Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.03.2003
Aktenzeichen: 2 EO 688/02
Rechtsgebiete: VwGO, StVG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
StVG § 4 Abs. 3 Satz 2
StVG § 4 Abs. 4 Satz 2
StVG § 4 Abs. 4 Satz 4
StVG § 4 Abs. 5
StVG § 4 Abs. 7
Für eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG kommt es für die Bestimmung, wann sich 18 oder mehr Punkte "ergeben" bzw. wann diese Punktzahl "erreicht" ist, auf den Tag der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit an.
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 2. Senat - Beschluss

2 EO 688/02

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Recht der Fahrerlaubnisse einschließlich Fahrerlaubnisprüfungen,

hier: Beschwerde nach §§ 80, 80a VwGO

hat der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Bathe als Vorsitzenden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Schneider und den an das Gericht abgeordneten Richter am Verwaltungsgericht Gith

am 12. März 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 6. September 2002 - 2 E 502/02.Me - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Rechtszüge auf jeweils 4.000,00 EU R festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der bis Juli 2002 als Berufskraftfahrer beschäftigt war, ist Inhaber der Fahrerlaubnisse der Klassen 1 bis 5, die den Klassen A, C, CE, C1E, C1, BE, B, L, M und T nach neuer Bezeichnung entsprechen.

Nach mehreren straßenverkehrsrechtlichen Verstößen in den Jahren 1997 und 1998, die mit insgesamt 11 Punkten nach dem Punktekatalog bewertet wurden, verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller erstmals im Mai 1999. Nach der freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar wurden ihm 2 Punkte gestrichen.

Kurz nach dem Aufbauseminar beging der Antragsteller im Mai 1999 und im Juni 2000 erneut eine Verkehrsordnungswidrigkeit bzw. eine Straftat, die zusammen mit 6 Punkten bewertet wurden. Im April 2001 verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller bei einem Stand von 15 Punkten ein weiteres Mal.

Am 20. August 2001 beging der Antragsteller einen mit 3 Punkten zu bewertenden Verkehrsverstoß. Die hierzu ergangene Bußgeldentscheidung wurde am 5. Februar 2002 rechtskräftig.

Unter dem 7. Dezember 2001 wurde dem Antragsteller bescheinigt, an einer verkehrspsychologischen Beratung teilgenommen zu haben.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2002 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller nach dessen Anhörung die Fahrerlaubnis für alle Klassen. Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, der Antragsteller habe mehrere, rechtskräftig festgestellte Verkehrsverstöße begangen, die insgesamt mit 18 Punkten zu bewerten seien. Nach den gesetzlichen Bestimmungen sei deshalb der Führerschein zwingend zu entziehen. Die Teilnahme an der verkehrspsychologischen Beratung führe deshalb nicht zu einem Punkteabbau, weil er im Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung schon 18 Punkte erreicht habe. Die Fahrerlaubnis könne im Übrigen auch deshalb entzogen werden, weil der Antragsteller wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen habe und deshalb seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen sei.

Dagegen erhob der Antragsteller am 16. Juli 2002 Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.

Am selben Tag hat er beim Verwaltungsgericht Meiningen um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, die Entziehung der Fahrerlaubnis sei offensichtlich rechtswidrig. Er habe noch keine 18 Punkte nach dem Punktekatalog erreicht. Ihm sei unter dem 7. Dezember 2001 bescheinigt worden, an einer verkehrspsychologischen Beratung teilgenommen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt habe sein Punktekonto erst 15 Punkte aufgewiesen. Deshalb müssten an diesem Tag zwei Punkte abgezogen werden. Die Entscheidung über die mit drei Punkten zu bewertende Ordnungswidrigkeit vom August 2001 sei erst im Februar 2002 rechtskräftig geworden. Sein Punktekonto weise deshalb nur 16 Punkte auf.

Der Antragsteller hat beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. Juli 2002 anzuordnen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, mit Erlass des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur sei für die Fahrerlaubnisbehörden das "Tattagprinzip" festgelegt worden. Das bedeute, dass bei der Prüfung und Einleitung von Maßnahmen nach dem Punktsystem auf den Tattag und nicht auf die Rechtskraft der den Verkehrsverstoß ahndenden Entscheidung abgestellt werde. Erforderliche Grundlage für eine behördliche Maßnahme sei allerdings immer, dass eine rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit vorliege. Nur dieses Verständnis werde dem Sinn und Zweck des Punktsystems und seinen erzieherischen Maßnahmen gerecht. Im vorliegenden Fall habe der Antragsteller im August 2001 einen Verkehrsverstoß begangen, der mit drei Punkten zu bewerten gewesen sei. Er habe deshalb bereits vor der verkehrspsychologischen Beratung 18 Punkte erreicht.

Mit Beschluss vom 6. September 2002 - 2 E 502/02.Me - hat das Verwaltungsgericht Meiningen den Antrag des Antragstellers abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei summarischer Prüfung seien die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen den angefochtenen Bescheid zwar offen. Die Frage, ob bei der Anwendung des Punktsystems auf den Tattag oder auf das Ausstellungsdatum über die Teilnahme an der verkehrspsychologischen Beratung abzustellen sei, sei eine schwierige, im Rahmen des Eilverfahrens nicht klärbare Rechtsfrage. Die Abwägung der auf dem Spiele stehenden Interessen, die für oder gegen eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprächen, falle aber zu Lasten des Antragstellers aus. Dieser habe durch seine zahlreichen und erheblichen Verkehrsverstöße gezeigt, dass er eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer sei.

Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 13. September 2002 zugestellt.

Am 23. September 2002 hat der Antragsteller gegen diesen Beschluss beim Verwaltungsgericht Meinigen Beschwerde erhoben. In seiner Begründung vom 11. Oktober 2002 trägt er vor, das Gericht habe seine Entscheidung zu Unrecht auf eine Interessenabwägung gestützt. Denn das Gesetz regele unmissverständlich, dass für den Punktestand das Ausstellungsdatum der Teilnahmebescheinigung maßgeblich sei. Die vom Gericht aufgeworfene Rechtsfrage beantworte sich daher eindeutig und ohne Auslegungsspielraum aus dem Gesetz. Es sei auch nicht auf den Tattag, sondern auf die Rechtskraft der Entscheidung über eine Verkehrsstraftat oder -ordnungswidrigkeit abzustellen. So stelle das Gesetz bei der Eintragung und bei der Tilgung von Entscheidungen im Verkehrszentralregister auf deren Rechtskraft ab. Dies entspreche auch dem rechtsstaatlichen Grundsatz, nach dem nur rechtskräftig festgestellte Straftaten und Ordnungswidrigkeiten negative Folgen für den Täter zeitigen dürften. Durch seine freiwillige Teilnahme an der verkehrspsychologischen Beratung habe er auch dem Zweck des Gesetzes Genüge getan. Im Übrigen habe das Verwaltungsgericht die auf dem Spiele stehenden Interessen unrichtig abgewogen. So könne aus seiner Bemerkung, er habe an dem Aufbauseminar "zum Punkteabbau" teilgenommen, nicht geschlossen werden, er sei uneinsichtig. Eine Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer sei er nicht.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 6. September 2002 - 2 E 502/02.Me - abzuändern und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. Juli 2002 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigte im Wesentlichen den Beschluss des Verwaltungsgerichts und wiederholte sein erstinstanzliches Vorbringen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze Bezug genommen. Die Akte des Verwaltungsgerichts Meiningen und ein Hefter Behördenakten liegen dem Gericht vor. Sie waren Gegenstand der Beratung.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (vgl. § 147, § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001, BGBl. I S. 3987).

Sie ist aber unbegründet. Gegenstand der Prüfung des Beschlusses durch den Senat sind nach neuem Recht nur die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO n. F.).

Diese Gründe stellen das Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Frage. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Entzieht die Fahrerlaubnisbehörde - wie hier - die Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG haben Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG).

Ob diese gesetzgeberische Wertung auch bei der gerichtlichen Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen ist und dessen Anordnung nur in Betracht kommt, wenn entsprechend § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, kann dahin stehen. Denn auf der Grundlage der Beschwerdegründe spricht bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage mehr für die Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 11. Juli 2002. Das hat zur Folge, dass das öffentliche Interesse am Vollzug dieses Bescheides die Interessen des Antragstellers, hiervon bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens verschont zu bleiben, überwiegt.

Der Antragsgegner hat die Maßnahme auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützt.

Danach muss die Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde entzogen werden, wenn sich bei deren Inhaber 18 oder mehr Punkte ergeben. Die Fahrerlaubnisbehörde ist bei Maßnahmen nach dieser Bestimmung an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG).

Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller vor. Er hatte nämlich unstreitig bis August 2001 mehrere rechtskräftig festgestellte Verkehrsverstöße begangen, die insgesamt mit 15 Punkten zu bewerten waren. Mit dem Verkehrsverstoß vom 20. August 2001, der mit drei Punkten zu bewerten war, hat der Antragsteller insgesamt 18 Punkte erreicht. Die Entscheidung über diese Ordnungswidrigkeit war auch vor der Entziehung der Fahrerlaubnis rechtskräftig geworden.

Dagegen beruft sich der Antragsteller zu Unrecht darauf, der Verkehrsverstoß vom 20. August 2001 könne erst ab der Rechtskraft der Entscheidung im Februar 2002 bei seinem Punktestand berücksichtigt werden. Deshalb müssten ihm wegen seiner Teilnahme an der verkehrspsychologischen Beratung im Dezember 2001, also vor Erreichen von 18 Punkten, gemäß §4 Abs. 4 Satz 2 StVG 2 Punkte abgezogen werden. Insoweit sei die Bestimmung des § 4 Abs. 4 Satz 4 StVG einschlägig. Danach sei für den Punktestand das Ausstellungsdatum der Teilnahmebescheinigung maßgeblich.

Der Antragsteller verkennt allerdings das Regelungsziel des § 4 Abs. 4 Satz 4 StVG.

Diese Vorschrift bestimmt nämlich nicht, wie und von wem der Punktestand bezogen auf diesen Zeitpunkt zu ermitteln ist. Insbesondere regelt sie nicht, wann sich 18 Punkte oder mehr im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG "ergeben" haben bzw. im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 2 StVG "erreicht" sind. Diese Vorschrift bestimmt vielmehr lediglich den maßgeblichen Zeitpunkt für den Punkteabzug und zwar in der Weise, dass hierfür weder der Beginn der verkehrspsychologischen Beratung noch der Zeitpunkt der Vorlage der Teilnahmebescheinigung, sondern das Ausstellungsdatum der Teilnahmebescheinigung entscheidend ist.

Nach Auffassung des Senats haben sich 18 Punkte in dem Zeitpunkt "ergeben" bzw. sind diese in dem Zeitpunkt "erreicht", in dem der Verkehrsverstoß begangen wurde, wenn seine Bewertung zusammen mit vorangegangenen rechtskräftig festgestellten Verstößen nach dem Punktekatalog (vgl. Anlage 13 zu § 40 FeV) 18 Punkte ergeben. Dabei muss aber - um den Anforderungen des § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG Genüge zu tun - vor der Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG die Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit rechtskräftig geworden sein.

Dass es für die Anwendung des Punktsystems auf den Tag der Tat ("Tattagprinzip") und nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft oder gar erst auf den Zeitpunkt der Registrierung der rechtskräftigen Entscheidung durch das Kraftfahrt-Bundesamt im Verkehrszentralregister abzustellen ist, ergibt sich aus Folgendem:

Der Wortlaut der von § 4 Abs. 3 und 4 StVG, der im Zusammenhang mit dem für eine Entscheidung maßgeblichen Punktestand nur von "erreichen" oder "sich ergeben" spricht, lässt dem Wortsinn nach offen, ob der Tattag oder der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft der Entscheidung maßgeblich ist.

Der Sinn und Zweck des "Punktsystems" verlangt jedoch, auf den Tattag abzustellen. So sollte nach dem Willen des Gesetzgebers mit einem nachvollziehbaren, abgestuften System behördlicher Maßnahmen und der Möglichkeit des Punkterabatts bei freiwilligen Fortbildungsmaßnahmen dem Mehrfachtäter die möglichen Folgen seines Fehlverhaltens vor Augen gehalten werden, um erzieherisch auf ihn einzuwirken und präventiv weitere Verkehrsverstöße zu vermeiden (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs vom 8. November 1996: Bundesrat-Drs. 821/96 S. 52). Dabei kommt den in Abhängigkeit von dem jeweiligen Punktestand anzuordnenden Maßnahmen (Verwarnung und Hinweis auf die Möglichkeit eines Aufbauseminars bzw. Verwarnung und Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bzw. 2 StVG) eine Warnfunktion zu. Der Gesetzgeber hat mit § 4 Abs. 5 StVG deutlich gemacht, dass den Mehrfachtäter die Warnung auch erreichen muss. Dies wäre im Einzelfall nicht möglich, wenn man auf die Rechtskraft der Entscheidung abstellen würde. So müsste die Behörde, die in Unkenntnis einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung, die zu insgesamt 18 Punkten führen würde, auf der Grundlage der bislang eingetragenen, rechtskräftigen Verkehrsverstöße eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StVG erlässt, nach Kenntniserlangung von der Rechtskraft der Entscheidung ohne Weiteres zur Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG wechseln. In diesem Falle wäre aber der Fahrerlaubnisinhaber nicht im gesetzlichen Sinne vor dem entscheidenden, zur Fahrerlaubnisentziehung führenden Verkehrsverstoß gewarnt worden und hätte sein Verhalten nicht danach ausrichten können (vgl. hierzu: VG Potsdam, Beschluss vom 31. August 1999 - 10 L 630/99 -). Das Tattagprinzip dient mithin im Rahmen des § 4 Abs. 5 StVG dem Zweck, die nach dem Punktsystem erforderliche Warnung an den Mehrfachtäter und die Möglichkeit einer sich daran anschließenden Verhaltensänderung sicherzustellen. Haben - wie im vorliegenden Fall - die Warnungen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StVG den Mehrfachtäter aber erreicht, bevor er den entscheidenden, die 18-Punktegrenze erreichenden Verkehrsverstoß beging, kann ihm auch das auf Verhaltensänderung gerichtete Rabattsystem des § 4 Abs. 4 StVG nicht mehr zugute kommen. Damit ist im Übrigen auch verhindert, dass Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nur zu dem Zweck eingelegt werden, die Rechtskraft nach einer freiwilligen Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung mit anschließendem Punkterabatt eintreten zu lassen.

Das Tattagprinzip ist dem gesetzlichen Regelungssystem im Übrigen nicht fremd. So stellt gerade die Überleitungsvorschrift des § 65 Abs. 4 Satz 2 StVG für die Anwendbarkeit des Punktsystems nach neuer Rechtslage darauf ab, ob Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nach dem 1. Januar 1999 "begangen worden sind". Auch § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG knüpft für Maßnahmen, die denen des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG ähnlich sind, an den Zeitpunkt der Tatbegehung an und verlangt wie § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG, dass diesen Maßnahmen rechtskräftige Entscheidungen zugrunde liegen (vgl. § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG). Schließlich hat das Punktsystem nach früherer Rechtslage, das durch die Neuregelung des StVG im Jahre 1998 im Wesentlichen nur auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden sollte, den "Tag der Begehung der Tat" zum Ausgangspunkt der Berechnung der Frist gemacht, innerhalb der das Erreichen von 18 Punkten zur Fahrerlaubnisentziehung führte (vgl. § 3 Nr. 3 und 4 VwV zu § 15b StVO a. F.). Es spricht daher viel dafür, dass die Begriffe "erreichen" und "sich ergeben", die auch im früheren Recht verwendet wurden, nach neuem Recht in derselben Weise zu verstehen sind.

Gegen die hier vertretene Auffassung kann auch nicht eingewandt werden, erst mit der Eintragung der rechtskräftigen Entscheidung im Verkehrszentralregister werde der Verstoß vom Kraftfahrt-Bundesamt, das das Verkehrszentralregister führt (vgl. § 28 StVG), verbindlich mit Punkten bewertet. Deshalb müsse auch bezüglich des Punktestandes auf diesen Zeitpunkt abgestellt werden.

Diese Auffassung verkennt, dass die Registrierung rechtskräftiger Entscheidungen nicht zu einer rechtsverbindlichen Bewertung des Verstoßes nach dem Punktekatalog durch das Kraftfahrt-Bundesamt führt. Vielmehr ist der Punktestand nicht vom Kraftfahrt-Bundesamt, sondern aus Anlass der jeweiligen Maßnahme selbständig und eigenverantwortlich von der Fahrerlaubnisbehörde festzustellen. So sind für die Anwendung des Punktsystems, für die allein die Fahrerlaubnisbehörde nach § 4 Abs. 3 StVG zuständig ist, die im Verkehrszentralregister nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVG zu erfassenden Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach der Schwere der Zuwiderhandlungen und nach ihren Folgen mit einem bis zu sieben Punkten nach näherer Maßgabe einer Rechtsverordnung zu bewerten (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 StVG, § 40 FeV). Zur Vorbereitung der Maßnahmen nach Absatz 3 hat das Kraftfahrt-Bundesamt bei Erreichen der betreffenden Punktestände den Fahrerlaubnisbehörden die vorhandenen Eintragungen aus dem Verkehrszentralregister zu übermitteln (vgl. § 4 Abs. 6 StVG). Dem Kraftfahrt-Bundesamt kommt mithin nur die Aufgabe zu, die Punkte aufgrund der Mitteilungen, die es über die Entscheidungen der Gerichte und Verwaltungsbehörden erhält, zu registrieren. Die Registrierung und die Unterrichtung über den Punktestand haben aber keinen rechtlich verbindlichen Charakter (vgl. auch die Begründung des Gesetzentwurfs vom 8. November 1996: Bundesrat-Drs. 821/96 S. 73).

Daraus folgt, dass die Unterrichtung über die eingetragenen Entscheidungen für die Fahrerlaubnisbehörde nur die tatsächliche Grundlage bietet, um straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Der Senat verkennt nicht, dass diese Rechtslage - wie auch im vorliegenden Fall - auf Seiten der Behörde zu Unsicherheiten bezüglich des jeweils aktuellen Punktestands führen kann. Dies ist aber in diesem Regelungssystem angelegt (vgl. auch § 4 Abs. 4 Satz 1 und 2 StVG, wonach Bescheinigungen, die zu einem "Punkterabatt" führen können, innerhalb von drei Monaten vorgelegt werden müssen). Diesen Unsicherheiten wird die Behörde allerdings dadurch abhelfen können, dass sie im Rahmen der Anhörung vor Erlass entsprechender Maßnahmen vom Betroffenen, der ja Kenntnis von einer freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar bzw. an einer verkehrspsychologischen Beratung oder von noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahren gegen bereits begangene Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten hat, erfragt.

Mit der Anknüpfung an den Tattag und nicht an die Rechtskraft der Entscheidung, werden - anders als der Antragsteller meint - auch keine rechtsstaatlichen Grundsätze verletzt.

Denn Grundlage einer Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG muss auch bei der hier vertretenen Auffassung - wie oben festgestellt - eine rechtskräftige Entscheidung über eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit sein. Vor der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG muss also die Entscheidung über den Verkehrsverstoß, mit der die Grenze von 18 Punkten erreicht wird, rechtskräftig geworden sein.

Aufgrund des begrenzten Prüfungsmaßstabes war es im Übrigen nicht Aufgabe des Senates zu bewerten, welche rechtlichen Folgen unter Berücksichtigung des §4 Abs. 1 Satz 2 StVG daraus zu ziehen sind, dass die Behörde - mehr hilfsweise - die Entziehung der Fahrerlaubnis auch mit § 3 Abs. 1 StVG begründet hat. Hierauf hat der Antragsteller seine Beschwerde nicht gestützt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 20 Abs. 3 i. V. m. §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG; die Abänderungsbefugnis ergibt sich aus § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Nach dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die berufliche Nutzung des Führerscheins mit einem Zuschlag von der Hälfte des Regelstreitwertes zu berücksichtigen (vgl. Kopp/Schenke: Kommentar zur VwGO, 13. Aufl., Anhang zu § 164, II. Nr. 45.3 und 45.4).

Hinweis:

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück