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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 02.06.2008
Aktenzeichen: 4 W 198/08
Rechtsgebiete: JVEG


Vorschriften:

JVEG § 4
1. Nach dem Gesetz besteht ein Entschädigungsanspruch des Sachverständigen grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Verwertbarkeit der erbrachten Leistungen.

2. Ausnahmsweise verwirkt ein Sachverständiger aber seinen Entschädigungsanspruch, wenn die von ihm erbrachte Leistung unverwertbar ist und er die Unverwertbarkeit bewusst oder (mindestens) grob fahrlässig verschuldet hat.

3. Geht der Sachverständige in seinem Gutachten über die gestellten Beweisfragen hinaus (hier, indem er sich nicht nur zum Behandlungsgeschehen, sondern auch zur Aufklärung äußert), ist die Frage, ob der Sachverständige dies grob fahrlässig getan hat, in Arzthaftungsfällen besonders sorgfältig zu prüfen. Denn gerade diese Bereiche - Behandlungsfehler und Aufklärungspflichtverletzung - sind nicht immer scharf abgrenzbar; insbesondere dann, wenn dem Sachverständigen zur Beantwortung der Beweisfragen auch die Auswertung der gesamten Krankenunterlagen - einschließlich der schriftlichen Dokumentation der Aufklärung - überlassen wurde.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 W 198/08

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richterin am Landgericht Höfs auf die Beschwerde des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. vom 12.03.2008 gegen den Beschluss des Landgerichtes Gera vom 14.12.2007/Nichtabhilfeentscheidung vom 07.04.2008 - betreffend die Aberkennung des Vergütungsanspruchs für das schriftliche Sachverständigengutachten vom 15.05.2005 - ohne mündliche Verhandlung

am 02.06.2008

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichtes Gera vom 14.12.2007 sowie der Nichtabhilfebeschluss vom 07.04.2008 werden aufgehoben. Dem Sachverständigen Prof. Dr. Schönfelder steht für die Erarbeitung des Gutachtens vom 15.05.2005 die mit Rechnung vom 14.06.2005 geltend gemachte und bereits ausgezahlte Vergütung (954,15 €) zu. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung. Mit Beweisbeschluss vom 08.06.2004 hat das Landgericht die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob bzw. inwieweit die beim Kläger vorgenommene Darmoperation fehlerbehaftet war, angeordnet (Bd. I, Bl. 97 ff. d. A.). Mit weiterem Beschluss vom 08.07.2004 (Bd. I, Bl. 107 d. A.) wurde der Beschwerdeführer - Herr Prof. Dr. med. Sch. - mit der Erarbeitung des Gutachtens beauftragt. Nachdem mit Datum vom 15.05.2005 das Gutachten erstattet worden war, beantragte der Kläger den Sachverständigen wegen Besorgnis des Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung führte der Kläger u. a. aus, dass der Sachverständige umfangreiche Ausführungen zu der Frage, ob vor dem streitgegenständlichen Eingriff eine ordnungsgemäße Aufklärung über die hiermit verbundenen Risiken erfolgt sei, gemacht habe, ohne dass der Sachverständige überhaupt mit der Beantwortung dieser Frage beauftragt gewesen sei. Das Landgericht hat dem Befangenheitsgesuch mit Beschluss vom 02.11.2005 entsprochen, da der Sachverständige den erteilten Gutachtenauftrag eigenmächtig überschritten und dadurch den Eindruck erweckt habe, den Sachverhalt zu Lasten des Klägers für bewiesen zu erachten (vgl. Beschluss Bd. II, Bl. 253 ff. d. A.). Mit weiterem Beschluss vom 14.12.2007 hat das Landgericht dem Sachverständigen den Vergütungsanspruch für die Erstellung des Gutachtens im Nachhinein versagt, da das Gutachten im Hinblick auf die erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen unverwertbar sei und der Sachverständige die Unverwertbarkeit selbst verschuldet habe. Die anzunehmende grobe Fahrlässigkeit folge dabei ohne weiteres aus dem vorangegangenen Beschluss vom 02.11.2005. Hiergegen wendet sich der Sachverständige mit seinem Schreiben vom 12.03.2008 (Bd. III, Bl. 458 d. A.). Zur Begründung seiner Beschwerde nimmt der Sachverständige insbesondere Bezug auf seine Stellungnahme vom 28.07.2005 (Bd. II, Bl. 240 ff. d. A.). II. Die - nicht fristgebundene Beschwerde des Sachverständigen ist statthaft und auch in zulässiger Weise, d. h. nicht verspätet erhoben (vgl. § 4 Abs. 3 JVEG und zur Frage der verspäteten Einlegung OLG Düsseldorf, MDR 1997, 104 - 105). Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Denn der angefochtene Beschluss trägt in seiner Begründung die Aberkennung des Vergütungsanspruchs nicht. Insbesondere folgt nicht ohne weiteres aus dem bloßen Überschreiten des Gutachten-auftrags, dass der Sachverständige grob fahrlässig gehandelt hat. Nach dem Gesetz besteht ein Entschädigungsanspruch des Sachverständigen grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Verwertbarkeit der erbrachten Leistung. Ausnahmsweise jedoch verwirkt der Sachverständige seinen Entschädigungsanspruch, wenn die von ihm erbrachte Leistung unverwertbar ist und er die Unverwertbarkeit bewusst oder durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet hat. In allen Fällen dagegen, in denen ein Sachverständiger die Unverwertbarkeit seines Gutachtens nur durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat, sieht die Rechtsprechung es im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege zur Erhaltung der inneren Unabhängigkeit des Sachverständigen für notwendig an, diesem seinen Entschädigungsanspruch zu erhalten (BGH NJW 1976, 1154 - 1155; OLG Koblenz, Beschluss vom 10.05.2000, Az.: 5 W 183/00, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.05.2004, Az.: 25 W 27/04, mit zahlreichen weiteren Nachweisen, zitiert nach juris; OLG Zweibrücken, OLGR Zweibrücken 2008, 33 - 35; OLG Jena v. 14.05.08; 4 W 218/08). Innerhalb dieser Grenzen einerseits vorsätzlicher Verursachung der Unverwertbarkeit des Gutachtens und andererseits ihrer schuldlosen Verursachung, nimmt die zitierte Rechtsprechung an, dass es zu der Stellung des Sachverständigen im Verfahrensgefüge des Zivilprozesses nicht passt, ihm die Entschädigung bereits bei (leicht) fahrlässigem Herbeiführen der Unverwertbarkeit seines Gutachtens zu nehmen. Würde nämlich bereits jedes Verschulden im Sinne der Fahrlässigkeit genügen, so würde dies die notwendige innere Unabhängigkeit des Sachverständigen einschränken. Der gerichtlich bestellte Sachverständige ist Gehilfe der Richter bei der Urteilsfindung; sein Beitrag hierzu ist wegen seiner Sachkunde von wesentlichem Einfluss. Dieser - vom Sachverständigen neutral und in einer nur seinem Wissen und Gewissen verpflichteten Weise wahrzunehmenden - Funktion für eine geordnete und erfolgreiche Rechtspflege kann nur ein innerlich unabhängiger Sachverständiger genügen. Die Wahrung der inneren Unabhängigkeit des Sachverständigen als Gehilfen des Gerichts erfordert es, ihm auch die Furcht vor einem Verlust seiner Entschädigung schon bei nicht grob fahrlässigem Handeln zu nehmen. Deshalb ist bei der Frage nach der Qualität des Pflichtenverstoßes auch ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen (OLG Jena aaO).

Unter Anwendung dieser Grundsätze kann vorliegend ein grob fahrlässiger Pflichtenverstoß nicht festgestellt werden. Allein das Überschreiten des Gut achtenauftrages impliziert entgegen der Auffassung des Landgerichtes jedenfalls keine derart ungewöhnlich schwerwiegende Pflichtverletzung, dass eine Versagung des Entschädigungsanspruchs gerechtfertigt erscheint. Insbesondere sind auch in dem vorangegangenen Ablehnungsbeschluss vom 02.11.2005 keinerlei nähere Ausführungen dazu enthalten, welchen Verschuldensgrad das angenommene pflichtwidrige Handeln des Sachverständigen erfüllen soll. Indes ist das Verhalten des Sachverständigen, der sich in seinem Gutachten ungefragt zu etwaigen Aufklärungspflichten bzw.- versäumnissen geäußert hat und damit sowohl seine Ablehnung als auch die Unverwertbarkeit seines Gutachtens herbeigeführt hat, als fahrlässig, nicht aber als grob fahrlässig zu werten. Denn diese Vorgehensweise entspricht zwar nicht der üblichen und erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) eines gerichtlichen Sachverständigen im Zivilprozess, der zur Sachlichkeit und darüber hinaus dazu verpflichtet ist, auch jeden Anschein von Unsachlichkeit und Voreingenommenheit gegenüber beiden Parteien zu vermeiden. Sie stellt aber andererseits keine ungewöhnlich schwerwiegende Sorgfaltsverletzung dar, bei der dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem ohne weiteres einleuchten musste. Zudem setzt die grobe Fahrlässigkeit über die bei einfacher Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB maßgebende objektive Sorgfaltspflichtverletzung hinaus auch subjektiv zurechenbares schweres Verschulden voraus, wobei in der Individualität des Handelnden liegende Umstände zu berücksichtigen sind (Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Auflage, § 277 Rz. 5). Zwar kann es sich als grob fahrlässig darstellen, wenn der Sachverständige mit seinen Feststellungen über die durch den Beweisbeschluss vorgegebenen Beweisfragen hinaus geht und vom Auftragt nicht umfasste Fragen beantwortet, wie das Landgericht mit vorangegangenem Beschluss vom 02.11.2005 dargelegt hat. Dies gilt aber angesichts der verfahrensrechtlichen Besonderheiten im Arzthaftungsprozess nur eingeschränkt. Denn gerade die Bereiche Behandlungsfehler und Aufklärungspflichtverletzung sind nicht immer scharf abgrenzbar. Insbesondere dann, wenn der Sachverständige - wie hier - zu beurteilen hat, ob die Wahl einer bestimmten Behandlungsmethode fehlerhaft war, kommt er ggf. nicht umhin, zu der Frage der Aufklärung Stellung zu nehmen. Handelt es sich der gewählten Methode nicht um diejenige, die nach Auffassung des Sachverständigen indiziert war, kann deren Anwendung nur dann nicht fehlerhaft sein, wenn der Patient hierin nach Aufklärung über das höhere Risiko eingewilligt hatte (vgl. hierzu: OLG Oldenburg, Beschluss vom 13.11.2007, MDR 2008, 101). Soweit sich der Sachverständige in seinem Gutachten vom 15.05.2005 zur Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung geäußert hat (GA S. 7 und 8) und seine diesbezüglichen Feststellungen in der Wiedergabe der in den Krankenunterlagen enthaltenen Dokumentationen bestehen, kann dem kein pflichtwidriges Vorgehen beigemessen werden. Dass der Sachverständige bei Erstellung des Gutachtens die ihm vorliegenden Krankenakten als vollständig ansehen und auswerten darf (bzw. sogar muss), steht außer Frage. Im Übrigen hat der Sachverständige die Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung unter dem Blickwinkel üblicher medizinischer Vorgehensweisen bewertet. Dies hat er in seiner Stellungnahme vom 28.07.2005 auch im Einzelnen dargelegt und begründet. Angesichts dieser Umstände vermag der Senat ein zurechenbares schweres Verschulden des Sachverständigen nicht zu erkennen, so dass der Vergütungsanspruch nicht abgesprochen werden kann. Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Es bleibt dabei, dass dem Sachverständigen die geltend gemachte Vergütung für die Erstellung des Gutachten zusteht. III. Das Beschwerdeverfahren ist kostenfrei, Kosten (Auslagen) werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Ende der Entscheidung

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