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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.07.2005
Aktenzeichen: 9 W 245/05
Rechtsgebiete: ZPO, VV RVG


Vorschriften:

ZPO § 307 S. 2
VV RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1
Dem Rechtsanwalt steht auch nach Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes am 01.09.2004 in entsprechender Anwendung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG die Terminsgebühr zu, wenn im schriftlichen Vorverfahren auf der Grundlage des § 307 S. 2 ZPO (n.F.) ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 245/05

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Zoller und Richter am Oberlandesgericht Giebel auf die sofortige Beschwerde vom 01.03.2005 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 09.03.2005 ohne mündliche Verhandlung am 21.07.2005

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 679,99 € festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist statthaft, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, und auch sonst zulässig, §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 1, Abs. 2, 569 ZPO. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Die Rechtspflegerin hat zurecht die von der Klägerin zur Kostenfestsetzung angemeldete Terminsgebühr für erstattungsfähig angesehen.

1. Die Zivilkammer hat auf die Klage vom 18.11.2004 den Beklagten nach dessen Anerkenntnis im schriftlichen Vorverfahren durch Anerkenntnisurteil vom 29.12.2004 antragsgemäß in der Sache und in die Kosten verurteilt. Mit dem im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren eingelegten Rechtsmittel wendet sich der Beklagte gegen die Erstattung einer 1,2-Terminsgebühr. Die insoweit einschlägige Vorschrift der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG sei schon vor Klageerhebung ihrer Bezugsnorm verlustig gegangen, nachdem die darin genannte Bestimmung des § 307 Abs. 2 ZPO a.F. durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz mit Wirkung vom 01.09.2004 aufgehoben worden sei. Der Gesetzgeber habe mit dieser Novelle insbesondere den Zweck einer nachhaltigen Verfahrensbeschleunigung und -erleichterung verfolgt, der u.a. in einer Kostenminderung für die anerkennende Partei seinen Niederschlag fände. Jedenfalls sei eine erweiternde Auslegung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG in der geltenden Fassung gesetzeswidrig; die Berichtigung eines etwaigen Redaktionsversehens bleibe allein dem Gesetzgeber vorbehalten.

Die Klägerin verteidigt den angefochtenen Beschluss mit dem Hinweis auf ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers bei der Neugestaltung des § 307 S. 2 ZPO n.F., das keine Änderung in der Sache rechtfertige.

2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin steht in entsprechender Anwendung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG eine Terminsgebühr zu, die vom Beklagten gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO zu erstatten ist.

a) Zwar ist es zutreffend, dass durch die im Rahmen des 1. Justizmodernisierungsgesetzes erfolgte Änderung des § 307 ZPO - Streichung des Abs. 2, Einfügung eines S. 2 in Abs. 1 - und das Versäumnis einer gleichzeitigen Anpassung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG nach dem strengen Wortlaut des Gesetzes eine Regelungslücke entstanden ist. Denn die prozessuale Konstellation eines Anerkenntnisurteils im schriftlichen Vorverfahren, die bislang aufgrund der ausdrücklichen Verweisung auf § 307 Abs. 2 ZPO a.F. eine Terminsgebühr entstehen ließ, ist nunmehr an anderer Stelle in § 307 S. 2 ZPO n.F. geregelt und wird daher von der Verweisung formal nicht mehr erfasst.

b) Gleichwohl stellt auch weiterhin die Zuerkennung einer Terminsgebühr in der genannten Konstellation entgegen der Auffassung des Beklagten keine Umgehung des Gesetzes, sondern vielmehr die zulässige und gebotene Schließung einer Gesetzeslücke im Wege der Analogie dar, wie sie sowohl für das materielle Recht als auch für das Verfahrensrecht grundsätzlich statthaft ist (vgl. BGHZ 46, 195, 198; NJW-RR 1994, 1406, 1407; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., Einl. Rn. 97 mit Nachw.). Soweit im Schrifttum für den Bereich des Justizkostenrechts ein Analogieverbot befürwortet wird (vgl. Lappe Rechtspfleger 1984, 337), ist nur das Verhältnis zwischen Bürger und Staatskasse, nicht aber das der Verfahrensbeteiligten untereinander angesprochen.

Die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung des Gesetzes sind erfüllt.

Der Regelung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG liegt - ebenso wie bereits dem früheren § 35 BRAGO - der Gedanke zugrunde, dass der Rechtsanwalt zum Ausgleich dafür, dass ihn in den Fällen eines anstelle einer vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung durchgeführten schriftlichen Verfahrens eine erhöhte Verantwortung und noch genauere Prüfungspflicht trifft, eine Termins- bzw. Verhandlungsgebühr erhält, so als ob verhandelt worden wäre (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken, RVG, 16. Aufl., Nr. 3104 VV, Rn. 14). Der Rechtsanwalt soll insbesondere keine Nachteile erleiden, wenn seine Schriftsätze das Verfahren so gründlich vorbereitet haben, dass eine mündliche Verhandlung nicht mehr stattzufinden braucht (vgl. BGH NJW 2003, 3133). Nichts spricht dafür, dass der mit der bisherigen Zubilligung einer fiktiven Terminsgebühr intendierte Zweck gegenüber den mit dem 1. Justizmodernisierungsgesetz verfolgten Zielen aus Sicht des Gesetzgebers in Nachrang geraten bzw. in Wegfall gekommen sei. Vielmehr handelt es sich um ein offensichtliches Redaktionsversehen (so auch LG Stuttgart Beschl. vom 01.02.2005 Az. 10 T 546/04; Zöller/Vollkommer, 25. Aufl., § 307, Rn. 12: "offenkundiges Versehen"). Hätte der Gesetzgeber mit der Novelle tatsächlich - wie der Beklagte meint - einen Wegfall der Terminsgebühr beabsichtigt, hätte er die ausdrückliche Verweisung auf § 307 Abs. 2 ZPO a.F. ersatzlos gestrichen. Gerade der Umstand, dass nach geltender Gesetzesfassung in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG auf eine nicht mehr existente Vorschrift Bezug genommen wird, belegt das Übersehen dieses Zusammenhangs.

Im Ergebnis veranlasst die Neugestaltung des § 307 ZPO daher keine Änderung des Anwendungsbereichs der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG. Auch die übrigen Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen vor. Insbesondere ergeht das Anerkenntnisurteil nach wie vor in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Die Formulierung des § 307 S. 2 ZPO n.F., wonach es im Falle eines Anerkenntnisses keiner mündlichen Verhandlung mehr bedarf, schafft kein neuartiges Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist, sondern lässt nur eine Ausnahme von dem in § 128 Abs. 1 ZPO für jeden Zivilrechtsstreit normierten Verhandlungsgrundsatz zu (vgl. LG Stuttgart a.a.O.).

Die Beschwerde war danach als unbegründet zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Wert des Beschwerdeverfahrens hat der Senat nach dem mit dem Rechtsmittel verfolgten Kosteninteresse in Höhe der festgesetzten Terminsgebühr bemessen.

4. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 574 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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