Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 30.03.2007
Aktenzeichen: 4 U 1097/06
Rechtsgebiete: CMR


Vorschriften:

CMR Art. 17 Nr. 1
CMR Art. 29
1. Nach Art. 17 Nr. 1 CMR haftet grundsätzlich der Frachtführer für den während seiner Obhutszeit eingetretenen Verlust des Transportguts, es sei denn, der Schaden ist durch Umstände eingetreten, die sowohl für ihn selbst, als auch für seine Gehilfen unvermeidbar waren. Unvermeidbarkeit ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Frachtführer subtantiell darlegt - und ggf. beweist - dass der Schaden auch bei Anwendung der äußersten, dem Frachtführer möglichen und zumutbaren Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können.

2. Zwar trägt grundsätzlich der Geschädigte die Darlegungs- und Beweislast für das vorsätzliche oder vorsatzgleiche Fehlverhalten des Frachtführers. Soweit dieses aber voll im Organisationsbereich des Frachtführers liegt, hat der Frachtführer, wenn der Ersatzberechtigte plausible Anhaltspunkte für ein qualifiziert leichtfertiges Verhalten des Frachtführers vorgetragen hat, substantiiert mit Namen und Anschrift der beteiligten Personen darzulegen, welche Sorgfalt er als Frachtführer aufgewendet hat.

3. Aus den Regelungen der Art. 17, 20 CMR folgt im Transportrecht eine Einlassungspflicht des Frachtführers, die den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast entspricht.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT

Beschluss

4 U 1097/06

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richter am Oberlandesgericht Jahn und Richterin am Landgericht Höfs

am 30.03.2007

beschlossen:

Tenor:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 07.12.2006 - 2 HK O 9/06 - durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20.04.2007.

Gründe:

Die Berufung der Beklagten hat nach Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Der Rechtssache kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu; ferner erfordern weder die Fortbildung des Rechts, noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 - 3 ZPO).

Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Landgericht der Schadensersatzklage der Klägerin aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht stattgegeben und eine Haftung der Beklagten wegen des während ihrer Obhut entstandenen Schadens an den streitgegenständlichen 20 PC bejaht. Deren Haftung folgt aus Art. 17 Nr. 1, 29 Nr. 1, 2 CMR; auf eine Haftungsbegrenzung oder einen Haftungsausschluss, insbesondere nach Art. 17 Nr. 2, kann sich die Beklagte nicht berufen.

Nach Art. 17 Nr. 1 CMR ist grundsätzlich von einer Haftung des Frachtführers für den während seiner Obhutszeit eingetretenen Verlust des Transportguts auszugehen (vgl. BGH TranspR 2000, 407 - 409), es sei denn, der Schaden ist durch Umstände verursacht worden, die sowohl für ihn selbst als auch für seine Gehilfen (Art. 3 CMR) unvermeidbar waren und deren Folgen keine dieser Personen abwenden konnte. Unvermeidbarkeit im Sinne von Art. 17 Nr. 2 CMR ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Frachtführer substantiiert darlegt - und ggf. beweist - dass der Schaden auch bei Anwendung der äußersten, dem Frachtführer möglichen und zumutbaren Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können (BGH aaO; BGH TranspR 1999, 59 - 61).

Dabei kann dahinstehen, ob der in der Berufungsbegründung nachgebesserte und ergänzte Vortrag der Beklagten zur zwischenzeitlichen Einlagerung und zum Verlust der am Abnahmebestimmungsort (in Rotterdam) vom dortigen Empfänger nicht abgenommenen Ware in einem Betriebslager der Beklagten - in welchem Ort ? - durch Brand der Lagerhalle überhaupt geeignet ist, die Beklagte hinsichtlich des Verlusts der nicht abgelieferten Ware zu entlasten. Denn jedenfalls ist hier bis zum behaupteten Verlust der Ware am 1.1.2004 - ca. 1 Jahr nach der für den 16.1.2003 vereinbarten Ablieferung - von einem qualifizierten Verschulden der Beklagten bzw. der für sie handelnden Personen im Sinne von Art. 29 Nr. 1, 2 CMR auszugehen.

Zwar trägt grundsätzlich der Geschädigte die Darlegungs- und Beweislast für das vorsätzliche bzw. vorsatzgleiche Fehlverhalten des Frachtführers (vgl. Koller, Transportrecht, 3. Aufl., CMR 29 Rz 7 m. Nw. zur obergerichtl. Rspr.). Soweit - wie hier - das Fehlverhalten aber voll im Organisationsbereich des Frachtführers, Subunternehmers oder dessen Leuten liegt, hat der Frachtführer jedenfalls, wenn der Ersatzberechtigte plausible Anhaltspunkte für ein qualifiziert leichtfertiges Verhalten (des Frachtführers) vorbringt, substantiiert mit Namen und Anschrift der beteiligten Personen vorzutragen, welche Sorgfalt er als Frachtführer/ Subunternehmer aufgewendet hat (BGH TranspR 1999, 19, 23; BGH VersR 2001, 527, 529; OLG Hamburg TranspR 2002, 344; OLG Karlsruhe TranspR 1995, 439; OLG Hamm TranspR 1999, 201; ferner Koller aaO FN 160 S. 1284 mit erg. Nw).

Der BGH hat - für das Transportrecht - ausgehend von den Regelungen in Art. 17, 20 CMR, letztere Vorschrift begründet die Vermutung eines Verlusts, für den der Frachtführer grundsätzlich einzustehen hat, hieraus eine Einlassungspflicht (des Frachtführers) entwickelt, die den Grundsätzen der bereits für andere Rechtsgebiete entwickelten sekundären Behauptungslast entspricht. Die Auferlegung dieser sog. sekundären Behauptungslast ist dann anerkannt, wenn die primär darlegungspflichtige Partei außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine Kenntnisse von den maßgeblichen Tatsachen besitzt, während ihr Prozessgegner zumutbar hierzu nähere Angaben machen kann (vgl. BGH NJW 1961, 826 - 828;BGHZ 120, 320, 327; BGH NJW 1987, 1201; BGH NJW 1990, 3151; BGH NJW 1997, 128, 129; für die Haftung des Luftfrachtführers auch BGHZ 145, 170 - 186).

Die Klägerin hat - unter Bezugnahme auf ein Fax der Beklagten vom 4.9.2003 (s. Bl. 26 d.A.); ferner einer schriftlichen Mitteilung derselben vom 15.10.2003, es könne (seitens der Beklagten) nicht festgestellt werden, wo sich die Palette mit den 20 PC befinde - vorgetragen, die Beklagte wisse selbst nicht, wo die streitgegenständlichen PC verblieben bzw. verlustig gegangen seien. Die Klägerin hat weiter den Verdacht geäußert, die Beklagte bzw. einer ihrer Mitarbeiter habe die PCs unterschlagen. Damit hat die Klägerin in - angesichts ihres Wissensstandes - zureichender Weise Umstände vorgetragen, die mindestens ein grob fahrlässiges Organisationsverschulden der Beklagten mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegte, so dass die Beklagte gehalten war, ein diesbezügliches Informationsdefizit der Klägerin durch detaillierten Sachvortrag auszugleichen.

Mithin oblag es der Beklagten, detailliert und lückenlos unter Nennung von Zeit; Ort und Mitarbeitern darzulegen, wo sich die am 14.1.2003 von ihr in dem Lager der Versicherungsnehmerin (der Klägerin) in Nohra übernommenen 20 PC befanden, welche Sicherungsmaßnahmen sie hinsichtlich der in ihrer Obhut befindlichen Gegenstände bis zu deren Verlust getätigt hatte usw..

Dem ist die Beklagte weder erstinstanzlich, noch bis heute in ausreichender Weise nachgekommen. Ihr Vortrag ist nicht nur lückenhaft und unvollständig geblieben, sondern weist darüber hinaus noch Widersprüche auf. In ihrer Einlassung auf die Klage hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 22.5.2006 ausgeführt, die 20 PC bestimmungsgemäß an ihren Bestimmungsort, eine Filiale des Media Marktes in Rotterdam, gebracht zu haben; dort allerdings sei die Annahme der Ladung durch das dortige Personal verweigert worden. Nähere Angaben hierzu fehlen. Ihrem Fahrer sei nichts anderes übrig geblieben, als die fragliche Ladung wieder zurückzunehmen. Nach den Informationen der Beklagten gelangten sie zur Einlagerung auf das Betriebsgelände in Didam. In der Nacht zum 1. Januar 2004 kam es dann zu einem Brand in dem besagten Betriebs- bzw. Lagergebäude der Beklagten. Dabei wurde das Gebäude ebenso zerstört, wie die dort gelagerten Waren und Güter.

Mit einem weiteren Schriftsatz vom 2.10.2006 ergänzte die Beklagte diesen Vortrag, dass ein Mitarbeiter der Beklagten, ein Herr Mario Kock (nach der Einlagerung) die auftraggebende Spedition Axthelm & Zufall angerufen und erfragt habe, wie weiter verfahren werden solle. Herr Kock habe die Anweisung erhalten, die Palette zunächst im Lager der Beklagten aufzunehmen und weitere Instruktionen von Axthelm & Zufall bzw. dem Hersteller, Fa. Medion, abzuwarten. Erst Anfang September 2003 habe sich die Fa. Axthelm & Zufall wieder an die Beklagte gewandt. Die Anfrage sei von Herrn Tiemessen - immerhin der Geschäftsführer der Beklagten (Anmerkung des Senats) - bearbeitet worden, der über Einzelheiten des Vorgangs nicht informiert gewesen sei. Aus diesem Grund habe dieser in seinem Schreiben vom 4.9.2003 mitgeteilt, dass "ihm" im Moment undeutlich sei, wo die fragliche Sendung verblieben war.

In der Berufungsbegründung schließlich trägt die Beklagte vor, der Fahrer der eingesetzten Unterfrachtführerin, eine Fa. Riksen B.V., habe die Ladung - nach der Annahmeverweigerung in Rotterdam - zum Lager der Beklagten in Zevenaar verbracht; hier sei sie eingelagert worden. Zugleich habe die Beklagte die auftraggebende Spedition Axthelm & Zufall gefragt, was weiter geschehen solle. Die Beklagte ergänzt ihren Vortrag, sich an die Unterfrachtführerin gewandt zu haben, diese habe sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden und auf Anfragen (der Beklagten) nicht reagiert. Erst Mitte Dezember habe sie von dieser weitere Unterlagen erhalten, die sie nunmehr als Anlagen BK 1 und BK 2 vorgelegt hat.

Der Vortrag ist und bleibt diffus, lückenhaft und unvollständig. So ist schon nicht klar, wer am Empfängerort die Ware nicht abgenommen bzw. deren Annahme verweigert hat und ob dies tatsächlich zutrifft. Von der von der Beklagten (angeblich) eingesetzten (weiteren) Unterfrachtführerin ist überhaupt erst zweitinstanzlich die Rede. Falls die Beklagte überhaupt eine weitere Unterfrachtführerin, ab wann, für den Hin- oder nur für den Rücktransport der streitgegenständlichen Ware eingesetzt hatte, fehlen jegliche Angaben zum genauen Organisationsablauf. Es ist nicht klar, wohin - falls überhaupt - die Ware verbracht wurde, auf ein Betriebsgelände der Beklagten in Didam oder nach Zevenaar. Didam und Zevenaar liegen zwar nicht weit voneinander entfernt (in der Nähe von Arnheim); es handelt sich aber um räumlich getrennte Ortschaften. Nach dem erstinstanzlich von der Beklagten eingereichten Schadensgutachten - Anlage B 2 - hat es einen Brand in einem von der Fa. Tiemissen/De Graf Holding B.V. gemieteten und von der Beklagten als Betriebsgebäude genutzten Gebäude in der Edisonstraat 58 gegeben; dieses befindet sich auf dem Betriebsgelände in Didam. In dem Betriebsgebäude seien Güter und Waren von 12 Unternehmen gelagert gewesen. Nach dem Gutachten war das Betriebsgebäude in mehrere Räumlichkeiten geteilt; es gab einen Betriebsraum, mehrere Büroräume und ein vom Betriebsraum über eine Zwischentür erreichbares automatisiertes Lager. Infolge des Brandes soll nach dem Gutachten der L-förmige Betriebsraum vollständig verloren gegangen sein. Dass Feuer habe sich auch bis in die Büroräume verbreitet. Durch die Brandmauer zwischen dem vorderen Betriebsraum und dem automatisierten Lager sei dieses Lager - aber - verschont geblieben (s. Bl. 6 des GA, Bd. 69 d.A.); lediglich infolge von Rauch- und Rußentwicklung sei Schaden an der Außenseite der Brandmauer sowie im Lager entstanden.

Falls die Palette mit den 20 PC der Fa. Medion in dem Lager eingelagert war, ist schon nicht nachvollziehbar, wieso diese - eingelagerten - PC durch den Brand des Betriebsraumes zerstört worden sein sollen. Wenn die Ware verpackt war, konnte ihr auch nur auf den Außenbereich des Lagers einwirkender Rauch und Ruß doch kaum etwas anhaben, falls die PC überhaupt dort eingelagert waren.

Nach der jetzt mit der Berufung vorgelegten "Vrachtnota" - Anlage BK 2, Bl. 157 d.A. - gingen die 20 PC vom Media Markt in Capelle (Rotterdam) zur Fa. Tiemex Logistics nach Zevenaar, allerdings auch in eine "Edisonstraat 58". Selbst wenn es sich dabei um ein- und dasselbe Betriebsgelände der Beklagten handelt (wie Didam), bleibt doch der Umstand, dass der Lagerraum gar nicht verbrannte. Das erhärtet den Verdacht, dass die 20 PC überhaupt nicht dort eingelagert worden waren. Angesichts dieser - offenen - Fragen hätte die Beklagte schon genauer und vor allem zeitlich lückenlos - mit Datumsangabe - exakt darlegen müssen, was mit den PC von der Übernahme am 14.1.2003 bis zum angeblichen Verlust am 1.1.2004 geschehen war. Dem genügt ihr Vortrag - auch unter Berücksichtigung der Nachbesserungen zweiter Instanz - in keinster Weise.

Hinzu kommt, dass eine zureichende Begründung für den nachgebesserten Vortrag zweiter Instanz ebenso fehlt. Der Umstand, dass die von ihr eingesetzte Unterfrachtführerin, eine Fa. Riksen B.V. - wegen angeblicher Zahlungsschwierigkeiten - nicht auskunftswillig gewesen sei, kann doch die Beklagte nicht entlasten; das hätte sie übrigens schon erstinstanzlich vortragen können. Ihr diesbezüglicher Vortrag unterliegt daher auch der berufungsspezifischen Präklusion nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO.

Ferner scheiden Haftungserleichterungen zu Gunsten der Beklagten aus. Angesichts des weder hinsichtlich entschuldigender Umstände nachvollziehbaren, noch überhaupt ausreichend detaillierten Vortrags der Beklagten zum Verbleib der am 14.1.2003 übernommenen Ware ist hier von einem qualifizierten Verschulden des Frachtführers nach Art. 29 CMR auszugehen.

Hierfür ist zwar ein dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden erforderlich. Der BGH hat für sog. Neuverträge, also solche die nach dem 30.6.1998 geschlossen wurden, unter Heranziehung des Maßstabs des § 435 HGB dieses Verschulden als "leichtfertig" bezeichnet. Leichtfertig handelt danach, wer mangels besonderer Vereinbarung über Schadensverhütungspflichten grundlegend auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten verletzt, objektiv naheliegende Überlegungen nicht anstellt oder sich über Bedenken hinwegsetzt, die sich angesichts (bekannter) Gefahren ohne weiteres aufdrängen müssen (vgl. BGH NJW-RR 1999, 254 - 257; ebenso Koller aaO CMR 29 Rz 3, 3a ; ebenso der hiesige Senat in einem Urteil v. 2.6.2004 - 4 U 381/03; OLG Düsseldorf TranspR 2002, 73 - 75). Zur Wahrnehmung irgendwelcher Sorgfaltspflichten hinsichtlich des angeblich eingelagerten Guts hat die Beklagte aber nicht einmal ansatzweise Vortrag geleistet.

Bleibt ihre Berufung mithin ohne Aussicht auf Erfolg, rät der Senat, die Berufung innerhalb der Erklärungsfrist zurückzunehmen. Auf die Kostenersparnis - GKG-KV 1222/ 2 Gebühren nach § 34 GKG - wird ausdrücklich hingewiesen.



Ende der Entscheidung

Zurück