Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.08.2003
Aktenzeichen: 2 KO 155/03
Rechtsgebiete: GG, AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

GG Art. 16 a Abs. 1
AuslG § 50 Abs. 2
AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 53 Abs. 1
AuslG § 53 Abs. 2
AuslG § 53 Abs. 3
AuslG § 53 Abs. 4
AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
AsylVfG § 34 Abs. 1 S. 1
AsylVfG § 38 Abs. 1
EMRK Art. 3
1. Aserbaidschanische Staatsangehörige armenischer Volkszugehörigkeit, sowie Ehegatten einer Mischehe und deren Abkömmlinge, unterlagen bis Ende 1999 in Aserbaidschan einer mittelbaren Gruppenverfolgung, die allein an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfte. Eine zumutbare inländische Fluchtalternative in dem Gebiet von Berg-Karabach bestand für sie nicht, da das Gebiet von Aserbaidschan aus nicht ohne erhebliche Gefahr für Leib oder Leben erreichbar war.

2. Die Angehörigen der genannten Gruppe sind nunmehr, seit Beginn des Jahres 2000, im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan dort vor erneut drohender, an ihre Ethnie anknüpfender, mittelbarer Gruppenverfolgung hinreichend sicher.

3. In dem Gebiet von Berg-Karabach besteht für sie im Übrigen eine vom Ausland erreichbare inländische Fluchtalternative. Dort drohen ihnen auch keine anderen Gefahren und Nachteile von vergleichbarem Gewicht.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 2. Senat - Im Namen des Volkes Urteil

2 KO 155/03

Verkündet am 26.08.2003

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts (Aserbaidschan)

hier: Berufung

hat der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Graef, den Richter am Oberverwaltungsgericht Bathe und den an das Gericht abgeordneten Richter am Verwaltungsgericht Gith aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 16. Mai 2001 - 2 K 20840/99.Me - abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kostenschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der jeweils festgesetzten erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 21. August 1982 geborene Klägerin ist aserbaidschanische Staatsangehörige und gibt an, russische Volkszugehörige und großmütterlicherseits armenischer Abstammung zu sein.

Sie hat nach eigenen Angaben Aserbaidschan am 23. Juni 1999 auf dem Luftweg nach Moskau verlassen, von wo aus sie mit dem Zug nach Warschau und am Abend des 25. Juni 1999 mit einem LKW nach Berlin gefahren ist. Am 29. Juni 1999 beantragte sie ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Außenstelle Mühlhausen, am 30. Juni 1999 trug die Klägerin vor, keine Dokumente mehr zu besitzen. Sie sei in den Pass ihrer Mutter eingetragen gewesen, die ein Visum für Polen gehabt habe. Die Pässe seien aber verloren gegangen.

Zu ihren Asylgründen führte sie aus, bis zu den Ereignissen in Nagorny-Karabach hätten alle Bürger unterschiedlicher Abstammung friedlich miteinander gelebt. Die Nachbarn in Baku hätten von ihrer armenischen Verwandtschaft gewusst. Man habe sie in Ruhe gelassen, weil sie schon lange zusammengewohnt hätten. Sie habe aber in der Schule Probleme gehabt. Sie sei sechs Jahre zur Schule gegangen und spreche Russisch und Englisch. In ihrer Schulzeit habe sie noch etwas Aseri verstanden, jetzt sei das nicht mehr der Fall. Sie habe Angst gehabt, in die Schule zu gehen. Sie sei schon in einem Alter gewesen, in dem ihr die Jungen nachgestellt und sie beschimpft hätten. Sie hätten gesagt, Armenier müsse man in ein Konzentrationslager stecken. Die Lehrer hätten zwar so etwas nicht gesagt, sie aber in ihren schulischen Leistungen grundlos schlechter beurteilt. Wegen der Probleme in der Schule sei sie in den vergangenen Jahren nur zu Hause geblieben. Einen Beruf habe sie nicht erlernt. Sie habe sich um den Haushalt gekümmert, da ihre Mutter gearbeitet habe. Ihrem Vater sei im Jahre 1994 gekündigt worden. Nachdem er über einen kurzen Zeitraum eine andere Tätigkeit ausgeübt habe, habe er schließlich als Taxifahrer gearbeitet. Im Jahre 1995 habe man das Haus ihrer Großmutter mütterlicherseits angezündet. Im Oktober 1998 sei ihre Mutter auf dem Weg zur Arbeit verprügelt worden. Ihr Gesicht sei voller Blut und das Auge blau gewesen. Sie habe erzählt, zwei Männer hätten sie verfolgt, zusammengeschlagen und als armenische Hure bezeichnet. Ansonsten hätten sie normal gelebt und keine wirtschaftliche Not gelitten.

Mit Bescheid des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. November 1999 wurde der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte abgelehnt. Es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Im Falle einer nicht freiwilligen Ausreise wurde ihr die Abschiebung nach Aserbaidschan oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist, angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die von der Antragstellerin geltend gemachten Umstände gingen nicht über das Maß dessen hinaus, was unter den in ihrer Heimat bestehenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen alle Bewohner hinzunehmen hätten, die dort in vergleichbarer Situation lebten. Soweit sie ihre Verfolgungsfurcht auf vermeintliche Probleme ihrer Mutter stütze, könne sich dieses Vorbringen für sie schon deshalb nicht asylbegründend auswirken, weil nur gegen sie selbst gerichtete Verfolgungsmaßnahmen von Bedeutung seien. Darüber hinaus unterlägen russische Volkszugehörige in Aserbaidschan keiner mittelbaren staatlichen Verfolgung. Ihre Angaben, man habe sie wegen der angeblichen armenischen Herkunft in der Schule schikaniert, seien unsubstantiiert und vage. Einerseits habe ihr Vater angegeben, sie hätten seit 1994 in Baku wegen ihrer armenischen Verwandtschaft keine Probleme gehabt. Sollte tatsächlich die Bedrohung in der vorgetragenen Art und Weise stattgefunden haben, hätte andererseits ein Wohnungswechsel innerhalb der Millionenstadt Baku dieses Problem lösen können. Auch der Umstand, dass der Antragstellerin die Genehmigung ihrer Heimatbehörde zur Ausreise erteilt worden sei, spreche gegen eine Verfolgung. Die Berufung auf das Asylgrundrecht sei ihr verwehrt, da sie auf dem Landweg und damit über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Die Antragstellerin habe auch keine Abschiebungshindernisse glaubhaft gemacht. Es seien solche auch nicht erkennbar.

Gegen diesen ihr am 3. November 1999 ausgehändigten Asylbescheid hat die Klägerin am 16. November 1999 Klage beim Verwaltungsgericht Meiningen erhoben. Zur Begründung hat sie ergänzend vorgetragen, sie sei zwar russische Volkszugehörige; aufgrund ihrer gemischt russisch-armenischen Abstammung sei sie aber einer Gruppenverfolgung der armenischen Minderheiten in Aserbaidschan ausgesetzt. Eine inländische Fluchtalternative in dem von Armeniern besetzten Gebiet von Berg-Karabach bestehe für sie nicht.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

1. die Nrn. 2. bis 4. des Bescheides des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. November 1999 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG, vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Klage entgegengetreten und hat sich zur Begründung auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung bezogen.

Der Bundesbeauftragte hat keinen Antrag gestellt und in der Sache nichts vorgetragen.

Mit seinem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2001 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass bezüglich der Klägerin die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei vorverfolgt aus Aserbaidschan ausgereist. Unter Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes lasse sich nicht sagen, dass sie bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre. Selbst wenn die Klägerin Aserbaidschan nicht vorverfolgt verlassen hätte, würde ihr im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohen. Aserbaidschanische Staatsangehörige armenischer Volkszugehörigkeit und deren Abkömmlinge sowie beide Ehegatten einer Mischehe (davon ein Ehegatte armenischer Volkszugehöriger oder Abkömmling eines armenischen Volkszugehörigen) sowie deren Abkömmlinge unterlägen einer mittelbaren Gruppenverfolgung. Der aserbaidschanische Staat unterlasse es, Personen armenischer Volkszugehörigkeit oder Abstammung zu schützen und gewährleiste ihnen kein menschenwürdiges Dasein. Die Klägerin sei auch bei ihrer Ausreise aus Aserbaidschan landesweit in einer ausweglosen Lage gewesen. Eine inländische Fluchtalternative, für die allein das Gebiet von Berg-Karabach in Betracht komme, habe nicht bestanden und bestehe nicht. Die Region um Berg-Karabach scheide aus, weil für Aserbaidschaner armenischer Volkszugehörigkeit bzw. deren Abkömmlinge in Berg-Karabach existentiell unzumutbare Lebensbedingungen herrschten. Insbesondere die schwierige soziale und wirtschaftliche Situation in Berg-Karabach mache es Neuankömmlingen ohne ausreichende armenische Sprachkenntnisse unmöglich, sich eine Existenz dort zu sichern.

Gegen das ihm am 18. Juni 2001 zugestellte Urteil hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (im Folgenden: Bundesbeauftragter) am 29. Juni 2001 beim Verwaltungsgericht beantragt, die Berufung zuzulassen. Zur Begründung seines Zulassungsantrages führt er im Wesentlichen aus, die angegriffene Entscheidung werfe Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Nach den neueren Lageberichten des Auswärtigen Amtes könne eine Verfolgungssituation für armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan nicht mehr angenommen werden. So sei bezüglich von Personen mit armenischer Abstammung in Aserbaidschan keine systematische staatliche Diskriminierung mehr festzustellen. Für den Fall der Annahme einer mittelbaren Gruppenverfolgung sei von einer inländischen Fluchtalternative in Berg-Karabach auszugehen. Die armenische Minderheit sei dort vor dem Zugriff aserbaidschanischer Behörden sicher, weil spätestens seit Ende 1993 der armenische Staat die militärische Oberhoheit ausübe. Die faktisch vollzogene Abtrennung Berg-Karabachs von Aserbaidschan lasse eine inländische Fluchtalternative nicht entfallen, da das Gebiet asylrechtlich nicht Ausland sei.

Mit Beschluss vom 26. Februar 2003 - 2 ZKO 433/01 - hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Mit Schreiben vom 12. März 2003 führt der Bundesbeauftragte zur Begründung der Berufung weiter aus, dass die im Zulassungsantrag aufgeworfenen, grundsätzlich klärungsbedürftigen Fragen nicht im Sinne der Ausführungen des angefochtenen Urteils zu beantworten seien und die Voraussetzungen für die Annahme einer politischen Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorlägen.

Die Beklagte trägt in der Rechtsmittelinstanz nichts vor. Die Beklagte und der Bundesbeauftragte beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichtes Meiningen vom 16. Mai 2001 - 2 K 20840/99.Me - abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin erwidert, die Berufung sei bereits unzulässig, da sie nicht ausreichend begründet sei. Der Bundesbeauftragte verweise lediglich pauschal auf die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit und auf die im Antrag auf Zulassung zur Berufung aufgeworfenen grundsätzlich klärungsbedürftigen Fragen. Es werde auch nicht ausdrücklich auf die Begründung des Antrages auf Zulassung der Berufung Bezug genommen. Im Übrigen beziehe sie sich auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und im Zulassungsverfahren.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Behördenakten dieses Verfahrens, die Behördenakten des Parallelverfahrens O - Az.: 2 KO 159/03 - und die Akten betreffend die Eheleute R und B, sowie die den Beteiligten mit Schreiben vom 14. Mai 2003 übermittelte Erkenntnisquellenliste Aserbaidschan, einschließlich der Ergänzungsliste vom 15. Juli 2003. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene Berufung hat Erfolg.

Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist zulässig.

Das Rechtsmittel ist insbesondere (noch) ausreichend begründet. Nach § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO in der hier anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (vgl. § 194 Abs. 1 VwGO n. F.), muss die Begründung der Berufung einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Die Berufungsgründe müssen substantiiert und konkret auf den zu entscheidenden Fall bezogen sein und in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen ausführen, weshalb das angefochtene Urteil, soweit dagegen die Berufung zugelassen wurde, nach der Auffassung des Berufungsführers unrichtig ist und geändert werden muss (BVerwG, B. v. 23. September 1999 -9 B 372/99, 9 PKH 102/99-, NVwZ 2000, 67). Welche Mindestanforderungen in Anwendung dieser Grundsätze jeweils an die Berufungsbegründung zu stellen sind, d. h. ob noch eine weiter gehende Begründung notwendig ist, hängt im Wesentlichen von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. In asylrechtlichen Streitigkeiten erfüllt eine Berufungsbegründung die Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO regelmäßig nur dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche Frage zu den tatsächlichen Verhältnissen im Heimatstaat des Asylbewerbers konkret bezeichnet und ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht (BVerwG, B. v. 23. September 1999, a. a. O.). Wird zur Begründung der Berufung statthafter Weise auf den Zulassungsantrag Bezug genommen (vgl. u. a. BVerwG, B. v. 25. August 1997 -9 B 690/97-, DVBl. 1997, 1325), müssen die Ausführungen im Zulassungsverfahren den oben genannten Anforderungen genügen.

Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Bundesbeauftragten gerade noch gerecht. Mit der Formulierung, die im Zulassungsantrag aufgeworfenen, grundsätzlich klärungsbedürftigen Fragen seien nicht im Sinne der Ausführungen des angefochtenen Urteils zu beantworten, hat er einen ausreichenden Bezug zum Zulassungsantrag hergestellt und damit seine Ausführungen im Zulassungsverfahren zum Gegenstand seiner Berufungsbegründung gemacht (zur Frage der Berufungsbegründung durch Bezugnahme auf den Zulassungsantrag vgl. auch: BVerwG, U. v. 23. April 2001 - 1 C 33/00 -, BVerwGE 114, 155 ff.[160] = NVwZ 2001, 1029f.; B. v. 21. Februar 2001 - 9 B 8/01 -, zitiert nach Juris). Diese Angaben genügen auch im Übrigen den Anforderungen an eine Berufungsbegründung. Dort wird zum einen die Problematik einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung armenischer Volkszugehöriger nebst ihrer Ehegatten und Abkömmlinge in Aserbaidschan als grundsätzlich bedeutsam dargelegt. Daneben wird auch die Problematik einer inländischen Fluchtalternative im Gebiet von Berg-Karabach als grundsätzlich bedeutsam ausgeführt.

Die Berufung ist auch in der Sache begründet.

Die Klage ist zulässig, sie ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) bezüglich Aserbaidschan (vgl. unten I.).

Auch das hilfsweise zur Entscheidung des Senates gestellte Begehren, die Beklagte zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 AuslG zu verpflichten, bleibt erfolglos (vgl. unten II.).

Schließlich erweist sich die Abschiebungsandrohung ebenfalls in vollem Umfang als rechtmäßig (vgl. unten III.).

I. In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf ein Abschiebungshindernis nach § 51 Abs. 1 AuslG in Bezug auf die Republik Aserbaidschan berufen.

Nach den hier anzuwendenden asylrechtlichen Grundsätzen (vgl. unten 1.) ist die Klägerin nicht auf Grund individueller Verfolgung - so genannte subjektive Vorfluchtgründe - ausgereist (vgl. unten 2.). Sie unterlag als ethnische Armenierin zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Aserbaidschan im Juni 1999 zwar keiner unmittelbaren, aber einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung (vgl. unten 3.), ohne die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative (vgl. unten 4.). Im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan kann sie sich jedoch nicht auf subjektive Nachfluchtgründe berufen (vgl. unten 5.). Vor einer mittelbaren Gruppenverfolgung wegen ihrer armenischen Volkszugehörigkeit ist sie dort nunmehr hinreichend sicher (vgl. unten 6.). In dem Gebiet von Berg-Karabach besteht für sie im Übrigen eine inländische Fluchtalternative (vgl. unten 7.). Dort drohen ihr auch keine anderen Nachteile und Gefahren von vergleichbarem Gewicht (vgl. unten 8.) und dies Gebiet ist für die Klägerin erreichbar (vgl. unten 9.).

1. Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Das Verbot des § 51 Abs. 1 AuslG schützt, ebenso wie Art. 16 a Abs. 1 GG, den Personenkreis der politisch Verfolgten und dient der Umsetzung des Art. 33 Nr. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge. Seine Erfordernisse sind mit den Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylbewerber deckungsgleich, soweit es um die Verfolgungshandlung, die geschützten Rechtsgüter und den politischen Charakter der Verfolgung geht (vgl. BVerwG, U. v. 26. Oktober 1993 - 9 C 50/92 -, InfAuslR 1993, 119). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG setzt daher - ebenso wie das Asylrecht - begründete Furcht vor dem Heimatstaat des Ausländers zurechenbarer Verfolgung voraus. Diese Verfolgung muss ihm in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an sonstige, für ihn unverzichtbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielte Rechtsverletzungen zufügen und ihn damit ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. BVerfG, B. v. 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, BVerfGE 80, 315 ff. [333 ff.]). Dem Begriff der politischen Verfolgung wohnt insoweit ein finales Moment inne, das nur dem auf bestimmte Merkmale einzelner Menschen oder Gruppen zielenden Zugriff asylbegründende Wirkung zukommt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist erforderlich, dass die asylrelevanten Maßnahmen die von ihnen Berührten gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen sollen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, ob der Asylsuchende mithin "wegen" eines solchen Merkmals verfolgt wird, ist hiernach anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht aber nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerfG, B. v. 10. Juli 1989, a. a. O., 335). Auch gilt für die Feststellung der Voraus setzungen des § 51 Abs. 1 AuslG derselbe Prognosemaßstab wie nach Artikel 16 a Abs. 1 GG. Das Asylgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG beruht auf dem Zufluchtgedanken und setzt grundsätzlich einen kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus (vgl. BVerfG, B. v. 26. November 1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51 ff. [64]; B. v. 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, a.a.O., 344). Deshalb ist es regelmäßig von entscheidender Bedeutung, ob der Asylsuchende verfolgt oder unverfolgt ausgereist ist.

2. Davon ausgehend hat die Klägerin nicht auf Grund eines individuellen Verfolgungsschicksals ihre Heimat verlassen müssen.

Das von ihr geschilderte persönliche Verfolgungsschicksal ist nicht geeignet, die behauptete staatlich motivierte Verfolgung zu stützen.

Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt hat die Klägerin ausgeführt, sie habe in der Schule Angst gehabt. Sie sei in einem Alter gewesen, wo ihr die Jungen bereits nachgestellt hätten. Man habe sie beschimpft. Die geschilderten Umstände lassen bereits nicht erkennen, dass die Klägerin asylerheblichen Nachstellungen und Repressalien ausgesetzt gewesen wäre. Es handelt sich allenfalls um bloße Belästigungen oder Beleidigungen. Dass diese verbalen Angriffe jemals die Grenze asylrechtserheblicher Eingriffe erreicht hätten, hat die Klägerin nicht ausgeführt. Das Gleiche gilt für die von der Klägerin behaupteten Benachteiligungen durch die Lehrkräfte. Diese hätten sich zwar nicht an den Äußerungen der Mitschüler beteiligt, sie hätten sie aber in ihren Leistungen grundlos schlechter beurteilt. Es fehlt insoweit an einer Darlegung, warum die Klägerin, um diese Probleme zu vermeiden, die Schule nicht gewechselt hat. Sie wohnte in der Großstadt Baku (ca. 1,7 Mio. Einwohner), so dass es nahe gelegen hätte, die Schule zu wechseln, um damit den von ihr befürchteten Nachstellung zu entgehen. Im Rahmen ihrer Anhörung hat die Klägerin dazu keine näheren Angaben gemacht und nur pauschal behauptet, auch dort - gemeint ist wohl eine neue Schule - hätte man dann gewusst, dass sie armenischer Abstammung sei. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie hierzu keine weiteren Ausführungen gemacht und sich auf ihr bisheriges Vorbringen bezogen.

Die weiteren Angaben der Klägerin sind ebenfalls nicht geeignet, die von ihr behauptete, fluchtauslösende Verfolgungsfurcht zu begründen.

Dies gilt zunächst für die Probleme, welche die Klägerin im Zusammenhang mit dem Verlust der Arbeit ihres Vaters schildert. Es ist bereits nicht erkennbar und vor allem nicht vorgetragen, dass die Klägerin und ihre Familie hierdurch in - möglicherweise asylrelevante - existentielle Not geraten wären. Ihr Vater habe als Taxifahrer gearbeitet und gemeinsam mit den Einkünften der Mutter seien - so die Angaben der Klägerin - Existenz und Unterhalt der Familie gesichert gewesen.

Dies gilt gleichermaßen für die von der Klägerin geschilderten Vorkommnisse im Jahr 1995, in dem man ihrer Großmutter mütterlicherseits "das Haus angezündet" habe. Es ist weder erkennbar, noch vorgetragen, warum dieser Vorfall, der zum Zeitpunkt der "Flucht" mehr als vier Jahre zurückgelegen hat, plötzlich eine Furcht vor staatlich motivierter bzw. geduldeter Verfolgung ausgelöst haben sollte. Es fehlt damit ersichtlich an der Ursächlichkeit zwischen dem geschilderten Vorfall und der "Flucht". Das gilt umso mehr, als die Klägerin mit ihrer Familie bis zu ihrer Ausreise unbehelligt in Baku gelebt hat.

Auch der tätliche Angriff auf die Mutter im Oktober 1998 berechtigt nicht zur Annahme einer individuellen Verfolgung der Klägerin. Auf diesen Vorfall, der sich nicht unmittelbar gegen die Klägerin richtete, kann sie ihr eigenes Verfolgungsschicksal nicht stützen. Es gibt außerdem keine Anhaltspunkte, die befürchten ließen, die Klägerin könnte in eine vergleichbare Situation geraten. Dies hat sie ebenso wenig dargelegt.

Gegen eine Verfolgung der Klägerin spricht auch, dass sie bis zu ihrer Ausreise mit ihrer Familie ohne existentielle Probleme in Baku gelebt hat. Mit den aserischen Nachbarn, denen ihre armenische Abstammung bekannt gewesen sei, hat es nach ihren Angaben keine Probleme gegeben. Ferner sprechen die Umstände der Ausreise aus Aserbaidschan gegen die von der Klägerin befürchtete Verfolgung. Denn nach ihren Angaben haben sie und ihre Familie Aserbaidschan mit gültigen Reisepässen, die nur mit Hilfe der aserbaidschanischen Behörden zu erhalten waren, mit einem Visum für Polen ihre Heimat legal verlassen.

3. In Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung geht der Senat aber davon aus, dass die Klägerin wegen ihrer Abstammung der Gruppe der in Aserbaidschan lebenden ethnischen Armenier zuzurechnen ist (3.1.) und diese Gruppe im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin im Juni 1999 zwar keiner unmittelbaren (3.2.) aber einer mittelbaren staatlichen Verfolgung (3.3.) unterlag, die objektiv an deren Volkszugehörigkeit anknüpfte.

3.1. Die Klägerin ist, obwohl sie angegeben hat "russische" Volkszugehörige zu sein, der Gruppe der ethnischen Armenier wegen ihrer armenischen Abstammung, die sie auf ihre Großmutter O (Klägerin des Parallelverfahrens Az.: 2 KO 159/02) zurückführt, zuzurechnen. An der armenischen Volkszugehörigkeit der Großmutter bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Ihr Familienname enthält die für armenische Namen typische Endung "-jan". Nach der vorliegenden Geburtsurkunde - ohne Datum - hatten auch ihre Eltern diesen Namenszusatz. Zwar enthält ihre Geburtsurkunde - anders als das Verwaltungsgericht wohl annimmt - keinen sonstigen Hinweis auf ihre Volkszugehörigkeit. Dagegen vermerkt die Geburtsurkunde ihres Sohnes - des Vaters der Klägerin - vom November 1950, dass die Großmutter der Klägerin Armenierin sei. Hieraus ergibt sich auch, dass sie ihren Namen auch nach der Ehe mit einem Russen beibehalten hat. An der Echtheit dieser Urkunden besteht kein Zweifel. Dass sie - wie auch die Klägerin - die armenische Sprache nicht beherrscht, ist nach der Auskunftslage unschädlich. Danach haben sich die in Aserbaidschan lebenden Armenier während der Sowjetzeit sprachlich assimiliert und waren und sind überwiegend nicht in der Lage, armenisch zu sprechen. Gerade bei Personen, die - wie die Klägerin - schon in der zweiten Generation ihre Abstammung von armenischen Volkszugehörigen herleiten und u. a. diese auch russische Vorfahren hat, ist damit die Beherrschung der armenischen Sprache kein Umstand, hiervon die Volkszugehörigkeit maßgeblich abhängig zu machen. Umgekehrt gibt es auch keine Hinweise, dass die aserbaidschanische Seite die Nichtbeherrschung der armenischen Sprache zum Anlass nähme, denjenigen nicht als Armenier anzusehen. Hierzu hat die Deutsch-Armenische Gesellschaft in ihrer Stellungnahme vom 19. Februar 1999 an das VG Stuttgart ausgeführt, entscheidend für die Gefährdung der betreffenden Person sei im Allgemeinen nicht eine "rein armenische" Abstammung, sondern die Tatsache, dass die Umgebung der betreffenden Person von deren, unter Umständen auch nur entfernten Abstammung von Armeniern Kenntnis hat.

3.2. Die Klägerin unterlag als Angehörige dieser Gruppe zum Zeitpunkt ihrer Ausreise keiner unmittelbaren Gruppenverfolgung.

Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, U. v. 15. Mai 1990 - 9 C 17/89 -, BVerwGE 85, 139 ff. [142]).

Eine staatliche (unmittelbare) Gruppenverfolgung ist davon ausgehend anzunehmen, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht. Das kann etwa der Fall sein, wenn festgestellt werden kann, dass der Heimatstaat ethnische oder religiöse Minderheiten physisch vernichten, ausrotten oder aus seinem Staatsgebiet vertreiben will. In derartigen Extremsituationen bedarf es nicht erst der Feststellung einzelner Vernichtungs- oder Vertreibungsschläge, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgungsmaßnahmen darzutun (BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, DVBl. 1994, 1409).

Insoweit gibt es keine Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gruppenverfolgung. Denn es ist weder ersichtlich, dass es in Aserbaidschan ein staatliches Verfolgungsprogramm in dem oben aufgezeigten Sinne gegen armenische Volkszugehörige gegeben hätte, noch kann davon die Rede sein, dass durch staatliche Maßnahmen armenische Volkszugehörige physisch vernichtet und ausgerottet oder aus dem aserischen Staatsgebiet planmäßig vertrieben worden wären.

3.3. Dagegen war bei der Klägerin zu diesem Zeitpunkt von einer mittelbaren Gruppenverfolgung auszugehen.

Für eine mittelbare Gruppenverfolgung gilt Folgendes:

Eine so genannte mittelbare Gruppenverfolgung liegt typischerweise vor bei Massenausschreitungen (Pogromen), die das ganze Land oder große Teile desselben erfassen und auch dann, wenn unbedeutende oder kleine Minderheiten mit solcher Härte, Ausdauer und Unnachsichtigkeit verfolgt werden, dass jeder Angehörige dieser Minderheit sich ständig der Gefährdung an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit ausgesetzt sieht, wobei allerdings nicht ein ganzes Land gewissermaßen flächendeckend erfasst sein muss. Die unmittelbare Betroffenheit des Einzelnen durch gerade auf ihn zielende Verfolgungsmaßnahmen sowie die Gruppengerichtetheit der Verfolgung stellen somit nur Eckpunkte eines durch fließende Übergänge gekennzeichneten Erscheinungsbildes der politischen Verfolgung dar. Daher ist die gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung für einen Gruppenangehörigen aus dem Schicksal anderer Gruppenmitglieder möglicherweise auch dann herzuleiten, wenn diese Referenzfälle es noch nicht rechtfertigen, vom Typus einer gruppengerichteten Verfolgung auszugehen. Dabei ist einerseits von Belang, ob sich in der Vergangenheit vergleichbares Verfolgungsgeschehen schon häufiger ereignet hat und ob die Gruppenangehörigen als Minderheit in einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung leben müssen, das Verfolgungshandlungen, wenn nicht gar in den Augen der Verfolger rechtfertigt, so doch tatsächlich begünstigt. Andererseits ist von Bedeutung, ob sie ganz allgemein Unterdrückungen und Nachstellungen ausgesetzt sind, auch wenn diese als solche noch nicht von einer Schwere sind, die die Annahme politischer Verfolgung begründet. Diese gewichtigen Indizien für eine gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung sind in die Gesamtbeurteilung der Frage einzubeziehen, ob die Verfolgungsfurcht eines Asylbewerbers bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles bei objektiver Beurteilung begründet und deshalb asylrechtlich beachtlich ist, weil es ihm unter diesen Umständen nicht zumutbar ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerfG, B. v. 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 -, a.a.O., 230 ff.; BVerwG, U. v. 23. Juli 1991 - 9 C 154/90 -, BVerwGE 88, 367 ff. [373]).

Anhand der oben aufgestellten Kriterien ist aber feststellbar, dass auf Grund der Verhältnisse Ende der 80er und Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts armenischen Volkszugehörigen in Aserbaidschan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mittelbare Gruppenverfolgung wegen ihrer Volkzugehörigkeit jedenfalls bis zur Ausreise der Klägerin im Juni 1999 drohte.

Bereits während des Bestehens der Sowjetunion gab es gewalttätige Ausschreitungen aserbaidschanischer Bevölkerungsteile gegen die armenische Minderheit in Aserbaidschan. So fanden im Februar 1988 in Sumgait und Baku blutige Menschenjagden auf Armenier statt, bei denen mindestens 32 Armenier ermordet wurden. In seiner Auskunft vom 29. August 1994 an das VG Regensburg (Az.: 514-516/17037) führt das Auswärtige Amt aus, Anfang Januar 1990 hätten sich die gewalttätigen Ausschreitungen in progromartigen blutigen Übergriffen entladen, bei denen eine offiziell nie bekannt gegebene Zahl armenischer Volkszugehöriger z. T. auf bestialische Weise umgebracht worden sei. Die aserbaidschanischen Sicherheitskräfte hätten dem Treiben des aufgehetzten Pöbels tatenlos zugesehen oder sich gar in einzelnen bekannt gewordenen Fällen an den Ausschreitungen und Morden beteiligt.

Im April 1991 führten OMON-Truppen Vertreibungsaktionen gegen armenische Siedlungen in Aserbaidschan durch. Im Sommer 1991 kam es in armenischen Siedlungen in Aserbaidschan zu Deportationen. In den ersten Jahren nach der staatlichen Selbständigkeit Aserbaidschans im Jahre 1991 wurde das Verhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen der Armenier und Aseris wesentlich durch die kriegerischen Auseinandersetzungen um das von Armeniern bewohnte Gebiet Berg-Karabach bestimmt, welches zum aserbaidschanischen Staatsgebiet gehört, sich aber einseitig für unabhängig erklärt hatte. Seit dem Beginn der Auseinandersetzungen sollen mehr als 250.000 Armenier aus Aserbaidschan geflohen oder vertrieben worden sein.

Zwar sind nach den vorliegenden Erkenntnissen in dem Zeitraum nach den gewalttätigen Ausschreitungen zu Beginn des Jahres 1990 keine konkreten Fälle von Übergriffen gegen Angehörige der armenischen Volksgruppe mehr berichtet worden. Eine Wiederholung der gewalttätigen Ausschreitungen gegen die wenigen Zurückgebliebenen, bei denen es sich meistens um Partner aus gemischten Ehen oder Kinder aus solchen Verbindungen gehandelt hat, hat es seitdem nicht gegeben. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. August 1993 an das VG Ansbach (Az.: 514-516/14609) haben die Auseinandersetzungen aber zu offen gezeigter Feindseligkeit gegenüber der armenischen Minderheit geführt. Es bestand daher die Gefahr, dass sie sich jederzeit in weiteren blutigen Gewaltaktionen entladen konnten. Die Gesamtsituation der Armenier war geprägt von Hass und vielfältiger Benachteiligung. Angehörige der armenischen Volksgruppe lebten nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes in einem Klima der Furcht und des Schreckens und sahen sich zahlreichen Demütigungen und Schikanen ausgesetzt. In seiner Auskunft vom 29. August 1994 an das VG Regensburg (Az.: 514-516/17037) führt das Auswärtige Amt weiter aus, ein armenischer Volkszugehöriger finde nirgends einen Arbeitsplatz, finde keinen Arzt, der ihn behandele und keinen Lehrer, der seine Kinder unterrichte. Es gebe kaum einen Händler, der ihm die Lebensmittel zum Überleben verkaufe. Gerichte würden sie aus ihren Wohnungen verweisen und sie aserischen Volkszugehörigen zuerkennen. Zwar würden Ausschreitungen und Diskriminierungen offiziell nicht gutgeheißen, der Staat unternehme jedoch nichts, um gegen die Diskriminierungen einzuschreiten, oder den Volkszorn zu besänftigen. Auf Grund dieser Umstände wurde es auch in der Folgezeit für wenig wahrscheinlich gehalten, dass im Falle des Ausbruchs erneuter Gewaltakte ein wirksames Einschreiten der aserischen Sicherheitsbehörden zum Schutz der armenischen Minderheit erfolgen würde (vgl. Auskunft des Auswärtiges Amt vom 27. August 1993 an das VG Ansbach - Az.: 514-516/14609 -). Diese Einschätzung wurde auch von amnesty international (ai) geteilt. Ai sei eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen gegen Armenier bekannt geworden, die oft mit Billigung oder gar Mithilfe der aserbaidschanischen Behörden stattgefunden hätten (Auskunft vom 23. September 1993 an das VG Ansbach - Az.: EUR 55/889/93.084 -). Für zurückkehrende armenische Volkszugehörige sei daher in Aserbaidschan von einer extremen Gefährdung auszugehen.

In Folge der Pogrome Anfang der 90er Jahre sind nahezu alle Armenier aus Baku (der Hauptstadt Aserbaidschans) und dem restlichen Aserbaidschan geflohen bzw. vertrieben worden. Heute leben kaum noch Armenier in den rein aserbaidschanischen Siedlungsgebieten. Es gebe eine umfassende Diskriminierung der armenischen Minderheit in allen Bereichen, führt das Auswärtiges Amt auch in seinen Auskünften an das VG Schleswig vom 18. November 1993 und vom 15. Februar 1994 (beide Az.: 514-516/15141) aus. Sie sähen sich täglichen Anfeindungen der Nachbarn und der Mehrheit der einheimischen (aserischen) Bevölkerung ausgesetzt. Armenier gebe es nur noch in Nagorny-Karabach (= Berg-Karabach), alle übrigen Gebiete Aserbeidschans seien von dieser Minderheit gesäubert, teilt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in ihrer Stellungnahme vom 6. Mai 1994 dem VG Regensburg mit. Das Land sei im Kriegszustand, heißt es dort weiter, Aserbaidschaner gegen Armenier und umgekehrt. Ob und in welchem Umfang Pogrome der aserbaidschanischen Nationalisten und Soldaten an Armeniern stattfänden, hänge von der Frontlinie und ihrer Verschiebung ab, d. h., ob eine von Armeniern bewohnte Ortschaft von ihnen erobert werde. Die abschließende Beurteilung der IGFM, Armenier nach Aserbaidschan auszuweisen, wo sie vor ihrer Flucht lebten, hieße, sie in den "sicheren Tod" zu schicken, verdeutliche deren Situation in dem hier maßgeblichen Zeitraum.

Aufgrund der von weiten Teilen der Bevölkerung befürworteten antiarmenischen Diskriminierungen konnte der aserbaidschanische Staat den davon Betroffenen keinen wirksamen Schutz bieten, geschweige denn einen solchen garantieren. Selbst wenn er hierzu den Willen gehabt hätte, wäre ein solcher Schutz unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen. Hieran hielt das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 26. Juli 1995 an das VG Wiesbaden (Az.: 514-516.00/20986) fest. Hass und Verachtung der armenischen Volkszugehörigen, die ihnen von der Mehrheit der Aserbaidschaner entgegen gebracht wurden, hatte zu ihrer völligen Isolation und zu ihrer Ächtung in fast allen Bereichen geführt. In seinem Gutachten vom 27. Juli 1995 für das VG Frankfurt/Oder führte Prof. Dr. Sch von der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, aus, der Nationalitätenhass, der insbesondere durch den mit großer Brutalität ausgetragenen Nagorny-Karabach-Konflikt entstanden sei, habe dazu geführt, dass sich fast kein Armenier mehr in Aserbaidschan aufhalte. Da auch nach dem Waffenstillstand vom Mai 1994 keine dauerhafte Lösung für das Nagorny-Karabach-Problem in Sicht sei, könne man nicht davon ausgehen, dass heute - d. h. 1995 - keinerlei Gefahren für die armenischen Volkszugehörigen mehr bestünden.

An der dargestellten Gefahrenlage für armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan änderte sich auch in der Folgezeit, jedenfalls bis zur Ausreise der Klägerin im Juni 1999, nichts (vgl. hierzu: Auswärtiges Amt Lageberichte Aserbaidschan vom 10. April 1996 - Az.: 514-516.80/3 ASE - und 22. Oktober 1998 - Az.: 514-516.80/3 ASE -; Auskünfte vom 3. Juni 1996 - Az.: 514-516.80/24 799 - und 27. Oktober 1997 - Az.: 514-516.80/29650 - an das VG Ansbach; UNITED NATIONS HIGH COMMISSIONER FOR REFUGEES -UNHCR- Hinweis vom 21. Mai 1996 an Rechtsanwalt Björn Stehn, Hamburg; ai Auskunft vom 14. Oktober 1996 an das VG Düsseldorf - Az.: EUR 55/95.552 -; Deutsch-Armenische Gesellschaft Stellungnahme vom 7. Februar 1997 an das VG Ansbach; ai Berichte zur Menschrechtslagelage in Aserbaidschan vom 8. November 1997 und 1. Juni 1998).

Noch in seinen Lageberichten Aserbaidschan vom 22. Oktober 1998 und 13. April 1999 (jeweils Az.: 514-516.80/3 ASE) stellte das Auswärtigen Amt fest, die Armenier seien die einzige ethnische Gruppe in Aserbaidschan, die staatlichem Druck ausgesetzt sei. Während der Großteil der Armenier das Land nach Ausbruch der Feindseligkeiten um Nagorny-Karabach verlassen habe, befände sich noch eine Vielzahl mit Aserbaidschanern verheirateter Armenierinnen im Land. Sie seien jedoch ohne Hoffnung auf Anstellung und lebten unter erschwerten Bedingungen. Wann immer die betroffenen Personen armenischer Herkunft ihren Personalausweis, aus dem die ethnische Zugehörigkeit hervorgehe, vorlegen müssten, bestehe die Gefahr rassischer Diskriminierung bis hin zu völliger Dienstleistungsverweigerung seitens der Behörden. Ähnliches gelte für die aus aserbaidschanisch-armenischen Ehen hervorgegangenen Abkömmlingen. Mit den Worten "einer mittelbaren staatlichen Verfolgung unterliegen in der Aserbaidschanischen Republik aber derzeit in hohem Maße Angehörige der armenischen Minderheit" bestätigte das Auswärtige Amt 1999 erneut seine bisherige Einschätzung der Lage. Der Staat unterlasse es, diese Ethnie vor Diskriminierung und Schikanen durch die wegen der Nagorny-Karabach-Ereignisse aufgebrachten Aserbaidschaner wirksam zu schützen. Armenische Volkszugehörige, selbst wenn sie einer gemischt nationalen Beziehung entsprängen und die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit besäßen, lebten heute in Aserbaidschan weitgehend recht- und schutzlos.

Maßgeblich für eine andauernde Gefährdung armenischer Volkszugehöriger war im allgemeinen nicht ihre "rein armenische" Abstammung. Vielmehr war entscheidend, dass ihre Umgebung von ihrer Abstammung Kenntnis erlangte. In ihrer Stellungnahme vom 19. Februar 1999 teilte die Deutsch-Armenische Gesellschaft dem VG Stuttgart mit, es reiche unter Umständen schon aus, wenn nur von Gerüchten über eine "angebliche oder tatsächliche" armenische Abstammung die Rede sei, um eine feindselige Stimmung gegen die Betreffenden hervorzurufen oder zu schüren. Solche Gerüchte und Behauptungen würden auch in politischen Auseinandersetzungen eingesetzt, beispielsweise um bestimmte Feindbilder noch zu vertiefen. Ein Wahrheitsbeweis für solche Behauptungen würde angesichts der aufgeheizten, d. h. antiarmenischen Stimmung innerhalb der aserbaidschanischen Bevölkerung in der Regel ebenso wenig erwartet wie eine Analyse des Grades des "Armeniertums" einer bestimmten Person (vgl. hierzu auch ausführlich: Gesellschaft für bedrohte Völker Gutachten vom 12. Mai 1999).

Legt man die vorstehenden Auskünfte zu Grunde, so ist festzustellen, dass die gegen die armenischen Volkszugehörigen gerichteten Maßnahmen nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde damals verletzten und über das hinausgingen, was die Bewohner Aserbaidschans aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen hatten (BVerwG, U. v. 24. März 1987 - 9 C 321/85 -NVwZ 1987, 701 m. w. N). Das damalige von staatlichen Stellen geduldete Verhalten der aserbaidschanischen Bevölkerung gegenüber der armenischen Minderheit stellte eine Verfolgung dar. Die mehrheitliche Verweigerung von Wohnraum oder dessen "Wegnahme", der weitere Umstand, dass armenischen Volkszugehörigen in erheblichem Umfang, wenn nicht sogar gänzlich, eine ärztliche Versorgung verweigert wurde, sowie die Tatsache, dass sich weite Bevölkerungsteile schlicht weigerten, Armeniern Lebensmittel zu verkaufen, stellten Maßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben dieser Bevölkerungsgruppe dar. Dies galt auch für die Weigerung, ihnen Arbeitsmöglichkeiten zu eröffnen. Auch wenn letzteres Verhalten nicht durchgängig zu beobachten war, so stellt es dennoch eine asylrechtlich relevante Verfolgung dar. Es führte in der praktizierten und vom Staat geduldeten Form weitgehend zu einer Vernichtung der Existenzgrundlage der armenischen Volkszugehörigen (vgl. BVerwG, U. v. 24. März 1987 - 9 C 321/85 -, a. a. O.). Da diese Maßnahmen erkennbar an die Zugehörigkeit zur armenischen Minderheit anknüpften, stellten sie Verfolgungsmaßnahmen im Sinne einer politischen Verfolgung dar. Diese Verfolgung ist dem aserbaidschanischen Staat auch zurechenbar. Denn grundsätzlich obliegt es jedem Staat, allen seinen Staatsangehörigen ohne Ansehung der Person Schutz zu bieten, um eine menschenwürdige Existenz zu ermöglichen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Staat zu entsprechenden "Hilfsmaßnahmen" nicht in der Lage gewesen wäre. Der aserbaidschanische Staat war aber, wie sich aus den dargestellten Auskünften ergibt, ersichtlich "schutzunwillig".

4. Der Klägerin stand zum Zeitpunkt ihrer Ausreise auch keine inländische Fluchtalternative im Gebiet von Berg-Karabach zur Verfügung.

Wer nicht von landesweiter, sondern von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen ist, kann die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nur dann für sich beanspruchen, wenn er landesweit in eine ausweglose Lage gerät. Das setzt voraus, dass er in anderen Teilen seines Heimatstaates eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann. Dem in seinem Heimatstaat Verfolgten ist es grundsätzlich zuzumuten, in faktisch verfolgungsfreie Gebiete seines Heimatstaates auszuweichen (inländische Fluchtalternative), bevor er um Schutz im Ausland nachsucht (BVerfG, B. v. 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, 342 f.).

Die Frage, ob der aserbaidschanische Staat über das unter armenischer Militärhoheit stehende Gebiet von Berg-Karabach Hoheitsgewalt ausüben konnte und ob eine solche "inländische" Ausweich- bzw. Zufluchtsmöglichkeit überhaupt in Betracht kam, kann der Senat an dieser Stelle offen lassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes setzt das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative voraus, dass die betreffende Region für den Zufluchtsuchenden auch tatsächlich erreichbar ist (vgl. BVerwG, U. v. 13. Mai 1993 - 9 C 59/92 -, Buchholz 402, 25 § 1 AsylVfG Nr. 162 = NVwZ 1993, 1210 ff.). Ist der Ort der inländischen Fluchtalternative für den Verfolgten nicht erreichbar, besteht die Möglichkeit, durch ein Ausweichen in verfolgungsfreie Zonen der Verfolgung zu entgehen, nicht. Der Bedrohte ist in einem solchen Fall - trotz des nur regionalen Charakters der Verfolgung - auf ausländischen Schutz angewiesen (vgl. BVerwG, U. v. 16. Januar 2001 - 9 C 16/00 -, BVerwGE 112, 345 ff.). Das ist hier der Fall.

Im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin konnte man von Aserbaidschan aus in die Region von Berg-Karabach nur durch die streng bewachten feindlichen Linien der an der Auseinandersetzung beteiligten Militärs gelangen; damit war eine erhebliche "Gefahr für Leib oder Leben" verbunden. Dementsprechend ging auch das Auswärtige Amt noch in seinem Lagebericht vom 13. April 1999 davon aus, dass dem betroffenen Personenkreis eine inländische Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht (so auch: Auswärtiges Amt Lagebericht Aserbaidschan vom 17. Februar 1998 -Az.: 514 - 516.80/3 ASE -).

Dass die Einreise in das Gebiet von Berg-Karabach gefahrlos über Armenien oder gegebenenfalls andere angrenzende Staaten möglich war, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Denn diese Möglichkeit eröffnete für die Klägerin keine Fluchtalternative ohne ausländischen Schutz. Die Inanspruchnahme der Hilfe eines fremden Staats, nämlich des armenischen oder eines anderen, um hinreichende Verfolgungssicherheit zu erlangen, bedeutet, dass das Asyl- bzw. Abschiebungsschutzrecht nicht wegen seiner Subsidiarität entfällt. Dies gilt erst recht für die ethnischen Armenier unter bestimmten Voraussetzungen offen stehende Möglichkeit, in die Republik Armenien überzusiedeln. Damit hätte die Klägerin in einem anderen Staat als ihrem Heimatstaat Zuflucht gesucht (vgl. hierzu auch OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 20. September 2001 - 6 A 11840/00 -, zitiert nach Juris).

5. Im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf subjektive Nachfluchtgründe berufen. Solche nach Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluss geschaffenen Gründe sind asylrechtlich grundsätzlich nur dann erheblich, wenn der Entschluss einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht (vgl. § 28 Satz 1 AsylVfG).

Etwaige Aktivitäten im Ausland nach ihrer Flucht aus Aserbaidschan, die in dem genannten Sinne relevant sein könnten, hat die Klägerin, auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, nicht dargetan.

Auch die Stellung eines Asylantrages durch die Klägerin führt zu keiner anderen Betrachtung. Es gibt keine Erkenntnisse dazu, dass bereits die Beantragung von Asyl im Ausland zu Problemen bei der Rückkehr nach Aserbaidschan führen würde. Nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes in seinem neusten Lagebericht zu Aserbaidschan vom 9. Januar 2003 (Az.: 508-516.80/3 AZE) bestehen auch sonst bei der Abschiebung keine Schwierigkeiten. Nach dessen Kenntnis haben aus Deutschland abgeschobene Rückkehrer keine Sanktionen zu befürchten. Die zahlreichen Rückkehrer in der Vergangenheit belegten auch, so das Auswärtige Amt, dass sich der aserbaidschanische Staat nicht für sie interessierte.

Die Flucht der Klägerin aus Aserbaidschan gibt ebenfalls keinen Anlass zu einer anderen Einschätzung. Nach dem am 1. September 2000 in Kraft getretenen neuen Strafgesetz ist die Flucht eines aserbaidschanischen Staatsangehörigen aus seinem Heimatland oder ein Auslandsaufenthalt nicht mehr unter Strafe gestellt (vgl. Stellungnahme ai vom 29. April 2002 an das VG Berlin, S. 5).

6. Im Falle der Rückkehr der Klägerin nach Aserbaidschan bestehen im hier maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 AsylVfG) derzeit und für die überschaubare Zukunft auch keine hinreichenden Zweifel an ihrer Sicherheit vor einer mittelbaren Verfolgung allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ethnie der Armenier.

Hat ein Ausländer seine Heimat wegen erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung verlassen, wird ihm der Schutz des § 51 Abs. 1 AuslG bereits dann zuteil, wenn an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei einer Rückkehr in den Heimatstaat ernst zu nehmende Zweifel bestehen (BVerwG, U. v. 3. November 1992 - 9 C 21/92 -, BVerwGE91, 150ff, [152]). In einem solchen Fall genügt es, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die die Möglichkeit abermals einsetzender Verfolgung als nicht ganz entfernt erscheinen lassen, er also vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher ist. Sein Asylbegehren darf nur abgewiesen werden, wenn geltend gemachtes Vorbringen hierfür zur Überzeugung der jeweils zuständigen Instanz entkräftet werden kann oder sich eine Wiederholungsverfolgung ohne ernsthafte Zweifel an der Sicherheit des Asylbewerbers im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat ausschließen lässt (st. Rspr., vgl. BVerwG, U. v. 25. September 1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 ff. [171] m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung sind wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen der schon einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen zu stellen. Es muss mehr als nur überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Asylsuchende im Heimatstaat vor Verfolgungsmaßnahmen sicher ist. Andererseits braucht die Gefahr des Eintritts politischer Verfolgungsmaßnahmen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu werden, so dass jeder auch nur geringe Zweifel an der Sicherheit vor politischer Verfolgung dem Begehren zum Erfolg verhelfen müsste. Lassen sich ernsthafte Bedenken nicht ausräumen, so wirken sie sich nach diesen Maßstäben zugunsten des Asylbewerbers aus und führen zu der begehrten Feststellung. Dieser (herabgestufte) Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist auch im Falle eines Schutzsuchenden anzuwenden, der selbst weder individuelle Verfolgung erlitten hat noch in eigener Person davon unmittelbar bedroht war, dessen bisherige Verschonung von ausgrenzenden Rechtsgutbeeinträchtigungen aber als eher zufällig anzusehen ist, weil er von einer Gruppenverfolgung betroffen war (BVerfG, B. v. 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 -, BVerfGE 83, 216 ff. [231]).

Davon ausgehend gibt es keine Anhaltspunkte, die die Möglichkeit abermals einsetzender Verfolgung der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan als nicht ganz entfernt erscheinen ließen, weder besteht derzeit eine unmittelbare (6.1.), noch mittelbare Gruppenverfolgung (6.2.) für ethnische Armenier in Aserbaidschan.

6.1. Eine unmittelbare Gruppenverfolgung scheidet erkennbar aus (vgl. hierzu auch Rechtsentwicklung seit 2000, Ziff. 7.2).

6.2. Auch von einer mittelbaren Gruppenverfolgung kann derzeit nicht mehr ausgegangen werden.

Zwar war auf Grund der Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin und danach bis etwa Ende 1999 davon auszugehen, dass die genannte Personengruppe einer mittelbaren staatlichen Verfolgung ausgesetzt war (vgl. oben Ziff. 3.3; letztmals Auswärtiges Amt, Lagebericht zu Aserbaidschan vom 13. April 1999).

Mit Beginn des Jahres 2000 änderte sich diese Einschätzung aber maßgeblich. So teilte das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 11. Februar 2000 (Az.: 514-516.80/35 514) dem VG Wiesbaden mit, Abkömmlinge aus aserbaidschanisch-armenischen Mischehen hätten generell die gleichen Rechte und Pflichten wie alle übrigen aserbaidschanischen Staatsangehörigen. Eine Diskriminierung könne zwar im öffentlichen oder privaten Leben im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden. Von einer gruppenbezogenen allumfassenden Diskriminierung könne aber keine Rede mehr sein. Auch die Feststellungen des Auswärtigen Amtes im Lagebericht zu Aserbaidschan vom 16. März 2000 (Az.: 514-516.80/3 ASE) sprechen gegen die Annahme einer anhaltenden Gefährdung im Sinne einer mittelbaren Gruppenverfolgung. Personen armenischer Abstammung werden danach zwar noch "de facto" vielfach schlechter behandelt als andere Personengruppen. Staatliche Stellen griffen allerdings, von Ausnahmen abgesehen, nicht gegen solche Übergriffe ein. Die Praxis der Diskriminierung besteht jedoch nicht durchgängig. Ein Großteil der bezüglich armenischer Volkszugehöriger berichteten Problemfälle geht zudem auf die allgemeine Bestechlichkeit zurück, von der die aserbaidschanische Bevölkerung in nahezu gleicher Weise betroffen ist. Dies wird auch durch die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 10. April 2000 an das VG Oldenburg (Az.: 514-516.80/35 758) bestätigt, wonach die allgemein herrschenden chaotischen Zustände auf die mangelnde "Schlagkraft" der aserbaidschanischen Verwaltung und der alle Bereiche durchdringenden "Korruption" in Aserbaidschan zurückgeführt werden. Daher, so das Auswärtige Amt, sei auch der weit überwiegende Teil der an Menschenrechtsorganisationen, Botschaften und internationale Institutionen herangetragenen Problemfälle auf die damit im Zusammenhang stehende Behördenwillkür zurückzuführen (z. B. Nichtauszahlung von Pensionen, Nichtrückgabe der mit Flüchtlingen belegten Wohnungen an die Berechtigten, Nichtausstellung von Urkunden oder Pässen, Nichtanstellung im öffentlichen Dienst, Schwierigkeiten bei der Anmeldung der Kinder zum Schulbesuch). Die geschilderten Probleme würden für armenische Volkszugehörige nur dann nicht auftreten, wenn sie entweder über eine hohe soziale Stellung oder über Geld oder gute Beziehungen verfügten (vgl. auch Bundesamt, Aserbaidschan Information Juli 2000, S. 14 f.).

Darüber hinaus werden Probleme im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur armenischen Volksgruppe dadurch vermieden, dass in der Öffentlichkeit kein entsprechendes Bekenntnis abgelegt wird. Hierzu hat das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht zu Aserbaidschan vom März 2000 ausgeführt, Abkömmlinge aus gemischt-ethnischen Verbindungen könnten bei der Ausstellung des Inlandspasses im 16. Lebensjahr wahlweise Namen und Nationalität des Vaters oder der Mutter übernehmen und dadurch ein Votum für den aserbaidschanischen Elternteil abgeben. Damit würden Nachteile aufgrund der noch bestehenden armenischen Abstammung weitestgehend vermieden (so auch Auswärtiges Amt Auskünfte vom 20. April 2000 an das VG Oldenburg - Az.: 514-516.80/35 938 - und vom 27. Juni 2000 an das VG Ansbach - Az.: 514 - 516.80/36 027 -).

In dem vom Rat der Europäischen Union herausgegebenen Bericht der dänischen Delegation vom 1.September 2000 (COUNCIL OF THE EUROPEAN UNION - Az.: 11068/00 -) wird zur Verfolgungssituation ausgeführt, in Aserbaidschan lebten derzeit ca. 30.000 bis 40.000 armenische Volkszugehörige. Bei diesen in Aserbaidschan verbliebenen Personen handele es sich im Wesentlichen um Frauen, die mit aserbaidschanischen Männern verheiratet seien.

Die Gesellschaft des Roten Halbmondes von Aserbaidschan hält es für möglich, dass zu dieser Gruppe auch armenische Männer gehören, die mit aserischen Frauen verheiratet sind. Es müsse in diesem Zusammenhang aber berücksichtigt werden, so die Internationale Organisation für Wanderung (IOM), dass die meisten wehrfähigen armenischen Männer während der Auseinandersetzungen um die Region von Nagorny-Karabach wegen des Risikos, zum Militärdienst einberufen zu werden, das Land verlassen hätten (Bericht der dänischen Delegation, a. a. O., S. 4). Unter Bezugnahme auf Erkenntnisse der IOM wird in dem Bericht weiter ausgeführt, dass Angehörigen der armenischen Volksgruppe die Unterstützung der Behörden nicht verweigert wird. Der Leiter von IOM, Joost van der Aalst, hält es für wahrscheinlich, dass in den Fällen, in denen Armenier Schwierigkeiten mit dem System hätten, dies eher auf ihre niedrige gesellschaftliche Stellung als auf ihre ursprüngliche Volkszugehörigkeit zurückzuführen sei (Bericht der dänischen Delegation, a. a. O., S. 5).

Auch das aserbaidschanische Zentrum für Menschenrechte bestätigte gegenüber der dänischen Delegation, dass Armenier Schwierigkeiten hätten, den Behörden gegenüber ihre gesellschaftlichen Rechte durchzusetzen. Die Ursache hierfür liege aber offenbar in der im Land herrschenden Korruption. In den Fällen, in denen die Armenier genügend Geld hätten, würden auch ihre Rechte respektiert.

Aus den Berichten wird deutlich, dass Anknüpfungspunkt für die Schwierigkeiten armenischer Volkszugehöriger in erster Linie deren gesellschaftliche Stellung ist und ihre armenische Volkszugehörigkeit in den Hintergrund getreten ist.

Auch die schlechte Wohnungssituation im Lande stellt sich zunehmend nicht lediglich als ein Problem armenischer Volkszugehöriger dar. Davon sind nicht nur Armenier, sondern ebenso Angehörige aller anderen ethnischen Minderheiten betroffen. Das hat seine Ursache im Wesentlichen darin, dass diese Minderheiten häufig über keinerlei soziales Geflecht (Familie, Verwandten etc.) verfügen. Es ist ihnen auch nicht möglich, die Behörden dazu zu bringen, sie vor den zum Teil gewaltsamen Vertreibungen aus ihren Wohnungen zu schützen. Hierzu hat die dänischen Delegation (Bericht der dänischen Delegation, a. a. O., S. 5 unten) unter Bezugnahme auf Auskünfte des Humanitären Zentrum YUVA ausgeführt, es seien ebenfalls Fälle bekannt, in denen armenischen Frauen ohne jeglichen Grund ihre Wohnungen weggenommen worden seien. Das Humanitäre Zentrum YUVA sei jedoch nicht der Meinung, dass dies auf deren Volkszugehörigkeit zurückzuführen sei, sondern lediglich darauf, dass armenische Frauen ohne Schutz allein dort lebten.

Darüber hinaus sind weder der IOM, dem Dänischen Flüchtlingsrat und den verschiedenen nationalen nichtstaatlichen Organisationen in Aserbaidschan Fälle von Verfolgungen gegen Angehörige der armenischen Volksgruppe bekannt. Dies gilt auch für die Internationale Hilfskommission, der keinerlei Informationen dahingehend vorliegen, dass armenische Volkszugehörige Schwierigkeiten in Aserbaidschan hatten und verfolgt wurden. Die gleichen Quellen bestätigten auch, so die dänische Delegation, dass sich die Armenier im Großen und Ganzen sehr im Hintergrund hielten und es in der Öffentlichkeit vermieden, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Für sie auftretende Schwierigkeiten seien eher auf die gesamten sozialen Gegebenheiten im Land als auf ihre Volkszugehörigkeit zurückzuführen.

An dieser Einschätzung hat sich in den folgenden Jahren nichts zu Ungunsten der Armenier in Aserbaidschan geändert. Vielmehr trat eine zunehmende Entspannung und Stabilisierung der Lage im Land ein. In seiner Auskunft vom 27. Juni 2002 (Az.: 508-516.80/38 579) teilte das Auswärtige Amt dem VG Wiesbaden mit, die armenische Minderheit in Aserbaidschan könne - nunmehr - ungestört eine schulische und berufliche Ausbildung durchlaufen und darauf fußend ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Auch in anderen Bereichen hat sich die Gesamtsituation für die armenische Minderheit deutlich verbessert. Dazu führt das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 27. Juni 2002 weiter aus, armenische Volkszugehörige hätten nach den maßgeblichen aserbaidschanischen Gesetzen die gleichen Rechte wie die Mehrheit der Bevölkerung. Gegen jegliche Form der Benachteiligung sei ihnen der Rechtsweg eröffnet.

Hatten vormals drei in Aserbaidschan tätige Menschenrechtsorganisationen auf eine entsprechende Anfrage noch angegeben, bis zum Jahr 2000 hätten sich pro Jahr ca. 20-30 armenische Volkszugehörige mit der Bitte um Unterstützung an sie gewandt, so reduzierte sich ihre Zahl im Jahr 2001 auf nur bis zu 16 Personen. Diese Beschwerdeführer hätten dabei ausschließlich Alltagsprobleme ohne verfolgungsspezifischen Hintergrund angesprochen.

Die Auswertung der dargestellten Erkenntnisse vor allem auch der jüngsten Auskünfte unter Einbeziehung der Lageberichte zu Aserbaidschan des Auswärtigen Amtes vom 13. September 2000 (Az.: 514-516.80/3 ASE), 11. Mai 2001 (Az.: 508-516.80/3 ASE) und 29. Januar 2002 (Az.: 508-516.80/3 AZE), lassen nichts für eine derzeit bestehende oder künftig drohende Gefährdung armenischer Volkszugehöriger durch mittelbare Gruppenverfolgung erkennen. In dem jüngsten Lagebericht zu Aserbaidschan des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2003 (Az.: 508-516.80/3 AZE) wird diese Tatsache nochmals ausdrücklich bestätigt.

7. Im Übrigen besteht für die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr auch eine inländische Fluchtalternative in der Region von Berg-Karabach (so auch HessVGH, B. v. 30. Mai 2003 - 3 UE 858/02. A - Au AS 2003, 180 Leitsatz [Volltext in Juris]; OVG Schleswig, U. v. 12. Dezember 2002 - 1 L 239/01 -, zitiert nach Juris; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 20. September 2001 - 6 A 11840/00 -, zitiert nach Juris).

7.1. Eine Fluchtalternative besteht in einem solchen Gebiet, in dem (erneute) politische Verfolgung durch denselben Verfolger regelmäßig nicht stattfindet. Der Betroffene kann auf absehbare Zeit verfolgungsfrei dort leben (vgl. hierzu auch Ausführungen oben unter 4.). Das gilt nicht nur innerhalb eines landesweit "verfolgungsmächtigen" Staates, sondern auch für solche Regionen des Staatsgebietes, in denen er seine wirksame Gebietshoheit und Verfolgungsmacht, sei es infolge eines Bürgerkrieges oder sei es wegen des Eingreifens fremder Mächte, vorübergehend eingebüßt hat (vgl. BVerwG, U. v. 8. Dezember 1998 - 9 C 17/98 -, NVwZ 1999, 544 ff.). Die für eine so genannte inländische Fluchtalternative aufgestellten Grundsätze gelten allerdings dann nicht mehr, wenn der (Verfolgungs-)Staat in der als Alternative in Betracht gezogenen Region auf Dauer die Gebietsherrschaft verloren hat; dann wird dieses Gebiet asylrechtlich zum Ausland (vgl. zu der insoweit ähnlich gelagerten Problematik im Nordirak: BVerwG, U. v. 8. Dezember 1998 - 9 C 17/98 -, BVerwGE 108, 84 ff.).

Gemessen an diesen Grundsätzen gehört das Gebiet von Berg-Karabach völkerrechtlich zum Territorium der Republik Aserbaidschan.

Es handelt sich um eine Region, die zwar von der dort lebenden armenischen Bevölkerungsmehrheit im Dezember 1991 für unabhängig erklärt wurde. Dieser "Schritt" wurde jedoch weder von der Aserbaidschanischen Republik noch von anderen Staaten zu irgendeinem Zeitpunkt anerkannt. In seiner Auskunft vom 16. Februar 1998 (Az.: 514-516.80/31 011) teilte das Auswärtige Amt dem VG Oldenburg hierzu mit, der Status dieses Landesteils sei zwar umstritten. Einerseits könne seine Rückkehr unter die tatsächliche Gebietshoheit Aserbaidschans, sei es auf friedlichem Weg oder durch militärischen Zwang, für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Andererseits verfüge Nagorny-Karabach auch nicht über die nach dem Völkerrecht für einen unabhängigen Staat erforderlichen Merkmale. Zwar weise es die staatskonstituierenden Merkmale "Staatsgebiet" und "Staatsvolk" auf. Das dritte Merkmal, nämlich Staatsgewalt, sei jedoch nur eingeschränkt vorhanden. Die Staatsgewalt werde sowohl von der international nicht anerkannten "Regierung" in Stepanakert (Nagorny-Karabach) als auch von Baku (Aserbaidschan) beansprucht. Von der dauerhaften Etablierung einer von Aserbaidschan unabhängigen Staatsmacht oder staatsähnlichen Organisationsform könne derzeit nicht ausgegangen werden, auch wenn der aserbaidschanische Staat sowohl zum Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin als auch heute noch in Berg-Karabach keine Staatsgewalt ausübe. Hierzu hat das Auswärtige Amt im Lagebericht zu Aserbaidschan vom 13. April 1999 weiter ausgeführt, aufgrund des Konflikts um Nagorny-Karabach habe Aserbaidschan die Gebietsgewalt über knapp 20 % seines Staatsterritoriums eingebüßt. In dem ursprünglich zur Aserbaidschanischen Sowjetrepublik gehörenden, mehrheitlich jedoch armenisch besiedelten "Autonomen Oblast Nagorny-Karabach" seien 1988 Forderungen nach Anschluss an die Sowjetrepublik Armenien laut geworden. Am 10. Dezember 1991 habe sich Nagorny-Karabach für unabhängig erklärt. Bis zum Abschluss des Waffenstillstands am 12. Mai 1994 sei es den Armeniern gelungen, einen breiten Schutzgürtel um Nagorny-Karabach zu besetzen und damit das Gebiet auf der gesamten Längsseite territorial mit der Republik Armenien zu verbinden.

Dies ändert aber nichts daran, dass dieses Gebiet noch heute völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört. Dem entspricht auch der Umstand, dass die armenische Seite nicht einmal mehr die Vereinigung Berg-Karabachs mit ihrem Staat fordert oder die Anerkennung Berg-Karabachs als unabhängigen Staat verlangt (so Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Aserbaidschan - Information -, Stand: 1. Juli 2000, S. 18). Es ist auch derzeit nicht erkennbar, dass sich die im Grunde stabile Situation - etwa durch militärische Interventionen von Seiten Aserbaidschans oder Armeniens - mit Folgen für die Sicherheit der dort in der Mehrheit lebenden Armenier verschlechtern wird. Der am 12. Mai 1994 zwischen den beiden Ländern geschlossene Waffenstillstand wird, mit wenigen Ausnahmen, eingehalten. Dazu stellt das Auswärtige Amt im Lagebericht zu Aserbaidschan vom Januar 2003 fest, die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans hätten sich gegenüber dem Europarat verpflichtet, den Konflikt auf friedlichem Weg zu lösen. Sie träfen sich seit Mitte 1999 in unregelmäßigen Abständen zu zweiseitigen Gesprächen, um eine Kompromisslösung zu finden.

Ist der Verfolgerstaat Aserbaidschan nicht dauerhaft aus dem Gebiet von Berg-Karabach verdrängt worden, kommt die Region grundsätzlich als inländische Ausweichbzw. Zufluchtsmöglichkeit in Betracht. Da der aserbaidschanische Staat in dem betroffenen Gebiet seine Staatsmacht zumindest vorübergehend faktisch verloren hat, kann dort eine politische Verfolgung regelmäßig nicht stattfinden (vgl. hierzu auch: BVerwG, U. v. 5. Oktober 1999 - 9 C 15/99 -, NVwZ 2000, 332 f.)

7.2. Es gibt nach der derzeitigen Auskunftslage keine Anhaltspunkte dafür, dass sich armenische Volkszugehörige oder deren Abkömmlinge auch aus Mischehen künftig nicht mehr in der Region von Berg-Karabach aufhalten könnten und daher dort auf Dauer nicht sicher wären (vgl. OVG Schleswig, U. v. 12. Dezember 2002, a. a. O.). Das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage einer inländischen Fluchtalternative in seinem Beschluss vom 23. Januar 1991 im Zusammenhang mit von Dritten ausgehenden gruppengerichteten Verfolgungen ausgeführt, es bedürfe einer Prüfung, ob Grund zu der Annahme bestehe, dass sich eine für das übrige Land angenommene "Schutzunwilligkeit des Staates" auch auf bisher verfolgungsfreies Gebiet ausdehnen könne (BVerfG, B. v. 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89-, a.a.O.).

Eine solche Ausdehnung auf das Gebiet um Berg-Karabach wäre zum einen dann zu erwarten, wenn der aserbaidschanische Staat eine militärische "Rückführung" des Gebietes in seine "Hoheitsgewalt" erkennbar anstreben würde, um ohne Rücksicht auf die vorhandene Bevölkerungsstruktur seine Interessen durchzusetzen. Für eine solche Intervention von aserbaidschanischer Seite fehlen indes jegliche Anhaltspunkte. Angesichts der andauernden Bemühungen von Aserbaidschan und Armenien, eine friedliche Lösung zu erzielen, kann eine einseitige militärische (gewalttätige) Lösung durch die Republik Aserbaidschan ausgeschlossen werden. Hierzu führt das Bundesamt in seiner Armenien-Information (Stand: Juli 2001, S. 8) aus, in Aserbaidschan herrsche die Meinung vor, dass man sich einen erneuten Krieg jetzt nicht leisten könne. Wenn Armenien die Kriegsangst schüre und die Mobilisierung ausrufe, dann diene ein solcher Vorgang dazu, später eine Einigung zu erzielen und darauf hinzuweisen, dass man die Kriegsgefahr abgewandt habe.

Auch für den Fall einer friedlichen Lösung des Konfliktes gilt nichts anderes. Sollte im Rahmen eines Friedensabkommens die Staatsgewalt in dem Gebiet von Berg-Karabach durch die Republik Aserbaidschan übernommen werden, so ist auch für diesen Fall nicht zu erwarten, dass sich eine Verfolgung armenischer Volkszugehöriger auf diesen Landesteil ausdehnen wird. Bei einem solchen Abkommen wird sicherlich zum einen den geänderten politischen Gegebenheiten - insbesondere mit der Öffnung hin zu westlichen Demokratien - Rechnung zu tragen sein. Dies gilt vor allem mit Blick auf die unter Auflagen am 25. Januar 2001 erfolgte Aufnahme Aserbaidschans und Armeniens in den Europarat. Zugleich mit der Aufnahme hat Aserbaidschan die Europäische Menschenrechtskonvention gezeichnet. Nach Billigung durch das aserbaidschanische Parlament im Dezember 2001 hat sich Aserbaidschan mit der völkerrechtlichen Ratifizierung am 15. April 2002 unter dieses grundlegende "Instrument" des europäischen Menschenrechtsschutzes unterworfen (Auswärtiges Amt, Lagebericht zu Aserbaidschan vom 9. Januar 2003, S. 6). Auf Grund seiner prioritären Ausrichtung nach Westen zeigt der aserbaidschanische Staat auch große Bemühungen, eklatante Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden bzw. zu korrigieren (auch wenn seit dem Beitritt zum Europarat ein Nachlassen erkennbar ist [vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht zu Aserbaidschan vom 9. Januar 2003, S. 7]).

Davon abgesehen wird zum anderen in einer Friedensregelung zu berücksichtigen sein, dass Armenien eine militärische Überlegenheit in der Region besitzt. Vor diesem Hintergrund dürfte eine Lösung des Konfliktes nur im Sinne einer weitgehenden Selbstbestimmung für die Region von Berg-Karabach möglich sein. Eine unmittelbare Einflussnahme durch Aserbaidschan und damit verbunden eine mögliche Ausdehnung der Verfolgung armenischer Volkszugehöriger kann ausgeschlossen werden. Darüber hinaus scheint auch die Republik Aserbaidschan davon auszugehen, dass eine "Reintegration" des Gebietes von Berg-Karabach schwierig werden wird. So wird in der Armenien-Information des Bundesamtes (Juli 2001, S. 8) ausgeführt, den Aserbaidschanern scheine klar zu sein, dass sie Berg-Karabach verloren haben.

8. In Berg-Karabach drohen der Klägerin auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit andere Gefahren oder Nachteile, die zum Ausschluss des Gebietes als inländische Fluchtalternative führen würden.

Auch in einem verfolgungsfreien Gebiet darf der Zufluchtsuchende nicht durch andere Nachteile und Gefahren, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, in eine für ihn ausweglose Lage geraten, sofern diese existenzielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, B. v. 2. Juli 1980 - Az.: 1 BvR 147/80, 1 BvR 181/80, 1 BvR 182/80 -, BVerfGE 54, 341 ff. [357]).

Obwohl die Klägerin vorverfolgt aus Aserbaidschan ausgereist ist, gilt für diese anderen Nachteile und Gefahren nicht der so genannte herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Was die anderen "Gefährdungen" angeht, die mit dem Ausweichen in eine verfolgungsfreie Region des Heimatlandes verbunden sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden (BVerfG, B. v. 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, a. a. O., 345.). Für den Bereich der anderen "Nachteile", wozu auch solche, an unverfügbaren Merkmalen objektiv anknüpfende Rechtsverletzungen durch eine andere Staatsmacht als die des Verfolgerstaats zählen, gilt dies deshalb, weil die Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes nur dem Umstand Rechnung trägt, dass bereits eine (Gruppen-)Verfolgung stattgefunden hat, die einem bestimmten Verfolgerstaat zurechenbar ist. Da die Klägerin nicht auf Grund einer Vorverfolgung durch die "staatsähnlichen Selbstverwaltungsorgane" der Region von Berg-Karabach ausgereist ist, kann daher auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab insoweit nicht abgestellt werden.

8.1. Der Klägerin drohen davon ausgehend in der Region von Berg-Karabach nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgungsmaßnahmen durch die dortigen karabachischen "staatsähnlichen Selbstverwaltungsorgane".

Eine unmittelbare oder mittelbare "staatliche" Verfolgung der Klägerin wegen ihrer armenischen Abstammung kann ausgeschlossen werden, weil es hierzu keine Erkenntnisse gibt und in Berg-Karabach fast ausschließlich armenische Volkszugehörige leben.

Ebenso fehlen Anhaltspunkte für eine Verfolgungssituation von russisch-stämmigen Menschen, wie der Klägerin. Selbst bei Menschen aserischer Herkunft, der die Klägerin von der Umgebung zugerechnet werden könnte, kann eine Verfolgung nicht angenommen werden. Dagegen spricht die vergleichbare Situation aserischer Volkszugehöriger in Armenien (vgl. hierzu ausführlich: OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 20. September 2001 - 6 A 11840/00 -, a. a. O., m. w. N), in erster Linie aber die enge Verbundenheit der Region mit Armenien. Diese ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass Bewohner des Gebiets von Berg-Karabach als armenische Staatsangehörige angesehen werden. Die Einwohner in Berg-Karabach bekommen armenische Reisepässe. Diese werden in Stepanakert von den dortigen Behörden ausgestellt und haben eine Kennziffer, die erkennen lässt, dass sie in Berg-Karabach ausgestellt wurden (Bundesamtes Armenien -Information-, Stand: Juli 2001). Auch politisch gesehen agieren Armenien und die Region von Berg-Karabach auf nahezu einer politischen "Linie". So werden in den Friedensverhandlungen die armenischen Interessen und die Interessen Berg-Karabachs einheitlich durch den Präsidenten der Republik Armenien vertreten (Auswärtiges Amt, Lagebericht zu Aserbaidschan vom 11. Mai 2001).

Darüber hinaus hat das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 23. Mai 2002 dem VG Schleswig-Holstein mitgeteilt, es lägen weder Erkenntnisse darüber vor, dass Personen nicht karabachischer Herkunft durch die Bevölkerung oder die Verwaltungsbehörden Berg-Karabachs benachteiligt bzw. verfolgt würden. Noch gebe es Hinweise dafür, dass Personen aus armenisch-aserbaidschanischen Mischehen oder deren Abkömmlinge (halbaserbaidschanischer Herkunft) dort nicht ungestört leben könnten. Es gebe ebenso wenig Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer nach Nagorny-Karabach bei ihrer Eingliederung mit Schwierigkeiten seitens der Behörden oder Dritter zu rechnen hätten. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts leben mehr als 50 Familien armenisch-aserbaidschanischer Mischehen in Nagorny-Karabach. Dass in armenisch-aserbaidschanischen Mischehen lebende Familien nicht nach Nagorny-Karabach zurückkehren könnten, auch in dem Fall, wenn eine aserbaidschanische Abstammung eines Ehepartners bekannt werden sollte, sei ebenfalls nicht erkennbar. Personen mit armenischer Ausrichtung hätten bei Bekanntwerden ihrer (halb-)aserbaidschanischen Herkunft ebenso wenig mit staatlichen Übergriffen zu rechnen. Dem Auswärtigen Amt seien keine Fälle bekannt geworden, in denen Angriffe Dritter gegenüber in Nagorny-Karabach in armenisch-aserbaidschanischer oder aserbaidschanisch-armenischer Mischehe lebenden Personen von den zuständigen Behörden nicht verfolgt und geahndet worden seien. Auch könne dieser Personenkreis bei derartigen Vorfällen ungehindert einen Rechtsanwalt seiner Wahl zur Durchsetzung seiner Rechte in Anspruch nehmen (vgl. hiezu ausführlich: Dr. Tessa Savvidis, Stellungnahme vom 7. Mai 2002 an den Bayerischen VGH).

8.2. In der Region von Berg-Karabach drohen der Klägerin auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit andere Gefahren, insbesondere ist nicht erkennbar, dass sie dort wirtschaftlich nicht existieren kann.

Ein verfolgungssicherer Ort bietet dem Ausländer das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich immer dann, wenn er durch eigene Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Das ist nur dann nicht der Fall, wenn der Asylsuchende am Ort der inländischen Fluchtalternative bei der gebotenen grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat, als ein Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (st. Rspr. vgl. u. a. BVerwG, B. v. 31. Juli 2002 -1B128/02-, ZAR 2002, 369 ff.; Zusammenfassung der bisherigen Rechtssprechung).

Eine solche Situation ist für die Klägerin in Berg-Karabach nicht zu erwarten.

Bereits in seinem Lagebericht zu Aserbaidschan vom 13. April 1999 berichtete das Auswärtige Amt, es bestünden keine existentiellen Nöte für Flüchtlinge in der Region von Berg-Karabach. Die aus Aserbaidschan Vertriebenen seien dort zumeist in Flüchtlingsunterkünften untergebracht und führten ein sehr bescheidenes Leben. Auch das Bundesamt sieht keine Existenznöte in dem oben genannten Sinne. In seiner Armenien-Information vom Juli 2001 teilte es hierzu im Wesentlichen in Übereinstimmung mit dem Auswärtigen Amt mit, eine aktive Besiedlungspolitik werde in Berg-Karabach nicht betrieben. Es könne sich jeder dort niederlassen und anmelden. Er erhalte dann von den Behörden Land und Vieh u. s. w. zur Eigenversorgung zugewiesen. Nach Aussage des Vizeaußenministers von Berg-Karabach würde zwar ein Teil der landwirtschaftlichen Produkte aus Berg-Karabach über Armenien nach Russland geliefert. Die meisten heimischen landwirtschaftlichen Produkte dienten jedoch der Selbstversorgung der Bevölkerung.

Trotz einer gewissen Belastung der landwirtschaftlichen Flächen in der Region von Berg-Karabach ist eine Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gewährleistet. So teilte die Deutsch-Armenische Gesellschaft in ihrer Stellungnahme vom 3. August 2002 zur gesamtwirtschaftlichen Situation in der Region dem Bayerischen VGH mit, nach offiziellen Angaben der Behörden lebten in Berg-Karabach zum Jahresbeginn 2002 noch ungefähr 144.300 Menschen. Nach Angaben einer Regierungskommission seien nach dem Krieg rund 15.000 ha Land, davon mehr als ein Drittel landwirtschaftlich nutzbarer Fläche, in Berg-Karabach vermint gewesen. Auch heute noch seien viele Flächen minenverseucht und nicht nutzbar. Allerdings hätten vor allem mit Hilfe der in Großbritannien ansässigen Organisationen "Halo Trust" in den vergangenen Jahren eine große Zahl von Minen unschädlich gemacht werden können, mit der Folge, dass weiteres Land zum Anbau landwirtschaftlicher Produkte zur Verfügung stehe.

Die Regierung Berg-Karabachs ist in zunehmendem Maße auch an einem Bevölkerungszuzug interessiert. Bereits im Jahre 1994 hat sie ein Rückkehrerprogramm aufgelegt. Danach erhalten sowohl die vor dem Krieg in Berg-Karabach ansässigen als auch die in die Region zurückkehrenden Familien eine Aufbauhilfe. Ein spezielles Programm der Regierung Berg-Karabachs zur Wiederbesiedlung zerstörter und weitgehend verlassener Siedlungen, das bis zum Jahr 2010 umgesetzt werden soll, sieht Mittel in Höhe von 450 Mio. Dram (790.000 US-Dollar) vor. Damit sollen zum einen Wohngebäude und Schulen in Stand gesetzt und zum andern das Leitungssystem für die Wasser- und Stromversorgung wiederhergestellt werden. Rund 50 Mio. Dram (90.000 US-Dollar) aus diesem Programm seien als Anreiz für Neuansiedler vorgesehen. Nach Angaben der Behörden von Berg-Karabach sollen sich seit 1993 rund 4.500 Siedler in Berg-Karabach niedergelassen haben. Rund 700 weitere Familien hätten ein entsprechendes Interesse bekundet.

Für eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage spricht auch die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Mai 2002 an das VG Schleswig (Az.: 508-518.80/39200). Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts hat sich die Versorgungssituation in Nagorny-Karabach wesentlich gebessert und derjenigen in der Republik Armenien angeglichen. Zudem seien eine Vielzahl von humanitären Organisationen unterschiedlicher Geberländer dort tätig. In den Vereinigten Staaten lebende Armenier unterstützten die in Nagorny-Karabach arbeitenden Einrichtungen mit erheblichen finanziellen Mitteln und trügen damit zur Verbesserung der Lebensbedingungen bei. Es lägen außerdem keine Erkenntnisse darüber vor, dass Geberländer oder humanitäre Hilfsorganisationen bei ihren Hilfslieferungen bestimmte Personengruppen ausschlossen. So würden bei den Hilfsbedürftigen auch keine Unterschiede wegen des Geschlechts oder wegen anderer Merkmale gemacht. Es sei nunmehr ebenfalls genügend Wohnraum und Land vorhanden. Es siedelten sich inzwischen Einzelpersonen und Familien, nicht nur armenischer Volkszugehörigkeit, aus den verschiedensten GUS-Staaten in Nagorny-Karabach an. Sie würden mit staatlichen Mitteln und Programmen gefördert. Auch werde Übersiedlern nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes staatliche Unterstützung in der Zuweisung von Wohnraum, von Grundstücken und bei humanitären Hilfsgütern gewährt. Für diesen Personenkreis würden auch einmalige finanzielle Mittel für Familien zur Verfügung gestellt (vgl. hierzu Auskunft der Deutsch-Armenischen Gesellschaft vom 3. August 2002, wonach es umgerechnet ca. 45,50 US-Dollar für das Familienoberhaupt und ca. 4,50 US-Dollar für jedes weitere Familienmitglied gibt; daneben wird ein Kredit von ca. 364 US-Dollar gezahlt, der in einem Zeitraum von über 20 Jahre zurück zu zahlen ist). Auch die Auslagen für den Transport von der Republik Armenien bis zum zukünftigen Wohnort in Berg-Karabach würden erstattet.

Darüber hinaus wird bei Personen, die aus Berg-Karabach stammten und in Deutschland Asyl beantragt hätten, davon ausgegangen, dass sie im allgemeinen nicht mittellos in ihre Heimat zurückkehren. In der Regel ist anzunehmen, dass die Asylbewerber - damit auch die Klägerin - aus den Leistungen, die sie hier erhalten, Ersparnisse angesammelt haben, die zwar nach unseren hiesigen westeuropäischen Maßstäben als niedrig anzusehen sind, denen aber unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation in Berg-Karabach eine ungleich wesentlichere Bedeutung beizumessen ist (zur Bedeutung vorhandener finanziellen Mittel zur Existenzgründung vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 23. Mai 2002 an das VG Schleswig; Dr. S, Gutachten vom 7. Mai 2002 für den bayerischen VGH). Mit den während ihres langjährigen Aufenthalts angesparten Geldsummen sind sie bei ihrer Rückkehr im Vergleich zur ortsansässigen Bevölkerung finanziell besser gestellt. Sie erleichtern ihnen damit den Aufbau und die Sicherung einer Existenz. So bewertet das Auswärtige Amt in den aktuellen Lageberichten zu Aserbaidschan aus den Jahren 2002 und 2003 die Situation für nach Berg-Karabach zurückkehrende Personen auch als durchweg positiv.

Abgesehen davon stellt sich die wirtschaftliche Lage in Berg-Karabach für die Flüchtlinge auch besser dar als in Aserbaidschan. Nachdem die Arbeitslosenquote in der Region von Berg-Karabach mit lediglich 6,5 % relativ gering ist, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass nach wie vor ein erheblicher Anteil der männlichen Bevölkerung Militärdienst leisten muss (vgl. hierzu: Deutsch-Armenische Gesellschaft, Gutachten vom 3. August 2002) und angesichts der rasch fortschreitenden Wirtschaftsentwicklung sprechen maßgebliche Anhaltspunkte dafür, dass es arbeitsfähigen und -willigen Rückkehrern in der Region von Berg-Karabach möglich sein wird, ihre Existenz zu sichern. Dies gilt vor allem, angesichts der - im Wesentlichen ausländischen - Unterstützungsmaßnahmen zum Wiederaufbau der Sozial- und Wirtschaftsstruktur. Vergleichbare Hilfsprojekte findet man in Aserbaidschan nicht. Darüber hinaus berichtet das Auswärtige Amt im aktuellen Lagebericht Aserbaidschan vom 9. Januar 2003 zur Wirtschaftssituation in Aserbaidschan, vor dem Hintergrund der trotz Wachstumsraten von 10% nach wie vor schlechten Wirtschaftslage, verbunden mit dem Zusammenbruch des sozialen Netzes, einem Durchschnittsgehalt von 50 US $ und einer geschätzten Arbeitslosigkeit von 25 %, lebten nach Angaben der Weltbank 49 % (im Lagebericht des Vorjahres wurde der Wert noch mit 60 % angegeben) der Bevölkerung in Armut, viele davon unter dem Existenzminimum. Besonders schwer betroffen, so das Auswärtige Amt, seien Rentner, Flüchtlinge aus Berg-Karabach und Kranke, die oft zum Betteln gezwungen seien bzw. vom Hausmüll lebten.

Dass nach Berg-Karabach kommende Flüchtlinge darüber hinaus, etwa wegen fehlender Arbeitsplätze, z. B. im erlernten Beruf, gegebenenfalls auf die Landwirtschaft oder sonstige Aufbauarbeiten in kriegszerstörten und abgelegenen Siedlungen angewiesen sind, und diese mit den Arbeitsbedingungen in westlichen Staaten nicht vergleichbar sind, gibt keinen Anlass zu einer anderen Betrachtung (Deutsch-Armenische Gesellschaft, Gutachten vom 3. August 2002, S. 5). Denn es entspricht der st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichtes, dass auch solche, der Vorbildung nicht entsprechenden, unattraktiven Arbeiten zumutbar sind (BVerwG, B. v. 9. Januar 1998 - 9 B 1130/97 - zitiert nach Juris). Auch die von Hans Konrad vom Transkaukasus-Institut in seiner Auskunft vom 5. Juni 2003 an das VG Ansbach geäußerten Bedenken, ob der dortige Kläger (Landarbeiter) überhaupt in der Lage sei, in Berg-Karabach Arbeit zu finden, relativiert sich vor der nachfolgenden Aussage, dass die (durch Landzuteilung mögliche) kärgliche Landwirtschaft vorwiegend der Eigenversorgung diene. Ist aber eine Eigenversorgung möglich, dann ist das Existenzminimum gesichert. Davon abgesehen wäre es der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Berg-Karabach zumindest vorübergehend auch zumutbar, am Rande des Existenzminimums zu leben. Wesentlich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist allein, dass sie nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige auch unter Einsatz eigener finanzieller Mittel zu erlangen in der Lage ist (vgl. BVerwG, B. v. 31. Juli 2002, a. a. O.).

Der Umstand, dass die Klägerin die armenische Sprache nur schlecht versteht und kaum spricht, gebietet ebenso wenig eine andere Bewertung in der Sache (vgl. hierzu auch HessVGH, B. v. 30. Juni 2003, a. a. O.). Schon in ihrer Stellungnahme vom 19. Februar 1999 an das VG Stuttgart hat die Deutsch-Armenische Gesellschaft festgestellt, die armenische Sprache werde schon seit längerem von den in Aserbaidschan lebenden Armeniern, die hauptsächlich Russisch sprechen würden, kaum noch beherrscht. In seiner Auskunft vom 23. Mai 2002 hat das Auswärtige Amt gegenüber dem VG Schleswig-Holstein in der mangelnden Sprachkenntnis jedenfalls keinen Hinderungsgrund für eine Rückkehr gesehen. Denn obwohl der Asylbewerber in dem dortigen Verfahren - wie auch die Klägerin - weder Armenisch noch Aserbaidschanisch sprach und sich nur auf Russisch verständigen konnte und das Gericht auf diese Umstände ausdrücklich hingewiesen hatte, berichtet das Auswärtiges Amt insoweit von keinen Problemen. In seiner Auskunft vom 27. Juni 2002 teilt das Auswärtige Amt außerdem auf eine Anfrage des VG Wiesbaden mit, dass sich die Angehörigen der armenischen Minderheit im Alltag entweder der russischen oder aserbaidschanischen Sprache bedienten.

Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür konkret vorgetragen, dass die Klägerin wegen ihrer Sprachkenntnisse besondere Schwierigkeiten am Ort der inländischen Fluchtalternative haben könnte.

9. Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative scheitert auch nicht an der fehlenden Erreichbarkeit Berg-Karabachs. In dieses Gebiet kann man von Deutschland aus gefahrlos über Armenien einreisen (vgl. hierzu auch: HessVGH, B. v. 30. Juni 2003 - 3 UE 290/02. A -, a.a.O.; OVG Schleswig, U. v. 12. Dezember 2002 - 1 L 239/01 -, a. a. O., m. w. N.; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 20. September 2001, a. a. O.). Eine zumutbare inländische Fluchtalternative für einen im Ausland befindlichen Asylbewerber besteht auch dann, wenn er die im Übrigen den Anforderungen an eine verfolgungsfreie Region entsprechenden Landesteile unmittelbar vom Ausland - im Transitwege - erreichen kann. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 16. Januar 2001 (Az.: 9 C 16/00, BVerwGE 112, 345 ff. = AuAS2001, 102 ff.) ausgeführt, die Frage der Erreichbarkeit des Gebiets einer inländischen Fluchtalternative stelle sich für den im Ausland befindlichen Asylbewerber allerdings grundsätzlich anders als für denjenigen dar, der sich in seinem Heimatstaat in einem Gebiet aufhalte, in dem ihm (regionale) politische Verfolgung unmittelbar drohe. Wer bei einer Rückkehr in den Heimatstaat die sicheren Landesteile zwar nicht vom Inland, aber unmittelbar vom Ausland aus erreichen könne, bedürfe des asylrechtlichen Schutzes nicht. Asylrechtlich unbeachtlich sei in einem solchen Fall auch die nur vorübergehende Nichterreichbarkeit der sicheren Gebiete, etwa infolge unterbrochener Verkehrsverbindungen oder typischerweise behebbarer Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Reisepapieren und Transitvisa. Die Anerkennung des Asylbewerbers als politischer Flüchtling nach Art. 16 a GG und §51 Abs. 1 AuslG in Verbindung mit Art. 1 A GFK sei in solchen Fällen erst gerechtfertigt, wenn feststehe, dass ihm die Rückkehr in eine sichere Region des Heimatstaates, die auch sonst alle Anforderungen an eine inländische Fluchtalternative erfülle, dauerhaft nicht zumutbar möglich sei.

Die Klägerin kann davon ausgehend das Gebiet von Berg-Karabach - anders als von Aserbaidschan aus - erreichen. Die Einreise nach Berg-Karabach ist über Armenien möglich. In der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17. August 2000 zu einer Anfrage des VG Augsburg, ob eine aus Berg-Karabach stammende Person dorthin zurückkehren könne, heißt es zwar, dass eine Prüfung stattfinde, ob die Person tatsächlich aus Berg-Karabach stamme. Daraus könne aber nicht bereits geschlossen werden, dass anderen armenischen Volkszugehörigen die Einreise und der Aufenthalt verwehrt werde (vgl. auch: OVG Schleswig, U. v. 12. Dezember 2002 - 1 L 239/01 -, a. a. O.). Sämtliche neueren Auskünfte und Gutachten sehen derartige Einschränkungen nicht. So teilte das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 23. Mai 2002 dem VG Schleswig-Holstein auf dessen Anfrage, in der ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass der Betroffene nicht karabachischer Herkunft sei, mit, dass keine Einschränkungen hinsichtlich der Einreise und dem Aufenthalt in Berg-Karabach bestünden (vgl. auch Ausführungen oben unter 7.). Die Stellungnahme von Dr. S vom 7. Mai 2002 an den Bayerischen VGH, die im Wesentlichen auf der Wiedergabe von Interviews mit dem Minister für soziale Wohlfahrt der "Republik" Berg-Karabach, L G, M H vom Radio Freies Arzach und einer Stellungnahme von M M vom Außenministerium Berg-Karabach beruht, ergab, dass keine Probleme bei einer Einreise und dem Aufenthalt nicht aus Berg-Karabach stammender armenischer Volkszugehöriger bestehen. Minister G erklärte zudem in dem Interview, aus Aserbaidschan kommende Staatsangehörige armenischer Nationalität (Volkszugehörigkeit) könnten ohne Probleme von Seiten karabachischer Behörden einreisen. Bei der Vertreibung der Armenier aus Aserbaidschan seit 1988 seien zunächst Armenier aus verschiedenen ländlichen wie städtischen Regionen Aserbaidschans gekommen, die nicht karabachischen Ursprungs gewesen seien. Der stellvertretende Außenminister Berg-Karabachs, M M (vgl. Dr. G K, Auskunft vom 5. Juli 2002 an das VG Schleswig-Holstein), bestätigte, dass unter bestimmten Voraussetzungen aserbaidschanische Staatsbürger armenischer oder anderer ethnischer Herkunft sogar die "Staatsbürgerschaft" Berg-Karabachs erwerben könnten. Sie besäßen zwar bislang keine Pässe, die von anderen Staaten anerkannt würden. Sei ein Antragsteller armenischer Nationalität und stamme zumindest einer seiner Eltern aus Karabach, so könne er einen Antrag auf Aufenthaltsrecht in Berg-Karabach stellen. Habe der Antragsteller eine andere Staatsbürgerschaft, müsse er sich mindestens ein Jahr in Karabach aufgehalten haben und einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sein.

II. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen (§ 53 AuslG) berufen.

Da die Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG zu Gunsten der Klägerin ausscheidet, macht es die Ablehnung dieses Anspruches erforderlich, über das von ihrem - ursprünglichen - Klageantrag umfasste Begehren zu entscheiden, die Beklagte zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG zu verpflichten (st. Rspr., vgl. BVerwG, U. v. 15. April 1997 - 9 C 19/96 -, BVerwGE 104, 260 ff. [262]). Dessen Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1 AuslG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden und nach Absatz 2, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn dieser Staat ihn wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Todesstrafe besteht, ist nicht ersichtlich. Denn es liegen keine hinreichenden individuellen Anhaltspunkte für diesbezügliche konkrete Gefahren vor (BVerwG, U. v. 15. April 1997 - 9 C 38/96 -, InfAuslR 1997, 341 ff. [343]).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 AuslG, wonach ein Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, von dem ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen vorliegt, liegen hinsichtlich der Klägerin ebenfalls nicht vor.

Ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG ist gleichfalls nicht ersichtlich. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Als Grundlage eines Abschiebungshindernisses kommt vorliegend allein Art. 3 EMRK in Betracht, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Voraussetzung ist aber immer, dass im Zielland der Abschiebung landesweit eine dermaßen unmenschliche Behandlung oder Misshandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation droht (BVerwG, U. v. 17. Oktober 1995 -9 C 15/95-, BVerwGE 99, 331 ff. [335]; U. v. 15. April 1997 - 9 C 38/96 -, a. a. O., 344; BVerfG, U. v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1507/93 -, BVerfGE 94, 115 ff. [136]; U. v. 4. November 1997 - 9 C 34/96 -, DVBl. 1998, 280 ff.). Eine landesweite Gefahr dieser Art besteht in Aserbaidschan nicht. Dies gilt auch wegen der Möglichkeit der Klägerin, nach Berg-Karabach auszuweichen. Anhaltspunkte dafür, dass in diesem Gebiet selbst eine solche Gefährdung bestünde, gibt es überdies nicht.

Anhaltspunkte für Gefährdungslagen nach § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. anderen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention sind ebenso wenig ersichtlich.

Eine Anwendung von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Danach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für das Vorliegen einer solchen Gefahr muss eine - auf bestimmte Tatsachen gestützte - beachtliche Wahrscheinlichkeit bestehen, d. h., die festgestellten Umstände des Lebenssachverhaltes müssen unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit und Intensität der in Rede stehenden Rechtsgutverletzung gewichtet und abgewogen werden, wobei dieser Maßstab unabhängig davon gilt, ob der Ausländer schon vor der Einreise ins Bundesgebiet Eingriffe in die geschützten Rechtsgüter erlitten hat. Unerheblich ist hier - anders als bei § 53 Abs. 4 AuslG -, ob die Gefahr einem Staat oder einer quasi-staatlichen Macht zuzurechnen ist. Erforderlich ist nur, dass die Gefahr landesweit droht und ein Ausweichen in sichere Gebiete des Herkunftslandes nicht möglich ist (BVerwG, U. v. 05. Juli 1994 -9 C 1/94-, InfAuslR1995, 24 ff. [26]; U. v. 17. Oktober 1995 - 9 C 9/95 -, BVerwGE99, 328ff. [330]; U. v. 4. Juni 1996 - 9 C 134/95 -, NVwZ 1996, Beilage Nr. 12, 89 f.). Bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan bestehen, wie bereits dargelegt, keine Zweifel an der Sicherheit der Klägerin, so dass auch - gegebenenfalls unter Berücksichtigung der inländischen Fluchtalternative Berg-Karabach - keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit in diesem Sinne angenommen werden kann.

III. Die erlassene Abschiebungsandrohung erweist sich ebenfalls als rechtmäßig.

Da die Klägerin keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt und keine Abschiebungshindernisse bestehen, war sie gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 50 AuslG unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufzufordern. Gemäß § 38 Abs. 1 AsylVfG endet die Ausreisefrist einen Monat nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Die Bezeichnung Aserbaidschans als Zielstaat einer Abschiebung ist nicht zu beanstanden.

Die Benennung Aserbaidschans als Zielstaat der Abschiebung ohne Einschränkung auf einen sicheren Gebietsteil ist auch dann nicht zu beanstanden, wenn die Klägerin in Aserbaidschan nicht hinreichend sicher wäre, sie aber auf eine inländische Fluchtalternative im Gebiet von Berg-Karabach verwiesen werden könnte. Denn § 50 Abs. 2 AuslG gebietet es in Fällen regionaler (oder örtlich begrenzter) politischer Verfolgung nicht, die Abschiebungsandrohung auf das sichere Teilgebiet des Abschiebezielstaats zu beschränken (BVerwG, U. v. 16. November 1999 - 9 C 4/99 - BVerwGE 110, 74 ff. = AuAS 2000, 27 ff.).

Nach § 50 Abs. 2 AuslG soll in der Abschiebungsandrohung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Der Ausländer muss darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Hat der Ausländer in seinem Heimatstaat politische Verfolgung zu befürchten oder bestehen dort Abschiebungshindernisse, scheidet dieser als Zielstaat einer Abschiebung nur dann aus, wenn ihm die Gefahren landesweit drohen oder er das sichere Gebiet im Heimatstaat nicht erreichen kann (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, B. v. 10. Juli 1989, a.a.O., 342 ff.; BVerwG, U. v. 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -BVerwGE 99, 324 ff. [330]). Ist dies nicht der Fall, kann ihm grundsätzlich trotz regionaler Verfolgung oder in Gebietsteilen drohender Gefahren die Abschiebung in diesen Staat angedroht werden. Die Abschiebungsandrohung ist Teil des Vollstreckungsverfahrens zur zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers. Es ist daher Sache der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde sicherzustellen, dass der Ausländer nicht in die Arme des Verfolgers oder in gefährliche Gebiete abgeschoben wird. Um dies zu vermeiden, hat die Ausländerbehörde vor der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers die Ergebnisse des abgeschlossenen Anerkennungsverfahrens sorgfältig daraufhin zur Kenntnis zu nehmen, ob dem ausreisepflichtigen Ausländer regionale Verfolgung oder sonst erhebliche Gefahren in Teilen des Abschiebungszielstaats drohen und er deshalb möglicherweise nur in bestimmten Gebieten sicher ist. Vor diesem Hintergrund mag es mit Blick auf den gebotenen Schutz des Ausländers durchaus zweckmäßig sein, dass das Bundesamt auf sichere Gebiete im Entscheidungsausspruch hinweist, um so die Vollstreckungsbehörde auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Rechtlich geboten ist ein solcher Hinweis indessen nicht (BVerwG, U. v. 16. November 1999 - 9 C 4/99 -, a. a. O.).

IV. Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Wegen der Regelung in § 83b Abs. 1 AsylVfG werden Gerichtskosten nicht erhoben. Es entspricht jedoch nicht der Billigkeit, der Klägerin auch etwaige außergerichtliche Kosten des Bundesbeauftragten aus dem erstinstanzlichen Verfahren aufzuerlegen, denn dort hat er keinen Antrag gestellt und sich damit in diesem Verfahren keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 154 Abs. 3 VwGO entsprechend).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO in entsprechender Anwendung.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück