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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 09.01.2006
Aktenzeichen: 9 W 664/05
Rechtsgebiete: BGB, BSHG, SGB XII, FGG


Vorschriften:

BGB § 1836e Abs. 1 S. 3
BSHG § 92c Abs. 3 Nr. 2
BSHG § 92c Abs. 3 Nr. 3
SGB XII § 102 Abs. 3
FGG § 56g Abs. 1 S. 2
FGG § 56g Abs. 3
FGG § 69e
1. Die Staatskasse kann die ihr gem. § 1836e Abs. 1 S. 3 BGB aus dem Nachlass zu erstattenden Betreuungskosten gegen die unbekannten Erben des Betreuten - vertreten durch eine vom Nachlassgericht bestellte Nachlasspflegerin - im Verfahren nach §§ 56g Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 69e FGG festsetzen lassen.

2. Im Festsetzungsbeschluss ist den unbekannten Erben in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 305, 780 ZPO das Recht vorzubehalten, die persönlichen Haftungsbeschränkungen des § 1836e Abs. 1 S. 3 BGB i.V.m. § 92c Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3 BSHG (nunmehr § 102 Abs. 3 SGB XII ) nachträglich geltend zu machen.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 664/05 In dem Betreuungsverfahren

für ... B., geb. am 14.01.1925, verstorben zwischen dem 17.11. und 20.11.2002, zuletzt wohnhaft Hauptstr. 20, ...

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Zoller und Richter am Oberlandesgericht Giebel

auf die sofortige weitere Beschwerde vom 16.11.2005 ohne mündliche Verhandlung am 09.01.2006

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 04.10.2005 (Az. 1 T 70/05) wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Erstbeschwerde an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Die Erbfolge nach der im Jahre 2002 verstorbenen Betreuten ist derzeit ungeklärt, nachdem mehrere in Betracht kommende Erben die Erbschaft ausgeschlagen haben. Die Staatskasse nimmt aus dem vorhandenen Nachlass die unbekannten Erben - vertreten durch die vom Nachlassgericht bestellte Nachlasspflegerin - auf Erstattung von Kosten gem. § 1836e BGB in Anspruch, die für die Betreuung der Erblasserin entstanden sind. Das Landgericht ist der Ansicht, eine Kostenfestsetzung im Verfahren der § 56g Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 69e FGG gegen die unbekannten Erben sei nicht zulässig, da andernfalls deren Rechte auf persönliche Haftungsbeschränkung verkürzt würden. Hinsichtlich der Darstellung des Sachverhalts und der für die Entscheidung des Landgerichts maßgebenden Gründe wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

1. Im Rahmen der vom Landgericht zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde (§ 56g Abs. 5 S. 2 FGG) beantragt der Bezirksrevisor Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückweisung der Erstbeschwerde. Nach seiner Auffassung ist die im Wege des § 1836e BGB auf die Staatskasse übergegangene Forderung gegen die Nachlasspflegerin als Vertreterin der unbekannten Erben festsetzbar. Die Interessen letzterer hätten gegenüber denen der Staatskasse zurückzustehen, insbesondere da sonst nach Ablauf einer Frist von drei Jahren das Erlöschen der übergegangenen Ansprüche zum Nachteil der Staatskasse drohe (§ 1836e Abs. 1 S. 3 BGB a.F. i.V.m. § 92c Abs. 4 S. 1 BSHG).

2. Die zulässige Beschwerde hat vorläufig Erfolg.

a) Das Landgericht hält rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen einer Festsetzung der zu erstattenden Betreuerkosten (§§ 56g Abs. 1, Abs. 3, 69e FGG) gegenüber den unbekannten Erben für nicht erfüllt. Zwar ist es zutreffend, dass mangels Kenntnis der Identität der Erben die Frage einer subjektiven - auf die Person des Erben zugeschnittenen - gesetzlichen Haftungsbeschränkung (§ 1836e Abs. 1 S. 3 BGB a.F. i.V.m. § 92c Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3 BSHG) sich derzeit einer Überprüfung entzieht (eine gleich lautende Vorschrift enthält das seit 01.01.2005 geltende SGB XII in § 102 Abs. 3, auf das § 1836e Abs. 1 S. 3 BGB n.F. verweist). Gleichwohl steht dieser Umstand jedenfalls einer unter den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung gestellten Festsetzung nicht entgegen.

b) Die abweichende Ansicht des Landgerichts ist mit den Bestimmungen der § 1961 i.V.m. § 1960 Abs. 1 S. 2 BGB nicht vereinbar. Danach kann ein Nachlasspfleger bestellt werden, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss ist, ob er die Erbschaft annimmt. Der Nachlasspfleger hat in diesen Fällen die gerichtliche Geltendmachung eines gegen den Nachlass gerichteten Anspruchs in Vertretung der unbekannten Erben je nach Berechtigung der Forderung abzuwehren oder dieser nachzukommen. Hinsichtlich des Anspruchs der Staatskasse auf Kostenersatz nach § 1836e Abs. 1 S. 3 BGB a.F. gegenüber den unbekannten Erben gelten insoweit keine Besonderheiten. Auch in einer solchen Konstellation kann ein Nachlasspfleger bestellt werden, dem ein im Verfahren nach § 56g Abs. 3 FGG ergangener Beschluss zugestellt werden kann, worin die Regressforderung gegen den unbekannten Erben festgesetzt ist (vgl. Münchener Kommentar-Wagenitz, BGB, 4. Aufl., § 1836e Rn. 20; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl., § 1836e Rn. 19).

c) Im Übrigen vermag der Ansatz des Landgerichts auch deshalb nicht zu überzeugen, weil er zu sachlich nicht begründbaren Nachteilen für die Staatskasse führt. Denn nach § 1836e Abs. 1 S. 3 BGB a.F. i.V.m. § 92c Abs. 4 S. 1 BSHG erlischt der Anspruch der Staatskasse auf Kostenersatz in drei Jahren nach dem Tod des Betreuten. Kann die Erbfolge innerhalb dieser Frist nicht geklärt werden, könnte die Staatskasse eines an sich begründeten Anspruchs verlustig gehen, obwohl das Auffinden eines Erben und die Klärung einer Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft häufig längere Zeit in Anspruch nimmt und von Umständen abhängen kann, die das Gericht nicht oder nur begrenzt zu beeinflussen vermag. Gerade auch um solche unbilligen Ergebnisse zu vermeiden, kennt das Gesetz das Rechtsinstitut der Nachlasspflegschaft. Den unbekannten Erben bleibt dennoch die Möglichkeit erhalten, eine subjektive Haftungsbeschränkung nachträglich geltend zu machen (hierzu nachfolgend 4.).

Danach stehen einer Festsetzung des Regressanspruchs zugunsten der Staatskasse derzeit weder verfahrensrechtliche noch materiellrechtliche Hindernisse entgegen.

3. Inwieweit die sonstigen Voraussetzungen einer Festsetzung des Erstattungsanspruchs in objektiver Hinsicht vorliegen, ist nach Aktenlage offen. Die Sache ist insoweit derzeit nicht entscheidungsreif.

a) Nach § 1836e Abs. 1 S. 3. 1. Halbs. BGB a.F. haftet der Erbe für den Regressanspruch der Staatskasse nur mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Nachlasses. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Nordhausen hat in dem Festsetzungsbeschluss vom 15.10.2004 ohne nähere Erläuterung ein zu berücksichtigendes Vermögen von 11.968,67 € zuzüglich eines nicht benannten Wertes für ein Wohnhaus in Ansatz gebracht (vgl. Bl. 134 d.A.). Hiervon hat sie den Freibetrag des § 92c Abs.1 Nr. 1 i.V.m. § 81 Abs. 1 BSHG abgezogen. Weder aus diesem Beschluss noch aus dem darin in Bezug genommenen Anhörungsschreiben vom 22.06.2004 (vgl. Bl. 132 d.A.) ergibt sich, wie der Nachlasswert ermittelt wurde bzw. aus welchen Einzelvermögensgegenständen er sich zusammensetzt. Das Landgericht hat - aufgrund seines Rechtsstandpunkts konsequent - ebenfalls keine Feststellungen zum Nachlassbestand getroffen. Insbesondere hat es nichts dazu ausgeführt, welche Grundflächen in welcher Größe und welcher Nutzungsart hierzu gehören. Lediglich auf S. 4 des angefochtenen Beschlusses findet sich ein Hinweis auf zugrunde gelegte katasteramtliche Richtwerte, die das Landgericht wohl der Nachlassakte entnommen hat.

b) Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht Gelegenheit, die gebotenen tatrichterlichen Feststellungen zum Umfang des Nachlasses und damit zur Höhe des Regressanspruchs der Staatskasse nachzuholen. Dabei wird es sich mit der Begründung der Erstbeschwerde auseinanderzusetzen haben, mit der die Nachlasspflegerin den vom Amtsgericht zugrunde gelegten Wert beanstandet hat bzw. dem Nachlass jeglichen faktischen Vermögenswert abgesprochen hat. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die pauschale Behauptung der Nachlasspflegerin, die Grün- und Ackerflächen seien allenfalls zu einem "symbolischen" Wert veräußerbar, allerdings nicht ohne weiteres geeignet ist, die Vermutung der Richtigkeit amtlicher Richtwerte für landwirtschaftlich bzw. forstwirtschaftlich nutzbare Flächen zu entkräften. Insoweit wird es maßgeblich darauf ankommen, ob die Nachlasspflegerin substantiiert darzulegen vermag, welche konkreten Gründe einer marktgerechten Veräußerung der Grundflächen entgegen stehen. Verbleiben hiernach Zweifel, kann ggf. die Einholung eines Verkehrswertgutachtens geboten sein, wobei allerdings aus Sicht der Staatskasse die Weiterverfolgung des Regressanspruchs, gemessen am Aufwand und Ertrag einer solchen Maßnahme, kritisch geprüft werden sollte.

Ergeben danach die Überprüfungen des Landgerichts, dass ein den Freibetrag des § 92c Abs. 3 Nr. 1 BSHG übersteigendes Nachlassvermögen - bezogen auf den Zeitpunkt des Erbfalls - vorhanden ist, wird es den von den unbekannten Erben zu erhebenden Regressanspruch in entsprechender Höhe festzusetzen haben.

4. Hinsichtlich der weiteren Verfahrensbehandlung sieht sich der Senat vorsorglich zu folgenden Hinweisen veranlasst.

a) Mit der vorläufigen Festsetzung des Regressanspruchs wird den berechtigten Interessen der Staatskasse insofern Rechnung getragen, als ein Anspruchsuntergang durch bloßen Zeitablauf vermieden wird. Es muss jedoch andererseits sicher gestellt werden, dass den unbekannten Erben die gesetzliche Möglichkeit, eine subjektive Haftungsbeschränkung geltend zu machen, nicht abgeschnitten wird. Wie bereits ausgeführt, kommen dem Erben gem. § 1836e Abs. 1 S. 3 BGB a.F. die in seiner Person liegenden Haftungserleichterungen des § 92c Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3 BSHG zugute, wonach etwa eine Inanspruchnahme im Falle einer besonderen Härte zu unterbleiben hat. Der Umstand, dass derzeit die Identität des oder der Erben nicht feststeht, kann entgegen der Auffassung des Bezirksrevisors nicht dazu führen, dass die Berücksichtigung persönlicher Belange ersatzlos entfällt. Ein sachlicher Grund für eine solche Benachteiligung ist nicht ersichtlich. Reicht der Wert des Nachlasses aus, einen Erstattungsanspruch gegen die unbekannten Erben festzusetzen, wird ihnen deshalb in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 305, 780 ZPO die nachträgliche Geltendmachung einer subjektiven Haftungsbeschränkung nach § 92c Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3 BSHG vorzubehalten sein. Dieser Vorbehalt ist der Klarstellung halber bzw. um spätere Divergenzen hinsichtlich der Rechtskraft eines zu erlassenden Festsetzungsbeschlusses zu vermeiden, ausdrücklich in den Tenor der Entscheidung aufzunehmen.

b) Die nach § 56g FGG festgesetzten Ansprüche werden gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4b JBeitrO nach den Bestimmungen der Justizbeitreibungsordnung beigetrieben. Nach § 8 Abs. 2 S. 1 JBeitrO gelten für die Einwendungen einer beschränkten Erbenhaftung (§§ 781ff ZPO) die Vorschriften der §§ 767, 769, 770 ZPO sinngemäß. Sollte die Staatskasse vor Ermittlung der Erben Beitreibungsmaßnahmen vornehmen, wäre es Sache der Nachlasspflegerin, durch geeignete Anträge beim Vormundschaftsgericht einen Vollstreckungsaufschub zu erwirken bzw. im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO i.V.m. § 8 Abs. 2 S. 2 JBeitrO) Einwendungen zu erheben. Selbst nach dem förmlichen Abschluss eines Beitreibungsverfahrens käme in entsprechender Anwendung des § 767 ZPO ggf. noch die Erhebung einer sog. verlängerten Vollstreckungsgegenklage - in Gestalt einer Leistungsklage wegen ungerechtfertigter Vollstreckung - in Betracht (vgl. BGHZ 83, 278, 280; BGHZ 99, 292, 294; Münchener Kommentar-Schmidt, ZPO, 2. Aufl., § 767 Rn. 21 mit weit. Nachw.).

Ende der Entscheidung

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