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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.04.2009
Aktenzeichen: 1 ZO 165/09
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, RGebStV


Vorschriften:

VwGO § 166
VwGO § 188 S. 2
ZPO § 114
RGebStV § 6 Abs. 1
RGebStV § 6 Abs. 3
Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten um die Befreiung von Rundfunkgebühren sind gerichtskostenfrei (Änderung der Senatsrechtsprechung: vgl. bisher Urteil vom 20.11.2004 - 1 KO 867/01 -ThürVBl. 2005, 87).
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 1. Senat - Beschluss

1 ZO 165/09

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Rundfunk- und Fernsehrecht einschl. Gebührenbefreiung,

hier: Beschwerde (PKH) nach Klage

hat der 1. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Schwan und die Richter am Oberverwaltungsgericht Schneider und Dr. Hinkel am 15. April 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe im Beschluss des Verwaltungsgerichts Gera vom 11. Februar 2009 - 3 K 576/07 Ge - wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klägerin zu Recht Prozesskostenhilfe versagt.

Gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Klägerin ist zwar nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Sie hat diese Voraussetzung unter Berücksichtigung der Aufforderung des Senats, eine aktuelle Erklärung zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen fristgerecht vorzulegen, hinreichend glaubhaft gemacht.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung bietet im Sinne des § 114 ZPO aber keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht überspannt werden. Denn diese Prüfung soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 ZPO, in dem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.08.2001 - 2 BvR 569/01 -DVBl. 2001, 1748, 1749). Deshalb ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Erfolgs nicht erforderlich; es genügt bereits eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Eine entfernte Erfolgschance reicht jedoch nicht aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.01.1994 - 1 A 14.92 - Buchholz 310 § 166 Nr. 33).

Bei summarischer Prüfung bietet die Rechtsverfolgung in diesem Sinne keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn an der Rechtmäßigkeit des Bescheids des Beklagten vom 17.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2007 bestehen keine Bedenken, die bei summarischer Prüfung den Ausgang des Rechtsstreites und damit den Erfolg der Klage als offen erscheinen lassen.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht gemäß § 6 Abs. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV), weil sie im maßgebenden Zeitraum keinen Bezug der dort genannten Leistungen nachgewiesen habe. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung auf sie komme nicht in Betracht. Eine Befreiung komme auch nicht gemäß § 6 Abs. 3 RGebStV wegen eines besonderen Härtefalles in Frage. Ein solcher Härtefall sei nicht ersichtlich.

Der Angriff der Klägerin, bei ihr liege ein besonderer Härtefall vor, greift nicht durch. § 6 Abs. 3 RGebStV bestimmt insoweit, dass die Rundfunkanstalt unbeschadet der Befreiung nach Absatz 1 in besonderen Härtefällen von der Rundfunkgebührenpflicht befreien kann.

Anders als die Klägerin unter Hinweis auf Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Weimar und Göttingen meint, ist die genannte Bestimmung nicht - wie inzwischen höchstrichterlich geklärt - auf solche Fälle anzuwenden, in denen der Betroffene dem Grunde nach Anspruch auf die in § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV genannten Leistungen hätte, einen diesbezüglichen Antrag aus welchen Gründen auch immer, nicht stellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.06.2008 - 6 B 1.08). Unabhängig davon, dass die Klägerin nach ihren eigenen Aussagen die von ihr selbst als zutreffend behaupteten rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, erfasst die Vorschrift nämlich nur solche bei Normerlass übersehenen oder noch nicht erkennbar gewesenen Fallkonstellationen und -gruppen, die nach dem vom Normgeber verfolgten Regelungskonzept des § 6 Abs. 1 RGebStV konsequenterweise in den Katalog der Befreiungsgründe hätten aufgenommen werden müssen (Beschluss des Senats vom 25.07.2007 - 1 EO 464/07 - nicht veröffentlicht; NdsOVG, Beschluss vom 18.07.2006 - 12 LC 87/06 - NdsVBl 2006, 337; BayVGH, Urteil vom 16.05.2007 - 7 B 06.2642 -NVwZ-RR 2008, 257; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.06.2007 - 16 E 294/07 - zit. nach Juris; VGH BW, Urteil vom 15.01.2009 - 2 S 1949/08 -zit. nach Juris). Dazu zählt etwa der Bezug spezieller Sozialleistungen, die eine den Katalogfällen vergleichbare Bedarfslage verlangen und den dort aufgezählten Leistungsansprüchen rechtlich vorgehen. In diesem Sinne ist auch die von der Klägerin aus den Gesetzgebungsmaterialien aufgegriffene Formulierung der "vergleichbaren Bedürftigkeit" zu verstehen. Dass die Klägerin einer solchen "übersehenen" Fallgruppe unterfiele, trägt sie nicht vor und ist auch nicht ersichtlich.

Nicht eröffnet werden sollte durch diese Norm hingegen eine Prüfung eines besonderen Härtefalls in jedem Einzelfall. Ein geringes Einkommen allein begründet seit der Neuregelung der Rundfunkbefreiung zum 01.04.2005 nämlich keinen besonderen Härtefall im Sinne des § 6 Abs 3 RGebStV mehr; ansonsten würde das Ziel der Neuregelung, durch die Ausgestaltung der Befreiungsmöglichkeit als bescheidgebunden den Rundfunkanstalten bei Befreiungsanträgen regelmäßig eigene Feststellungen und Berechnungen zu den Einkommensverhältnissen der Rundfunkteilnehmer zu ersparen, verfehlt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.02.2008 - 7 D 11158/07 - zit. nach Juris m. w. N.).

Gegen die bescheidgebundene Ausgestaltung der Befreiungsmöglichkeit für einkommensschwache Personen bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, die eine weitere - verfassungskonforme - Auslegung der Härtefallvorschrift des § 6 Abs. 3 RGebStV gebieten könnten. Sie verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Für die rundfunkgebührenrechtliche Ungleichbehandlung von Empfängern der in § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV genannten Sozialleistungen gegenüber anderen einkommensschwachen Personen, die solche Sozialleistungen nicht beziehen - weil sie die Voraussetzungen für den Empfang dieser Leistungen nicht erfüllen oder weil sie diese Leistungen bewusst nicht in Anspruch nehmen -, bestehen vielmehr sachliche Gründe von hinreichendem Gewicht. Dem mit der Neuregelung der Befreiungsmöglichkeit verfolgten Ziel der Verfahrensvereinfachung - nämlich die Befreiung nur bei bescheidgebundener Feststellung der Bedürftigkeit zu eröffnen - kommt nämlich gerade unter den bei der Rundfunkgebührenerhebung vorliegenden Bedingungen einer Massenverwaltung besondere Bedeutung zu (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 18.06.2008 - 6 B 1.08).

Sofern die Klägerin die Ungleichbehandlung mit der Begründung geltend macht, sie habe mit den Einkünften aus ihrer Rente und Wohngeld weniger finanzielle Mittel zur Verfügung, als ein Empfänger von Arbeitslosengeld II, ist dies weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht nachvollziehbar.

Denn in erster Linie maßgeblich sind für sie die Vergleichsgruppen der nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 RGebStV befreiten Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII oder der Grundsicherung im Alter nach dem vierten Kapitel des SGB XII, das hinsichtlich des Leistungsumfangs auf das dritte Kapitel des SGB XII verweist (vgl. § 42 SGB XII). Dass die Klägerin als Empfängerin einer dieser Leistungen mehr Geld zur Verfügung hätte als mit ihrer Altersrente und dem Wohngeld zusammen, hat sie mit ihrer Behauptung, nach ihren Erkundigungen habe sie keinen solchen Anspruch, widerlegt. Im Übrigen bleibt ihr insoweit die Möglichkeit, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Eine Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren erübrigt sich, da Gerichtskosten gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben und außergerichtliche Kosten gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden.

Soweit der Senat im Urteil vom 30.11.2004 - 1 KO 867/04 - die Gerichtskostenfreiheit für verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten über die Befreiung von der Rundfunkgebühr verneint hat, beruhte dies auf der Auslegung früher geltenden Rechts. Der Senat hält an dieser Auffassung nicht mehr fest.

Denn zum einen hat der Gesetzgeber mit der Rechtsänderung durch Art. 2 des Gesetzes vom 09.12.2004 (BGBl. I S. 3302) den weit auszulegenden Begriff der "Fürsorge" in § 188 Satz 1 VwGO (wieder) eingefügt. In den Gesetzesmaterialien findet sich insoweit der Hinweis, dass Streitigkeiten über die Befreiung von Rundfunkgebühren hiervon erfasst sein sollen (vgl. BT-Drucks. 15/3867 S. 4). Zum anderen hängt die Befreiung - wie § 6 Abs. 1 RGebStV in der seit 01.04.2005 geltenden Fassung zeigt - regelmäßig davon ab, dass bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten werden. Darin kommt der fürsorgerische Gedanke des Rechts der Befreiung von Rundfunkgebühren zum Ausdruck, weshalb dieses Sachgebiet der Gerichtskostenfreiheit unterfällt (vgl. Kopp/Schenke: Komm. zur VwGO, 15. Aufl. § 188 RdNr. 2; Stelkens/Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner: Komm. zur VwGO, § 188 RdNr. 7 m. w. N.).

Hinweis:

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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