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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 08.11.2005
Aktenzeichen: 6 W 206/05
Rechtsgebiete: GmbHG


Vorschriften:

GmbHG § 4a
GmbHG § 69 Abs. 1
1. Sitz der GmbH ist der Ort ihres "Betriebes", der "Geschäftsleitung" und/oder der "Verwaltung" der Gesellschaft.

2. "Betrieb" i. S. d. § 4a Abs. 2 GmbHG ist jeder Ort, an dem ein Beitrag von einiger Bedeutung zur Verwirklichung des Unternehmensgegenstandes erfolgt, so dass dort der Schwerpunkt der Unternehmenstätigkeit räumlich konkretisiert ist; völlig untergeordnete Unternehmensteile erfüllen diese Voraussetzungen nicht, so dass dorthin der Firmensitz nicht verlegt werden kann.

3. Der Umstand, dass der durch § 4a GmbHG realisierte Grundsatz der Übereinstimmung von tatsächlichem und statuarischem Gesellschaftssitz im EU-Rechtsraum aufgegeben ist (vgl. Lutter/Bayer, GmbHG, § 4a Rn 13 ff.), erfordert nicht, die durch § 4a GmbHG für den deutschen Rechtsraum bewirkte Beschränkung im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG in Zweifel zu ziehen, denn die europäische Rechtslage ist durch die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV bestimmt, welche nicht aufgrund von Erwägungen beschränkt werden kann, welche innerstaatlich als sachlich rechtfertigende Differenzierungsanlässe anerkannt und verfassungsrechtlich unbedenklich sind.

4. Gem. §§ 69 Abs. 1, § 4a GmbHG kann der Sitz der Gesellschaft auch während der Liquidation verlegt werden, wobei bei eingestelltem Geschäftsbetrieb auf den Ort abzustellen ist, an dem die Liquidatoren ihre Tätigkeit ausüben.

5. Haben die Liquidatoren ihren Geschäftssitz am bisherigen Sitz der aufgelösten Gesellschaft, kommt die Sitzverlegung an einen weitern Geschäftssitz nur in Betracht, wenn hierfür nachvollziehbare Gründe gegeben sind, insbesondere, wenn die Liquidationsgeschäfte tatsächlich von dem neuen Sitz aus geführt werden.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 W 206/05

In dem Verfahren

betreffend die Eintragung in das Handelsregister wegen Verlegung des Sitzes der Gesellschaft

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. h.c. Bauer, den Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Bayer und die Richterin am Oberlandesgericht Reichertz

auf die weitere Beschwerde vom 11.4.2005 gegen den Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 17.03.2005 am 8.11.2005

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Geschäftswert des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde de wird auf 3.000.- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 1) war ein ursprünglich in D. bei München ansässiges, mit Wohnbau D. firmierendes Bauunternehmen. Zu Urkunde der Notarin Dr. Siller-Bauer vom 26.01.2004 (UR Nr. 157 S/2004) wurde der Gesellschaftsvertrag der GmbH wie folgt geändert:

"§ 1

Name und Sitz

Die Firma der Gesellschaft lautet Immobau KL GmbH und hat ihren Sitz in Meiningen."

Am 26.01.2004 meldete die Beteiligte zu 1) die Änderung der Firma und die Verlegung des Sitzes nach Meiningen zur Eintragung ins Handelsregister an. Als Anschrift der Geschäftsräume war das Anwesen W. Straße ..., Meiningen benannt. Dort unterhalten die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) eine Kanzlei. Die geänderte Firma ist in das Handelsregister des Amtsgerichts München eingetragen worden. Zum Vollzug der angemeldeten Sitzverlegung hat das Amtsgericht München die Akten dem Amtsgericht Meiningen zugeleitet.

Das Amtsgericht Meiningen hat die Beteiligte zu 2) um Stellungnahme zur Anmeldung ersucht. Die Beteiligte zu 2) hat sich gegen die Eintragung ausgesprochen, weil der Sitz des Unternehmens tatsächlich nicht verlegt worden sei. Bei der angegebenen Anschrift handele es sich um das Büro des Rechtsanwalts U.. Lediglich auf dem Briefkasten des Anwaltsbüros befinde sich ein Aufkleber mit dem Namen der Beteiligten zu 1).

Dagegen hat der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) vorgebracht, die Gesellschaft habe die werbende Tätigkeit bereits vollständig und endgültig eingestellt. Es werde geprüft, ob eine Liquidation einzuleiten sei. Als Freund der Eigentümer-Familie bewahre er die Firmenunterlagen zwecks Feststellung der Gewährleistungsrisiken in den Meininger Kanzleiräumen auf.

Durch Gesellschafterbeschluss vom 16.02.2005 wurde die Gesellschaft aufgelöst; der vormalige Geschäftsführer G. und Rechtsanwalt U. wurden zu einzelvertretungsberechtigten Liquidatoren berufen.

Mit Beschluss vom 21.2.2005 (Az. 4 I AR 66/04) hat das Amtsgericht Meiningen den Antrag auf Eintragung der Sitzverlegung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen im Büro des Rechtsanwalts und Insolvenzverwalters begründe keinen Geschäftssitz i.S.d. § 4a GmbHG. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss, Bl. 18 d. A., Bezug genommen.

Gegen den ihr am 25.2.2005 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 1) am 7.3.2005, Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, im Zuge der Liquidation werde die Verwaltung der Gesellschaft jetzt in Meiningen über das Büro des Rechtsanwalts U. abgewickelt. Die Liquidation der Gesellschaft erfolge in Meiningen, wohin die Geschäftsunterlagen verbracht worden seien. Mit Beschluss vom 9.3.2005 hat es das Amtsgericht Meiningen abgelehnt, der Beschwerde abzuhelfen.

Mit Beschluss vom 17.3.2005 (Az.: HK T 3/05) hat das Landgericht Meiningen die Beschwerde zurückgewiesen. Nach Ansicht des Landgerichts rechtfertigen Aufbewahrung und Bearbeitung von Geschäftsunterlagen nicht die Verlegung des Geschäftssitzes. Die Liquidation werde - wie die Berufung eines weiteren Liquidators zeige - nicht allein durch Rechtsanwalt U. ausgeführt. Eine anwaltliche Prüfung von Gewährleistungsrisiken begründe keine besondere Geschäftstätigkeit des Unternehmens.

Gegen den ihr am 30.3.2005 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 1)am 13.4.2005 sofortige weitere Beschwerde erhoben. Sie bringt vor, ihre Geschäftsräume in Meiningen seien ganztägig besetzt. Am Briefkasten sei ein deutlich sichtbares Firmenschild angebracht. Sie vertritt die Ansicht, das Landgericht verkenne die firmeninterne Stellung des Rechtsanwalts U.. Es sei unerheblich, ob neben ihm ein weiterer Liquidator bestellt worden sei. Die Verwaltung der Unterlagen bilde aktuell die einzige Tätigkeit des Unternehmens; sie werde vom Büro des Rechtsanwalts U. ausgeführt. Die Bedenken der Beteiligte zu 2) beruhten auf falschen Tatsachen, da seinerzeit Rechtsanwalt U. noch nicht zum Liquidator bestellt gewesen sei.

Die Beteiligte zu 1) beantragt,

unter Aufhebung der Beschlüsse des Amtsgerichtes Meiningen vom 21. Februar 2005 (Geschäftsnummer 4 I AR 66/2004) und des Landgerichts Meiningen vom 17.03.2005 (Aktenzeichen HK T 3/05) die Sitzverlegung der Antragstellerin nach Meiningen in das Handelsregister des Amtsgerichtes Meiningen einzutragen.

In ihrer Stellungnahme vom 6.6.2005 gegenüber dem Gericht der weiteren Beschwerde trägt die Beteiligte zu 2) vor, gegenwärtig werde die Beschwerdeführerin in Meiningen allein durch ein kleines Firmenschild unterhalb des Schildes des Kanzleischildes des Rechtsanwalts U. ausgewiesen. Das Büro sei nur an zwei Tagen in der Woche besetzt, weshalb ein Geschäftsbetrieb nicht möglich sei. Eine laufende Erreichbarkeit sei in Meiningen nicht gewährleistet.

II. 1. Die weitere Beschwerde ist nach § 27 FGG statthaft und auch sonst zulässig.

2. Die weitere Beschwerde ist jedoch nicht begründet, da die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Rechtsverletzung beruht, § 27 FGG i.V.m. § 550 ZPO. Das Landgericht hat in Anwendung der §§ 4 a Abs. 2 GmbHG, 13h Abs. 2 S. 4 HGB i.V.m. § 69 Abs. 1 GmbHG zutreffend die Voraussetzungen einer Sitzverlegung als nicht gegeben erachtet.

a) Beschließt eine GmbH, ihren Sitz im Inland zu verlegen, bedarf dies gem. § 13h Abs. 1 HGB der Eintragung ins Handelsregister. Das Registergericht des neuen Sitzes nimmt diese Eintragung auf Anmeldung vor, wenn seine Prüfung ergibt, dass die gesetzlichen Sitzverlegungsvoraussetzungen vorliegen und den Unterscheidbarkeitsanforderungen des § 30 HGB genügt ist. Für die Verlegung des Firmensitzes einer GmbH im Inland kommt es zunächst darauf an, ob an dem durch formal einwandfreie Satzungsänderung neu bestimmten Sitz ein Geschäftsbetrieb der Gesellschaft i.S.d. § 4a GmbHG stattfindet (Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl., § 4a Rn. 11). § 4a GmbHG enthält eine Ordnungsvorschrift, welche die Sitzbestimmungsfreiheit begrenzt, um bei unbeschränkter Satzungsautonomie mögliche Missbräuche im Interesse des Gläubigerschutzes und einer effektiven Registerführung zu verhindern (Lutter/Bayer a.a.O. Rn. 1). Der Umstand, dass der durch § 4a GmbHG realisierte Grundsatz der Übereinstimmung von tatsächlichem und statuarischem Gesellschaftssitz im EU-Rechtsraum aufgegeben ist (vgl. Lutter/Bayer a.a.O. Rn 13 ff.) erfordert nicht, die durch § 4a GmbHG für den deutschen Rechtsraum bewirkte Beschränkung im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG in Zweifel zu ziehen, denn die europäische Rechtslage ist durch die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV bestimmt, welche nicht aufgrund von Erwägungen beschränkt werden kann, welche innerstaatlich als sachlich rechtfertigende Differenzierungsanlässe anerkannt und verfassungsrechtlich unbedenklich sind.

b) Die Beteiligte zu 1) hat - noch nicht im Auflösungsstadium befindlich - durch formal korrekten Satzungsänderungsbeschluss am 26.01.2004 bestimmt, dass ihr Sitz von Deisenhofen nach Meiningen verlegt werde. Die dazu gem. § 13h Abs. 1 HGB notwendige Eintragung ins Handelsregister muss jedoch unterbleiben, weil die materiellen Sitzbestimmungsanforderungen des § 4a GmbHG nicht vorliegen.

Nach § 4a Abs. 2 GmbHG ist Sitz der GmbH der Ort ihres "Betriebes", der "Geschäftsleitung" und/oder der "Verwaltung" der Gesellschaft. "Betrieb" i. S. d. § 4a Abs. 2 GmbHG ist jeder Ort, an dem ein Beitrag von einiger Bedeutung zur Verwirklichung des Unternehmensgegenstandes erfolgt, so dass dort der Schwerpunkt der Unternehmenstätigkeit räumlich konkretisiert ist; völlig untergeordnete Unternehmensteile erfüllen diese Voraussetzungen nicht, so dass dorthin der Firmensitz nicht verlegt werden kann (Lutter/Bayer a.a.O. Rn. 5).Hier hatte bei Anmeldung der Sitzverlegung die Beteiligte zu 1) in D. ihren Betrieb als Bauunternehmen bereits aufgegeben. Ein Rest von geschäftsbezogener Tätigkeit hat lediglich Rechtsanwalt U. entfaltet, indem er - wie er dem Registergericht mitgeteilt hat - die Geschäftsunterlagen über die längst abgeschlossenen Bauprojekte auf etwaige Haftungsrisiken hin überprüfte. Ob Rechtsanwalt U. diese Tätigkeit aufgrund eines ihm erteilten Mandats vornahm oder ob seine familiäre Vertrautheit mit dem Geschäftsführer der Beteiligten zu 1) dazu geführt hat, dass Herr U. gewissermaßen als freier Mitarbeiter der Beteiligten zu 1) in deren Geschäftsfeld aktiv wurde, kann dahinstehen. Im ersteren Fall würde die Aktendurchsicht nicht zu den Geschäftstätigkeiten der Beteiligten zu 1) gehören, so dass daraus, wo die Aktenüberprüfung stattfindet nichts für eine Verlegung des "Betriebs" der Gesellschaft abzuleiten wäre. Im zweiten Fall würde die Aktendurchsicht bzw. ihre Verlagerung aus den bisherigen Geschäftsräumen der Beteiligten zu 1) heraus nicht als ausreichend gewichtige, mit einer Verlagerung des "Betriebs" verbundenen Maßnahme zu bewerten sein.

Der Umstand, dass im weiteren Verlauf des Anmeldungsverfahrens die Beteiligte zu 1) in das Auflösungsstadium überführt worden ist, ändert nichts an dieser Rechtslage. Nach § 69 Abs. 1 GmbHG findet die Regelung des § 4a GmbHG auch im laufenden Liquidationsverfahren Anwendung (Lutter/Kleindiek a.a.O. § 69 Rn. 4). Daher kann der Sitz der Gesellschaft auch während der Liquidation verlegt werden. Soweit der Geschäftsbetrieb eingestellt ist, ist auf den Ort abzustellen, an dem die Liquidatoren ihre Tätigkeit ausüben. Haben die Liquidatoren ihren Geschäftssitz am bisherigen Sitz der aufgelösten Gesellschaft, so kommt die Sitzverlegung an einen weitern Geschäftssitz jedoch nur in Betracht, wenn hierfür nachvollziehbare Gründe gegeben sind, insbesondere, wenn die Liquidationsgeschäfte tatsächlich von dem neuen Sitz aus geführt werden. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch auszuschließen. Nach den auf die Bekundungen der Beteiligten zu 1) gestützten Feststellungen der Vorinstanzen liegt der eigentliche Geschäftsbetrieb der Beteiligten zu 1) seit Jahren still. Die Abwicklertätigkeit besteht danach nur in der Überprüfung von Haftungsrisiken aus Alt-Geschäften der Gesellschaft. Es ist von daher auszuschließen, dass Rechtsanwalt U. von Meiningen aus nennenswerte, d.h. für eine Sitzverlegung ausreichend gewichtige Abwickleraufgaben aus erledigt. Dabei ist auch zu bedenken, dass neben Rechtsanwalt U. der frühere Geschäftsführer als Liquidator tätig ist, welcher aufgrund seiner tatsächlichen Kenntnisse der Gesellschaftsinterna für etwa noch abzuwickelnde Geschäftsvorgänge zuständig sein dürfte. Dass Herr G. diese Aufgaben von Meiningen aus erfüllt, ist nicht ersichtlich bzw. so unwahrscheinlich, dass die Tatsacheninstanzen diese Möglichkeit nicht zum Gegenstand von Amtsermittlungsmaßnahmen machen mussten.

3. Der Geschäftswert des Verfahrens der sofortigen weitern Beschwerde ist gem. §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO bestimmt. Eine Kostenerstattungsanordnung gem. § 13a Abs. 1 S. 2 FGG ist nicht angezeigt, da der Beteiligten zu 2) der lediglich durch ihre gesetzliche Mitwirkungsaufgabe (§ 126 FGG) verursachte, mit den im Verfahren abgegebenen Stellungnahmen verbundene Aufwand nicht zu erstatten ist.

Ende der Entscheidung

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