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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.01.2002
Aktenzeichen: 6 W 757/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 887
ZPO § 888
ZPO § 929
1. Eine einstweilige Verfügung trägt nach Ablauf der Vollziehungsfrist dann eine weitere, Vollstreckung, wenn der neue Vollstreckungsantrag inhaltlich seinem Vorgänger gleicht und wenn er sich im Hinblick auf eine außerhalb der Einwirkungsspähre des Vollstreckungsgläubigers eingetretene Sachverhaltsveränderung sich als notwendig erweist (vgl. Senat, Beschl. v. 8. 1. 2001, 6 W 458/00).

2. Diese Voraussetzungen sind gegeben, wenn der Vollstreckungsgläubiger infolge geänderter Verhältnisse eine zunächst vertretbare Handlung gem. § 888 ZPO vollstrecken muss.

3. Die Verhängung eines Zwangsmittels nach § 888 ZPO ist nur solange zulässig, als der Vollstreckungsschuldner die ihm nach dem Titel obliegende Handlung erfüllen kann.

4. Der rechtlichen Erfüllungsunmöglichkeit steht die tatsächliche Unmöglichkeit gleich, wobei in diesem Sinn unmöglich auch ein Verhalten ist, welches für sich gesehen zwar noch realisierbar ist, wenn dazu jedoch Schritte unternommen werden müssen, die dem Verpflichteten nicht zumutbar sind.

5. Bei der Vollstreckung aufgrund einer einstweiligen Verfügung, ist für die Frage der Erfüllungszumutbarkeit in Rechnung zu stellen, dass die Vollstreckungsgläubigerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorgegangen ist, weil sie das auf das geforderte Verhalten der Schuldnerinnen nicht erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Hauptsacheverfahrens angewiesen ist, sondern eilig und umgehend verwirklichten Rechtsschutzes bedarf.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 W 757/01

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. h.c. Bauer sowie den Richter am Oberlandesgericht Bettin und den Richter am Amtsgericht Hollandt auf die sofortige Beschwerde vom 04.12.2001 gegen den Beschluss des Landgerichts - 5. Zivilkammer - Erfurt vom 15.11./20.11.2001 ohne mündliche Verhandlung

am 16.01.2002

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts - 5. Zivilkammer - Erfurt vom 15.11.2001 wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde trägt die Beschwerdegegnerin.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstands für das Verfahren der sofortigen Beschwerde wird auf 5.000 ? festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerinnen wurden in dem vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren durch Beschluss vom 20.09.2001 verpflichtet, "der Antragstellerin den ungehinderten Zugang zu den im Erdgeschoß/Keller des Hauses ..... Straße in W. gelegenen, insgesamt ca. 680 m² großen Räumen des Restaurants und Bowlingcenters >NN< zum Zwecke der Räumung und Fortschaffung von bisher im Besitz der Antragstellerin stehenden Sachen einzuräumen." Der Beschluss ist der Gegenseite am 26.09.2001 zugestellt worden.

Aufgrund eines Pachtvertrages vom 15.10.2001 befindet sich das streitgegenständliche Objekt im Besitz eines Herrn E. K.. Angesichts der drohenden Vollstreckung der einstweiligen Verfügung vom 20.09.2001 erhob Herr K. zwischenzeitlich vor dem Landgericht Erfurt Drittwiderspruchsklage gegen die Beschwerdegegnerin.

Am 27.09.01 hat die Beschwerdegegnerin beantragt, sie gemäß § 887 ZPO zu ermächtigen, sich Zugang zu den in der einstweiligen Verfügung genannten Räumlichkeiten zu verschaffen. Diesen Antrag hat die Vollstreckungsgläubigerin am 29.10.01 zurückgenommen.

Auf neuen Antrag der Beschwerdegegnerin vom 05.11.2001 hat das Landgericht Erfurt am 15.11.2001 gem. §§ 888 Abs. 1, 890 Abs. 1 ZPO den angefochtenen Beschluss erlassen, mit dem gegen die Beschwerdeführerinnen wegen "Verweigerung des gemäß der einstweiligen Verfügung vom 20.09.2001 zu gewährenden ungehinderten Zugangs ... ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,- DM festgesetzt" wurde. "Für den Fall, dass das Zwangsgeld nicht beigetrieben werden kann, wird Zwangshaft angeordnet".

Gegen den am 20.11.2001 zugestellten Beschluss haben die Beschwerdeführerinnen am 04.12.2001, beim Landgericht Erfurt am gleichen Tag eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, nach der Verpachtung des Objekts nicht mehr verfügungsberechtigt zu sein. Auch sei der Antragstellerin am 27.09.2001 Zugang zu den Räumlichkeiten gewährt worden.

II.

Auf das Verfahren für die Beschwerde gegen den - vor dem 31.12.2001 erlassenen - Beschluss ist gemäß § 26 Nr. 10 EGZPO n.F. das bisherige Recht weiter anzuwenden. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 793 Abs. 1 ZPO a.F. statthaft und auch sonst nach §§ 567 ff. ZPO a.F. zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Sie hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts.

1. Zutreffend ist das Landgericht vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung ausgegangen. Die einstweilige Verfügung vom 20.09.2001 ist ein wirksamer Vollstreckungstitel, der den Beschwerdeführerinnen zugestellt worden war. Auch ist die Vollziehungsfrist gem. §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO gewahrt.

Der Vollstreckungsantrag vom 27.09.01 ist fristgerecht zum Zwecke der Durchsetzung des Handlungsgebots vom 20. 9. 2001 gestellt worden. Er hat auf eine hierzu geeignete Vollstreckungsmaßnahme gezielt, denn aus damaliger Sicht durfte die Vollstreckungsgläubigerin annehmen, dass die nach dem Inhalt der einstweiligen Verfügung geschuldete Handlung eine vertretbare Handlung im Sinne des § 887 ZPO ist. Zwar geht die Vollstreckungsgläubigerin in ihrem Verfügungsantrag vom 18.09.01 von einer Neuverpachtung des Objekts aus; von daher hätte sie bereits am 27. September die Unmöglichkeit der Zwangsvollstreckung nach § 887 ZPO in Erwägung ziehen müssen. Jedoch war damals der am 15. 10. 2001 vereinbarte Pachtvertrag zwischen den Vollstreckungsschuldnerinnen und Herrn K. noch nicht abgeschlossen, so dass der Antrag auf Ersatzvornahmeermächtigung gem. § 887 ZPO jedenfalls den objektiven Gegebenheiten entsprochen hat.

Die Vollziehbarkeit der einstweiligen Verfügung vom 20. 9. 2001 leidet nicht darunter, dass die Vollstreckungsgläubigerin den Vollstreckungsantrag am 29. 10. 2001 zurückgenommen hat, bevor sie am 5. 11. 2001 einen auf § 888 ZPO gestützten Antrag einbrachte. Zwar trägt eine einstweilige Verfügung bei einer erfolglos gebliebenen Vollstreckungsmaßnahme grundsätzlich keine weitere, nach Ablauf der Vollziehungsfrist begonnene Vollstreckung (BGHZ 112, 356, 359 f. für den Arrest). Jedoch wird ein weiterer Vollstreckungsantrag als Fortführung einer fristgemäß eingeleiteten Zwangsvollstreckung zugelassen, wenn er inhaltlich seinem Vorgänger gleicht und wenn er sich im Hinblick auf eine außerhalb der Einwirkungsspähre des Vollstreckungsgläubigers eingetretene Sachverhaltsveränderung sich als notwendig erweist (vgl. Senat, Beschl. v. 8. 1. 2001, 6 W 458/00). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben, denn die Möglichkeit durch Ersatzvornahme die Erfüllungsverweigerung der Vollstreckungschuldnerinnen zu überwinden, war durch den Abschluss des Pachtvertrags mit Herrn K. am 15.10.01 entfallen. Es blieb danach nur die Möglichkeit, mittels eines gem. § 888 ZPO festgesetzten Zwangsgeldes auf den Willen der Schuldnerinnen einzuwirken und so zu erreichen, dass der jetzt unmittelbar berechtigte Besitzer, der der Vollstreckungsgläubigerin nicht zur Zugangsgewährung verpflichtet ist, dieser als Vertragspartner der Schuldnerinnen freiwillig den Zugang zu den in der einstweiligen Verfügung bezeichneten Räumen gewährt. Die Möglichkeit einer dahin gehenden Zwangsvollstreckung hatte die Vollstreckungsgläubigerin sich im Schriftsatz vom 24. 9. 2001 vorbehalten, in welchem sie den ersten Vollstreckungsantrag zurückgenommen hat.

2. Die Zwangsvollstreckung ist jedoch nicht mehr zulässig, seitdem feststeht, dass der Pächter nicht bereit ist, in diesem Sinn mit den Vollstreckungsschuldnerinnen zusammenzuarbeiten. Herr K. hat als neuer Pächter vor allem dadurch, dass er gegen die Vollstreckungsgläubigerin Drittwiderspruchsklage führt und mit dieser ein die Zwangsvollstreckung der Gläubigerin insgesamt abwehrendes Rechts geltend macht, unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er weder den Zugang der Vollstreckungsgläubigerin zum Objekt noch das Wegschaffen streitbefangener Sachen dulden wird. Damit können gegen die Schuldnerinnen Zwangsmittel zur Durchsetzung der einstweiligen Verfügung nicht mehr eingesetzt werden.

Die Zwangsvollstreckung ist nur solange zulässig, als der Vollstreckungsschuldner die ihm nach dem Titel obliegende Handlung erfüllen kann. Das gilt insbesondere für die Verhängung eines Zwangsmittels nach § 888 ZPO, denn eine allein vom Schuldner vorzunehmende, nicht vertretbare Handlung kann dann nicht mehr erwirkt werden, wenn sie dem Schuldner unmöglich ist.

Es kann hier dahinstehen, ob die geschuldete Handlung den Vollstreckungsschuldnerinnen aus Rechtsgründen unmöglich geworden ist. Ob ihnen aus dem Pachtvertrag ein Anspruch gegen den Pächter zusteht, einem Dritten Zugang zum Pachtobjekt zu geben, ist zweifelhaft (vgl. § 14 des Pachtvertrags), braucht aber nicht entschieden zu werden, weil der rechtlichen Erfüllungsunmöglichkeit die tatsächliche Unmöglichkeit gleich steht, wobei in diesem Sinn unmöglich auch ein Verhalten ist, welches für sich gesehen zwar noch realisierbar ist, wenn dazu jedoch Schritte unternommen werden müssen, die dem Verpflichteten nicht zumutbar sind. Hier kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vollstreckungsschuldnerinnen gegen ihren Pächter einen Anspruch auf Zugangsduldung haben und dass dieser Anspruch auch realisierbar ist. Angesichts des Pächterverhaltens steht indes fest, dass der mit der Anspruchsdurchsetzung verbundene Aufwand so groß ist, dass ein Fall der einer Erfüllungsunmöglichkeit gleich zu achtenden Erfüllungsunzumutbarkeit vorliegt.

Der zur Erbringung einer nicht vertretbaren Handlung Verpflichtete hat alles zur Erfüllung der Verbindlichkeit Zumutbare zu unternehmen. Dazu gehört, falls er auf die Zuarbeit Dritter angewiesen ist, dass er sich um diese Zuarbeit bemüht und sie notfalls auch mit Hilfe der Justiz erstreitet (vgl. BayObLG NZM 2000, 303 f.). Die hierauf gerichteten Bemühungen sind dabei vom Vollstreckungsschuldner einzeln darzulegen (vgl. BayObLG, NJW-RR 1989, 462 f.). Die Grenze des Zumutbaren ist aber dort überschritten, wo ein solches Vorgehen den Vollstreckungsgläubiger dem Rechtsschutzziel der Zwangsvollstreckung nicht näher bringt. Denn der Schuldner muss nicht einen zumal in seinen Erfolgsaussichten zweifelhaften Rechtsstreit führen, wenn sein Obsiegen dem Vollstreckungsgläubiger nichts mehr nutzt.

Hiervon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die Vollstreckungsgläubigerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorgegangen ist, weil sie das auf das geforderte Verhalten der Schuldnerinnen nicht erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Hauptsacheverfahrens angewiesen ist, sondern eilig und umgehend Zugang zu und Zugriff auf die bis zur Objekträumung in ihrem Besitz gewesenen Gegenstände benötigt. Würde von den Schuldnerinnen durch Zwangsgelddrohung verstärkt die Einleitung eines Rechtsstreits gegen Herrn K. gefordert, dessen Ende weder in inhaltlicher noch in zeitlicher Hinsicht absehbar ist, dann würde dies das Rechtsschutzziel der Vollstreckungsgläubigerin nicht in nennenswerter Weise befördern. Die Schuldnerinnen würden zu einem Prozess gedrängt, der sich als reine Förmlichkeit darstellt, weil die Vollstreckungsgläubigerin von seinem Ende nicht mehr profitiert. Will die Vollstreckungsgläubigerin ihre Eigentumsansprüche an den hier betroffenen Gegenständen geltend machen, liegt es wesentlich näher, wenn sie dazu direkt gegen den Besitzer der Sachen vorgeht.

Im Ergebnis ist es somit in der konkreten Situation für die Beschwerdeführerinnen unmöglich oder zumindest unzumutbar, die Mitwirkung oder Zustimmung des neuen Pächters zu erlangen. Die Zwangsvollstreckung gegen die Beschwerdeführerinnen ist in der konkreten Situation unzulässig; der Zwangsmittelbeschluss vom 15. 11. 2001 ist aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung folgt § 97 Abs. 1 ZPO. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist gemäß § 3 ZPO nach dem Erzwingungsinteresse der Beschwerdegegnerin bemessen; dieses ist mit etwa einem Viertel des Hauptsachewertes bestimmt.

Ende der Entscheidung

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