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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.01.2003
Aktenzeichen: 4 W 699/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 127 II Satz 2
ZPO § 127 II Satz 3
ZPO § 567
ZPO § 569
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 W 699/02

In dem Verfahren

(auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe)

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller als Einzelrichter auf die Beschwerde vom 28.11.2002 gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 21.10.2002 ohne mündliche Verhandlung am 21.01.2003

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Erfurt - Einzelrichter - vom 21.10.2002 Az.: 10 O 1502/02 - wird aufgehoben.

Der Klägerin wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts gewährt.

Ihr wird RA P. W. beigeordnet.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Klägerin beabsichtigt, die Beklagten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld auf Grund einer fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 31.05. bis 10.06.1999 in Anspruch zu nehmen. In diesem Zeitraum befand sie sich wegen abdomineller Blähungen und heftiger Schmerzen im Unterbauch in stationärer Behandlung in der Klinik der Beklagten zu 1), in der der Beklagte zu 2) ihre Behandlung und Diagnostik übernahm. Die Klägerin trägt vor, der Beklagte zu 2) habe notwendige differentialdiagnostische Maßnahmen hinsichtlich der Abklärung eines Verdachts auf ein Budd-Chiari-Syndrom unterlassen. Nachdem sich der Zustand der Klägerin verschlechtert hatte, wurde sie am 10.06.1999 in die Klinik für Innere Medizin - Abt. Gastroenterologie - der F. Universität in J. verlegt. Dort wurde nach Feststellung eines Budd-Chiari-Syndroms eine Lebertransplantation durchgeführt; ferner wurde eine Sterilisation vorgenommen. Die Klägerin meint, die Lebertransplantation und die Sterilisation seien bei frühzeitigerer und richtiger Diagnose während der Behandlung durch den Beklagten zu 2) vermeidbar gewesen.

Zur Begründung der fehlerhaften Diagnostik hat sich die Klägerin auf das Schlichtungsgutachten des Prof. Dr. N. vom 02.05.2000 (Blatt 31 ff d.A.), ferner ein internistisches Fachgutachten des medizinischen Dienstes der KV Thüringen vom 23.02.2001 - erstellt von den Ärzten Dr. S. K. und Dr. B. S. -(Bl. 41 ff d.A.) bezogen.

Das Landgericht hat das PKH-Gesuch abgewiesen und dies im wesentlichen damit begründet, auf Grund der von der Klägerin vorgelegten Gutachten sei ein Nachweis eines groben Behandlungsfehlers nicht zu führen, so dass der Klägerin keine Beweiserleichterung in Bezug auf die Kausalität des Arztfehlers bezogen auf das Erfordernis der Lebertransplantation zugute komme. Wegen der (weiteren) Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Gegen den ablehnenden - ihrem Bevollmächtigten am 28.10.2002 zugestellten - Beschluss wendet sich die Klägerin mit ihrer unter dem 28.11.2002 erhobenen und am gleichen Tag eingegangenen (sofortigen) Beschwerde.

Die Klägerin wiederholt ihre Behauptung, dass im Klinikum W. nicht in dem gebotenen Umfang die notwendigen Befunde erhoben worden seien, insbesondere sei im Rahmen einer MRT-Untersuchung am 03.06.1999 keine zutreffende Diagnose gestellt und die Einleitung einer zielgerichteten bildgebenden Diagnostik zur Verifizierung der Flussverhältnisse in den Lebervenen unterblieben. Dadurch sei der (erst später) in der F. in J. diagnostizierte Lebervenenverschluss (Budd-Chiari-Syndrom) nicht erkannt worden. Die Klägerin bleibt auch bei ihrer Behauptung, bei früherer richtiger Diagnose (des Budd-Chiari-Syndroms) hätte eine Lebertransplantation und Sterilisation vermieden werden können. Hierzu bezieht sie sich -(erstmals) in ihrer Beschwerdebegründung vom 05.12.2002 - auf das Zeugnis des Oberarztes Dr. med. W. der F. in J.

Die frist- und formgerecht eingelegte (sofortige) Beschwerde ist zulässig (§§ 127 II Satz 2 u. 3; 567, 569 ZPO) und hat auch in der Sache Erfolg.

Objektive Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH sind, dass die Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht hat und nicht mutwillig ist. Hinreichende Erfolgsaussicht ist ein relativer Begriff. Daraus folgt, dass sich die Prüfung der Erfolgsaussicht zwar nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit des erhobenen Anspruchs richtet, andererseits hierbei aber auch nach der jeweils für den erhobenen Anspruch geltenden Darlegungs- und Beweislast zu differenzieren ist. Die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden. Hinreichende Erfolgsaussicht liegt schon dann vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers auf Grund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen als auch der angebotenen Beweise für mindestens vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (BGH NJW 1994, 1161; BVerfGE 81, 347 - 358). Es genügt daher die schlüssige Darlegung eines Anspruchs, ggf. mit Beweisantritt.

Unter diesem Blickwinkel kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Es mag zwar sein, dass auf Grund der bisher von der Klägerin vorgelegten Gutachten ein grober Behandlungsfehler bei der Diagnosestellung nicht nachweisbar ist und der Klägerin deswegen keine Beweiserleichterungen für die Kausalität zukommen. Allein hierauf kann bei der Beurteilung des Erfolgs der Klage jedoch nicht abgestellt werden, weil sonst der Klägerin der Nachweis der Kausalität des vom Landgericht angenommenen Behandlungsfehlers für die - möglicherweise vermeidbare -Lebertransplantation abgeschnitten würde.

Zunächst sind an die Pflicht der Klägerin zur Substantiierung ihrer Ansprüche nur maßvolle (geringe) Anforderungen zu stellen. In Arzthaftungsprozessen hat das Gericht die Tatsachengrundlage für den Sachverständigen selbst zu ermitteln (vgl. BGH VersR 81, 752; VersR 79, 939). Diesen Anforderungen genügt der Klagevortrag. Zwar erlaubt ein Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung medizinischer Befunde im Wege der Beweiserleichterung für den Patienten einen Schluss auf ein reaktionspflichtiges positives Befundergebnis nur, wenn ein solches Ergebnis (auch) hinreichend wahrscheinlich ist, regelmäßig jedoch (noch) nicht auf eine Ursächlichkeit der unterlassenen Befunderhebung für einen vom Patienten erlittenen Gesundheitsschaden (vgl. BGH NJW 199, 862, 863). Danach setzt eine Beweiserleichterung in der Kausalitätsfrage (erst) ein, wenn eine Nicht- oder Fehlreaktion des Arztes auf den Befund als grober Behandlungsfehler einzustufen wäre (vgl. BGH aaO).

Gleichwohl kann unter Berücksichtigung des Umstandes, dass (nach dem Vortrag der Klägerin) schon am 03.06.1999 durch eine weitere zielgerichtete Diagnostik die Diagnose eines Budd-Chiari-Syndroms gestellt werden konnte und bei sofort eingeleiteter alternativer Behandlung eine Lebertransplantation hatte vermieden werden können, derzeit (noch) nicht ausgeschlossen werden, dass es dann zu dem Schaden nicht gekommen wäre. Insoweit bedarf es noch einer weiteren Klärung durch eine Beweisaufnahme. Allerdings verweist der Senat darauf, dass bei der Annahme eines (nur) einfachen Behandlungsfehlers die volle Beweislast für die Kausalität bei dem Geschädigten verbleibt. In diesem Zusammenhang genügt es an sich nicht, dass die Klägerin nur von einer nicht eben fernliegenden Möglichkeit spricht, dass die konkrete Behandlung zu dem Schaden geführt habe. Andererseits liegt hier sicherlich ein Grenzfall - im Rahmen der Würdigung des Klägervortrags und der angebotenen Beweise - vor, der aber nach Auffassung des Senats im PKH - Verfahren (noch) nicht zu Lasten des Antragstellers (der Klägerin) entschieden werden darf. Denn der Kausalitätsnachweis darf der Klägerin nicht schon auf Grund einer (vorläufigen) Auswertung des vorliegenden Beweismaterials und einer darauf beruhenden Wertung des Landgerichts abgeschnitten werden, es liege kein grober Behandlungsfehler vor.

Im Erkenntnisverfahren ist ggf. dem Beweisantrag auf Einholung des sachverständigen Zeugnisses des Oberarztes Dr. W. nachzugehen; wahrscheinlich ist ein medizinisches Gutachten zu dieser Frage einzuholen.

Ist die Sache aber derzeit (noch) nicht entscheidungsreif, kann der beabsichtigten Klage nicht die (hinreichende) Erfolgsaussicht abgesprochen werden.

Einer Kostenentscheidung bedarf es im PKH (Beschwerde-)Verfahren nicht.

Ende der Entscheidung

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