei der Berechnung der Fahrtkosten folge das Gericht der ständigen Rechtsprechung des Thüringer Oberlandesgerichts. Zugrundezulegen seien die hier sich aus den "Unterhaltsrechtlichen Leitlinien" der Familiensenate ergebenden Km Pauschalen (seit dem 01.01.2008 = 0,30 € pro gefahrenem Km). Hierin seien sämtliche Kosten für Finanzierung und Unterhaltung des PKW anteilig enthalten.

Der Bezirksrevisor hat in seiner Stellungnahme vom 09.04.2009 darauf hingewiesen, dass für die Berechnung nicht auf die unterhaltsrechtlichen Leitlinien, sondern auf die zu § 82 SGB XII ergangene Durchführungsverordnung vom 28.11.1962 abzustellen sei. Dort sei unter § 3 Abs. 6 Ziffer 2 geregelt, dass ein monatlicher Pauschbetrag von 5,20 € für jeden vollen Kilometer - begrenzt auf höchstens 40 km - in Abzug gebracht werden könne, soweit der Beklagte seinen eigenen Kraftwagen für den Weg zur Arbeit nutze. Unter Zugrundelegung der Höchstgrenze ergebe sich ein möglicher abzugsfähiger Betrag in Höhe von 208,- €. Die Anwendung der Durchführungsverordnung sei durch das Thüringer Oberlandesgericht (Beschluss vom 18.09.2008, Az. 2 WF 324/08) bestätigt worden. In den Gründen der Entscheidung sei explizit darauf hingewiesen worden, dass im Rahmen der Prozesskostenhilfe nicht auf die "Unterhaltsrechtlichen Leitlinien", sondern auf die o.g. Durchführungsverordnung abzustellen sei.

Mit Verweis in § 115 ZPO auf § 82 Abs. 2 SGB XII finde die für diese Vorschrift erlassene Durchführungsverordnung Anwendung. Die Verordnung sei zuletzt durch Art. 12 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 bzw. dem Verwaltungsvereinfachungsgesetz vom 14.03.2005 geändert worden. Der Verordnungsgeber habe in diesem Zusammenhang den Pauschbetrag von 5,20 € unangetastet gelassen und nicht auf die mittlerweile erheblichen Preissteigerungen - gerade im Bereich der Kraftstoffkosten - reagiert. Der Betrag von 5,20 € sei somit weiterhin maßgebend.

Es ergebe sich ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von 187,15 €, das eine monatliche Rate in Höhe von 60,- € rechtfertige.

II.

Die gemäß § 127 Abs. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden; sie ist teilweise begründet. Der Beklagte hat nach Abzug der gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu berücksichtigenden Positionen - mit Ausnahme der Zeit der Kurzarbeit - ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von 17,41 €, welches eine monatliche Rate in Höhe von 15,- € rechtfertigt.

Der Beklagte verfügt über ein Einkommen von 1782,11 € monatlich. Das Einkommen des Beklagten ist um eine anteilige monatliche Steuerstattung in Höhe von 46,67 € zu erhöhen und beträgt insgesamt 1828,78 €.

Der Beklagte hat im Zuge des Beschwerdeverfahrens seinen Steuerbescheid für 2008 überreicht. Der Beklagte hat berufsbedingte Aufwendungen für 73 km geltend gemacht und eine Steuererstattung in Höhe von 1244,01 €, monatlich 103,66 € erhalten. Da der Senat die Fahrtkosten des Beklagten auf 40 km gekappt hat, der Beklagte tatsächlich 73 km fährt und bei der Berechnung der Steuer bereits eine Arbeitnehmerwerbungskostenpauschale in Höhe von 920,- € (einfache Entfernung x Arbeitstage x 0,30 €) für ca. 13 km enthalten ist, berücksichtigt der Senat die Steuererstattung anteilig in Höhe von 45 % oder 46,67 €.

Abzusetzen ist der aus den Verdienstabrechnungen des Jahres 2008 ersichtliche Betrag für Pfändungen in Höhe von 71,50 € monatlich, so dass 1757,28 € verbleiben.

Abzusetzen ist der Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1b ZPO in Höhe von 176,- €, weiter der Freibetrag für die Partei gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2a ZPO mit 386,- €.

Darüber hinaus sind gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO die Kosten für Unterkunft und Heizung, soweit sie nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu den Lebensverhältnissen der Partei stehen, zu berücksichtigen. Nach dem vorgelegten Mietvertrag entfallen auf den Beklagten hälftige Mietkosten in Höhe von 231,- € monatlich.

Weiter in Abzug zu bringen ist der monatliche Kindesunterhalt in Höhe von 501,- € und anteilige hälftige Kosten für die Hausrat- und Haftpflichtversicherung in Höhe von 2,89 € und 2,98 € monatlich.

Der Beklagte hat angegeben, von seinem Wohnort zu seinem Arbeitsplatz eine einfache Entfernung von 78 km zurückzulegen. Das Amtsgericht hat für jeden einfachen Kilometer bis zu einer Entfernung von 40 km einen KM-Satz von 0,30 € abgesetzt.

Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1a in Verbindung mit § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII sind vom Einkommen die mit der Erzielung des Einkommens notwendigen Ausgaben abzusetzen. Wie sich diese bestimmen definiert § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII nicht. Gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 82 SGB XII ist bei notwendiger Nutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz ein Betrag von 5,20 Euro pro einfachem Kilometer anzusetzen.

Ob dies auch entsprechend im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu handhaben ist, ist streitig (bejahend: OLG Düsseldorf FamRZ 2007, 644; OLG Zweibrücken, FamRZ 2006, 799; OLG Stuttgart, OLGR Stuttgart 2008, 36 mit der Einschränkung, dass dies gelte, solange die Fahrtkosten steuerlich geltend gemacht werden können;

Verneinend: OLG Nürnberg, FamRZ 2008, 1961; OLG Karlsruhe, FamRZ 2008, 69; FamRZ 2008, 2288 = JurBüro 2009, 147; OLG Zweibrücken, FamRZ 2006, 437; OLG Koblenz MDR 2002, 965; Zimmermann, Prozesskostenhilfe in Familiensachen, 3. Auflage, Rdnr. 88 unter Hinweis darauf, dass die VO nicht unmittelbar anwendbar ist; Zöller/Philippi, ZPO, 27. Auflage, Rdn. 25 zu § 115 ZPO unter Hinweis auf die ADAC-Tabelle).

Zur Berechnung der Höhe der Fahrtkosten sind die Bestimmungen in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien heranzuziehen. Nach Auffassung des Senates verweist § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO ausdrücklich nur auf § 82 Abs. 2 SGB XII, nicht dagegen auf die Verordnungsermächtigung in § 96 Abs. 1 SGB XII. Im Übrigen ist der geringere Ansatz der Fahrtkosten entsprechend der DVO auch sachlich nicht gerechtfertigt, nachdem die Festsetzung des Betrages der Höhe nach seit 1976 unverändert geblieben ist. Nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1a ZPO sind dem Grunde nach die Fahrtkosten zur Arbeitsstätte abzusetzen, sofern diese notwendig sind. Eine Verweisung auf die Berechnung der Höhe nach liegt nicht vor (ebenso Zöller/Philippi, a.a.O., Rdn. 25 zu § 115 ZPO). Diese kann geschätzt werden, wobei Grundlage der Schätzung neben der DVO auch die Berücksichtigung der Fahrtkosten entsprechend den unterhaltsrechtlichen Leitlinien sein kann. Ein Betrag von 5,20 Euro steht in keinem Verhältnis mehr zu den tatsächlichen Fahrtkosten; dies gilt auch dann, wenn daneben die Kosten für die Kraftfahrzeugversicherung und der Finanzierung berücksichtigt werden. Vielmehr bieten die in den Leitlinien aufgeführten Beträge einen realistischen Ansatz zur Ermittlung der (berufsbedingten) Kosten, die nach den Vorgaben des Gesetzgebers abzusetzen sind. Gemäß Ziffer 10.2.2 der Thüringer Leitlinien, Stand 01.01.2008 und 01.01.2009 sind damit 0,30 Euro pro gefahrenen Kilometer abzusetzen. Damit sind alle im Zusammenhang mit der Nutzung des Fahrzeugs entstandenen berufsbedingten Kosten abgegolten (ebenso: OLG Koblenz a.a.O.).

Da mit der Pauschale sämtliche berufsbedingten Fahrtkosten abgedeckt sind, brauchen die von dem Beklagten weiter angeführten Positionen KFZ-Steuer monatlich 7,83 € und KFZ-Kredit (hälftig) monatlich 101,68 € keine Berücksichtigung zu finden.

Die Notwendigkeit der Anschaffung einer Küche während des laufenden Verfahrens hat der Beklagte nicht ausreichend dargetan. Es ist nicht ersichtlich, dass die Anschaffung unvermeidbar war. Auch hätte der Beklagte die Möglichkeit des günstigen Einkaufs gebrauchter Gegenstände prüfen müssen.

Die Position Verbindlichkeit Anwalt in Höhe von 50,- € hat der Beklagte zur Überzeugung des Senates nicht dargetan.

Es verbleibt ab dem 01.10.2009 ein monatliches Einkommen in Höhe von 17,41 €, das eine Rate in Höhe von 15,- € rechtfertigt. Während der Dauer der Kurzarbeit ist der Beklagte bei einem monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 918,06 € bei einem Freibetrag in Höhe von 386,- € für die Partei, einer Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 501,- € und einer anteiligen monatlichen Miete in Höhe von 231,- € nicht leistungsfähig.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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