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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 19.11.2008
Aktenzeichen: 4 U 716/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 940
Bei einer Leistungsverfügung - hier Anspruch auf Krankentagegeld - reicht allein die Glaubhaftmachung des Antragstellers zur Begründung eines Anspruchsgrundes nicht aus, wenn die Gegenseite unter Berufung auf eine abweichende gutachtliche Stellungnahme einen Anspruch auf Leistung substantiiert in Abrede stellt. Denn im Gegensatz zur Sicherungsverfügung nimmt eine Leistungsverfügung das Ergebnis der Hauptsache (eines späteren Klageverfahrens) vorweg, schafft also Tatsachen, die u.U. - bei Leistungsunfähigkeit des Verfügungsklägers und später abgewiesener Klage im Hauptverfahren - zu einem nicht mehr wieder gut zu machenden Schaden führen könnte. Daher kommt eine auf § 940 ZPO gestützte Leistungsverfügung auch nur in engen Ausnahmefällen in Betracht.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 716/08

Verkündet am: 19.11.2008

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser und Richterin am Amtsgericht Hütte

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Erfurt vom 19.08.2008 wird der Antrag des Verfügungsklägers vom 28.07.2008 abgewiesen.

Der Verfügungskläger hat die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens (beider Instanzen) zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Verfügungskläger macht im einstweiligen Verfügungsverfahren wegen behaupteter Arbeitsunfähigkeit seit dem 29.03.2008 einen Leistungsanspruch auf Zahlung von Krankentagegeld geltend; er unterhält bei der Verfügungsbeklagten eine private Krankenversicherung mit Einschluss einer Kranken- tagegeldversicherung. Nach den vertraglich vereinbarten MB/KT 2008 und dem vereinbarten Tarif 42 stünde ihm ab dem Ablauf der Karenzzeit (42 Tage) ein Krankentagegeld von 70,- € pro Tag zu. Voraussetzung nach den genannten Bedingungen ist, dass die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht (s. § 1 Abs. 3 MB/KT 2008).

Im Hinblick auf diese - unstreitige - Vertragsbedingung besteht zwischen den Parteien Streit darüber, ob, wie der Verfügungskläger unter Bezugnahme auf die gutachtliche Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. U. F. vom 23.06.2008 (Bl. 35 f d.A.) behauptet, er tatsächlich seit März, spätestens aber seit dem 13.05.2008 wegen Mobbings am Arbeitsplatz durch eine "Burn-out" Problematik (chron. Erschöpfungszustand) vollständig arbeitsunfähig erkrankt ist oder - so die Meinung der Verfügungsbeklagten, gestützt auf das neurologische Gutachten des Facharztes für Nervenheilkunde, Psychiatrie u. Psychotherapie U. J. v. 16.05.2008 - es sich hierbei nur um eine (sog.) konfliktbedingte Arbeitsplatzunverträglichkeit handelt, die einen Anspruch auf Krankentagegeld ausschlösse.

Das LG Erfurt hat auf die weitere Behauptung des Verfügungsklägers, er benötige zur Existenzsicherung die vorläufige Zahlung von Krankentagegeld, diesem ab dem 28.07.2008 mit dem im Tenor aufgeführten Urteil für die Dauer der arbeitsunfähigen Krankschreibung längstens bis zur erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache ein monatliches Krankentagegeld von 1.000,- € zugesprochen. Es hat dies damit begründet, der Verfügungskläger habe ausreichend einerseits seine Arbeitsunfähigkeit und andererseits seine Bedürftigkeit auf einen "Notunterhalt" glaubhaft gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf das genannte Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Verfügungsbeklagte mit ihrer Berufung, mit der sie sowohl das Vorliegen des Anspruchsgrundes, als auch den Verfügungsgrund in Abrede stellt.

Im Berufungsverfahren hat der Verfügungskläger, der im Übrigen die angefochtene Entscheidung verteidigt, ergänzend vorgetragen, er arbeite seit dem 01.09.2008 wieder.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und den Verfügungsantrag abzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die statthafte und form- und fristgerechte Berufung der Verfügungsbeklagten hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Antragsabweisung.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts reicht es bei einer Leistungsverfügung nicht aus, allein auf die Glaubhaftmachung des Verfügungsklägers abzustellen und trotz Streits über die bedingungsmäßige Voraussetzung der vorübergehend völligen Arbeitsunfähigkeit (des Klägers als versicherter Person) eine Klärung der streiterheblichen Frage durch entsprechende Beweiserhebungsmaßnahmen zu unterlassen. Anders als bei der Sicherungsverfügung (dem Normalfall einer einstweiligen Verfügung), nimmt eine Leistungsverfügung das Ergebnis der Hauptsache vorweg, so dass die Glaubhaftmachung des Anspruchs durch den Verfügungskläger hier nicht ausreicht. Es kann nicht sein, dass trotz gravierender Bedenken, ob ein Leistungsanspruch des Klägers auf der Grundlage der unstreitigen Vertragsbedingungen überhaupt gegeben ist - solche Zweifel bestehen schon wegen der eine völlige Arbeitsunfähigkeit ausschließenden Bewertung durch das neurologische Gutachten des Facharztes für Nervenheilkunde und Psychiatrie U.J. - das Landgericht nur die für den Verfügungskläger günstigen Krankschreibungen des behandelnden Arztes Dipl. Med. B. Sch. vom 08.07.2008, dessen eidesstattliche Versicherung vom 11.08.2008 und die gutachtlichen Äußerungen der weiter behandelnden Ärztin Dr. F. und deren eidesstattliche Versicherung vom 11.08.2008 positiv bewertet und die diese Bewertung in Frage stellende Beurteilung des Facharztes U. J. als nicht erheblich ansieht. Angesichts der nicht ausgeräumten Widersprüche in den Beurteilungen der Allgemeinmediziner zu dem fachärztlichen Gutachten durfte eine Beweiserhebung durch gerichtliches Gutachten nicht unterbleiben. Denn durch das Verfügungsurteil, in dem ein Leistungsanspruch des Verfügungsklägers, wenn auch beschränkt auf einen monatlichen "Notunterhalt", bejaht wurde, würden bei Bestätigung und darauf erfolgter Zahlungen der Verfügungsbeklagten Tatsachen geschaffen, die u.U. - bei Leistungs- bzw. Zahlungsunfähigkeit des Klägers - eine Rückzahlung ausschlössen.

Im Übrigen beweist auch die Arbeitsaufnahme des Verfügungsklägers ab dem 01.09.2008, dass die bedingungsmäßige Voraussetzung der vollständigen Arbeitsunfähigkeit - mindestens ab diesem Zeitpunkt - nicht (mehr) gegeben war. Bei - wie hier - noch nicht rechtskräftigem Verfügungsurteil können die "veränderten Umstände" auch im Rechtsmittelverfahren vorgetragen werden und müssen vom Rechtsmittelgericht berücksichtigt werden (vgl. Zöller-Vollkommer, 26. Aufl. ZPO-Komm. Rz 2 zu § 927 ZPO, dort auch m.w.Nw).

Das führt aber zur Verneinung eines Leistungsanspruchs und auch zum Wegfall des Verfügungsgrundes. Hinsichtlich dessen und zur Begründung vom Landgericht angenommener wirtschaftlichen Notlage fügt der Senat noch an, dass eine auf § 940 ZPO gestützte Leistungsverfügung, die, weil sie regelmäßig zu einem endgültigen Rechtsverlust des Schuldners führt, überhaupt nur in ganz engen Grenzen zur Anwendung kommen kann, mithin deren Voraussetzungen ganz streng zu prüfen sind. Auch das hat das Landgericht hier verkannt. Eine denkbare wirtschaftliche Notlage wäre nur dann positiv anzunehmen, wenn der Verfügungskläger die Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Existenz vorübergehend überhaupt nicht aufrechterhalten kann und dadurch in Gefahr geriete, diese völlig zu verlieren (s. hierzu OLG Hamm MDR 2000, 847; OLG Saarbrücken VersR 2007, 935).

Eine solche hat der Verfügungskläger aber schon nicht ausreichend vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht. Denn der Kläger hat nicht vorgetragen, dass seiner Notlage nicht durch Inanspruchnahme von Sozialhilfe abgeholfen werden kann. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts kann der Kläger darauf verwiesen werden, Sozialhilfe zu beantragen. Beim heutigen Standard der Sozialhilfeleistungen ist zu erwarten, dass der zuständige Sozialhilfeträger eintritt, solange der Kranke seinen Unterhalt nicht selbst begleichen kann und die Leistungspflicht der Versicherung noch nicht rechtskräftig feststeht (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Das Argument des OLG Köln (RuS 2007, 463), dass entsprechende Versicherungen gerade deshalb abgeschlossen werden, um solche Notlagen nicht aufkommen zu lassen, ist zwar zutreffend, führt aber bei Abwägung der finanziellen Beeinträchtigungen einerseits und des eventuell zu befürchtenden Verlustes der Versicherung andererseits nicht zwingend dazu, einen Verfügungsgrund zu bejahen. Dem Versicherungsnehmer ist durchaus zuzumuten, zunächst Sozialhilfe zu beantragen, auch wenn sein Lebensstandard dadurch beeinträchtigt wird. Ggf. kann der Versicherungsnehmer später Schadensersatzansprüche gelten machen. Es kann auch nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass das Sozialamt unter Hinweis darauf, dass Ansprüche gegen die Versicherung bestehen, einen Antrag ablehnt (so OLG Karlsruhe, VersR 2008, 1252). Dies gilt vorliegend gerade auch deshalb, weil die Beklagte Ansprüche bereits abgelehnt hat. Dass das Sozialamt Leistungen ggf. später zurückfordert oder nur gegen Abtretung von Ansprüchen leistet, ändert nichts an der Beurteilung.

Das führt dazu, dass der Verfügungskläger einen ablehnenden Bescheid (des Sozialamts) vorlegen müsste, aus dem sich ergibt, weshalb Sozialleistungen - in seinem Fall - versagt wurden, warum ein Selbstunterhalt nicht möglich ist und auch keine anderweitigen Möglichkeiten bestanden haben, den Unterhalt selbst zu bestreiten.

Aus den genannten Gründen war das angefochtene Urteil abzuändern und der Verfügungsantrag abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO. Da auch eine einstweilige Verfügung aufhebende Urteile nicht revisibel sind, bedurfte es keiner Schuldnerschutzanordnungen (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Der Streitwert des Berufungsverfahrens entspricht dem 1. Instanz, mithin 6.000,- € (§§ 47 Abs. 1, 2, 63 GKG).

Ende der Entscheidung

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