Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 10.05.2000
Aktenzeichen: 6 W 243/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 887
ZPO § 888
ZPO § 767
ZPO § 704
10.05.2000

6 W 243/00

Rechtliche Grundlage:

ZPO §§ 887, 888, 767, 704

1. Der Grundsatz der Bestimmtheit des Vollstreckungstitels ist bei immissionsrechtlichen Unterlassungsklagen gewahrt, wenn der Titel die zu unterlassende Störung benennt und den durch die Handlung zu erzielenden Erfolg bestimmt bezeichnet.

2. Der Senat führt seine bisherigen Rechtsprechung fort, dass im Verfahren nach §§ 887 ff. ZPO der Erfüllungseinwand des Vollstreckungsschuldners zu berücksichtigen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 13.07.1998, 6 W 338/98).


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 W 243/00 2 T 184/99 (Landgericht Erfurt)

In der Zwangsvollstreckungssache

M.B.,

Vollstreckungsgläubiger, Beschwerdegegner und Beschwerdeführer im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde- Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Werner Aschenbrenner, Zum Güterbahnhof 10, 99085 Erfurt

gegen

T. S.

Vollstreckungsschuldner, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde-

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin Monika Tippelhoffer, Gothaer Straße 70, 99100 Gierstädt

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. h.c. Bauer, den Richter am Oberlandesgericht Kramer und den Richter am Oberlandesgericht Bettin auf die sofortige weitere Beschwerde des Vollstreckungsgläubigers vom 28.03.2000 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Erfurt vom 08.02.2000 am

am 02.05.2000

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschlüsse des Landgerichts Erfurt vom 08.02.2000 und des Amtsgerichts Erfurt vom 25.09.1999 werden aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde, an das Amtsgericht Erfurt zurückverwiesen.

2. Der Gegenstandswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 1.000,00 DM festgesetzt.

3. Dem Vollstreckungsgläubiger wird für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Aschenbrenner, Erfurt, bewilligt.

Gründe

I. Die Parteien sind Eigentümer bzw. Nutzer benachbarter Grundstücke. Mit Urteil vom 11.03.1999 verurteilte das Amtsgericht Erfurt den Vollstreckungsschuldner, "es durch geeignete Maßnahmen zu verhindern, dass Wasser von seinem Grundstück Anger 56 in K. auf den angrenzenden eingezäunten Garten des Vollstreckungsgläubigers geleitet wird". Nach Erteilung einer vollstreckbaren Urteilsausfertigung beantragte der Vollstreckungsgläubiger am 29.04.1999, den Vollstreckungsschuldner zur Erfüllung dieser Verpflichtung durch Auferlegung eines Zwangsgeldes, ersatzweise Zwangshaft anzuhalten. Der Vollstreckungsschuldner hat im Wesentlichen den Erfüllungseinwand erhoben und hierzu vorgetragen, er habe durch verschiedene Maßnahmen (Schließung der Lücken in einer 10 cm hohen Betonkante, Sickergrube, Überdachung einer Betonfläche) gewährleistet, dass künftig kein Wasser mehr auf den Garten des Vollstreckungsgläubigers geleitet werde. Das hat der Vollstreckungsgläubiger seinerseits unter Beweisantritt bestritten. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien nimmt der Senat auf die beiderseitigen Schriftsätze und die Gründe der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Bezug. Nachdem das Amtsgericht mit Beschluss vom 09.07.1999 eine Frist zur Erfüllung der Verpflichtung aus Ziff. 1) des Urteilstenors bis zum 15.08.1999 gesetzt und für den Fall der nicht fristgerechten Erledigung ein Zwangsgeld von bis zu 50.000,00 DM angedroht hatte, hat es mit Beschluss vom 25.09.1999 ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 DM, ersatzweise für den Fall der Nichtbeitreibung für je 500,00 DM einen Tag Zwangshaft festgesetzt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen dargelegt, der von dem Vollstreckungsschuldner erhobene Erfüllungseinwand könne im Verfahren nach den § 888, 891 ZPO nicht berücksichtigt werden; der Vollstreckungsschuldner müsse gegebenenfalls Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erheben. Der dagegen eingelegten sofortigen Beschwerde des Vollstreckungsschuldners hat das Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung stattgegeben. Es hat offen gelassen, ob und in welchem Umfang der Erfüllungseinwand im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO zu berücksichtigen ist. Das Landgericht hält Ziff. 1) des Urteils des Amtsgerichts Erfurt vom 11.03.1999 unter Bezugnahme auf den Senatsbeschluss vom 23.09.1998 - 6 W 575/98 - (OLG-NL 1998, 284) für nicht hinreichend bestimmt und daher für nicht vollstreckungsfähig. Der Titel müsse aus sich heraus verständlich sein und auch für jeden Dritten erkennen lassen, was der Gläubiger vom Schuldner verlangen kann. Das sei bei dem Urteil des Amtsgerichts nicht der Fall. Dagegen richtet sie die sofortige weitere Beschwerde des Vollstreckungsgläubigers, der seine Anträge weiter verfolgt. Der Vollstreckungsschuldner verteidigt die angefochtene Entscheidung des Landgerichts. Wegen des Vorbringens der Parteien im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde nimmt der Senat Bezug auf die beiderseitigen Schriftsätze.

II. Die sofortige weitere Beschwerde ist an sich statthaft und auch sonst zulässig; in der Sache hat sie vorläufig Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das Amtsgericht. 1. Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 793 Abs. 2, 568 Abs. 2 ZPO zulässig. Der neue selbständige Beschwerdegrund in der Entscheidung des Landgerichts im Sinne des § 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO liegt vor, weil das Landgericht anders als das Amtsgericht den Antrag des Vollstreckungsgläubigers auf Festsetzung von Zwangsgeld bzw. Zwangshaft zurückgewiesen hat. Soweit der Vollstreckungsschuldner in der Erwiderung auf die sofortige weitere Beschwerde die Zulässigkeit des Rechtsmittels unter Berufung auf den nicht erreichten Beschwerdewert in Frage stellen will, ist das nicht nachvollziehbar. Für das Beschwerdeverfahren nach der Zivilprozessordnung enthält lediglich § 567 Abs. 2 ZPO eine Regelung über den zu erreichenden Beschwerdewert. Diese Vorschrift betrifft indessen lediglich Kostenentscheidungen. Der für das Berufungsverfahren geltende § 511 a ZPO findet im Beschwerdeverfahren keine Anwendung. 2. Die Auffassung des Landgerichts, im vorliegenden Verfahren sei der Vollstreckungstitel, also Ziff. 1) des amtsgerichtlichen Urteils vom 18.03.1999, nicht vollstreckungsfähig, überspannt die Anforderungen an die Bestimmtheit des Vollstreckungstitels und beruht ersichtlich auf einer unzutreffenden Interpretation des Senatsbeschlusses vom 23.09.1998 (aaO). An den Grundsätzen dieser Entscheidung hält der Senat nach erneuter Prüfung fest; ihre Anwendung führt im vorliegenden Verfahren zu dem Ergebnis, dass Ziff. 1) des amtsgerichtlichen Urteils vom 11.03.1999 hinreichend bestimmt und damit vollstreckungsfähig ist. a) Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht in Übereinstimmung mit der allgemeinen Auffassung davon aus, dass bei der Zwangsvollstreckung nach den § 887 ff. ZPO der titulierte Anspruch inhaltlich genau festgelegt sein muss und Unbestimmtheit des Leistungstitels ihn vollstreckungsunfähig macht (vgl. Senatsbeschluss vom 23.09.1998, aaO). Der Titel muss in der Regel aus sich heraus verständlich sein und auch für jeden Dritten erkennen lassen, was der Gläubiger vom Schuldner verlangen kann. Es ist auch zutreffend, dass es im Allgemeinen nicht zulässig ist, einen Teil der Entscheidung des Rechtsstreits vom Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren zu verlagern, (vgl. BGH NJW 1993, 1656, 1667 mwN). Indessen hat das Landgericht nicht hinreichend beachtet, dass die Rechtsprechung von diesem strengen Grundsatz der Bestimmtheit des Klageantrags und daraus resultierend des Vollstreckungstitels für den Bereich der immissionsrechtlichen Unterlassungsklagen Ausnahmen zugelassen hat. Resultierend aus den Besonderheiten dieser Verfahren werden in diesem Bereich Anträge mit dem Gebot, allgemeine Störungen bestimmter Art, beispielsweise durch Geräusche und Gerüche zu unterlassen, als zulässig erachtet. In diesen Fällen genügt daher regelmäßig die Angabe des durch die Handlung zu erzielenden, bestimmt bezeichneten Erfolgs (vgl. Senatsbeschluss vom 23.09.1998, aaO, mwN; Bauer/Hülbusch/Schlick/Rottmüller, Thüringer Nachbarrecht, 3. Aufl., Einl. 6 a)). Aus diesem Grund hat der Senat in seiner Entscheidung vom 23.09.1998 die Formulierung eines Vollstreckungstitels, wonach die Beklagten sich verpflichtet haben, geeignete Maßnahmen dafür zu treffen, dass durch den von ihnen geführten Pensionsbetrieb die Klägerin in bestimmten Zeiten nicht über das übliche Maß hinaus durch Lärm, Musik, Betätigung von Wasch- und Badeeinrichtungen gestört wird, gebilligt und für vollstreckungsfähig erachtet (vgl. Senatsbeschluss vom 23.09.1998, aaO). Für nicht vollstreckungsfähig hat der Senat hingegen eine Formulierung gehalten, wonach die Beklagten sich verpflichtet haben, im Mauerwerksanschluss des Hauses geeignete Schallschutzmaßnahmen in Form von Isolierung der Wände mit geeignetem Material vorzunehmen, weil dort der angestrebte Erfolg, also die zu unterlassende Störung, selbst nicht benannt war. Gerade darin aber unterscheidet sich der seinerzeit entschiedene von dem jetzt vorliegenden Fall. Ziff. 1) des Urteils des Amtsgerichts vom 11.03.1999 bezeichnet den vom Vollstreckungsgläubiger angestrebten Erfolg, nämlich es zu verhindern, dass weiterhin Wasser vom Grundstück des Vollstreckungsschuldners auf seinen Garten geleitet wird, mit hinreichender Bestimmtheit. Wie dieser Erfolg herbeizuführen ist, bleibt dann bis zur Vollstreckung dem Gläubiger überlassen (vgl. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 21. Aufl., Rn. 5). b) Die angefochtene Entscheidung des Landgericht erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Allerdings ist nach Auffassung des Senats Ziff. 1) des amtsgerichtlichen Urteils vom 11.03.1999 nicht nach § 888 ZPO, sondern vielmehr durch Ermächtigung des Vollstreckungsgläubigers zur Ersatzvornahme nach § 887 ZPO zu vollstrecken. Nach dem Vorbringen beider Parteien kommt eine Erfüllung dieser Verpflichtung offensichtlich nur durch die Vornahme baulicher Veränderungen auf dem Grundstück des Vollstreckungsschuldners in Betracht. Dabei handelt es sich nach allgemeiner Auffassung um eine vertretbare Handlung, die nach § 887 ZPO zu vollstrecken ist. Darauf hätte das Landgericht indessen den Vollstreckungsgläubiger nach § 139 Abs. 1 ZPO, der auch im Vollstreckungsverfahren gilt, hinweisen müssen. Würde der Senat die sofortige weitere Beschwerde aus diesem Grund zurückweisen, wäre das für den Vollstreckungsgläubiger eine dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des fairen Verfahrens zuwider laufende Überraschungsentscheidung. c) Der Senat kann auch nicht in der Sache selbst über die Erstbeschwerde entscheiden, weil beide Instanzgerichte dem Erfüllungseinwand des Vollstreckungsschuldners nicht nachgegangen sind und dessen erstmalige Prüfung im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde nicht als sachdienlich erscheint (§ 540 ZPO entsprechend). Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die streitige Frage, ob im Verfahren nach §§ 887 ff. ZPO der Erfüllungseinwand des Vollstreckungsschuldners zu berücksichtigen ist, bejaht (vgl. Senatsbeschluss vom 13.07.1998 - 6 W 338/98 -). Er hält daran nach erneuter Überprüfung fest. Derartige Einwendungen gar nicht oder nur dann zuzulassen, wenn sie unstreitig oder präsent beweisbar sind, ist weder mit dem Zweck des § 891 ZPO vereinbar, noch zur Beschleunigung des Verfahrens praktisch geboten. Wenn der Schuldner statt dessen mit einer Klage nach § 767 ZPO für erhebliche Tatsachen (Erfüllung) Beweis anböte, wäre mit einem Aufschub nach § 769 ZPO und daher mit gleicher oder noch größerer Verzögerung zu rechnen (vgl. Stein/Jonas/Brehm, aaO, § 887 Rn. 25 mwN). Für diese Auffassung spricht weiter, dass über die Vollstreckungsanträge nach den §§ 887 ff. ZPO - ebenso wie über die Klage nach § 767 ZPO - das Prozessgericht zu entscheiden hat. Ihm stehen, anders als möglicherweise dem Gerichtsvollzieher, alle zivilprozessualen Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung zu Gebote. d) Der Senat hat aus Zweckmäßigkeitserwägungen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache zur Prüfung des Erfüllungseinwands des Vollstreckungsschuldners direkt an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Bevor das Amtsgericht gegebenenfalls den Beweisantritten der Parteien nachzugehen hat, wird es den Vollstreckungsgläubiger zunächst auf die Stellung sachdienlicher Anträge nach § 887 ZPO hinzuweisen haben (vgl. Stein/Jonas/Brehm, aaO, Rn. 37 f.).

Ende der Entscheidung

Zurück