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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 30.11.2005
Aktenzeichen: 9 W 659/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1906 Abs. 1
Die zum Zweck einer - gegen den Willen des Betroffenen vorzunehmenden - Zwangsmedikation angeordnete Unterbringung des Betroffenen kann nach Maßgabe des § 1906 Abs. 1 BGB vormundschaftsgerichtlich genehmigt werden, wenn sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht (Aufgabe der Rechtsprechung des ThürOLG vom 05.02.2002 = RuP 2003, 29).
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 627/05 9 W 659/05

In dem Unterbringungsverfahren

wegen vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung der Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik,

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richter am Oberlandesgericht Timmer und Richter am Oberlandesgericht Giebel

auf die sofortige weitere Beschwerde vom 09.11.2005 gegen den Beschluss des Landgerichts Gera vom 14.10.2005 und die weitere Beschwerde vom 10.11.2005 gegen den Beschluss des Landgerichts Gera vom 28.10.2005 ohne mündliche Verhandlung am 30.11.2005

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige weitere Beschwerde wird der Beschluss des Landgerichts Gera vom 14.10.2004 (Az. 5 T 497/05) aufgehoben.

2. Auf die weitere Beschwerde wird der Beschluss des Landgerichts Gera vom 28.10.2005 (Az. 5 T 498/05) mit der Maßgabe aufgehoben, dass die darin angeordnete Teilaufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Jena vom 15.07.2005 (3 XVII 423/05) unwirksam ist.

Gründe:

1. Nachdem die Betroffene, die erstmalig im Jahre 2002 psychisch auffällig geworden war, in der Vergangenheit mehrfach auf der Grundlage des ThürPsychKG untergebracht war, hat das Amtsgericht Jena mit Beschluss vom 15.07.2005 eine Betreuerin für die Betroffene bestellt und dabei u.a. die Aufenthaltsbestimmung mit dem Recht zur Unterbringung als Aufgabenkreis bestimmt. Auf Antrag der Betreuerin vom 17.08.2005 hat das Amtsgericht sodann mit Beschluss vom 31.08.2005 die Unterbringung der Betroffenen, befristet bis 28.02.2006, in einer geschlossenen Einrichtung zum Zwecke der Heilbehandlung genehmigt (§ 1906 Abs. 1 BGB). Ziel dieser Maßnahme ist eine - gegen den erklärten Willen der Betroffenen - durchzuführende Medikation mit bestimmten Depot-Neuroleptika.

Auf die gegen beide vorgenannten Entscheidungen von der Betroffenen persönlich eingelegte Erstbeschwerde hat das Landgericht Gera am 14.10.2005 (Az. 5 T 497/05) den Genehmigungsbeschluss des Amtsgerichts vom 31.08.2005 aufgehoben und sodann mit gesondert ergangenen Beschluss vom 28.10.2005 (Az. 5 T 498/05) den Beschluss über die Bestellung eines Betreuers vom 15.07.2005 insoweit aufgehoben, als darin der Betreuerin das Recht zur Unterbringung übertragen ist.

Hinsichtlich der Feststellungen und der für die angefochtenen Entscheidungen maßgebenden Gründe nimmt der Senat auf die Beschlüsse des Landgerichts vom 14.10.2005 und 28.10.2005 Bezug.

2. Die gegen den Beschluss des Landgerichts vom 14.10.2005 (Az. 5 T 497/05) seitens der Verfahrenspflegerin eingelegte, nach den §§ 70m Abs. 1, 70 Abs. 1 S. 2 lit. b, 27 Abs. 1 S. 1, 29 Abs. 2, 22 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

a) Das Landgericht hat zurecht die in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorausgesetzte schwere psychische Erkrankung der Betroffenen und damit verbunden die Notwendigkeit einer Heilbehandlung in Gestalt einer Gabe von Depot-Neuroleptika für erfüllt angesehen. Den sorgfältigen, auf die Befunde der eingeholten fachärztlichen Gutachten - die ihrerseits den Anforderungen des § 70e Abs. 1 FGG entsprechen - gestützten Ausführungen in den Beschlüssen vom 14.10. und 28.10. 2005 ist insoweit nichts hinzuzufügen. Im Übrigen liegt die Beurteilung des Krankheitswerts ebenso wie die der Therapiebedürftigkeit auf tatsächlichem Gebiet. Die vom Tatrichter hierzu getroffenen Feststellungen kann der Senat nur dahingehend überprüfen, ob dieser den maßgebenden Sachverhalt ausreichend im Sinne des § 12 FGG ermittelt, sich bei der Beurteilung des Beweisstoffes gem. § 25 FGG mit allen wesentlichen Umständen auseinandergesetzt und dabei nicht gegen Denkgesetze, gesetzliche Beweisregeln, zwingende Erfahrungssätze oder sonstige Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. BGH NJW 1998, 2736, 2737; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27, Rn. 42 mit Rspr.-Nachw.). Verfahrensfehler solcher Art sind dem Landgericht nicht unterlaufen.

b) Die Genehmigung einer zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen scheitert nicht am Fehlen einer gesetzlichen Grundlage.

aa) Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB kann das Vormundschaftsgericht eine vom Betreuer veranlasste freiheitsentziehende Unterbringung genehmigen, wenn eine Heilbehandlung notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Dabei ist die Erforderlichkeit der Unterbringung der strengen Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgebots zu unterziehen, weil die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, dass sie nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden darf (vgl. BVerfG NJW 1998, 1774, 1775; BayObLG FamRZ 2002, 908, 909 mit Nachw.).

bb) Diese Anforderungen sind nach Aktenlage erfüllt. Das Landgericht hat zwar auf dem Boden der bisherigen Rechtsprechung des Thüringer Oberlandesgerichts (vgl. Beschl. vom 05.02.2002 - Az. 6 W 44/02 = RuP 2003, 29) konsequenterweise die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung abgelehnt. Der nunmehr zuständige Senat hält indes an der in vorgenannter Entscheidung vertretenen Auffassung nach erneuter Prüfung - auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich zu diesem Problemkreis veröffentlichten Judikatur - nicht länger fest. Soweit der BGH in einer Grundsatzentscheidung (Beschl. vom 11.10.2000, Az. XII ZB 69/00 = FamRZ 2001, 149, 151 = BGHZ 145, 297, 300, 301) den gesetzlichen Begriff einer Freiheitsentziehung im Sinne des § 1906 Abs. 1 BGB restriktiv ausgelegt und nicht auf eine lediglich ambulant durchgeführte Zwangsmedikation erstreckt hat, ist diese Regel nicht auf die vorliegende Konstellation einer dauerhaften Unterbringung übertragbar (vgl. OLG München MDR 2005, 873, 874; OLG Schleswig OLGR 2003, 391, 392). Denn nach dem Wortlaut des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann die auf einen längeren Zeitraum bezogene freiheitsentziehende Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gerade zum Zweck einer Heilbehandlung genehmigt werden. Der Umstand, dass dem Betroffenen dabei die Einsicht in die Notwendigkeit der Therapie fehlt, weil er schon die Krankheit als solche nicht wahrhaben will, steht der Prognose einer Heilungsaussicht und damit der Unterbringung insgesamt nicht entgegen, sondern wird vom Gesetz vielmehr vorausgesetzt (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl., § 1906 Rn. 10). Mithin kommt es auf die Zustimmung der Betroffenen zu einer medizinisch indizierten Therapie nicht an. Vielmehr deckt § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB im Rahmen einer zwangsweise eingerichteten und genehmigten Unterbringung auch und gerade die Durchführung einer Zwangsmedikation. Maßgebend ist insoweit nur, ob die Heilbehandlung allein im Wege der Unterbringung möglich ist oder ob stattdessen eine ambulante Behandlung als milderes Mittel zur Verfügung steht (vgl. Palandt/Diederichsen a.a.O. mit Nachw.).

Nach den Feststellungen des Landgerichts scheidet im Streitfall eine andere als durch Zwang verabreichte Einnahme der Medikamente aus, da die Betroffene sich für völlig gesund hält und sich jeglicher Therapie mit Nachdruck widersetzt. Dabei beruht die mangelnde Einsicht der Betroffenen in die Notwendigkeit der Heilbehandlung gerade auf ihrer psychischen Erkrankung (vgl. BayObLG BtPrax 1996, 28), da sie unter Verfolgungswahn leidet und die sie behandelnden Ärzte neben allen anderen Behörden einer gegen sie inszenierten Verschwörung zurechnet.

cc) Die Verhältnismäßigkeit der Unterbringung zum Zwecke einer zwangsweisen Heilbehandlung vermag der Senat auf der Grundlage des nach den landgerichtlichen Feststellungen vollständig ermittelten Tatsachenbildes selbst zu bejahen. Das folgt insbesondere aus den vom Landgericht ohne Rechtsfehler festgestellten, durch fachärztliche Gutachten getragenen Gefahren einer Chronifizierung und Verschlimmerung der schizophrenen Grunderkrankung der Betroffenen, deren weiterer Verfestigung allenfalls noch zum jetzigen Zeitpunkt - nachdem der erstmalige Ausbruch der Krankheit noch nicht allzu lange zurück liegt - durch eine rasche und konsequente Heilbehandlung entgegengewirkt werden kann.

Danach hat das Amtsgericht die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Unterbringung der Betroffenen insofern zurecht erteilt, als die damit ermöglichte Therapie die nach Lage der Dinge einzig in Betracht kommende und zur Abwendung schwerer gesundheitlicher Nachteile angemessene Maßnahme darstellt. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben, mit der Folge, dass der erstinstanzliche Beschluss in Rechtskraft erwächst.

3. Soweit das Landgericht mit Beschluss vom 28.10.2005 die vom Amtsgericht vorgenommene Bestimmung des Aufgabenkreises der Betreuerin eingeschränkt und ihr das Recht zur Unterbringung entzogen hat, war auch dieser Beschluss auf die nicht fristgebundene weitere Beschwerde hin (§§ 69g Abs. 1, 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 FGG) abzuändern. Da aus den dargelegten Gründen einer Zwangsmedikation im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen, hat das Amtsgericht zurecht den Aufgabenkreis auf das Recht zur Unterbringung erstreckt (vgl. Palandt/Diederichsen, § 1906 Rn. 6).

4. Die Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde und der weiteren Beschwerde sind vorliegend gebührenfrei (§§ 128b S. 1, 131 Abs. 3 KostO). Außergerichtliche Gebühren sind nicht zu erstatten.

Ende der Entscheidung

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