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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 08.03.2006
Aktenzeichen: 4 U 780/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 301
ZPO § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7
1. Bei einer Klage auf Schmerzensgeld, mat. Schadensersatz und Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zu künftigem Schadensersatz wegen eines behaupteten Behandlungsfehlers darf ein Urteil über den Haftungsgrund im Wege des Grund- und Teilurteils nicht ergehen, wenn das Grundurteil nur bezüglich der Zahlungsansprüche ergeht, eine Entscheidung über den Feststellungsantrag aber ausgespart wird. Denn in diesem Fall ist über die im Zahlungsanspruch geprüften Fragen bei dem Feststellungsantrag hinsichtlich der Erstattungspflicht künftiger Schäden erneut zu befinden, so dass die Gefahr divergierender Entscheidungen besteht. Aus diesem Grund darf im Falle objektiver Klagehäufung von Leistungs- und Feststellunganträgen, die aus demselben tatsächlichen Geschehen hergeleitet werden, nicht durch Teilurteil gesondert über den einen oder nur einen Teil der Ansprüche entschieden werden (ebenso BGH NJW 2001, 155 ff; juris).

2. Dass die Unzulässigkeit eines solchen Grund- und Teilurteils mit der Berufung nicht gerügt wurde, ist unschädlich, weil ein solcherart unzulässiges Teilurteil von Amts wegen zu beachten ist. Dies folgt schon daraus, dass es eines Zurückweisungsantrags einer Partei in diesem Fall nicht bedarf (vgl. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO).


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 780/05

Verkündet am: 08.03.2006 In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Oberlandesgericht Jahn

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Mühlhausen vom 20.07.2005, 6 (5) O 385/02, aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird an das Landgericht Mühlhausen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden niedergeschlagen. Im übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten dem Landgericht Mühlhausen vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Der Kläger begehrt wegen eines behaupteten ärztlichen Behandlungsfehlers Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, sämtliche zukünftigen materiellen Schäden zu ersetzen.

Auf die Feststellungen im Tatbestand des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, € 172.786,51 (DM 337.941,04) nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Diskontsatz der EZB seit dem 01.08.2000 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger sämtliche materiellen Schäden, die sich aus der Unterschenkelamputation vom 04.06.1999 in Zukunft ergeben zu ersetzen, sofern diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht weniger als € 40.903,35 (DM 80.000,00) zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Diskontsatz der EZB seit dem 01.08.2000.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Grund- und Teilurteil vom 20.07.2005, 6 (5) O 385/02, hat das Landgericht Mühlhausen die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Ferner hat es die Beklagten zu 1., 3. und 4. als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von € 40.903,35 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.08.2000 zu zahlen.

Die Klage sei dem Grunde nach gerechtfertigt. Dem Kläger stehe gegen die Beklagten ein Anspruch aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 BGB a.F. bzw. aus Verletzung des Behandlungsvertrages auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des erkennenden Gerichts fest, dass den Beklagten zu 3. und 4. ein Behandlungs- und Beratungsfehler unterlaufen sei, den sich die Beklagte zu 1. zurechnen lassen müsse. Es lägen grobe Behandlungsfehler der Beklagten zu 3. und 4. vor, die dazu führten, dass die Beklagten die Beweislast hinsichtlich der mangelnden Kausalität des aufgetretenen Rezidivs träfe. Die mangelnde Kausalität des ärztlichen Behandlungs- bzw. Beratungsfehlers zu dem später entstandenen Schaden, der Amputation des Unterschenkels, hätten die Beklagten jedoch nicht bewiesen.

Das Gericht habe im Hinblick auf die umstrittenen Schadensersatzforderungen zunächst davon Gebrauch gemacht, eine Grundurteil zu erlassen. Im Hinblick auf die Schmerzensgeldforderung sei die Sache zur Entscheidung reif gewesen und es habe ein Teilurteil ergehen können.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten und der Streithelfer mit ihrer Berufung.

Die Beklagten beantragen:

1. Unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils wird die Klage abgewiesen.

2. Hilfsweise: Unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils wird die Angelegenheit an das Landgericht Mühlhausen zurückverwiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die zulässige Berufung hat in der Sache (vorläufig) Erfolg, weil das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen wird. Bei dem angefochtenen Urteil handelt es sich um ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 ZPO erlassenes Teilurteil, § 538 Absatz 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO. Dass die Unzulässigkeit einer Entscheidung im Wege des Grund- und Teilurteils in der Berufungsinstanz nicht gerügt worden ist, steht der Überprüfung nicht entgegen. Aus dem Umstand, dass im Fall des § 538 Absatz 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO ein Zurückverweisungsantrag der Parteien gemäß § 538 Absatz 2 Satz 3 ZPO nicht erforderlich ist, ergibt sich, dass der Fall eines unzulässigen Teilurteils von Amts wegen zu beachten ist.

Eine Entscheidung im Wege des Grund- und Teilurteils durfte nicht ergehen, weil der gestellte Feststellungsantrag nicht beschieden worden ist.

Das Landgericht hat nicht ein Grundurteil hinsichtlich aller Anträge erlassen, sondern nur über die Zahlungsansprüche. Eine Entscheidung über den Feststellungsantrag ist nicht getroffen worden. Das ergibt sich aus dem Tenor und den Entscheidungsgründen, in denen auf den Feststellungsantrag nicht eingegangen wird. Im übrigen hätte über den unbezifferten Feststellungsantrag durch Grundurteil nicht entschieden werden können (BGH NJW 2001, 155 ff, zitiert nach juris). Hinsichtlich des begehrten Schmerzensgeldes liegt auch ein Teil-Endurteil vor. Ein solches ist zwar grundsätzlich möglich. Es ist jedoch unzulässig, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht (BGH a.a.O. wie vor).

Über die im Zahlungsanspruch geprüften Fragen ist bei dem Feststellungsantrag hinsichtlich der Erstattungspflicht allen weiteren Schadens noch ein Mal zu befinden. Es besteht daher die Gefahr, dass das Gericht, möglicher Weise auch das Rechtsmittelgericht, bei der späteren Entscheidung über diesen Feststellungsantrag zu einer anderen Erkenntnis gelangt. Aus diesem Grunde darf im Falle der objektiven Klagehäufung von Leistungs- und Feststellungsbegehren, die aus demselben tatsächlichen Geschehen hergeleitet werden, nicht durch Teilurteil gesondert über einen oder nur einen Teil der Ansprüche entschieden werden (BGH a.a.O. wie vor).

Dem Senat hat sich auf Grund der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ferner nicht erschlossen, woraus sich ein schwerer Behandlungsfehler der Beklagten zu 3. und 4. herleiten ließe. Denn der Tatrichter darf einen groben Behandlungsfehler nicht ohne ausreichende Grundlage in den medizinischen Darlegungen des Sachverständigen bejahen (BGH VersR 2001, 1116 f, 1116). Ansatzpunke hierfür sind nach Ansicht des Senats derzeit weder dem schriftlichen Sachverständigengutachten noch dessen mündlicher Erläuterung durch den Gerichtsgutachter zu entnehmen. Sollte die Nachversorgung und -behandlung tatsächlich als fehlerhaft einzustufen sein, wird nicht deutlich, weswegen der Beklagte zu 4. diesbezüglich in der Verantwortung steht. Die Sache scheint insgesamt weder tatsächlich noch rechtlich schon umfassend geklärt. Nur am Rande soll darauf hingewiesen werden, dass sich nach altem Recht aus der Verletzung des Behandlungsvertrages kein Schmerzensgeldanspruch herleiten lässt und die klägerischen Anträge auslegungsfähig erscheinen, was die geforderten Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz angeht.

Wegen der schweren Verfahrensmängel hat der Senat die Gerichtskosten der zweiten Instanz gemäß § 21 Absatz 1 Satz 1 GKG niedergeschlagen. Die Kostenentscheidung ist dem Landgericht vorzubehalten, da sich der Umfang des endgültigen Obsiegens und Unterliegens der Parteien derzeit noch nicht feststellen lässt.

Das Urteil war gemäß § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären (vgl. hierzu Wieczorek/Schütze-Gerken, ZPO, 3. Auflage, § 538 Rn. 70).

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe i.S.d. § 543 Absatz 2 ZPO nicht ersichtlich sind.

Ende der Entscheidung

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