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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.07.2007
Aktenzeichen: 9 Verg 4/07
Rechtsgebiete: GWB, VOF


Vorschriften:

GWB § 97 Abs. 2
VOF § 4 Abs. 2
VOF § 11 Abs. 4 lit. c
1. Verweist die Vergabekammer ein Vergabeprüfungsverfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit an eine andere Vergabekammer, so ist dieser Beschluss bindend, soweit er nicht auf offensichtlicher Willkür beruht (§§ 83 S. 1 VwGO, 17a Abs. 2 S. 3 GVG bzw. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO analog).

2. Das Diskriminierungsverbot, das den Auftraggeber verpflichtet, europaweit alle Bewerber unabhängig von Nationalität, Herkunft und Firmensitz gleich zu behandeln (vgl. Art. 49 EGV, § 97 Abs. 2 GWB, § 4 Abs. 2 VOF), schließt als eine der zentralen Grundsätze des Vergaberechts auch den Schutz gegen versteckte und indirekte Benachteiligungen ausländischer Unternehmen bei der Auftragsvergabe ein (vgl. EuGH Urt. vom 27.10.2005; Az. C - 234/03 "Insalud" = VergabeR 2006, 63ff.).

3. Geht ein Bieter politische Stellen seines Heimatstaates mit dem Ziel an, diese dazu bewegen, sich in einem laufenden Vergabeverfahren für eine Zuschlagserteilung an ein nationales Unternehmen zu verwenden, stellt dies eine Aufforderung zum Bruch des Diskriminierungsverbots und damit eine versuchte - grob rechtswidrige - Einflussnahme auf die Auftragsvergabe dar. Es spricht viel dafür, schon ein solches Verhalten als "schwere Verfehlung" im Sinne des § 11 Abs. 4 lit. c VOF zu werten.

4. § 11 Abs. 4 lit. c VOF ist jedenfalls dann verletzt, wenn ein Bieter einen unlauteren Beeinflussungsversuch der vorgenannten Art auf "Insiderwissen" stützt, das aus ihm zugespielten Informationen über den Angebotsinhalt eines Mitbieters herrührt.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 Verg 4/07

In dem Vergabeprüfungsverfahren

betreffend die Ausschreibung "BAB A4 Eisenach-Görlitz, Streckenabschnitt Magdala-Jena/Göschwitz: Verkehrseinheit AS Magdala - AS Jena/Göschwitz; Bauoberleitung und Bauüberwachung der Gesamtmaßnahme 5531",

hat der Vergabesenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Zoller und Richter am Oberlandesgericht Giebel

auf den Antrag der Antragstellerin vom 03.07.2007 nach Anhörung der Beschwerdegegnerin

ohne mündliche Verhandlung am 16.07.2007 beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer des Freistaats Thüringen vom 19.06.2007 (Az.: 360-4004.20-2029/2007-J) bis zur Entscheidung des Senats über die sofortige Beschwerde zu verlängern (§ 118 Abs. 1 S. 3 GWB), wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung über die im Verfahren nach § 118 GWB entstandenen Mehrkosten bleibt der Hauptsacheentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin bewirbt sich um den Zuschlag in einem europaweit ausgeschriebenen VOF-Verhandlungsverfahren, in dem nach vorausgegangener Präqualifikation derzeit noch drei Bewerber im Wettbewerb sind. Der Auftrag hat diverse Planungsleistungen bezüglich des sog. "Jagdbergtunnels" im Streckenbereich der Bundesautobahn A4 zwischen Jena und Magdala, insbesondere Objektplanung, Verkehrsanlagen und Ingenieurbauwerke der Leistungsphasen 8 und 9 sowie besondere Leistungen (u.a. Bauoberleitung, Bauüberwachung der Erd- und Streckenbauleistungen, Hang- und Böschungssicherungsarbeiten, Markierungs- und Beschilderungsarbeiten einschließlich des Rückbaus der alten BAB A4) zum Gegenstand. Die ausgeschriebene Maßnahme hat einen geschätzten Nettoauftragswert von rund 7 Mio. €.

Unstreitig ist, dass der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1b), Dr.-Ing. .., am 16.02.2007 mit einem Vertreter der Thüringer Staatskanzlei über das laufende Vergabeverfahren sprach und dabei erklärte, dass nach seinen Informationen ein Ingenieurbüro den Zuschlag erhalten solle, das im Vergleich zur Antragstellerin ein um ca. 1 Mio. € teureres Angebot abgegeben habe. Zudem würden 75 % der Leistungen in Österreich erbracht. Er bat daher die Staatskanzlei um eine "Prüfung der Vergabe".

Am 08.03.2007 wies der Geschäftsführer Dr.-Ing. ... in einem Telefonat mit einem Mitarbeiter der Vergabestelle diesen darauf hin, dass er die o.g. Informationen von einem Herrn B. (Mitarbeiter eines Subunternehmers eines Mitbieters) erhalten habe. Dieser habe "jede Zahl" gekannt und gewusst, dass der Auftrag an den zweitplatzierten Bieter gehen solle.

Die Vergabestelle hat u.a. die vorgenannten Vorgänge zum Anlass genommen, die Antragstellerin wegen unlauteren und wettbewerbswidrigen Verhaltens (§ 4 Abs. 3 VOF) bzw. wegen einer schweren Verfehlung im Sinne des § 11 Abs. 4 lit. c VOF vom Wettbewerb auszuschließen.

Die Antragstellerin nimmt vergaberechtlichen Primärrechtsschutz in Anspruch. Sie wehrt sich gegen den Ausschluss ihres eigenen Angebots, da sie ein Fehlverhalten eines ihrer Mitarbeiter nicht erkennen könne.

Den ursprünglich bei der Vergabekammer des Bundes anhängig gemachten Nachprüfungsantrag hat diese wegen örtlicher Unzuständigkeit mit Beschluss vom 14.05.2007 an die Thüringer Vergabekammer verwiesen. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen, weil der Ausschluss im Ergebnis zurecht erfolgt sei. Hinsichtlich der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Mit dem Rechtsmittel hält die Antragstellerin an ihrem erstinstanzlichen Rechtsschutzbegehren fest.

Sie beantragt in der Hauptsache,

die Vergabestelle zu verpflichten, den Ausschluss der Antragstellerin aus dem Vergabeverfahren rückgängig zu machen und bei der Zuschlagsentscheidung das Angebot der Antragstellerin zu berücksichtigen.

Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gem. § 118 Abs. 1 S. 3 GWB beantragt sie,

die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verlängern.

Die Vergabestelle beantragt,

den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde zurückzuweisen,

sowie in der Hauptsache,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung aus den Erwägungen der Vergabekammer. Ergänzend vertritt sie die Auffassung, dass der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1b) sich zugleich einer strafbaren Handlung im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG schuldig gemacht und die Antragstellerin bereits aus diesem Grunde auszuschließen sei.

Hinsichtlich der Begründungen im Einzelnen nimmt der Senat auf die zwischen den Verfahrensbeteiligten gewechselten Schriftsätze - auch im Verfahren vor der Vergabekammer - Bezug.

II.

Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde ist zurückzuweisen. Das in der Hauptsache form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Rechtsmittel hat nach Aktenlage keine Aussicht auf Erfolg (§ 118 Abs. 2 S. 1 GWB). Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag im Ergebnis zurecht zurückgewiesen.

1. Die in der Beschwerdebegründung erhobene Rüge der fehlenden örtlichen Zuständigkeit der Thüringer Vergabekammer greift nicht durch.

Die ursprünglich angerufene Vergabekammer des Bundes hat das Nachprüfungsverfahren an die Thüringer Vergabekammer verwiesen. Die Frage einer zuständigkeitsbedingten Verweisung zwischen den Vergabekammern des Bundes und der Länder ist gesetzlich nicht geregelt. Der Senat hält gleichwohl die entsprechende Anwendung der §§ 83 S. 1 VwGO, 17a Abs. 2 S. 3 GVG für geboten, wonach der Beschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, bindend ist. Gleiches ergibt sich, wenn man - mit Blick auf die zumindest inzident begründete örtliche Zuständigkeit eines OLG-Vergabesenats als späteres Beschwerdegericht (§§ 116ff. GWB) - § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO analog anwendet. Den genannten Vorschriften liegt übereinstimmend zugrunde, dass aus verfahrensökonomischen Gesichtspunkten heraus die Verzögerung eines Rechtsstreits durch ein aufwändiges Zwischenverfahren hinsichtlich der anfänglichen örtlichen Zuständigkeit vermieden werden soll (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 281 Rn. 2 mit weit. Nachw.). Diese Regel muss im Rahmen eines Vergabeprüfungsverfahrens, das entscheidend von der Beschleunigungsmaxime bestimmt ist (§ 113 GWB), erst recht gelten. Es wäre mit diesem Verfahrensgrundsatz schlechthin unvereinbar, wenn anstelle einer möglichst rasch zu treffenden Sachentscheidung und damit der Freigabe eines vorläufig blockierten Beschaffungsvorhabens zunächst in einem zeitaufwändigen Zwischenverfahren - womöglich erst im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens - die Frage der örtlichen Zuständigkeit der Vergabekammer geklärt werden müsste. Jedenfalls soweit eine Verweisung nicht auf offensichtlicher Willkür - der Abwesenheit jeglicher aus einer tragfähigen Rechtsgrundlage abgeleiteter Entscheidungskriterien - beruht, kommt daher die Bindungswirkung zum Tragen.

Angewendet auf den Streitfall war die Thüringer Vergabekammer an den Verweisungsbeschluss gebunden. Dieser erging nicht willkürlich, sondern war in seinen Gründen auf die Anwendung der §§ 18 Abs. 6 VgV, 98 Nr. 1 GWB und zwar auf die jedenfalls nicht aus der Luft gegriffene Auffassung gestützt, wonach das streitgegenständliche Bundesautobahnprojekt im Rahmen einer Auftragsverwaltung (vgl. Art. 90 Abs. 2 GG) durchgeführt werde und die Vergabekammer des betroffenen Landes örtlich zuständig sei.

2. Entgegen der in der Beschwerdeerwiderung vertretenen Auffassung ist die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag nicht, auch nicht teilweise präkludiert. Ein Verstoß gegen die Rügeobliegenheit des § 107 Abs. 3 GWB ist schon im Ansatz nicht ersichtlich. Die Antragstellerin hat auf die Mitteilung der Vergabestelle vom 27.03.2007 (ihr zugegangen am 29.03.2007) hin, wonach sie wegen wettbewerbsbeschränkenden und unlauteren Verhaltens ausgeschlossen werde, mit Schreiben vom 30.03.2007 den Ausschluss als ungerechtfertigt gerügt und den Vorwurf eines wettbewerbsbeschränkenden und unlauteren Verhaltens als "diskriminierend und rufschädigend" zurückgewiesen. Damit ist der dem Ausschluss zugrunde gelegte Sachverhalt zur vollen tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung seitens der Vergabekontrollinstanzen gestellt, ohne dass es noch auf etwaige Versäumnisse der Antragstellerin im Rahmen der weiteren Aufklärung eines wettbewerbswidrigen Fehlverhaltens ankäme. Der Nachprüfungsantrag ist danach zulässig.

3. In der Sache hat der Nachprüfungsantrag keine Aussicht auf Erfolg.

Die seitens der Vergabestelle angegebenen Gründe tragen im Ergebnis den Wettbewerbsausschluss der Antragstellerin. Auf der Grundlage der von der Vergabekammer getroffenen - und insoweit mit der Beschwerde nicht angegriffenen - Sachverhaltsfeststellungen hat einer der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1b), Dr.-Ing. ..., im laufenden Vergabeverfahren eine schwere Verfehlung im Sinne des § 11 Abs. 4 lit. c VOF begangen, die von der Vergabestelle nachweislich festgestellt wurde. Diese unmittelbar ausschreibungsbezogene Verfehlung muss sich die Antragstellerin als Bietergemeinschaft zurechnen lassen, weshalb sie zurecht von der weiteren Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde.

a) Zwar folgt der Senat nicht der in der Beschwerdeerwiderung vertretenen Auffassung, wonach sich der Geschäftsführer nachweislich einer Handlung im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG strafbar gemacht habe. Hiernach wird bestraft, wer zu Zwecken des Wettbewerbs ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das er sich "sonst" unbefugt verschafft hat, unbefugt verwertet oder jemandem mitteilt.

Der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1b), Dr.-Ing. ..., hat am 16.02.2007 im Gespräch mit einem Vertreter der Thüringer Staatskanzlei unter Hinweis auf das laufende Vergabeverfahren erklärt, dass er Erkenntnisse habe, wonach ein Mitbewerber den Zuschlag erhalten solle, welcher im Vergleich zu seiner Bietergemeinschaft ein um ca. 1 Mio. € teureres Angebot vorgelegt habe, und wonach zudem 75 % der Leistungen dieses Unternehmens in Österreich erbracht würden. Selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin unterstellt, dass die letztgenannte Information schon aufgrund öffentlich zugänglicher Quellen, insbesondere der Zusammensetzung der Bietergemeinschaft ..., verfügbar war (vgl. Schriftsatz der Antragstellerin vom 08.06.2007), so gilt dies doch nicht für die Höhe des Angebotspreises bzw. das Bestehen einer entsprechenden Zuschlagsabsicht. Soweit die Antragstellerin den Eindruck zu erwecken sucht, dass sich der Geschäftsführer nur auf unbestätigte Gerüchte bezogen habe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass die Zahl den tatsächlichen Gegebenheiten auffallend nahe kommt, hat die Antragstellerin ein Telefonat vom 08.03.2007 eingeräumt (vgl. Schriftsatz vom 08.06.2007), wonach der Geschäftsführer Dr.-Ing. ... die Informationen von einem Mitarbeiter (Herrn B.) eines Subunternehmers eines Mitbieters erfahren hatte, einem Mitarbeiter, der "jede Zahl kannte" und wusste, dass der Auftrag an den Zweitplatzierten gehen solle. Die Antragstellerin hatte danach jedenfalls "Insiderkenntnisse" über Geschäftsinterna der Vergabestelle erlangt, die erkennbar nicht für Außenstehende bestimmt waren. Insbesondere war ohne weiteres ersichtlich, dass es sich bei dem Informanten um keine von der Vergabestelle autorisierte Person handelte.

Wenngleich der Senat danach davon ausgeht, dass der Geschäftsführer Dr.-Ing. ... ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 17 Abs. 2 UWG erlangt hat, so bleibt nach Aktenlage dennoch offen, in welcher Weise dies geschehen ist. Insbesondere gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er selbst oder sein Informant irgendwelche Mittel im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG eingesetzt oder gezielte Mitteilungen aus dem internen Geschäftsbereich der Vergabestelle im Sinne des § 17 Abs. 1 UWG empfangen haben könnte. Da das Tatbestandsmerkmal des "sonst" Sich-Verschaffens in § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG einen den kasuistisch aufgeführten Varianten gleichwertig sein bzw. einen diesen entsprechenden Unrechtsgehalt aufweisen muss (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 25. Aufl., § 17 Rn. 47), mithin die bloße passive Entgegennahme eines Geschäftsgeheimnisses nicht genügt, fehlt es in dieser Hinsicht an einem objektiv tatbestandsmäßigen Fehlverhalten.

b) Gleichwohl erfüllt das Verhalten des Geschäftsführers die Voraussetzungen einer schweren Verfehlung im Sinne des § 11 Abs. 4 lit. c VOF.

Das OLG Brandenburg hat im Rahmen eines VOL-Verfahrens entschieden, dass ein Verstoß gegen die Regeln des lauteren Wettbewerbs regelmäßig schon darin liege, dass ein Bieter, dem das Angebot eines Mitbieters zugespielt werde, das daraus gezogene "Insiderwissen" gezielt dazu nutze, auf die rechtmäßige Durchführung des Vergabeverfahrens hinzuwirken (OLG Brandenburg Beschl. vom 06.10.2005 - Az. Verg W 7/05). Denn das in unzulässiger Weise erlangte Wissen verschaffe ihm einen ungerechtfertigten und wettbewerbswidrigen Informationsvorsprung gegenüber anderen nicht mit derartigen Möglichkeiten ausgestatteten Bietern, weshalb es ihm verwehrt sei, hiervon - sei es auch zu erlaubten Zwecken, wie etwa der Rüge tatsächlich vorhandener Vergaberechtsmängel - Gebrauch zu machen.

Der Senat kann offen lassen, ob diese Grundsätze ununterschreitbare Mindestanforderungen eines lauteren Wettbewerbs beschreiben, denen jeder Teilnehmer eines Vergabeverfahrens unterliegt und deren Verletzung den zwingenden Ausschluss des Betroffenen nach sich zieht oder ob hiervon im Einzelfall Ausnahmen zu machen sind. Wollte man den Ansatz des OLG Brandenburg auf den Streitfall übertragen, wäre allein schon aus dem Umstand, dass der Geschäftsführer Dr.-Ing. ... privat erlangtes Wissen von an sich geheimzuhaltenden Geschäftsinterna der Vergabestelle im Gespräch mit dem Vertreter der Thüringer Staatskanzlei zu eigennützigen Wettbewerbszwecken eingesetzt hat, ein unlauteres Verhalten abzuleiten, das zum Ausschluss führen müsste. Auf die Frage, ob dies so allgemein gilt, kommt es hier jedoch nicht an, weil der Geschäftsführer sich nicht nur vorhalten lassen muss, ein unlauteres Mittel zu vergaberechtlich erlaubten Zwecken eingesetzt zu haben, sondern daneben vergaberechtswidrige Zwecke verfolgt hat.

aa) Noch keinen Bedenken begegnet zwar in dieser Hinsicht seine gegenüber dem Mitarbeiter der Staatskanzlei geäußerte Bitte, von dort aus einer Zuschlagserteilung zugunsten eines von der Vergabestelle favorisierten Mitbewerbers entgegen treten zu wollen, der ein um ca. 1 Mio. Euro teureres Angebot als die Antragstellerin unterbreitet hatte. Denn dieses Ziel war insofern noch mit den Regeln eines Vergabeverfahrens vereinbar, als ein Bieter berechtigterweise darauf bestehen darf, dem Kriterium des günstigen Preises im Rahmen der Angebotswertung die ihm angemessene Bedeutung zukommen zu lassen. Zwar war die Thüringer Staatskanzlei nicht die für Fragen der Rechtskontrolle einer öffentlichen Ausschreibung zuständige Stelle. Gleichwohl erscheint es - ungeachtet der Frage, ob in einem solchen Zusammenhang auf in unlauterer Weise erlangtes Wissen zurückgegriffen werden darf - für sich genommen noch nicht verwerflich, staatliche Institutionen oder Behörden um Beistand zu bitten, darauf hinzuwirken, dass ein förmliches Verwaltungsverfahren, wie es ein Vergabeverfahren grundsätzlich darstellt, in der gesetzlich vorgesehenen Art und Weise durchgeführt wird. Insoweit unterscheidet sich das Verhalten des Geschäftsführers, wie in der Beschwerdeschrift zutreffend angemerkt wird, in der Tat nicht wesentlich von einer an Organe der Legislative oder Exekutive gerichteten Petition, die letztlich ebenfalls dazu dient, dem Recht seine Geltung zu verschaffen.

bb) Etwa anderes gilt aber für den an den Mitarbeiter der Staatskanzlei gerichteten deutlichen Hinweis des Geschäftsführers Dr.-Ing. ..., wonach der von der Vergabestelle präferierte Zuschlagsaspirant "75 % der Leistungen in Österreich" erbringen lasse. Der Sinn dieser Äußerung kann nach allgemeiner Lebenserfahrung nur so verstanden werden, dass die Staatskanzlei ihren (politischen) Einfluss einsetzen solle, sich für eine Auftragsvergabe an ein heimisches Unternehmen statt an eine überwiegend mit ausländischen Fachkräften besetzte Bietergemeinschaft zu verwenden. Intendiert war damit ersichtlich, die Staatskanzlei als maßgebende und einflussreiche staatliche Institution an ihre Verantwortung für regionale bzw. nationale Wirtschaftsinteressen (Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum, Steueraufkommen usw.) zu erinnern und diese zu veranlassen, zugunsten der Antragstellerin zu intervenieren.

Hierzu ist zu bemerken, dass im Rahmen eines nach Gemeinschaftsrecht auszuschreibenden Vorhabens alle Bewerber, unabhängig von ihrer Herkunft oder des Sitzes bzw. räumlichen Tätigkeitsschwerpunkts eines Unternehmens, gleich zu behandeln sind (Art. 49 EGV, § 97 Abs. 2 GWB, § 4 Abs. 2 VOF). Das Diskriminierungsverbot ist eine der tragenden Säulen des geltenden Vergaberechts. Wie insbesondere der EuGH bereits ausdrücklich entschieden hat, steht gerade die Dienstleistungsfreiheit im Sinne einer strikten Chancengleichheit aller im Gebiet der Europäischen Union angesiedelten Unternehmen unter dem besonderen Schutz des Vergaberechts (vgl. EuGH Urt. vom 27.10.2005 - Az. C - 234/03 "Insalud" = ZfBR 2006, 64ff. = VergabeR 2006, 63ff.). So seien beispielsweise nicht nur Ausschreibungen verboten, welche die Dienstleistungsfreiheit offen in der Weise beschränken, dass sie das Vorhandensein bestimmter Einrichtungen im räumlichen Umfeld des Leistungserbringungsorts begünstigen oder Regelungen enthalten, wonach bei gleicher Qualifikation ein am nationalen Markt etabliertes Unternehmen den Zuschlag erhalten soll (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 29, 31, 33). Vielmehr verbiete Art. 49 EGV auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die formale Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen wie eine offensichtliche Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Eine versteckte Diskriminierung könne etwa schon dann anzunehmen sein, wenn bestimmte Zulassungsvoraussetzungen zur Auftragsvergabe von einem nationalen Unternehmen leichter zu erfüllen seien als von einem ausländischen Bewerber (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 36, 37).

Der hohe Stellenwert dieser Grundsätze, über deren Einhaltung die Vergabeprüfungsinstanzen zu wachen haben, wird allerdings seitens politischer Gremien und Einrichtungen - die zugegebenermaßen nicht nur rechtliche, sondern auch andere Belange des Gemeinwohls, etwa ökonomischer, sozialer, gesellschaftlicher Art, in ihre Gestaltungsentscheidungen in den Blick zu nehmen haben - nicht ausnahmslos hinreichend berücksichtigt. So kann, wie auch Erfahrungen in der Vergangenheit gezeigt haben, nicht immer ausgeschlossen werden, dass politischer Einfluss im Sinne protektionistischer Maßnahmen zugunsten regionaler oder nationaler Unternehmen ausgeübt wird statt auf eine den gesetzlichen Regeln folgende neutrale europaweite Bestenauslese zu vertrauen. Die Strategie des Geschäftsführers, das Kriterium der nationalen Identität ins Spiel zu bringen, war danach, abstrakt gesehen, nicht ohne Aussicht auf Erfolg. Gerade vor diesem Hintergrund kann aber ein Verhalten, mit dem offen zum Bruch eines der tragenden Prinzipien des Vergaberechts aufgerufen wird, wie es das Diskriminierungsverbot darstellt, nur als - versuchte - grob rechtswidrige Einflussnahme auf ein laufendes Vergabeverfahren gewertet werden. Dabei spricht viel dafür, dass schon dies das Merkmal einer schweren Verfehlung im Sinne des § 11 Abs. 4 lit. c VOF erfüllt.

cc) Die Schwere der Verfehlung ergibt sich jedenfalls aus der Gesamtwürdigung der Umstände. Mag man ggf. noch über die Frage streiten, ob ein Mittel, das auf einem wettbewerbswidrigem Informationsvorsprung gründet, nicht einmal (folgt man der o.g. Entscheidung des OLG Brandenburg) zu erlaubten Zwecken eingesetzt werden darf, mag man ferner ggf. unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob ein Fehlverhalten im Sinne des § 11 Abs. 4 lit. c VOF nicht bereits daraus resultiert, dass der Teilnehmer eines Vergabeverfahrens staatliche Stellen offen zur Diskriminierung eines ausländischen Mitbewerbers auffordert, so hat der Senat über beide Fragen nicht isoliert zu entscheiden, sondern gerade über eine Konstellation zu befinden, in der beide Verfehlungen zusammentreffen. Der für die Antragstellerin auftretende Geschäftsführer hat im Gespräch mit dem Vertreter der Staatskanzlei nicht nur ein aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht verwertbares Insiderwissen - Hinweis auf den um 1 Mio. € teureren Zuschlagsaspiranten - gezielt zu eigenen Zwecken des Wettbewerbs (wenngleich insoweit nur im Interesse der Gewähr eines rechtmäßigen Vergabeverfahrens) eingesetzt, sondern er hat diesen Anlass zugleich zum Versuch genutzt, mittels (wenngleich ggf. insoweit öffentlich zugänglicher Informationen) zu einer vergaberechtlich verbotenen Diskriminierung aufzurufen. Jedenfalls ein solches doppeltes Fehlverhalten überschreitet nach Auffassung des Senats die Erheblichkeitsschwelle des § 11 Abs. 4 lit. c VOF.

c) Ermessensfehler der Vergabestelle, die von der Ausschlusssanktion des § 11 Abs. 4 lit. c VOF Gebrauch gemacht hat, vermag der Senat schon insoweit nicht zu erkennen, als die Vorschrift auf der Tatbestandsseite die Begehung einer schweren Verfehlung "im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit" voraussetzt, d.h. auch solche berufsbezogene Verfehlungen erfasst, die mit dem betreffenden VOF-Verfahren in keinem näheren Zusammenhang stehen (so auch Voppel/Osenbrück/Bubert, VOF, § 11 Rn. 22, wonach sich die Verfehlung nicht gegen den Auftraggeber gerichtet haben muss). Bedenkt man, dass das hier festgestellte Fehlverhalten gerade auf eine unlautere Vorteilsverschaffung im laufenden Vergabeverfahren abzielte, war der Ausschluss der Antragstellerin vor dem Hintergrund des vergaberechtlichen Gebots der Gleichbehandlung aller Bewerber (§ 97 Abs. 2 GWB, § 4 Abs. 2 VOF) nahezu die einzig in Betracht kommende Maßnahme. Damit war ein verbleibender Ermessensspielraum, soweit er überhaupt noch gegeben war, jedenfalls auf ein Minimum reduziert, womit der tatsächlich erklärte Wettbewerbsausschluss keinen Bedenken im Sinne eines Ermessensfehlgebrauchs begegnet.

Die sofortige Beschwerde hat danach keine Aussicht auf Erfolg; der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB war zurückzuweisen.

III.

Die Entscheidung über die durch den Antrag nach § 118 GWB verursachten Mehrkosten trifft der Senat in ständiger Rechtsprechung mit der Hauptsacheentscheidung.

Ende der Entscheidung

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