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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 05.10.2005
Aktenzeichen: 4 U 120/04
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 16
1. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG kann der Versicherer von dem Vertrag zurücktreten, wenn entgegen § 16 Abs. 1 VVG die Anzeige eines - für die Risikoeinschätzung des Versicherers - erheblichen Umstandes unterblieben ist.

2. Die Beweislast, dass der Versicherungsnehmer im Zuge seiner Antragstellung eine Obliegenheitsverletzung durch unzutreffende Beantwortung von Gesundheitsfragen begangen hat, liegt stets beim Versicherer.

3. Steht fest, dass nicht der Antragsteller, sondern der (empfangsbevollmächtigte) Agent (des Versicherers) das Antragsformular ausgefüllt hat, so lässt sich allein mit dem Formular nicht beweisen, dass der Versicherungsnehmer seiner Obliegenheitsverpflichtung nicht nachgekommen ist, sofern dieser substantiiert behauptet, den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet zu haben. Eine Obliegenheitsverletzung ist daher nicht schon dann bewiesen, wenn das ausgefüllte Formular in der Beantwortung der Gesundheitsfragen nicht den Tatsachen entspricht; es muss hinzukommen, dass der Tatrichter die Überzeugung gewinnt, der Versicherungsnehmer habe entgegen seiner (substantiierten) Behauptung den Agenten mündlich nicht zutreffend unterrichtet.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 120/04

Verkündet am: 05.10.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richter am Oberlandesgericht Jahn und Richter am Landgericht Tietjen

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 10.12.2003, Az: 3 O 880/01, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 119,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.08.2001 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien geschlossene Krankenversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer 779231 CV 30 21 00 0563 unverändert fortbesteht und nicht durch Rücktritt der Beklagen beendet worden ist.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert der Beschwer wird für den Kläger auf 11.256,89 EUR und für die Beklagte auf 11.651,50 EUR festgesetzt

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um den Fortbestand eines Krankenversicherungsvertrages und daraus folgenden Leistungsansprüchen des Klägers.

Wegen des Tatbestands wird zunächst Bezug genommen auf die tatsächlichen, im Übrigen vom Kläger nicht angegriffenen Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 11.376,74 EUR (22.250,96 DM) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.06.2001 zu verurteilen und festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Krankenversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer 779231 CV 3021000563 unverändert fortbesteht und nicht durch Rücktritt der Beklagen beendet worden ist.

Das Landgericht Mühlhausen hat durch Urteil vom 10.12.2003 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 119,85 EUR (234,41 DM) zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 08.01.2004 zugestellte Urteil mit einem bei dem Berufungsgericht am 09.02.2004, einem Montag, eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Diese hat er nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 10.05.2004 mit einem am 07.05.2004 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Mit der Berufung rügt der Kläger im Wesentlichen, das Landgericht habe die Beweislast verkannt; die beweisbelastete Beklagte habe nicht beweisen können, dass er - der Kläger - nicht dem Zeugen Hammer die Behandlungen und Klinikaufenthalte mitgeteilt habe. Das Landgericht habe es auch unterlassen, zu seinen Vorerkrankungen die behandelnden Ärzte zu vernehmen.

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Mühlhausen vom 10.12.2003 die Beklagte zu verurteilen, an ihn über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 11.256,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.08.2001 zu zahlen;

2. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Mühlhausen vom 10.12.2003 festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Krankenversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer 779231 CV 30 21 00 0563 unverändert fortbesteht und nicht durch Rücktritt der Beklagen beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Sie ist insbesondere der Ansicht, sie sei leistungsfrei, da die Behandlungen des Klägers einen vorvertraglichen Versicherungsfall gem. §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 2 MBKK 94 beträfen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung des Klägers vom 07.05.2004 (Bl. 474 ff d.A.) und die Berufungserwiderung der Beklagten vom 02.07.2004 (Bl. 509 ff d.A.).

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist statthaft und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

In der Sache hat sie teilweise Erfolg.

Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrags begründet; hinsichtlich des Leistungsantrags hat das Landgericht die Klage - im Ergebnis - zu Recht teilweise abgewiesen.

Der Krankenversicherungsvertrag vom 11.07.2000 ist nicht durch Rücktritt rückwirkend aufgelöst worden (vgl. Prölss/Martin-Prölss, VVG, 27. Auflage 2004, § 20 Rn 10, zu den Wirkungen eines Rücktritts gem. §§ 16, 17 VVG). Der Rücktritt der Beklagten vom 09.01.2001 (Anlage K 6 zur Klageschrift) war nicht wirksam.

Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG kann der Versicherer von dem Vertrag zurücktreten, wenn entgegen § 16 Abs. 1 VVG die Anzeige eines erheblichen Umstandes unterblieben ist. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG hat der Versicherungsnehmer bei der Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Die Voraussetzungen für einen Rücktritt liegen hier nicht vor, da nicht feststeht, dass der Kläger die nach § 16 VVG bestehende Anzeigepflicht verletzt hat.

Eine Anzeigepflicht des Klägers bestand im Hinblick auf die Umstände, nach denen im Antragsformular vom 19.06.2000 gefragt wurde. Nach § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG gilt ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, im Zweifel als erheblich. Werden schriftlich fixierte Antragsfragen im Antragsgespräch lediglich vorgelesen, muss dies einer Lektüre des Fragentextes gleichzusetzen sein; das ist nur dann der Fall, wenn das Durchgehen des Fragebogens sorgsam und ohne Zeitdruck erfolgt und durch klärende Rückfragen ergänzt werden kann (Römer/Langheid, VVG, 2. Auflage 2003, §§ 16, 17 Rn 28). Dies war hier der Fall. Der Kläger hat bei seiner Anhörung am 27.03.2002 erklärt, am 19.06.2000 habe ihm der Zeuge Hammer den Fragebogen vorgelesen und sie hätten im Rahmen eines "lockeren Gesprächs" die Fragen durchgearbeitet.

Unerheblich ist, dass der Zeuge Hammer im Antragsformular vom 19.06.2000 mehrere Fragen zum Gesundheitszustand des Klägers verneinte. Es kommt allein auf die mündlichen Erklärungen des Klägers an. Bei Entgegennahme eines Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrages steht dem Antragsteller der empfangsbevollmächtigte Vermittlungsagent des Versicherers, bildlich gesprochen, als dessen Auge und Ohr gegenüber. Was ihm mit Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt worden, auch wenn der Agent es nicht in das Formular aufgenommen hat (BGH VersR 2001, 1541-1542).

Die Beklagte ist aber beweisfällig geblieben für ihre Behauptung, der Kläger habe den Zeugen Hammer und damit auch sie nicht ausreichend mündlich über seinen Gesundheitszustand informiert.

Die Beweislast, dass der Versicherungsnehmer im Zuge der Antragstellung eine Obliegenheitsverletzung durch unzutreffende Beantwortung von Gesundheitsfragen begangen hat, liegt - entgegen der Auffassung des Landgerichts - stets beim Versicherer. Steht nun fest, dass nicht der Antragsteller, sondern - wie hier - der Agent das Formular ausgefüllt hat, so lässt sich allein mit der Vorlage des ausgefüllten Antragsformulars nicht mehr beweisen, dass der Versicherungsnehmer seiner Obliegenheit nicht in weiterem Umfang nachgekommen ist, sofern dieser - wie auch hier - substantiiert behauptet, den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet zu haben. Eine Obliegenheitsverletzung ist in derartigen Fällen nicht schon damit bewiesen, dass das ausgefüllte Formular in der Beantwortung der Gesundheitsfragen nicht den Tatsachen entspricht; es muss hinzukommen, dass der Tatrichter die Überzeugung gewinnt, der Versicherungsnehmer habe entgegen seiner substantiierten Behauptung den Agenten nicht mündlich zutreffend über seinen Gesundheitszustand unterrichtet. Dieser Beweis wird regelmäßig nur durch eine Aussage des Versicherungsagenten zu führen sein, mit der er zur Überzeugung des Tatrichters darzutun vermag, dass er alle Fragen, die er schriftlich im Formular beantwortet hat, dem Antragsteller tatsächlich vorgelesen und dabei von ihm nur das zur Antwort erhalten hat, was er im Formular jeweils vermerkt hat (BGH VersR 1989, 833-834; VersR 1990, 77-78; VersR 1990, 1002-1004; VersR 2001, 1541-1542; VersR 2002, 1089-1091).

Diese Überzeugung hat das Landgericht aber nicht gewonnen. Im Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und der Anhörung des Klägers hat das Landgericht zum Umfang der mündlichen Erklärungen des Klägers zu seinem Gesundheitszustand beim Ausfüllen des Formulars durch den Zeugen Hammer keine Feststellungen getroffen.

An dieses Beweisergebnis ist das Berufungsgericht gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Nachprüfung durch das Berufungsgericht muss sich darauf beschränken, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und dem Beweisergebnis umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk-, Natur- oder Erfahrungsgesetze verstößt (vgl. hierzu zu den für die Revisionsinstanz entwickelten Grundsätzen BGH NJW 1987, 1557, 1558; BGH NJW-RR 1992, 920, die nach der Neufassung des Berufungsrechts auch auf dieses anwendbar sind; Senatsbeschluss vom 30.06.2005, Az: 4 U 327/05).

Dies ist hier der Fall, insbesondere hat das Landgericht mit der persönlichen Anhörung des Klägers im Termin am 27.03.2002 den Grundsatz der Waffengleichheit beachtet. Die Konstellation, dass - wie hier - der einen Partei ein Zeuge in der Person des Mitarbeiters zur Seite steht, während die Gegenseite, die selbst die Verhandlungen geführt hat, sich auf keinen Zeugen stützen kann, stellt in einem späteren Gerichtsverfahren eine Benachteiligung dar, die im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 448 ZPO berücksichtigt werden kann. Dem Grundsatz der Waffengleichheit kann auch dadurch genügt werden, dass die durch ihre prozessuale Stellung bei der Aufklärung des Vieraugengesprächs benachteiligte Partei nach § 141 ZPO persönlich angehört wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Gericht nicht gehindert, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben. Dies folgt aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO (BGH VersR 1999, 994-996).

Es war aber auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sowohl der Aussage des Zeugen Hammer als auch der Parteierklärung des Klägers keine Überzeugungskraft beigemessen hat. Der Zeuge hat angegeben, er könne sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern. Selbst auf den Vorhalt, der Kläger habe behauptet, soweit ein Krankheitsbild sich nicht bestätigt habe, müsse das nicht aufgenommen werden, ist der Zeuge vage geblieben und hat erklärt: "Das wüsste ich nicht." Die Erklärung des Klägers ist für sich allein auch nach der Wertung des Senats insoweit nicht überzeugungskräftiger.

Die Beklagte hat auch keine Umstände dargetan, die es als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen, dass der Kläger sich auf die Erfüllung der Anzeigepflicht durch Angaben gegenüber dem Zeugen Hammer beruft. Sie hat nicht etwa behauptet, der Kläger und der Zeuge Hammer hätten zu ihren Lasten im Sinne des § 138 BGB kollusiv zusammengewirkt. Eine solche Kollusion liegt vor, wenn Agent und Versicherungsnehmer arglistig zum Nachteil des Versicherers zusammenwirken, was voraussetzt, dass der Versicherungsnehmer von dem treuwidrigen Verhalten des Versicherungsagenten gegenüber dem von ihm vertretenen Versicherer weiß (BGH VersR 2002, 425-426 m.w.N.). Hierfür sind auch für den Senat keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Zeuge Hammer von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, als er die Angaben des Klägers zu dessen Krankengeschichte im Antragsformular nicht vollständig vermerkte.

Ein Missbrauch der Vertretungsmacht kann - als besondere Ausgestaltung des § 242 BGB - gegeben sein, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch macht, so dass beim Vertragspartner begründete Zweifel entstehen müssen, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliegt. Der Vertretene ist auch dann im Verhältnis zu seinem Vertragspartner vor den Folgen des Vollmachtsmissbrauchs geschützt. Für die Voraussetzungen eines solchen evidenten Missbrauchs der Vertretungsmacht ist die besondere Stellung des Versicherungsagenten zu berücksichtigen, der als "Auge und Ohr" des Versicherers zur Entgegennahme auch mündlicher vorvertraglicher Anzeigen des Versicherungsnehmers bevollmächtigt ist. Der Versicherer ist aufgrund des Vertrauensverhältnisses während der Vertragsverhandlungen dem Antragsteller gegenüber zur Auskunft und Beratung verpflichtet, soweit sie dieser benötigt. Er erfüllt diese Pflicht durch Auskünfte seines Agenten; der künftige Versicherungsnehmer darf davon ausgehen, dass der Agent zur Erteilung solcher Auskünfte regelmäßig auch befugt ist. Diese Umstände bestimmen zugleich die Erwartungen des künftigen Versicherungsnehmers an den ihm bei Antragstellung gegenübertretenden Agenten. Gibt der Agent dem Antragsteller unzutreffende Auskünfte und falsche Ratschläge im Zusammenhang mit der Beantwortung von Formularfragen im Antrag, greift dem gemäß der Vorwurf, der Antragsteller habe insoweit seine Anzeigeobliegenheit verletzt, nicht durch. Nichts anderes gilt, wenn der Agent die zutreffende Beantwortung der vom Versicherer gestellten Formularfragen dadurch unterläuft, dass er durch einschränkende Bemerkungen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist. Den Agenten hinsichtlich seiner Auskünfte, was von den offenbarten Umständen in das Formular aufzunehmen ist, zu kontrollieren, ist nicht Sache des künftigen Versicherungsnehmers. Das wirkt sich auf die Beurteilung der Frage aus, ob für den Versicherungsnehmer ein Vollmachtsmissbrauch seitens des Versicherungsagenten offensichtlich werden muss. An die für § 242 BGB geforderte Evidenz des Vollmachtsmissbrauchs ist ein strenger Maßstab anzulegen, der der besonderen Stellung des Versicherungsagenten Rechnung trägt (BGH VersR 2002, 425-426 m.w.N.).

Bei Anwendung dieses Maßstabes haben sich im Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und der Anhörung des Klägers keine Anhaltpunkte ergeben, dass bei dem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen Hammer Umstände hervorgetreten sind, die eine Evidenz des Vollmachtsmissbrauchs begründen. Der Kläger hat in seiner Anhörung am 27.03.2002 erklärt, dass er den Zeugen Hammer sogar darauf hingewiesen habe, dass nicht alles, was er ihm erzählt habe, im Antrag seinen Niederschlag gefunden habe; der Zeuge Hammer habe aber gesagt, dass es so ausreichen würde. Der Zeuge Hammer hat, als ihm die Parteierklärung des Klägers vorgehalten worden ist, lediglich erklärt: "Das wüsste ich nicht." Seine Aussage ist daher nicht ansatzweise geeignet, eine Evidenz des Vollmachtsmissbrauchs zu begründen. Diesbezügliche Anhaltspunkte hat auch die Beklagte nicht dargetan. Entgegen ihrer Auffassung durfte der Kläger vielmehr davon ausgehen, der Zeuge Hammer werde die erforderlichen Umstände in das Formular aufnehmen. Wenn der Zeuge Hammer dem Kläger bei Antragstellung vermittelte, dass all die ihm bereits geschilderten Umstände für die Antragstellung ohne Bedeutung waren, erscheint es lebensfremd, vom Kläger zu erwarten, weitere und detailliertere Angaben zu seinem Gesundheitszustand dem Zeugen Hammer geradezu aufzudrängen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Krankenversicherungsvertrag auch nicht durch die in der Klageerwiderung vom 10.09.2001 (Seite 8) erklärte Anfechtung nach § 142 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen.

Nach § 123 Abs. 1 BGB kann seine Erklärung anfechten, (u. a.) wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Dies ist hier aber nicht der Fall. Eine arglistige Täuschung des Klägers scheidet schon deshalb aus, da aus den oben genannten Gründen davon auszugehen ist, dass der Kläger der Anzeigeobliegenheit genügt und es daher an einer Grundlage für die Annahme fehlt, der Kläger habe die Beklagte durch Täuschung zum Abschluss des Vertrages bewegen wollen.

Der Kläger hat aber, obwohl der Krankenversicherungsvertrag fortbesteht, aus diesem Vertrag keinen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 11.256,89 EUR (dies sind 22.016,56 DM; im Folgenden werden die Beträge in DM angegeben).

Soweit er 12.840,65 DM (diese errechnen sich aus 12.723,90 DM zzgl. Mahngebühren und Zinsen, vgl. Anlage K 13 zur Klageschrift) verlangt, die er für die stationäre Behandlung in der Universitätsklinik Göttingen vom 10.08. 2000 bis 24.08.2000 aufgewandt hat, ist die Beklagte leistungsfrei, da für diese Behandlung noch kein Versicherungsschutz bestand. Nach §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 2 Satz 1 MBKK 94 beginnt der Versicherungsschutz mit Ablauf der dreimonatigen Wartezeit, gerechnet vom Versicherungsbeginn an (§ 3 Abs. 1 MBKK 94), hier also ab dem 11.07.2000. Die dreimonatige Wartezeit endete erst am 10.10.2000 und damit nach der stationären Behandlung des Klägers in Göttingen.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zahlung von 9.175,91 DM (diese errechnen sich aus 9.410,31 DM abzgl. des erstinstanzlich zuerkannten Betrages), die er im Zusammenhang mit Arztbesuchen, Untersuchungen und Rezepten aufgewandt hat.

Soweit es sich um Aufwendungen aus der Zeit vom 11.07.2000 bis 10.10.2000 handelt, bestand bereits kein Versicherungsschutz, da auch insoweit die dreimonatige Wartezeit noch nicht abgelaufen war (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 MBKK 94).

Auch im Übrigen, also soweit es sich um Aufwendungen aus der Zeit ab dem 11.10.2000 handelt, bestand kein Versicherungsschutz. Die Beklagte ist insoweit leistungsfrei, da der Versicherungsfall vor dem Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten ist. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 MBKK 94 wird für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, nicht geleistet. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 MBKK 94 beginnt der Versicherungsfall mit der Heilbehandlung, er endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Zur Behandlung einer bestimmten Krankheit gehört auch schon die erste ärztliche Untersuchung, die auf Erkennung dieses Leidens als notwendige Vorbedingung für eine wirksame Therapie abzielt. Eine ärztliche Untersuchung bildet, sofern sie überhaupt Heilzwecken dient, auch dann einen Bestandteil der Behandlung einer bestimmten Krankheit, wenn sie zunächst zu einer falschen, unvollständigen oder gar negativen Diagnose führt. Voraussetzung ist nur, dass zwischen der Untersuchung und der betreffenden Krankheit irgendein Zusammenhang besteht, sei es, dass sie durch Symptome dieser Krankheit veranlasst ist, sei es, dass der Arzt die zunächst aus anderen Gründen eingeleitete Untersuchung von sich aus auch auf diesen möglichen Krankheitsfall ausdehnt (BGH VersR 1957, 55; Prölss/Martin-Prölss, a.a.O., MBKK 94 § 1 Rn 21, 60).

Hier steht nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme fest, dass die Behandlung der Angsterkrankung vor dem Versicherungsbeginn am 11.10.2000 begonnen hatte.

Bereits aus dem vorläufigen Entlassungsbericht des Universitätsklinikums Göttingen vom 24.08.2000 (Anlage K 12 zur Klageschrift) ergibt sich, dass anlässlich der stationären Behandlung des Klägers vom 10.08.2000 bis 24.08.2000 - und damit vor dem Versicherungsbeginn am 11.10.2000 - die Angsterkrankung diagnostiziert und damit behandelt worden ist. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Glogner vom 30.07.2003 und seiner mündlichen Erläuterung im Termin am 12.11.2003 steht fest, dass bereits die ab 02.02.2000 in der Neanderklinik Harzwald GmbH Ilfeld durchgeführten Untersuchungen im Zusammenhang stehen mit der erst anlässlich der stationären Behandlung des Klägers im Universitätsklinikum Göttingen diagnostizierten Angsterkrankung und den danach - also auch den ab 11.10.2000 - entstandenen Aufwendungen für Arztbesuche, Untersuchungen und Rezepte.

An dieses Beweisergebnis ist das Berufungsgericht gebunden, da der Senat keine Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen hat (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Diesbezüglich ergeben sich aus der Berufungsbegründung keine Anhaltspunkte (vgl. § 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO), auch nicht im Hinblick auf die Rüge des Klägers, dass das Landgericht es unterlassen hat, die ihn behandelnden Ärzte als Zeugen zu den einzelnen Umständen seiner Behandlungen zu vernehmen. Denn es kommt hier nicht darauf an, ob der Kläger aus seiner Sicht Anlass hatte, zwischen seinen Behandlungen ab dem 02.02.2000 und der Angsterkrankung irgendeinen Zusammenhang zu erkennen. Es kommt auch nicht darauf an, ob einer der Ärzte in der Zeit zwischen dem 02.02.2000 und der Antragstellung am 19.06.2000 bereits irgendeinen Zusammenhang diagnostiziert hatte. Entscheidend ist vielmehr, dass ein solcher Zusammenhang tatsächlich bestand und zwar bezogen auf die Angsterkrankung und die Aufwendungen aus der Zeit ab dem 11.10.2000. Dies ist aber aus den oben genannten Gründen - der Diagnose des Universitätsklinikums Göttingen im vorläufigen Entlassungsbericht und den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen - der Fall.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO und berücksichtigt, dass die Revision nicht zugelassen wurde und eine Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) wegen des zu geringen Wertes ausscheidet (§ 26 Nr. 8 EGZPO).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Entscheidung kommt keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zu. Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Beschwer des Klägers bestimmt sich gemäß §§ 3, 4 ZPO nach dem Wert der Hauptforderung, die ihm auch in der Berufung nicht zugesprochen wurde. Die Beschwer der hinsichtlich des Feststellungsantrags unterlegenen Beklagten war entsprechend §§ 3, 9 ZPO auf das 3 1/2-fache der Jahresprämie (6.510,96 DM) festzusetzen (BGH NVersZ 2002, 21-22; NJW 2000, 2750 = VersR 2000, 1430-1431; RuS 1996, 332).

Ende der Entscheidung

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