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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 23.07.2008
Aktenzeichen: 4 U 347/07
Rechtsgebiete: SGB VII


Vorschriften:

SGB VII § 104 Abs. 1 Satz 1
SGB VII § 105 Abs. 1 Satz 1
SGB VII § 106 Abs. 3
Einer Praktikantin stehen über die von der gesetzlichen Unfallversicherung gewährten Ansprüche dann keine weiteren Ansprüche, u.a. kein Schmerzensgeld, auf Grund der allgemeinen Vorschriften (§§ 7, 17, 18 StVG, 823, 842, 843 BGB) zu, wenn zu Gunsten des Haftpflichtversicherers des für den Unfall verantwortlichen Unfallbetriebs die Haftungsprivilegierungen der §§ 104 ff SGB VII greifen.

Das ist auch dann der Fall, wenn die Unfallgeschädigte als Praktikantin in dem Unfallbetrieb zum Zeitpunkt des Unfalls als sog. "Wie-Beschäftigte" tätig war.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 347/07

Verkündet am: 23.07.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 02.07.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 03.04.2007, 6 O 1396/05, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt Zahlung von Schmerzensgeld, Schadensersatz sowie die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz des Zukunftsschadens verpflichtet ist, da ihrer Meinung nach hinsichtlich des Unfallereignisses vom 24.02.2003 zu Gunsten des Unfallverursachers bzw. der Unfallverursacher eine Haftungsprivilegierung entsprechend SGB VII nicht eingreife.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der von ihnen gestellten Anträge wird gemäß § 540 Absatz 1 Satz 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug (Band I Blatt 148 ff) Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 03.04.2007, 6 O 1396/05, die Klage abgewiesen. Wegen der Haftungsprivilegierung des § 105 SGB VII und des § 106 Absatz 3 SGB VII scheide eine Haftung der Beklagten für das streitige Unfallereignis aus.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie hält an ihrem bereits erstinstanzlich vertretenen Standpunkt fest, die Beklagte müsse haften, da eine Haftungsprivilegierung nach SGB VII ausscheide.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 03.04.2007 verkündeten Urteils des Landgerichts Mühlhausen , 6 O 1396/05,

a) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch den Betrag von € 17.000,00 nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.11.2004 zu zahlen,

b) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betragvon17.206,31 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.11.2004 zu zahlen,

c) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen weiteren Schaden, der ihr in Zukunft auf Grund des Verkehrsunfalls vom 24.02.2003 auf dem Betriebsgelände des Ökumenischen Krankenhauses, Pfafferode 102, Mühlhausen, entsteht, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen, und

d) festzustellen, dass der Klägerin zukünftige finanzielle Nachteile durch den Verlust von Anwartschaften für den Bezug von Arbeitslosengeld auf Grund des Schadensereignisses vom 24.02.2003 durch die Beklagte zu erstatten sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 24.02.2003 gegen die Beklagte keine Ansprüche zustehen. Denn einer möglichen Haftung der Beklagten aus §§ 7, 17, 18 StVG, §§ 823, 842, 843 BGB i.V.m. §§ 2, 3 PflVersG stehen die Haftungsprivilegierung gemäß §§ 104, 105, 106 SGB VII entgegen.

Die Klägerin ist im Unfallbetrieb, wie vom Landgericht richtig festgestellt, als "Wie-Beschäftigte" tätig geworden, so dass die Haftungsprivilegierungen gemäß §§ 104 Absatz 1 Satz 1, 105 Absatz 1 Satz 1 SGB VII greifen mit der Folge, dass Ansprüche gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer der unfallbeteiligten Fahrzeuge ausscheiden. Denn die Klägerin war im Unternehmen der Versicherungsnehmerin der Beklagten tätig und die beteiligten Fahrzeugführer gehörten demselben Betrieb wie die Klägerin an.

Die Klägerin trägt unter Beifügung ihres Praktikantenvertrages selbst vor, dass sie für die Betreuung der Behinderten der Einrichtung des Ökumenischen Krankenhauses zuständig gewesen sei. Im Rahmen dieser Tätigkeit sei die auf dem Betriebsgelände gelegene Gärtnerei aufgesucht worden.

Schon aus dem Praktikantenvertrag geht hervor, dass die Klägerin bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ihr Praktikum im Bereich der Ergotherapie - Gärtnerei ableisten sollte, was nach dem Vorbringen der Klägerin auch in die Praxis umgesetzt worden ist. Die Klägerin hat also eine ernstliche, der Ökumenischen Hainich Klinikum gGmbH dienende Tätigkeit verrichtet, die auch dem Willen der Vertreter dieser Einrichtung entsprach, denn es lag eine entsprechende vertragliche Vereinbarung vor. Üblicher Weise wird die Betreuung von Behinderten im Rahmen der Ergotherapie, wie sie die Klägerin im Rahmen ihres Praktikums ausgeübt hat, von ausgebildeten Ergotherapeuten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses erbracht. Die Umstände, unter denen die Klägerin praktisch tätig geworden ist, waren auch denen eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich, denn ihr war ein konkreter Aufgabenbereich (Ergotherapie - Gärtnerei) mit einer für Beschäftigungsverhältnisse üblichen Arbeitszeit von 40 Stunden zugewiesen, so dass sie in den Bereich der Ökumenischen Hainich Klinikum gGmbH eingegliedert war.

Dementsprechend ist der Unfall auch seitens der Unfallkasse Sachsen-Anhalt am 05.12.2003 als Arbeitsunfall anerkannt worden (Band I Blatt 82). Diese Entscheidung, deren bindende Wirkung von der Klägerin hinsichtlich der Versicherungsnehmerin der Beklagten in Frage gestellt wird, hindert nicht an der Feststellung, dass die Klägerin als "Wie-Beschäftigte" für die Ökumenische Hainich Klinikum gGmbH tätig geworden ist, mit der Folge der Haftungsprivilegierung. Denn die bindende Entscheidung, welcher Unfallversicherungsträger zuständig ist, hat zwar im Rahmen der §§ 104 ff SGB VII insofern Bedeutung, als sie die Feststellung enthält, welchem Unternehmer der Unfall zugerechnet wird, also festschreibt, welcher Unternehmer haftungsprivilegiert ist. Das Gericht, das über den Schadensersatzanspruch zu befinden hat, ist jedoch durchaus berechtigt, festzustellen, dass der Unfall auch einem weiteren Unternehmer zuzuordnen ist. Etwas anderes gilt nur, wenn auch insofern eine ausdrückliche Entscheidung des Unfallversicherungsträgers vorliegt (Franke/Molkentin-Rapp, SGB VII, 2. Auflage, § 108 Rn. 8). Aus dem Bescheid der Unfallkasse Sachsen-Anhalt vom 05.12.2003 geht hervor, dass eine Entscheidung nur insoweit getroffen worden ist, als der Unfall der BiMed Gesellschaft für Aus- und Weiterbildung mbH, Bad Kösen, zugeordnet worden ist. Eine (weitere) Zuordnung, wie vorgenommen, ist also zulässig.

Die Anwendung des Haftungsausschlusses entfällt dabei nicht etwa deswegen, weil der Versicherungsschutz für die Hilfeleistung gemäß § 2 Absatz 1 Nr. 13 a SGB VII eingreifen könnte. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie des Bundessozialgerichts (so BGH VersR 1995, 682 ff, zitiert nach juris) hindert die Anerkennung der Eintrittspflicht für einen Arbeitsunfall durch die Berufsgenossenschaft des Stammunternehmens des Unfallverletzten die Zivilgerichte zwar nicht daran, den Arbeitsunfall auch einer versicherten Tätigkeit für ein anderes Unternehmen zuzuordnen, das zu einer anderen Berufsgenossenschaft gehört. Das beruht darauf, dass die Versicherungstatbestände in derartigen Fällen nebeneinander verwirklicht sein können, im Verhältnis zu dem Verletzten regelmäßig aber nur eine Berufgenossenschaft für die Versicherungsleistungen zuständig ist. Das trifft jedoch nicht für Verletzungen zu, für die ein Unfallversicherungsträger seine Leistungspflicht aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Hilfeleistung anerkannt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der Unfallversicherungsschutz in diesem Fall nur gegeben, wenn die unfallbringende Tätigkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nicht schon nach anderen gesetzlichen Vorschriften, insbesondere wegen Vorliegen eines Arbeitsunfalls, versichert ist. Eine Änderung ist insoweit nach Inkrafttreten der Vorschriften des SGB VII nicht eingetreten (BGH VersR 2006, 164 ff, zitiert nach juris). Bei einer Hilfeleistung im Sinne von § 2 Absatz 1 Nr. 13 a SGB VII ergibt sich die Unfallversicherung kraft Gesetzes und nicht etwa daraus, dass der Versicherte einem Unternehmen zu Hilfe kommt, sondern weil er Nothilfe im Sinne dieser Vorschrift leistet und somit der Allgemeinheit hilft. Daraus resultiert, dass dieser Versicherungsschutz nicht zur Anwendung des Haftungsausschlusses etwa gemäß § 104 SGB VII führt. Vergeblich erstrebt die Klägerin mit der Berufung die Einordnung ihrer Hilfeleistung als solche für die Allgemeinheit. Denn auf Grund der Bindungswirkung des § 108 Absatz 1 SGB VII steht fest, dass das streitige Unfallgeschehen als Arbeitsunfall einzuordnen ist und die Klägerin den Unfall nicht als Hilfeleistende im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses nach § 2 Absatz 1 Nr. 13 a SGB VII erlitten hat.

Dahingestellt bleiben kann, ob der Unfall als Schulunfall gemäß § 2 Absatz 1 Nummer 8 b SGB VII einzuordnen sein könnte. Denn die Versicherung nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 SGB VII geht gemäß § 135 Absatz 1 Nummer 3 SGB VII der unter dem Aspekt des Schulunfalls vor, soweit, wie hier, die Verletzung nicht beim Besuch einer berufsbildenden Schule erfolgte. Um das versicherte Risiko für die Versicherungsträger abgrenzbar zu halten, findet des außerhalb des schulischen Verantwortungsbereichs grundsätzlich selbst bei solchen Verrichtungen kein Versicherungsschutz, die wesentlich durch den Schulbesuch bedingt sind. Die Klägerin hat keine Anhaltspunkte vorgetragen, die darauf schließen ließen, dass das Praktikum von der BIMed Gesellschaft für Aus- und Weiterbildung mbH organisatorisch beherrscht wird. Insbesondere aus dem Praktikumsvertrag vom 28.11.2002 (Band I Vorder- und Rückseite Blatt 67) geht nichts Dergleichen hervor.

Darüber hinaus ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass die Grundsätze der gemeinsamen Betriebsstätte Anwendung finden, so dass auch der Haftungsausschluss des § 106 Absatz 3 3. Alt. SGB VII greift. Denn die Tätigkeit der Mitwirkenden ist hier auf gegenseitige Ergänzung ausgerichtet. Die Ausbildung der Klägerin ist ohne das Praktikum nicht vollständig abschließbar und ihr Tätigwerden bei der genannten Einrichtung ergänzt den Bedarf an Arbeitskräften der genannten Einrichtung. Denn der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte erfasst über die Fälle der Arbeitsgemeinschaft hinaus betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein (BGH VersR 2004, 381 f, zitiert nach juris).

Eine Anwendung der Normen, die zu einer Privilegierung der für den Unfall Haftenden führt, scheidet auch nicht deswegen aus, weil etwa ein Entsperrungstatbestand vorläge.

Weder hat die Klägerin einen Sachverhalt vorgetragen, dem zu entnehmen sein könnte, der Unfall könnte vorsätzlich herbeigeführt worden sein, noch lassen sich dem Akteninhalt entsprechende Anhaltspunkte entnehmen. Aus dem Umstand, dass das Gespann, bestehend aus dem Multicar und dem Ackerschlepper eine Kurve mit zu hoher Geschwindigkeit befahren hat, lässt sich nicht herleiten, der oder die Schadensverursacher hätte(n) eine Verletzung der Klägerin als möglich erkannt und diese auch nur billigend in Kauf genommen. Denn Vorsatz ist nach zivilrechtlichen Grundsätzen Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges, wobei bedingter Vorsatz reicht. Hinzu kommt, dass für die Anwendung des Entsperrungstatbestands sich der Vorsatz des Schädigers sowohl auf die den Versicherungsfall verursachende schädigende Handlung als auch auf Eintritt und Umfang des Schadens beziehen muss vgl. zu den Voraussetzungen des Entsperrungstatbestands Franke/Molkentin-Rapp, a.a.O., § 104 Rn. 18/19). Entsprechendes ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich.

Die Klägerin kann ihre zivilrechtlichen Ansprüche auf Ersatz der Personenschäden auch nicht deswegen wie jeder andere Geschädigte geltend machen, weil sie sich ihre Verletzungen im Rahmen eines Wegeunfalls zugezogen hätte. Abzustellen ist darauf, ob sich die geschädigte Person auf einem versicherten Weg befand (Franke/Molkentin-Rapp, a.a.O., § 104 Rn. 21).

Die Klägerin hat sich zum Zeitpunkt des Unfalls nicht auf einem Weg befunden, der erforderlich war, um an den Ort der beabsichtigten versicherten Tätigkeit zu kommen bzw. von der durchgeführten versicherten Tätigkeit zurückzukehren (vgl. zur Definition des Wegeunfalls Franke/Molkentin-Rapp, a.a.O., § 8 Rn. 154). Denn sie befand sich bereits an ihrem Arbeitsplatz, als sie von dem Ackerschlepper erfasst wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzung für die Zulassung der Revision, § 543 Absatz 2 ZPO, liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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