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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 4 W 171/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485 Abs. 2
1. Auch wenn Geruchsbeeinträchtigungen, die in Abhängigkeit von der Produktionsart (einer Biodieselanlage) oder in Abhängigkeit von der Windrichtung auf ein Anliegergrundstück teilweise stärker, teilweise schwächer einwirken oder teilweise auch gar nicht, verändern sie jedenfalls zeitweise den Zustand dieses Grundstücks in einer Weise, dass man durch sachverständige Begutachtung zu einer Bewertung der auf das Grundstück einwirkenden Geruchsimmissionen kommen kann.

2. Ein Antrag auf Beweiserhebung im selbständigen Beweisverfahren (nach § 485 Abs. 2 ZPO) kann daher nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, die begehrte Begutachtung betreffe nicht den Zustand des Grundstücks.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 W 171/08

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richterin am Landgericht Höfs am 15.04.2008 beschlossen: Tenor: Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 04.03.2006 (gemeint ist: 04.03.2008) aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren wird dem Landgericht übertragen. Gründe: I. Der Antragsteller ist Grundstückmiteigentümer des Grundstücks L.straße 14 in 99... E.. Die Antragsgegnerin betreibt in einer Entfernung von ca. 200 m zu dem Grundstück des Antragstellers unter der aus dem Rubrum ersichtlichen Adresse ein Unternehmen zur Produktion von Biodiesel aus zu verpressender Rapsfrucht. Auf der Grundlage eines Bescheids nach Durchführung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens soll die Antragsgegnerin an dem erwähnten Standort ein Werk errichtet haben, welches nach einer Probephase im März 2007 eingeweiht und danach in Betrieb gegangen sein soll. Nach Vortrag des Antragstellers ist das von ihm bewohnte Grundstück windrichtungsabhängig den Gerüchen des Betriebs der Antragsgegnerin in nicht hinnehmbaren Umfang ausgesetzt. Für den Fall einer für ihn positiven sachverständigen Begutachtung stünden ihm im Einzelnen angesprochene Ansprüche gegen die Beklagte zu (Blatt 14 d.A.). Die Antragsgegnerin weist darauf hin, in ihrer Biodieselanlage könnten verschiedene Produkte, wie Rohöl, Raps, Rapsexpeller, raffiniertes Öl, Biodiesel oder Glyzerin, hergestellt werden. Hierfür würden verschiedene Produktionsverfahren angewandt. Welche Produkte im Einzelnen produziert würden, richte sich nach den bei der Antragsgegnerin vorliegenden Aufträgen sowie der jeweiligen Marktsituation. Die Wahrnehmung der ausgehenden Geruchsemissionen hänge nicht nur von Wind und Wetter, sondern auch von den jeweiligen Produktionsprozessen ab und variiere daher erheblich. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 04.03.2008 (irrtümlich angegeben: 04.03.2006) den Antrag auf Beweiserhebung im selbständigen Beweisverfahren zurückgewiesen (Blatt 148 ff d.A.). Der Antrag sei unzulässig, denn das Vorliegen der Voraussetzungen für die allein denkbaren Anspruchsgrundlage des § 485 Absatz 2 Nummer 1 ZPO sei nicht gegeben. Die Zustimmung der Antragsgegnerin liege nicht vor; Anhaltspunkte dafür, dass ein Beweismittel verloren gehe oder seine Benutzung erschwert werde, lägen nicht vor. Die begehrte Begutachtung betreffe (auch) nicht den Zustand des Grundstücks des Antragstellers, denn die Geruchsbeeinträchtigungen, die in Abhängigkeit von der Produktionsart der Biodieselanlage und in Abhängigkeit von der Windrichtung auf dem Grundstück des Antragstellers teilweise stärker, teilweise schwächer und teilweise gar nicht aufträten, stellten keine Eigenschaft des Grundstücks dar. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde vom 20.03.2008, Eingang am selben Tag. Nach seiner Auffassung sei die Ermittlung eines Mittelwertes durchschnittlicher Geruchsbelästigung technisch möglich. Hinsichtlich der gestellten Anträge wird auf den Inhalt der Beschwerdeschrift (Blatt 161 bis 163 d.A.) Bezug genommen. Mit Beschluss vom 27.03.2008 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sondern die Sache dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. II. Die gemäß § 567 Absatz 1 Nummer 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur (erneuten) Entscheidung an das Landgericht unter Beachtung der nachfolgenden Gründe. Die beantragte Beweiserhebung ist jedenfalls nicht deswegen unzulässig, weil mit den vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen nicht die Begutachtung des Zustands einer Sache erstrebt werde. Wie weit der Begriff des Zustands einer Sache zu fassen sei, ist umstritten. Äußerungen zu dieser Rechtsfrage liegen nur hinsichtlich der (nur eingeschränkt vergleichbaren) Problematik bei wechselnden Lärmimmissionen vor. Anwendungsfälle von § 485 Absatz 2 ZPO seien Lärmstörungen (Zimmermann, ZPO, 8. Auflage, § 485 Rn. 3 c; a.A. LG Hamburg MDR 1999, 1344). § 485 Absatz 2 ZPO sei bei einer akustischen, optischen oder sonstigen Einwirkung anwendbar, soweit sie sich auf den Zustand der gestörten Sache auswirke, § 485 Absatz 2 ZPO sei weit gemeint (Baumbach/Lauterbach/ Albers/ Hartmann, ZPO, 66. Auflage, § 485 Rn. 15 "Immissionen"; a.M. Düsseldorf in MDR in 1992, 807, LG Hamburg in MDR 1999, 1344;). Hinsichtlich von einem Gewerbebetrieb ausgehender Lärmimmissionen wird vertreten, dass man jedenfalls dann nicht von einem "Zustand" des betroffenen Grundstücks oder Gebäudes sprechen könne, wenn die Einwirkungen einem ständigen Wechsel unterlägen; man könnte freilich auch den Begriff des Zustands weit fassen und, wenn die möglichen Feststellungen ersichtlich für einen künftigen Rechtsstreit nichts bringen könnten, das berechtigte Interesse verneinen (so Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 22. Auflage, § 485 Rn. 19). Zu Recht lehne Düsseldorf (MDR 1992, 807) es ab, Geräuschimmissionen feststellen zu lassen (§ 485 Absatz 2 Nummer 1), wenn deren Ausmaß je nach Maschinenbetrieb wechsele; ebenso Landgericht Hamburg (MDR 1999, 1344) für von einer Gaststätte ausgehende Lärmstörungen (so Zöller-Herget, ZPO, 26. Auflage, § 485 Rn. 9). § 485 Absatz 2 Nummer 1 ZPO betreffe den Zustand einer Sache; nicht hierher gehörten Geräuschimmissionen, die nicht von einer gleich bleibenden Quelle ausgingen, sondern naturgemäß wechselnde Störungen verursachten, wie z.B. Lärm je nach Ausmaß des Maschinenbetriebs (OLG Düsseldorf MDR 1992, 807) oder solcher aus einer Gaststätte (LG Hamburg MDR 1999, 1344) , beide zit. in Musielak-Huber, ZPO, 5. Auflage, § 485 Rn. 12. Zur Begründung, weswegen bei wechselnden Einwirkungen auf eine Sache nicht deren Zustand im Rahmen des § 485 Absatz 2 Nummer 1 ZPO einer Begutachtung zugeführt werde, wird angeführt, das Ergebnis der Begutachtung müsse allein von der Eigenschaft der Sache abhängen, müsse also jeder Zeit, wenn die Sache selbst nicht verändert werde, durch eine neue Begutachtung bestätigt werden können (OLG Düsseldorf in MDR 1992, 807). Unter Zustand i.S.v. § 485 Absatz 2 ZPO seien nur eine solche Eigenschaften zu verstehen, die einer Sache über einen gewissen Zeitraum unverändert anhafteten, denn nur die Feststellung derartiger Eigenschaften könne überhaupt geeignet sein, dem Zweck der Beweissicherung, nämlich der Vermeidung eines Rechtsstreits zu dienen (LG Hamburg in MDR 1999, 1344). Inzwischen ist allerdings unter Hinweis auf den Umstand, dass bei der Bewertung von Fluglärm in erster Linie auf den sogenannten Mittlungspegel abzustellen sei, aber im Rahmen der Gesamtbetrachtung auch dem Spitzenpegel wesentliche Bedeutung beigemessen werde, die Auffassung vertreten worden, dass bei einem von Fluglärm betroffenen Grundstück dieses in seiner Beschaffenheit und damit zustandsmäßig begutachtet werden könne (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.01.2005, I-9 W 85/04, Blatt 118 ff d.A.). Dieser Gedanke kann auch auf die Bewertung von Geruchsimmissionen übertragen werden. Im Rahmen einer nachbarrechtlichen Unterlassungsklage wegen Geruchsbelästigung ist für die Feststellung einer erheblichen Geruchsbelästigung als ausreichend angesehen worden, dass ein Gutachten nach der einschlägigen Richtlinie eingeholt worden ist, zwei Zeugen vernommen worden sind und ein einmaliger Ortstermin abgehalten worden ist (BGH NJW 1999, 356 ff, zitiert nach juris). Die Thüringer Richtlinie zur Ermittlung und Bewertung von Geruchsimmissionen (Thüringer Staatsanzeiger 2004, 157 ff) gibt im Einzelnen vor, auf welche Weise trotz schwankender Geruchsimmissionen eine erhebliche Belästigung im Sinne des § 3 Absatz 1 BImmSchG ermittelt werden kann. Dies umfasst neben Modellrechnungen (Rn. 1) auch olfaktometrische Emissionsmessungen, Rasterbegehungen u.ä. (Rn. 3.1) und die Verwendung repräsentativer meteorologischer Windstatistiken (Rn. 3.2). D.h. im Zuge der Erstellung eines Sachverständigengutachtens nach diesen oder ähnlichen Prämissen werden die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Erfassung von Geruchsbelästigungen als ausreichend bewerteten Beweismittel durch das Beweismittel Sachverständigengutachten zusammengefasst und dabei sogar verbessert, denn der im höchstrichterlich entschiedenen Verfahren von dem Berufungsgericht durchgeführte Ortstermin ist von diesem selbst in seiner Effizienz kritisch bewertet worden. Die Feststellungen im Ortstermin ließen weder auf die Dauerbelastung noch auf die Spitzenbelastung einen sicheren Rückschluss zu, weil der Ortstermin immer nur eine Momentaufnahme darstelle, die beispielsweise von den jeweiligen Zuständen im Stall, von den Witterungsverhältnissen und - bei angekündigten Besuchen - von besonderen Vorkehrungen der Stallbetreiber beeinflusst sein könnten. Gleichwohl mahnte die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht an, es seien wiederholte Ortstermine durchzuführen (BGH a.a.O. wie vor). Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass im Wege der sachverständigen Begutachtung Methoden vorhanden sind, die trotz schwankender Geruchsbeeinträchtigung zu einer Bewertung von Geruchsimmissionen gelangen (siehe unter Rn. 4 "Bewertung von Geruchsimmissionen" der Thüringer Richtlinie), der dann gerade keine Momentaufnahme zu Grunde liegt. Dann handelt es sich aber um eine Zustandsbeschreibung des von diesen Einwirkungen betroffenen Grundstücks. Damit ist auch den Bedenken Rechnung getragen, die von den in der Kommentierung ausschließlich als Rechtsprechungsbeispiele angeführten Entscheidungen zu Grunde liegen. Wendet man Kriterien an, wie sie in der Thüringer Richtlinie zur Ermittlung und Bewertung von Geruchsimmissionen aufgeführt sind, dann kann davon ausgegangen werden, dass auch eine erneute Begutachtung, soweit die Zulassung hinsichtlich der zu verarbeitenden Produkte nicht verändert wird, zu einem identischen Ergebnis gelangt. Die ermittelte Eigenschaft haftet der Sache dann auch über einen gewissen Zeitraum an, denn schon die Feststellung der Eigenschaft setzt etwa Messungen und Begehungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, voraus. Nach alledem kann der Antrag mit der gegebenen Begründung nicht zurückgewiesen werden. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass aus der schriftsätzlich von der Antragsgegnerin vorgetragenen ablehnenden Haltung zu einer außergerichtlichen Einigung nicht darauf rückgeschlossen werden kann, diese Haltung werde auch nach Vorlage eines für den Antragsteller günstigen Gutachtens aufrecht erhalten werden (vgl. zu dieser Rechtsfrage Zöller-Herget, ZPO, 25. Auflage, § 485 Rn. 7 a). Die erforderliche Anordnung wird gemäß § 572 Absatz 3 ZPO dem Landgericht übertragen. Es ist zu prüfen, inwieweit unter den genannten Prämissen den gestellten Anträgen stattzugeben ist bzw. diese ggf. entsprechend anzupassen sind. Da der Verfahrensausgang noch offen ist, war (auch) die Kostenentscheidung wie erfolgt zu übertragen (vgl. hierzu Zöller-Gummer, a.a.O., § 572 Rn. 47).

Ende der Entscheidung

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