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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.03.2004
Aktenzeichen: 3 ZKO 733/03
Rechtsgebiete: SGB X, BSHG


Vorschriften:

SGB X § 111
BSHG § 107
BSHG § 96 Abs. 1 S. 2
1. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG kann gemäß § 111 SGB X fristgerecht von bzw. bei derjenigen Gemeinde geltend gemacht werden, die im Wege eines gesetzlichen Auftragsverhältnisses nach § 96 Abs. 1 S. 2 BSHG i.V.m. den jeweiligen landesrechtlichen Ausführungsgesetzen vom örtlichen Träger der Sozialhilfe zur Durchführung von Aufgaben der Sozialhilfe herangezogen worden ist.

2. Der örtliche Sozialhilfeträger kann im Außenverhältnis zu Kostenerstattungsberechtigten durch abweichende Festlegungen in den jeweiligen Heranziehungsvereinbarungen/-beschlüssen/-satzungen nicht die wirksame Anmeldung zur Kostenerstattung bei der beauftragten Gemeinde ausschließen.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 3. Senat - Beschluss

3 ZKO 733/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Sozialhilferechts,

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

Berichtigt durch Beschluss vom 30.03.2004

Weimar, den 13.04.2004

hat der 3. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Lindner, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schwachheim und die an das Gericht abgeordnete Richterin am Verwaltungsgericht Mößner am 11. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das ohne mündliche Verhandlung am 15. April 2003 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gera - 6 K 588/00 GE - wird abgelehnt.

Der Beklagte hat die Kosten des - gerichtskostenfreien - Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der in einer dem Darlegungsgebot entsprechenden Weise geltend gemacht worden ist (§ 124a Abs. 4 S. 4 VwGO), liegt nicht vor. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne ergeben sich nur dann, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Die ernstlichen Zweifel müssen zudem rechtserheblich sein. Sie müssen also eine Frage betreffen, deren Beantwortung im vom Rechtsmittelführer gewünschten Sinne wahrscheinlich zu einem anderen Entscheidungsergebnis führen würde. Ist das Entscheidungsergebnis wahrscheinlich zutreffend - weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf eine weitere selbständig tragende und nicht erfolgreich angegriffene Begründung gestützt hat oder weil sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt -, dann kann eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erfolgen. Der Zulassungsgrund soll die Korrektur unrichtiger Entscheidungen, nicht die Korrektur fehlerhafter Begründungen ermöglichen (st. Rspr. aller Senate des ThürOVG, vgl. nur Beschluss des Senats vom 3. August 1999 - 3 ZKO 573/99 -).

Das Urteil erweist sich bei diesem Prüfungsumfang als richtig.

Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass der Kostenerstattungsanspruch des Klägers gemäß § 111 SGB X rechtzeitig geltend gemacht wurde. Denn bereits die Anmeldung vom 1. Februar 1996 bei der zur Erfüllung von Aufgaben der Hilfe zum Lebensunterhalt herangezogenen Verwaltungsgemeinschaft Bergbahnregion/Schwarzatal wahrt die Frist des § 111 SGB X. Auf den rechtzeitigen Zugang beim Beklagten als dem örtlichen Träger selbst oder auf ein wegen nicht fristgerechter Weiterleitung an den Beklagten treuwidriges Verhalten der Verwaltungsgemeinschaft, das sich der Beklagte zurechnen lassen muss, würde es im Berufungsverfahren nicht ankommen.

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Grundsätzlich ist der Erstattungsanspruch vom "Erstattungsberechtigten" beim "erstattungspflichtigen" Leistungsträger (§ 111 S. 1 SGB X) geltend zu machen.

Erstattungsberechtigt ist der Leistungsträger, dem ein Erstattungsanspruch gegen einen anderen Leistungsträger - dem Erstattungsverpflichteten - nach §§ 102 ff. SGB X oder nach den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuches, zu dem auch das BSHG gehört (§ 68 Nr. 11 SGB I), zusteht.

Ob generell in Fällen eines bestehenden Auftragsverhältnisses zum erstattungsberechtigten bzw. -verpflichteten Leistungsträger für die fristwahrende Anmeldung im Sinne des § 111 SGB X allein auf das rechtzeitige Tätigwerden des beauftragten Trägers und den rechtzeitigen Eingang der Anmeldung innerhalb der Jahresfrist bei der beauftragten Stelle abgehoben werden kann, mag dahin stehen (vgl. Hauck/Haines, SGB X, Loseblatt-Kommentar, Band 3, Stand: Januar 2000, Rn. 4 zu § 111 und zur früheren Rechtslage im Bereich der Sozialhilfe: Schellhorn, BSHG, Kommentar, 14. Auflage, Rn. 4 zu § 112 BSHG a. F.). Jedenfalls bei durch § 96 Abs. 1 S. 2 BSHG i. V. m. den jeweiligen landesrechtlichen Ausführungsgesetzen gesetzlich ausgestalteten Auftragsverhältnissen ist davon auszugehen, dass der Erstattungsanspruch von dem und bei dem mit den Aufgaben betrauten Träger - hier der dem Landkreis hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt nachgeordneten Gebietskörperschaft - angemeldet werden kann (vgl. bereits den Beschluss des Senats vom 5. Februar 2004 - 3 ZKO 561/01 - S. 5 f. des Abdrucks; BSG, Urteil vom 14. Februar 1990 - 9a/9RV 6/89 - zitiert nach juris; a. A. Schellhorn/Jirasek/Seipp, a. a. O., § 112 BSHG a. F. Rn. 4). Dabei ist grundsätzlich unerheblich, in welcher Form das Landesrecht letztendlich die Heranziehung ermöglicht (durch Satzung, Verordnung, Beschluss oder öffentlich-rechtliche Vereinbarung).

Dazu ist näher auszuführen:

Handelt es sich um einen örtlich zuständigen Sozialhilfeträger, der Kostenerstattung gemäß § 107 BSHG verlangen bzw. von dem Kostenerstattung begehrt werden kann, richtet sich die Aufgabenwahrnehmung ggf. nach weiteren landesrechtlichen Bestimmungen, zu denen § 96 Abs. 1 S. 2 BSHG ermächtigt. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 ThürAGBSHG vom 18. Juni 1993 (GVBl. S. 321) konnten die Landkreise durch öffentlich-rechtliche Vereinbarung, die wie eine Satzung des Beklagten bekannt zu machen ist (§ 4 Abs. 1 S. 4 ThürAGBSHG, vgl. jetzt § 5 Abs. 1 des Gesetzes i. d. F. vom 24. Juni 2003, GVBl. S. 369), mit den kreisangehörigen Gemeinden festlegen, dass diese die Aufgaben, die den Landkreisen als örtlichen Trägern der Sozialhilfe obliegen, ganz oder teilweise durchführen und dabei im eigenen Namen entscheiden. Von dieser Heranziehung hat der Beklagte mit § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1.1. der Vereinbarung über die Durchführung von Aufgaben nach dem BSHG und andere Aufgaben vom 1. November 1994, veröffentlicht im Amtsblatt des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt, seiner Städte und Gemeinden vom 21. Dezember 1994 Nr. 6 S. 2 f., Gebrauch gemacht und die Verwaltungsgemeinschaft Bergbahnregion/Schwarzatal zur Durchführung u. a. der Hilfe zum Lebensunterhalt herangezogen. Unabhängig davon, ob die zu Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt herangezogene Gebietskörperschaft im Namen des zuständigen örtlichen Trägers, wie z. B. in Niedersachsen (§ 5 Abs. 1 S. 4 NdsAGBSHG), oder - wie in Thüringen - im eigenen Namen (§ 4 Abs. 1 S. 1 ThürAGBSHG 1993, § 1 Abs. 1 der genannten Vereinbarung) tätig wird, handelt die kreisangehörige Gemeinde gleichsam als "Außenstelle" des örtlich zuständigen Trägers der Sozialhilfe. Eine Kompetenzverschiebung liegt insoweit nicht vor (vgl. zum Verhältnis von Delegation und Mandat: Mergler/Zink, BSHG, Loseblatt-Kommentar, Teile I und II, Stand: Mai 2003, Rn. 46 zu § 90 BSHG und Rnrn. 15 und 16 zu § 96 BSHG); an der Verantwortlichkeit des zuständigen örtlichen Trägers der Sozialhilfe ändert sich dadurch nichts. Die Gemeinde nimmt nur auf Grund einer besonderen Form der Aufgabenübertragung in ihrem Gebiet Teile der dem örtlichen Träger obliegenden Aufgaben wahr und ist insoweit - einem ggf. auch eigenverantwortlich und selbständig handelndem Sachbearbeiter im Sozialamt des Beklagten ähnlich - in den Tätigkeits- und Wahrnehmungsbereich der koordinierenden Behörde einbezogen.

Deswegen ist auch unerheblich, wenn sich der Beklagte in § 2 der genannten Vereinbarung vom 1. November 1994 insoweit die Erteilung von Kostenanerkenntnissen und die Geltendmachung von Ansprüchen nach Abschnitt 9 des BSHG gegenüber anderen Sozialhilfeträgern sowie die Wahrnehmung evtl. hieraus entstehender Streitverfahren vorbehalten hat (a. A.: Schellhorn/Jirasek/Seipp, a. a. O.). Diese Regelung ist nur eine im Verhältnis des Beklagten zur herangezogenen Gemeinde wirkende Organisationsvereinbarung über die Bearbeitung von Kostenerstattungsanträgen, die die Gewährung von Sozialhilfe betreffen und die als Annex dazu auch dem übertragenen Bereich der Sozialhilfe zuzuordnen sind. Sie kann im Außenverhältnis zu anderen Sozialhilfeträgern nicht bedeuten, dass für die Kostenerstattung im Bereich der Gewährung von Sozialhilfe das Handeln der herangezogenen Gemeinde als gegenüber dem örtlichen Träger sachlich und örtlich verselbständigter Behörde begriffen wird, für die der Zurechnungszusammenhang zum örtlichen Träger gelöst ist. Gehen der - gleichsam - falschen internen Bearbeitungstelle Anmeldungen zu, muss der Beklagte sie gegen sich gelten lassen. Der Eingang bei der herangezogenen Gemeinde ist nicht anders zu würdigen, als der Zugang etwa bei einem unzuständigen Bearbeiter, der die Anmeldung erst noch an die für die Bearbeitung zuständigen Stelle bzw. den Sachbearbeiter innerhalb des Amtes weiterleiten muss. Der Beklagte kann im Außenverhältnis zu anderen Sozialhilfeträgern mithin nicht den rechtzeitigen Zugang von bei der herangezogenen Gemeinde eingehenden Kostenerstattungsanträgen im Sinne von § 111 SGB X durch abweichende Festlegungen in öffentlich-rechtlichen Verträgen ausschließen.

Ob etwas Anderes dann zu gelten hat, wenn die beauftragte kreisangehörige Gemeinde ihre im Innenverhältnis fehlende Entscheidungsbefugnis bereits bei der Anmeldung durch den Erstattungsberechtigten offenbart, kann dahin stehen. So liegt es im vorliegenden Fall nicht. Gegenüber dem erstattungsberechtigten örtlichen Träger der Sozialhilfe, dem Kläger, hat sich die Verwaltungsgemeinschaft Bergbahnregion/Schwarzatal vielmehr im Außenverhältnis für den örtlichen Träger, den Beklagten, abschließend durch die Ablehnung vom 8. März 1996 erklärt.

Der Beklagte hat als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Da Gerichtskosten auch in sozialhilferechtlichen Erstattungsstreitigkeiten, sofern sie - wie hier - vor dem 1. Januar 2002 anhängig geworden sind, nicht erhoben werden (§ 194 Abs. 5 VwGO i. d. F. des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess [RMBereinVpG] vom 20. Dezember 2001 [BGBl. I S. 3987] i. V. m. § 188 S. 2 VwGO a. F.), ist ein Streitwert nicht von Amts wegen festzusetzen.

Hinweis:

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

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