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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 21.01.2009
Aktenzeichen: 4 U 341/08
Rechtsgebiete: ThürStrG


Vorschriften:

ThürStrG § 10 Abs. 1
ThürStrG § 43
ThürStrG § 49 Abs. 3
1. Grundsätzlich obliegt einer Gemeinde für die innerörtlichen Straßen eine - in Thüringen hoheitlich ausgestaltete - Räum- und Streupflicht bei allgemeiner Straßenglätte (§§ 10 Abs. 1, 43, 49 Abs. 3 ThürStrG).

2. Nach der (ständigen) Rechtsprechung des Senats sind Straßen innerhalb geschlossener Ortschaften aber nur an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen zu räumen. Dabei sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berück-sichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs.

3. Eine Räum- und Streupflicht besteht aber dann nicht, wenn und solange durch das Räumen und Streuen wegen anhaltend starken Schneefalls oder sonstiger extremer Witterungsbedingungen keine nachhaltige Sicherungswirkung für den Verkehr erreicht werden kann. Ein völlig sinnloses Handeln kann von der (streupflichtigen) Gemeinde nicht verlangt werden.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 341/08

Verkündet am: 21.01.2009

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser und Richterin am Amtsgericht Hütte

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07.01.2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 03.04.2008 - 6 O 1022/06 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.428,19 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 25.01.2006 gegen 18.10 Uhr in Greußen, Friedrich-von-Hardenberg-Straße geltend. Der Kläger ist - in zweiter Instanz unstreitig - an der Einmündung zur Robert-Koch-Straße auf der verschneiten Straße mit seinem Fahrzeug ins Rutschen geraten und gegen die Gartenmauer des Grundstücks des Zeugen B. geprallt.

Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung von 2.428,19 € nebst vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten nach Beweisaufnahme stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Unfallstelle sei aufgrund ihres Gefälles als gefährlich anzusehen. An die Verkehrswichtigkeit seien bei einer derartigen Gefährlichkeit geringere Anforderungen zu stellen. Eine hinreichende Verkehrswichtigkeit sei zu bejahen, da das Wohngebiet nur über die Friedrich-von-Hardenberg-Straße verlassen werden könne. Ein Mitverschulden des Klägers liege nicht vor, da auch andere Verkehrsteilnehmer ins Rutschen geraten seien und nach der Beweisaufnahme davon auszugehen sei, dass der Kläger nur Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Zwischenzeitliches Räumen und Streuen sei nicht nutzlos gewesen, da zumindest die Bildung einer Eisschicht unter der Schneedecke hätte vermieden werden können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der in der ersten Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, dass eine gefährliche Strecke nicht vorliege, da die Unfallstrecke nicht durch fehlende Beherrschbarkeit gekennzeichnet sei. Aus den Ausführungen des LG ergebe sich nicht, dass ein Kraftfahrer aufgrund der Verkehrssituation bremsen, ausweichen oder die Richtung ändern müsse. Zudem sei eine Verkehrswichtigkeit nicht gegeben, da die Friedrich-von-Hardenberg-Straße eine reine Anliegerstraße sei. Weiter macht die Beklagte geltend, dass Schneefall erst gegen 17 Uhr eingesetzt habe und sie damit nicht bis zum Unfallzeitpunkt die Unfallstelle hätte streuen müssen, da ihr eine gewissen Rüstzeit zuzubilligen sei. Sie rügt, dass das Landgericht ihr Beweisangebot bzgl. des Beginns des Schneefalls übergangen habe. Weiter ist die Beklagte der Ansicht, dass dem Kläger ein Mitverschulden zuzurechnen sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Mühlhausen vom 03.04.2008 - 6 O 1022/06 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist abzuweisen.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht aufgrund des Unfalls vom 25.01.2006 gegen 18.10 Uhr in Greußen, Friedrich-von-Hardenberg-Straße.

Der Beklagten ist kein Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten vorzuwerfen ist, da zum Unfallzeitpunkt keine Räum- und Streuverpflichtung bestand, zudem muss sich der Kläger ein überwiegendes Mitverschulden zurechnen lassen.

Grundsätzlich obliegt der Beklagten nach §§ 10 Abs. 1, 43, 49 Abs. 3 des Thüringer Straßengesetzes die - Thüringen hoheitlich ausgestaltete - Räum- und Streupflicht. Nach der ständigen Rechtsprechung sind Straßen innerhalb geschlossener Ortschaften an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen zu räumen. Dabei sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs (BGH Urteil vom 20.10.1994 - III ZR 60/94 - VersR 1995, 721). Eine Räum- und Streupflicht besteht nicht, solange durch das Streuen wegen anhaltend starken Schneefalls oder sonstiger extremer Witterungsbedingungen keine nachhaltige Sicherungswirkung erreicht werden kann. Ein völlig sinnloses Handeln der Gemeinde kann nicht verlangt werden (vgl. BGH VersR 1985, 271; OLG Celle NJW-RR 2004, 1251).

Unter Beachtung dieser Grundsätze fehlt es an einer Räum- und Streupflicht der Beklagten zum Unfallzeitpunkt.

Die Unfallstelle dürfte zwar als gefährliche Stelle einzuordnen sein. Die Straße hat vor der Kreuzung mit der Robert-Koch-Straße ein Gefälle von 8%. Ein Kraftfahrer muss aufgrund der Verkehrssituation bremsen und die Richtung ändern, denn die Friedrich-von-Hardenberg-Straße endet an der Einmündung zur Robert-Koch-Straße, ein Autofahrer muss entweder links oder rechts abbiegen.

Jedoch ist eine Verkehrswichtigkeit nicht gegeben. Für die Wichtigkeit und Bedeutung des Verkehrsweges kommt es insbesondere auf das Verkehrsaufkommen und die örtlichen Verhältnisse an (BGH NJW 1975, 444). Das Merkmal der Verkehrswichtigkeit erfüllen in der Regel nur verkehrsreiche Durchgangsstraßen, Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen und städtische Hauptverkehrsstraßen (OLG Jena NZV 2001, 87). Ob in einem Streckenbereich ein nicht nur unbedeutender Verkehr herrscht, kann dabei nicht allein aus der Anzahl der Fahrzeuge beurteilt werden, die dort durchschnittlich vorbeikommen. Abzustellen ist vielmehr auch auf die Art des Verkehrs, insbesondere ob es sich um bloßen Anlieger- oder auch um Durchgangsverkehr handelt. Eine Verkehrswichtigkeit liegt nicht schon dann vor, wenn ein zeitlich begrenzter Umstand nur vorübergehend zu stärkerem Verkehrsaufkommen führt ( OLG Hamm, Urteil vom 29.04.2003 - 9 U 31/03 - zitiert nach juris).

Nach diesen Maßstäben ist die Unfallstelle keine verkehrswichtige Stelle. Es handelt sich um eine Straße, die ein Wohngebiet und ein Gymnasium erschließt. Unabhängig davon, dass es an einer Quantifizierung des Verkehrs völlig fehlt, scheitert die Verkehrswichtigkeit jedenfalls daran, dass das Verkehrsaufkommen lediglich zu Schulbeginn und also nur vorübergehend sehr stark sein dürfte und es sich außerdem bei diesem Verkehr strukturell um eine Art Anliegerverkehr, nicht aber um Durchgangsverkehr handelt, der wegen seiner Unkenntnis von den örtlichen Verhältnissen besonders schutzbedürftig wäre. Im Übrigen ist allein Anliegerverkehr gegeben. Ob während des Schulbeginns eine Räum- und Streupflicht zu bejahen wäre, muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden.

Eine Räum- und Streupflicht ist vorliegend zudem auch deshalb zu verneinen, weil entgegen der Ausführungen des Landgerichts ein zwischenzeitliches Räumen und Streuen nutzlos gewesen wäre. An die gegenteilige Tatsachengrundlage des Urteils des Landgerichts ist der Senat nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nummer 1 Halbsatz 2 ZPO gebunden, da konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Das Landgericht hat zu dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten, es habe anhaltend geschneit, keine Ausführungen gemacht, sondern nur festgestellt, dass bei der gegebenen Situation die Beklagte die Unfallstelle zwischen 12 und 18 Uhr gegebenenfalls mehrfach hätte räumen und streuen. Die Zeugenaussagen zur Dauer des Schneefalls hat das Landgericht in seine Wertung nicht einbezogen. Die Zeugen haben jedoch bestätigt, dass es am Unfalltag seit 15/16 Uhr (Zeugen D. und H.) bzw. 14.30 Uhr (Zeuge B.) durchgehend geschneit hat. Auch der Kläger hat in seiner vorgerichtlichen Stellungnahme ausgeführt, dass es seit 15.30 Uhr dauernd geschneit habe. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass Räum- und Streumaßnahmen nutzlos waren. Anhaltspunkte dafür, dass sich aufgrund der Wetterverhältnisse des Vortages Eis oder am Unfalltag Blitzeis gebildet hatte, was zu einer sofortigen Streupflicht hätte führen können, sind nicht gegeben. Die Zeugen haben eine derartige Eisbildung nicht bestätigt, der Zeuge B. hat vielmehr angegeben, dass zunächst Wasser auf der Straße leicht anfror und dann starker Schneefall einsetzte. Dies gebietet nicht ein sofortiges Handeln der Beklagten.

Unabhängig von der Frage der Räum- und Streupflicht ist dem Kläger zudem ein überwiegendes Mitverschulden an dem Unfall anzulasten. Der Senat folgt nicht der Wertung des Landgerichts, das mit dem Hinweis darauf, dass am Unfalltag auch andere Autofahrer ins Schleudern gekommen seien und der Kläger nur Schrittgeschwindigkeit gefahren sei, eine eigene Haftung des Klägers verneint hat. Die Zeugen A. und H. sind mit ihren Fahrzeugen zwar ebenfalls ins Rutschen geraten, ihnen ist es aber gelungen, eine Kollision mit der Mauer zu vermeiden. Dies spricht unabhängig von der Schwere und Größe des Fahrzeugs dafür, dass der Kläger auch mit Schrittgeschwindigkeit zu schnell gefahren ist.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91 Absatz 1, 97 Absatz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionsgründe im Sinne des § 543 Absatz 2 ZPO nicht vorliegen. Es handelt sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gemäß § 3 ZPO, 47 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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