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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 14.01.2004
Aktenzeichen: 4 U 694/03
Rechtsgebiete: StPO, StVG


Vorschriften:

StPO § 111 a
StVG § 3 Abs. 3
Bei Neuerteilung einer Fahrerlaubnis kann die Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen ihrer Eignungsprüfung auch Verkehrsverstöße berücksichtigen, die zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis führen können (vgl. § 111 a StPO).

§ 3 Abs. 3 StVG steht dem nicht entgegen. Denn anders als bei der Entziehung einer Fahrerlaubnis fehlt es bei der Erteilung der Fahrerlaubnis an einem Prüfungsgegenstand für ein Strafverfahren.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 U 694/03

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Oberlandesgericht Krohn

am 14.01.2004

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 13.06.2003, AZ.: 7 O 2861/02, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 3 ZPO, 14 Abs. 1, 25 Abs. 2 GKG auf € 6.500,- festgesetzt.

Gründe:

Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung für die verzögerte Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis für Lkw über 7,5 t nach § 24 Abs. 2 FeV. Deren Aushändigung hat die Führerscheinstelle entgegen ihrer Ankündigung abgelehnt, nachdem sie von der Staatsanwaltschaft telefonisch darüber informiert worden war, dass die vorläufige Entziehung der klägerischen Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO beabsichtigt sei. Dem lag ein Verkehrsvergehen des Klägers in der Schweiz zugrunde, bei welchem eine Blutalkoholkonzentration von 2,34 Promille - 2,86 Promille festgestellt worden war. Die Aushändigung der Fahrerlaubnis erfolgte zwei Monate später, nachdem das Amtsgericht den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt hatte.

Das Landgericht hat das Verhalten der Bediensteten der Beklagten für rechtmäßig erachtet und die Klage abgewiesen. Die Fahrerlaubnisbehörde sei verpflichtet gewesen, Eignungsbedenken nachzugehen, und sei an der Berücksichtigung des Verkehrsverstoßes in der Schweiz nicht durch § 3 Abs. 3 StVG gehindert gewesen. Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung des Klägers, mit der er im Wesentlichen die Nichtanwendung von § 3 Abs. 3 StVG rügt.

Die Berufung des Klägers hat nach einstimmiger Ansicht des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung; sie erfordert eine Entscheidung des Berufungsgerichts weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, § 522 Abs. 2 Ziff. 1-3 ZPO.

Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte bei ihrer Entscheidung über die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht durch § 3 Abs. 3 StVG an der Berücksichtigung der Trunkenheitsfahrt des Klägers gehindert war und dass die zunächst unterbliebene Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht schadensursächlich war.

Dass § 3 Abs. 3 StVG auf die Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht anwendbar ist, ergibt sich aus dem Sinn der Vorschrift. Es sollen widerstreitende Entscheidungen der Gerichte und der Fahrerlaubnisbehörden ebenso wie aufwendige Doppelprüfungen vermieden und die besseren Erkenntnismöglichkeiten des gerichtlichen Verfahrens für die Frage der Eignung genutzt werden (BVerwG, NZV 1992, 501; s.a. BGH, BGHSt 10, 94, 97). Ist ein Strafverfahren anhängig, zu dem auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zählt (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., StVG § 3 Rn 16), besteht für ein Tätigwerden der Fahrerlaubnisbehörde keine Notwendigkeit. Denn das Gericht kann die Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO vorläufig entziehen, sofern hierfür ein Bedürfnis entsteht. Voraussetzung ist jedoch stets, dass eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt, weil der Betroffene zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Dies setzt mithin eine Fahrerlaubnis voraus, die Gegenstand der Entziehung sein kann.

Im Fall der Erteilung der Fahrerlaubnis fehlt es aber gerade an einem solchen für die Entziehung tauglichen Gegenstand. Eine gerichtliche Entscheidung hierüber ist gar nicht möglich, auch nicht im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen. Eine Befassung des Gerichts vor der Erteilung kommt daher nicht in Betracht. Mithin droht weder eine doppelte Prüfung noch eine von der Einschätzung der Fahrerlaubnisbehörde abweichende Beurteilung durch das Gericht. Eine Anwendung des § 3 Abs. 3 StVG ist daher nicht geboten. Sie ist sogar kontraproduktiv, weil nur die Fahrerlaubnisbehörde über die Mittel verfügt, einen als ungeeignet erkannten Fahrer vom Führen eines Kraftfahrzeuges fernzuhalten.

Nichts anderes kann für die Neuerteilung (§ 24 Abs. 2 FeV) einer Fahrerlaubnis gelten, weil sich diese in den maßgeblichen Umständen von einer erstmaligen Erteilung nicht unterscheidet. Auch hier fehlt es an einem für ein Entziehungsverfahren geeigneten Objekt im Strafverfahren, das mit dem Gegenstand des behördlichen Verfahrens auf Neuerteilung identisch ist. Der Abschluss des Verfahrens auf Neuerteilung, die Aushändigung der Fahrerlaubnis, ist vielmehr Voraussetzung für ein gerichtliches Tätigwerden; diesem kann deshalb logisch kein Vorrang zukommen.

Daran ändert sich nichts dadurch, dass der Betroffene möglicherweise die Fahrerlaubnis einer anderen Klasse noch besitzt. Hinsichtlich dieser Fahrerlaubnis mag dem Strafverfahren Vorrang zukommen; mit der beantragten Fahrerlaubnis für eine andere Klasse hingegen kann sich das Gericht nicht befassen, solange diese nicht erteilt ist. Im behördlichen Verfahren auf Erteilung der Fahrerlaubnis einer neuen Klasse gibt es deshalb kein Strafverfahren, in dem die Entziehung dieser Fahrerlaubnis in Betracht kommt. Die Fahrerlaubnisbehörde ist deshalb nicht gehindert, in diesem Erteilungsverfahren denselben Sachverhalt zu berücksichtigen, der Gegenstand des Strafverfahrens ist.

Dass sich das Verfahren vorliegend auf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis (§ 24 Abs. 2 FeV) und nicht auf deren Verlängerung (§ 24 Abs. 1 FeV) richtete, ergibt sich daraus, dass der Kläger diese verspätet, nämlich nicht rechtzeitig vor Ablauf der Geltungsfrist beantragt hat (vgl. VGH BW, ZfS 1997, 237) und die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Ziff. 1 FeV erst nach Fristablauf vorlagen. Im Übrigen bestünde auch kein Anlass, auf den Fall der Verlängerung § 3 Abs. 3 StVG anzuwenden; denn dieser steht einer Neuerteilung näher als einer Entziehung der Fahrerlaubnis.

Ob die Konsequenzen, welche die Behörde aus der Berücksichtigung der Trunkenheitsfahrt des Klägers gezogen hat, den gesetzlichen Maßgaben entsprachen, kann dahinstehen. Denn das Landgericht hat in seiner angefochtenen Entscheidung (S. 6 unten) ausgeführt, dass der Kläger in keinem Fall früher als geschehen seine Fahrerlaubnis erhalten hätte. Diese Erwägungen im Zusammenhang mit einem rechtmäßigen Alternativverhalten sind offenbar zutreffend und von der Berufung nicht angegriffen. Der geltend gemachte Schaden beruht daher nicht auf dem Abwarten der Behörde nach dem 19.03.01. Die Angriffe des Klägers gegen Umstände und Ergebnis der später durchgeführten medizinisch-psychologischen Untersuchung sind unerheblich, weil sie den klagegegenständlichen Verdienstausfall von März bis Mai 2001 nicht zu begründen vermögen.

Angesichts dieser Umstände kann die Berufung keinen Erfolg haben. Da die Zurückweisung im Einklang mit der bisherigen Rechtspraxis steht, liegen auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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