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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 19.12.2002
Aktenzeichen: 1 N 501/01
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 6
VwGO § 42 Abs. 2
BauGB § 2 Abs. 2
BauGB § 1 Abs. 6
BauGB § 1 Abs. 4
Zur Antragsbefugnis in einem Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO, mit dem sich eine Gemeinde mit zentralörtlicher Funktion gegen die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebietes auf dem Gebiet einer Nachbargemeinde ohne zentralörtliche Funktion wendet.
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT -1. Senat- Beschluss

1 N 501/01

In dem Normenkontrollverfahren

wegen Baurechts,

hier: einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO

hat der 1. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Strauch, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Husch sowie die Richterin am Oberverwaltungsgericht Preetz

am 19. Dezember 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag, den vorhabenbezogenen Bebauungsplan "Die Gewalt III/Teilbereich A" der Antragsgegnerin bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag der Antragstellerin außer Vollzug zu setzen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000,- DM (umgerechnet 12.782,2970 Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen den Vollzug des am 12. Februar 2001 in Kraft getretenen vorhabenbezogenen Bebauungsplan "Die Gewalt III/Teilbereich A" der Antragsgegnerin.

Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin sind benachbarte Gemeinden. Der Antragstellerin ist nach dem Landesentwicklungsprogramm Thüringen die Funktion eines Mittelzentrums zugewiesen; die Antragsgegnerin hat 3.400 Einwohner und liegt im Verflechtungsbereich der Antragstellerin.

Der Gemeinderat der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung am 19. September 1994 (Beschluss-Nr. 19/03/94), "einen Vorhaben- und Erschließungsplan" für das Mischgebiet "Die Gewalt" (WG III) im Ortsteil Bollstedt durch einen Investor aufstellen zu lassen. Mit Schreiben vom 27. Januar 1995 wurden die Träger öffentlicher Belange, darunter die Antragstellerin, über die öffentliche Auslegung des Planentwurfs informiert und gebeten, innerhalb eines Monats eine Stellungnahme abzugeben.

Die Antragstellerin teilte mit Schreiben vom 9. Februar 1995 mit, dass der "Vorhaben- und Erschließungsplan" nicht den Zielen des Landesentwicklungsprogrammes und dem regionalen Raumordnungsplan Nordthüringen entspreche, in denen für die ländlichen Bereiche um Bollstedt festgelegt sei, dass nur eine ortsangepasste Eigenentwicklung möglich sei und kein Bauflächenzuwachs erfolgen solle. Der vorliegende Plan weise außerhalb der Ortslage ein großes Wohngebiet mit erheblichem Bauflächenzuwachs aus; auch sei davon auszugehen, dass weitere Teilbereiche bebaut werden sollten. Eine derartige Planung beeinträchtige ihre - der Antragstellerin - Strukturentwicklung als Mittelzentrum. Dem Plan könne daher nicht zugestimmt werden.

Das Thüringer Landesverwaltungsamt nahm mit Schreiben vom 19. Oktober 1995 aus regionalplanerischer Sicht Stellung und führte aus, dass dem mittelfristigen Wohnflächenbedarf der Gemeinde Weinbergen bereits mit den in Realisierung befindlichen Wohngebieten im Ortsteil Bollstedt und im Ortsteil Höngeda mit einer Größe von insgesamt ca. 18ha entsprochen werde. Die nun beabsichtigte Erschließung einer weiteren Wohnbaufläche im Ortsteil Bollstedt sei nur möglich, wenn eine entsprechende Reduzierung der bereits genehmigten und in Realisierung befindlichen Wohnbaufläche Höngeda erfolge. Zu beachten sei, dass das vorgesehene Baugebiet als allgemeines Wohngebiet auszuweisen sei; die Notwendigkeit der Ausweisung eines Mischgebietes sei nicht nachvollziehbar.

Am 26. März 1998 (Beschluss-Nr. 194/38/98) beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin "die 1. Änderung zum "Vorhaben- und Erschließungsplan" "Die Gewalt III"; der Beschluss sah die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebietes vor.

Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 6. April 1998 erfolgte eine erneute Beteiligung der Träger öffentlicher Belange. Das Thüringer Landesverwaltungsamt wies mit Schreiben vom 2. Juni 1998 aus raumordnerischer Sicht auf Bedenken auch gegen den geänderten Entwurf hin. Die Antragstellerin führte mit Schreiben vom 14. Mai 1998 aus, dass die auch im neuen Planentwurf vorgesehene Ausweisung von Wohnbauflächen das Maß zur Deckung des Eigenbedarfs überschreite. Die Planung beeinträchtige die Strukturentwicklung Mühlhausens, da die Abwanderung der Wohnbevölkerung ins Umland gefördert werde. Unter dem 16. Februar 1999 teilte das Thüringer Landesverwaltungsamt mit, dass aus raumordnerischer Sicht gegen den Entwurf des Bebauungsplanes "Die Gewalt III" keine weiteren Bedenken mehr bestünden, nachdem der Forderung nach Begrenzung der Wohneinheiten Rechnung getragen und zu dem Bebauungsplan "Hinter der Kirche" in Höngeda ein Änderungsverfahren eingeleitet worden sei.

Mit Beschluss vom 18. Februar 1999 (Beschluss-Nr. 220/46/99) entschied der Gemeinderat der Antragsgegnerin über die Anregungen und Bedenken der Bürger sowie die Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange; zugleich wurde der "vorhabenbezogene" Bebauungsplan "Die Gewalt III" (1. Änderung) als Satzung beschlossen.

Nachdem das Thüringer Landesverwaltungsamt die Genehmigung des Bebauungsplanes "Die Gewalt III" u. a. deswegen verweigert hatte, weil der Durchführungsvertrag mit dem Bauträger nicht vor dem Satzungsbeschluss geschlossen worden war, hob der Gemeinderat der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 9. Dezember 1999 (Beschluss-Nr. 24/05/99) seinen Satzungsbeschluss vom 18. Februar 1999 auf. Mit weiterem Beschluss vom selben Tag (Nr. 25/05/99) entschied er erneut über die Anregungen und Bedenken der Bürger sowie die Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange und beschloss den "vorhabenbezogenen" Bebauungsplan "Die Gewalt III" (1. Änderung) erneut als Satzung.

Am 13. Dezember 1999 schloss die Antragsgegnerin mit der R Bauträger GmbH einen Durchführungsvertrag zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan "Die Gewalt III", der mit Nachtrag vom 10. November 2000 geändert wurde. Gegenstand des Vertrages war das Vorhaben "Erschließung und Bebauung der Grundstücke im Vertragsgebiet mit Ein-/Zweifamilien- und Reihenhäusern" angegeben.

Am 2. Juni 2000 wurde der Beschluss des Gemeinderats der Antragsgegnerin vom 26. März 1998 über die 1. Änderung des Bebauungsplanentwurfs "Die Gewalt III" im Weinbergener Heimatboten und durch Aushang erneut bekannt gemacht.

Der Gemeinderat der Antragsgegnerin fasste am 3. August 2000 (Beschluss-Nr. 55/08/00) einen erneuten Abwägungsbeschluss. Zu den von der Antragstellerin bereits 1995 und 1998 vorgebrachten Bedenken wurde Stellung genommen; ergänzend zu den Ausführungen im Abwägungsbeschluss vom 18. Februar 1999 (Beschluss-Nr. 220/46/99) wurde ausgeführt, dass ein Landesentwicklungsprogramm nicht existiere; es sei auch nicht Aufgabe der Antragstellerin, ihren - der Antragsgegnerin - Bedarf an Wohnflächen einzuschätzen. Gleichzeitig wurde der "vorhabenbezogene" Bebauungsplan "Die Gewalt III" (I. Änderung) als Satzung beschlossen. Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 4. August 2000 das Abwägungsergebnis mit.

Das Thüringer Landesverwaltungsamt genehmigte mit Bescheid vom 13. November 2000 den von der Antragsgegnerin am 3. August 2000 (Beschluss-Nr. 55/08/00) als Satzung beschlossenen vorhabenbezogenen Bebauungsplan für das Wohngebiet "Die Gewalt III/Teilbereich A"; der Bescheid war mit einigen Nebenbestimmungen versehen. Der Gemeinderat der Antragsgegnerin fasste am 30. November 2000 einen Beitrittsbeschluss (Beschluss-Nr. 70/11/00). Das Thüringer Landesverwaltungsamt bestätigte unter dem 12. Januar 2001 die Erfüllung der Nebenbestimmungen. Die Genehmigung sowie die Bestätigung des Thüringer Landesverwaltungsamtes wurden am 1. Februar 2001 im Weinbergener Heimatboten und durch Aushang bekannt gemacht.

Am 28. Juni 2001 hat sich die Antragstellerin mit einem Normenkontrollantrag (1 N 401/01) an das beschließende Gericht gewandt; am 30. Juli 2001 hat sie um einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO nachgesucht.

Die Antragstellerin trägt vor, eine einstweilige Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile geboten. Es bestehe die Gefahr, dass Einwohner aus ihrem Gemeindegebiet nach Weinbergen abwanderten. Auch drohe die Gefahr, dass vollendete Tatsachen geschaffen würden, denn ihr sei nicht zuzumuten, gegen eine Vielzahl von Baugenehmigungen vorzugehen. Ihr Normenkontrollantrag sei zulässig, denn sie werde durch den Bebauungsplan "Die Gewalt III" in ihren Rechten verletzt. Die Antragsgegnerin habe gegen das Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB und gegen ihre - der Antragstellerin - Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 GG) verstoßen. Der Antrag sei auch begründet. Die Antragsgegnerin habe das erforderliche Abwägungsmaterial nicht vollständig zusammengestellt und ihre - der Antragstellerin - Belange nicht hinreichend gewichtet. Sie habe weit über ihren Bedarf hinaus Wohneinheiten geplant. Einschließlich des streitgegenständlichen Bebauungsplanes habe sie in ihren Ortsteilen Bollstedt und Höngeda insgesamt 5 Bebauungspläne aufgestellt, die Wohnbauland auswiesen, ohne dass eine entsprechende Nachfrage bestehe. Zwei Bebauungsgebiete der Antragsgegnerin seien kaum bebaut, auch bestünden Baulücken in den Ortslagen der Antragsgegnerin. Überdies habe sie - die Antragstellerin - selbst in einer Reihe von bereits in Kraft getretenen und noch in der Aufstellungsphase befindenden Bebauungsplänen Wohnbauland ausgewiesen, was die Antragsgegnerin nicht berücksichtigt habe. Die Antragsgegnerin trage vielmehr zur verstärkten Abwanderung der Wohnbevölkerung aus Mühlhausen bei. Nach Recherchen ihres Einwohnermeldeamtes seien in der Zeit vom 1. Januar 1990 bis zum 8. Juni 2001 704 Bürger aus Mühlhausen nach Weinbergen umgezogen; demgegenüber seien nur 429 Bürger von Weinbergen nach Mühlhausen verzogen. Auch heiße es in der Begründung zum Entwurf des Bebauungsplanes "Die Gewalt III", dass sich eine erhöhte Nachfrage - nach Wohnbauflächen - aus der randnahen Lage zur Kreisstadt Mühlhausen ergebe. Die Antragsgegnerin habe weiter nicht berücksichtigt, dass die von ihr - der Antragstellerin - bei der Umsetzung ihrer eigenen Planungen für die Erschließung aufgewandten und noch aufzuwendenden Mittel wegen der Abwanderung der Wohnbevölkerung nutzlose Aufwendungen wären. Es habe auch nicht, wie vom Thüringer Landesverwaltungsamt gefordert, eine Kompensation des Überhangs an Wohneinheiten im Gebiet des Bebauungsplanes "Die Gewalt III" durch Verringerung der Wohneinheiten im Ortsteil Höngeda stattgefunden. Nach dem Regionalen Raumordnungsplan Nordthüringen solle der Bedarf für Wohnbauflächen zwischen 2 bis 3 ha je 1000 Einwohner liegen. Für Weinbergen könnten danach ca. 8 ha, für Höngeda ca. 2 ha Wohnbauflächen ausgewiesen werden. In Höngeda seien indes unter Berücksichtigung der beschlossenen Reduzierung ca. 15ha Wohnbaufläche ausgewiesen. Der Bebauungsplan "Die Gewalt III" verstoße danach auch gegen den Regionalen Raumordnungsplan Nordthüringen und damit gegen die Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB. Er verstoße überdies auch insofern gegen das interkommunale Rücksichtnahmegebot, als er die ihr - der Antragstellerin - nach dem Regionalen Raumordnungsplan zugewiesene zentralörtliche Funktion missachte. Die Antragsgegnerin habe überdies nicht berücksichtigt, dass sie - die Antragstellerin - als Modellstadt seit der Wende unter Einsatz öffentlicher Fördermittel die Sanierung ihrer denkmalgeschützten Altstadt mit dem Ziel der Bereitstellung kostengünstigen Wohnraums betreibe. Weiter habe die Antragsgegnerin die Folgelasten für die Infrastruktur nicht bedacht. Insofern verstoße der angegriffene Bebauungsplan gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB.

Die Antragstellerin beantragt,

den Bebauungsplan "Die Gewalt III/Teilbereich A" der Antragsgegnerin bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag (1 N 401/01) außer Vollzug zu setzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor, die Antragstellerin mache bereits keine konkreten Nachteile geltend, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigten. Ihr Antrag könne auch deswegen keinen Erfolg haben, weil sie gegen zu erteilende Baugenehmigungen vorgehen könne. Die Antragstellerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass der angegriffene Bebauungsplan gegen den Regionalen Raumordnungsplan verstoße. Die materielle Abstimmungspflicht gemäß § 2 Abs. 2 BauGB finde ihre Grenze im Bereich des Städtebaus. Ein Verstoß gegen das interkommunale Abstimmungsgebot liege überdies nicht vor, denn sie - die Antragsgegnerin - habe die Antragstellerin angehört und ihre Stellungnahme im Planaufstellungsverfahren berücksichtigt. Unzutreffend sei, dass sie - die Antragsgegnerin - Wohnflächen über ihren Eigenbedarf hinaus ausweise. Auch würden Planungen der Antragstellerin nicht beeinträchtigt. Die Ursache für die Abwanderung der Bevölkerung von Mühlhausen nach Weinbergen in der Zeit von 1990 bis 2001 könne nicht ihren - der Antragsgegnerin - Bebauungsplänen angelastet werden. Nach einer Bewegungstabelle seien von 1990 bis 2000 insgesamt 1185 Personen zugezogen und 1022 Personen weggezogen. Die Ursache für die sich verkleinernde Einwohnerzahl Mühlhausens liege ihrer - der Antragsgegnerin - Einschätzung nach hauptsächlich darin begründet, dass Arbeitplätze fehlten und viele Personen wahrscheinlich in die alten Bundesländer verzögen. Soweit ihr - der Antragsgegnerin - bekannt sei, seien alle Grundstücke im Wohngebiet "Hanseviertel" der Antragstellerin verkauft, so dass für die Antragstellerin auch keine nutzlosen Aufwendungen entstünden. Der Grund dafür, dass noch nicht alle Grundstücke bebaut seien, liege nicht in der Abwanderung, sondern in den hohen Verkaufskosten. Sie - die Antragsgegnerin - habe das Anpassungsgebot an die Ziele der Raumordnung nach § 1 Abs. 4 BauGB beachtet; die zuständige Landesbehörde, das Thüringer Landesverwaltungsamt, habe ihrer Planung zugestimmt. Dass sie - die Antragsgegnerin - sich bei der Aufstellung ihres Bebauungspläne "Die Gewalt III" rücksichtslos verhalten habe, begründe die Antragstellerin nicht. Sie werde auch nicht beweisen können, dass die Modellstadt Mühlhausen durch ihre - der Antragsgegnerin - Planungen in ihrer Entwicklung gefährdet sei. Eine Kreisstadt, wie die Antragstellerin, habe immer Lasten der Infrastruktur zu tragen; welche erheblichen Belastungen des Verkehrsnetzes der Bebauungsplan "Die Gewalt III" erwarten lasse, ergebe sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin nicht. Das von der Antragstellerin benannte Flurstück a, Flur 1 der Gemarkung Bollstedt liege nicht im Geltungsbereich des streitgegenständlichen Bebauungsplanes und sei nicht Gegenstand des mit dem Vorhabenträger geschlossenen Durchführungsvertrages.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens nebst einer Heftung sowie die Gerichtsakten des Verfahrens 1 N 401/01 nebst zwei Ordnern Planunterlagen und zwei Heftern, die von der Antragstellerin eingereicht wurden, Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Beratung.

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 6 VwGO bleibt ohne Erfolg.

Der Antragstellerin fehlt bereits die erforderliche Antragsbefugnis. Antragsbefugt im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO ist nur derjenige, der auch im Hauptsacheverfahren antragsbefugt ist. Für die Antragsbefugnis im einstweiligen Anordnungsverfahren gilt nichts anderes als für die Antragsbefugnis im Hauptsacheverfahren (vgl. HessVGH, Beschluss vom 26. November 1999 - 4 NG 1902/99 - NVwZ-RR 2000, S. 655).

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der seit dem 1. Januar 1997 geltenden Fassung kann ein Normenkontrollantrag u. a. von jeder juristischen Person gestellt werden, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in eigenen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. An die Geltendmachung der Rechtsverletzung sind grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen, als sie auch für die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gelten.

Danach genügt ein Antragsteller seiner Darlegungspflicht dann, wenn er hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in seinen Rechten verletzt wird (BVerwG, Urteil vom 24.09.1998 - 4 CN 2.98 - NJW 1999, 592). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Dies gilt zunächst, soweit die Antragstellerin geltend macht, die Antragsgegnerin habe bei Erlass des angegriffenen Bebauungsplanes gegen das in § 2 Abs. 2 BauGB enthaltene interkommunale Abstimmungsgebot verstoßen.

Das Gebot des § 2 Abs. 2 BauGB, die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen, steht in engem Zusammenhang mit § 1 Abs. 6 BauGB. Das interkommunale Abstimmungsgebot stellt sich als eine besondere Ausprägung des Abwägungsgebots dar. Befinden sich benachbarte Gemeinden objektiv in einer Konkurrenzsituation, so darf keine von ihrer Planungshoheit rücksichtslos zum Nachteil der anderen Gebrauch machen. Das Gebot, Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen, ist gesetzliche Ausformung des in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts. § 2 Abs. 2 BauGB liegt die Vorstellung zugrunde, dass benachbarte Gemeinden sich mit ihrer Planungsbefugnis im Verhältnis der Gleichordnung gegenüber stehen. Die Vorschrift verlangt einen Interessenausgleich zwischen diesen Gemeinden und fordert eine Koordination der gemeindlichen Belange. Die Nachbargemeinde kann sich unabhängig davon, welche planerischen Absichten sie für ihr Gebiet verfolgt oder bereits umgesetzt hat, gegen unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf dem benachbarten Gemeindegebiet zur Wehr setzen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 1.August 2002 - 4 C 5.01 - a. a. O.; BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1989 - 4 C 36.86 - BverwGE 84, 209 = BRS 50 Nr. 193); die genannten Auswirkungen müssen sich auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung in der Nachbargemeinde beziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 1995 - 4 NB 42.94 - BRS 57 Nr. 5 = NVwZ 1995, 694).

Die Antragstellerin zeigt keinen nach § 2 Abs. 2 BauGB abstimmungsbedürftigen Sachverhalt auf; sie legt insbesondere nicht dar, dass der angegriffene Bebauungsplan unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung in ihrem Gemeindegebiet haben könnte.

Die bloße Aussage, die Antragsgegnerin habe bei Aufstellung des angegriffenen Bebauungsplanes das interkommunale Abstimmungsgebot missachtet, genügt insoweit nicht. § 2 Abs. 2 BauGB schützt nicht allgemein vor Konkurrenz; demzufolge sind nicht alle Bauleitpläne im nachbargemeindlichen Verhältnis abstimmungsbedürftig. Das Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB setzt vielmehr eine gleichsam grenzüberschreitende Planung voraus, der auf der anderen Seite Rechte (und nicht nur Erwartungen) gegenüber- und entgegenstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1972 - IV C 17.71 - BverwGE 40, 323 = DÖV 1973, 200). Weist eine Nachbargemeinde - wie hier - ein Wohngebiet aus, bedarf es konkreter Anhaltspunkte, um von einer derart grenzüberschreitenden Wirkung der Planung ausgehen zu können. Anders als etwa bei der geplanten Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe i. S. d. § 11 Abs. 3 BauNVO besteht keine gesetzliche Vermutung dafür, dass ein Wohngebiet nachteilige Wirkungen auch auf das Gebiet der Nachbargemeinde haben kann.

Ein i. S. d. § 2 Abs. 2 BauGB abstimmungsbedürftiger Sachverhalt ergibt sich vorliegend auch nicht aus dem Hinweis der Antragstellerin, sie habe selbst mit hohem Kostenaufwand Wohngebiete ausgewiesen und beabsichtige weiterhin die Ausweisung solcher Gebiete. Es bestehen nach ihrem Vorbringen keine Anhaltspunkte dafür, dass und inwiefern ihre Planungen durch den angegriffenen Bebauungsplan der Antragsgegnerin beeinträchtigt werden. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang geltend macht, die Antragsgegnerin weise über ihren Eigenbedarf hinaus Wohnbauflächen aus und erzeuge Druck auf ihren - der Antragstellerin - Wohnungsmarkt, macht sie zunächst nur eine Konkurrenzsituation geltend, die - für sich genommen - keine Auswirkungen gewichtiger Art im dargestellten Sinne zu begründen vermag. Jede Ausweisung eines Gewerbe-, Wohn- oder sonstigen Gebietes hat zur Folge, dass sich die Lage auf dem Grundstücksmarkt - auch in der Nachbargemeinde - verändert (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 24. Juni 1992 - 10 C 12780/90 - BRS 54 Nr. 13). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Gebiet des angegriffenen Bebauungsplanes in unmittelbarer Nähe zum Gebiet der Antragstellerin liegt und dass die Antragsgegnerin nach dem Vorbringen der Antragstellerin eine "Flächenspenderfunktion" für sie wahrnimmt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Umstand gewichtige Auswirkungen auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung im Gemeindegebiet der Antragstellerin haben könnte. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB vor den Folgen einer Bauleitplanung erst - und nur - dann schützt, wenn sie städtebaulich relevant sind. Dies wird in der Rechtsprechung etwa dann angenommen, wenn aufgrund einer Planung in der Nachbargemeinde Verkehrsströme umgelenkt würden oder die wirtschaftliche Existenz von Betrieben bedroht würde, die der verbrauchernahen Versorgung dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1972 - IV C 17.71- a.a.O. und Urteil vom 1. August 2002 - 4 C 5.01 -). In Fällen dieser Art treten Zustände ein, die unter städtebaulichen Gesichtspunkten planungsrechtlich nicht vertretbar wären und bei Verwirklichung der angefochtenen Planung Reaktionen der betroffenen Nachbargemeinde auf Beseitigung dieses Zustandes auslösen können. Anhaltspunkte dafür, dass der Bebauungsplan der Antragsgegnerin Auswirkungen auf das Gemeindegebiet der Antragstellerin haben könnte, die - gleichsam im Gegenzug zur Planung der Antragsgegnerin - eine planerische Folgenbewältigung durch die Antragstellerin erfordern würden, bestehen nicht; allein aus dem Leerstand von Wohnungen ergeben sich derartige Anhaltspunkte jedenfalls nicht. Nichts anderes gilt, soweit die Antragstellerin geltend macht, sie betreibe seit der Wende die Sanierung ihrer Altstadt mit dem Ziel der Bereitstellung kostengünstigen Wohnraums. Die Antragstellerin hat selbst nicht vorgetragen, dass der angegriffene Bebauungsplan ein strukturelles Problem für ihre Innenstadt bedeutete. Ein strukturelles Problem für das Gemeindegebiet der Antragstellerin ist auch nicht anhand der vorgelegten Zahlen absehbar; danach sind im Zeitraum von 1990 bis 2001 704 Bürger von Mühlhausen nach Weinbergen verzogen, während sich 429 Bürger von Weinbergen nach Mühlhausen begeben haben. Es spricht viel dafür, dass sich dieses Verhältnis in Zukunft jedenfalls nicht zum Nachteil der Antragstellerin verändern wird, denn nach ihrem eigenen Vorbringen hat der Bedarf am Neubau von Eigenheimen stark abgenommen. Ein im Sinne des § 2 Abs. 2 BauGB abstimmungsbedürftiger Sachverhalt ergibt sich schließlich weder aus dem Vorbringen der Antragstellerin, sie müsse für die Wohnbevölkerung der Antragsgegnerin die notwendige Infrastruktur vorhalten noch aus ihrem Vortrag, die Bevölkerung der Antragsgegnerin belaste das Verkehrsnetz erheblich. Die Antragstellerin legt nicht auch nur ansatzweise dar, dass und inwiefern ihr durch die beabsichtigte Ausweisung eines Wohngebietes auf dem Gebiet der Antragstellerin unzumutbare Folgelasten entstehen. Anhaltspunkte dafür, dass der Bebauungsplan der Antragsgegnerin Auswirkungen gewichtiger Art auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung im Gemeindegebiet der Antragstellerin haben könnte, ergeben sich auch nicht aus ihren im Laufe des Planaufstellungsverfahrens vorgebrachten Einwänden. Auch dort hat die Antragstellerin lediglich auf eine Beeinträchtigung ihrer Eigenschaft als Mittelzentrum verwiesen, ohne konkrete Auswirkungen aufzuzeigen.

Ein im Sinne des § 2 Abs. 2 BauGB abstimmungsbedürftiger Sachverhalt ergibt sich ferner nicht allein aus dem Umstand, dass der Antragstellerin durch die Thüringer Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Thüringen vom 10. November 1993 (GVBl. S. 709), geändert durch Verordnung vom 27. Januar 1998 (GVBl. S. 25) die Eigenschaft als Mittelzentrum zugewiesen ist (vgl. auch Uechtritz, BauR1999, S. 572). Diese Zentralität, aus der die Antragstellerin das Recht herleitet, sich gegen den Bebauungsplan der Antragsgegnerin zur Wehr zu setzen, ist nicht Ausfluss ihrer kommunalen Planungshoheit, um die es § 2 Abs. 2 BauGB geht (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1989 - 4 C 36.86 - BRS 50 Nr. 193 = BVerwGE 84, 209). Sie ist ihr durch einen außergemeindlichen Planungsträger zugewiesen; die Belange, die sich im zentralörtlichen Prinzip manifestieren, gehören der Ebene der Raumordnung an (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1993 - 4 C 15.92 - BRS 55 Nr. 174). Die Einstufung der Antragstellerin als zentraler Ort vermag ihr auch im Übrigen keine Schutzwirkung zu vermitteln (vgl. Senatsbeschluss vom 23. April 1997 - 1 EO 241/97 - ThürVGRspr. 1997, 129 = ThürVBl. 1997, 277 = LKV 1997, 372). Das Landesentwicklungsprogramm Thüringen stellt lediglich den räumlichen Orientierungsrahmen für das gesamte Landesgebiet dar und zeigt raumbedeutsame Eckpunkte für die künftige Landesentwicklung auf (vgl. Teil C Nr. 1), ohne Rechte oder Pflichten zu begründen. Insofern führt auch der Hinweis der Antragstellerin auf die Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz nicht weiter, nach der sich aus dem dortigen Landesplanungsrecht eine Erweiterung des Gebots der interkommunalen Rücksichtnahme in dem Sinne ergebe, dass die planende Gemeinde verpflichtet sei, eine zentralörtliche Funktion der Nachbargemeinde bei der Planaufstellung zu berücksichtigen. Diese Rechtsprechung ist inzwischen im Übrigen aufgegeben worden. Nach der neueren Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz kann jedenfalls so lange auch aus dem rheinland-pfälzischen Landesplanungsrecht ein besonderes Gebot interkommunaler Rücksichtnahme nicht mehr hergeleitet werden, als die Zuweisung einer zentralörtlichen Funktion nicht in dem bundesrechtlich vorgeschriebenen Verfahren erfolgt ist (vgl. Urteil vom 24. Juni 1992 - 10 C 12780/90 - a. a. O.).

Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin erscheint auch nicht im Hinblick darauf möglich, dass sie geltend macht, die Antragsgegnerin habe ihre Interessen unter Verstoß gegen das "einfache" Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB missachtet. Zwar kommt diesem Abwägungsgebot drittschützender Charakter hinsichtlich privater Belange zu, die für die Abwägung erheblich sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BRS 60 Nr. 46 = BVerwGE 107, 215). Private Belange stehen im vorliegenden Fall jedoch nicht in Rede. Verfahrensrechtlich wurde die Antragstellerin als Trägerin öffentlicher Belange am Bauleitplanverfahren der Antragsgegnerin beteiligt (vgl. Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB [Loseblattsammlung, Stand 8/2002] § 4 BauGB, Rdnr. 10); als solche kann sie sich ebenso wenig wie andere Träger öffentlicher Belange auf eine Verletzung des sich aus § 1 Abs. 6 BauGB ergebenden Abwägungsgebots berufen. Etwas anderes gilt dann, wenn ein qualifizierter Abstimmungsbedarf gemäß § 2 Abs. 2 BauGB besteht; für dessen Erforderlichkeit liegt indes - wie dargelegt - nichts vor.

Eine mögliche Rechtsverletzung der Antragstellerin ergibt sich schließlich nicht aus ihrem Vorbringen, der angegriffene Bebauungsplan verstoße gegen raumordnerische Vorgaben, indem er Wohnflächen vorsehe, die über den Eigenbedarf der Antragsgegnerin hinausgingen (§ 1 Abs. 4 BauGB). Die Ziele der Raumordnung und Landesplanung dienen nicht den Interessen einzelner Gemeinden, sondern übergeordneten Planungsinteressen; die Gemeinden können deshalb die Einhaltung dieser Ziele durch eine Nachbargemeinde oder Baugenehmigungsbehörde grundsätzlich nicht beanspruchen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1993 -4 C 15.92 - BRS 55 Nr. 174; Senatsbeschluss vom 23. April 1997 -1 EO 241/97- ThürVGRspr. 1997, 129 = ThürVBl. 1997, 277 = LKV 1997, 372; OVG Bautzen, Urteil vom 26. Mai 1993 - 1 S 68/93 - LKV 1994, 116; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Februar 1987 - 5 S 2472/86 - BRS 47 Nr. 24).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in der bis zum 31.12.2001 geltenden und hier gemäß § 73 Abs. 1 GKG noch anzuwendenden Fassung. Der Senat bewertet das Interesse der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren, dem Normenkontrollverfahren, mit 50.000,- DM. Dieser Betrag ist im vorliegenden Eilverfahren um die Hälfte zu ermäßigen.

Hinweis:

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 5 Abs. 2 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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