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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.04.2008
Aktenzeichen: 4 EO 195/08
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 54
ZPO § 42
ZPO § 48
Ob freundschaftliche Beziehungen zwischen einem Richter und dem zuständigen Sachbearbeiter einer Behörde die Besorgnis der Befangenheit begründen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (hier verneint).
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 4. Senat - Beschluss

4 EO 195/08 In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Erschließungsbeitrags,

hier: Beschwerde nach §§ 80, 80a VwGO

hat der 4. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Prof. Dr. Aschke, den Richter am Oberverwaltungsgericht Gravert und die an das Gericht abgeordnete Richterin am Verwaltungsgericht von Saldern am 23. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Anzeige der Richterin am Oberverwaltungsgericht B vom 2. April 2008 über die Verhältnisse, die ihre Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnten, ist unbegründet.

Gründe:

Richterin am Oberverwaltungsgericht B hat durch dienstliche Erklärung vom 02.04.2008 gemäß § 54 Abs. 1 i. V. m. § 48 ZPO Verhältnisse angezeigt, die ihre Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnten. Darin hat sie erklärt, dass sie mit Frau A , die bei der beteiligten Stadt als Sachbearbeiterin im Bereich Erschließungs- und Ausbaubeiträge zuständig sei und auch hier in den Verwaltungsverfahren bei der Erstellung der Beitragsbescheide mitgewirkt habe, befreundet sei und regelmäßig privaten Umgang pflege.

Die Bevollmächtigten der Antragstellerseite regen an, dass der Senat die Berichterstatterin gemäß § 48 ZPO von ihren Pflichten entbindet. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Berichterstatterin mit der befreundeten Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin außergerichtlich und über den Umfang der wechselseitigen Schriftsätze hinaus Erkenntnisse austauscht habe. Dies sei aus Antragstellersicht für eine objektive Entscheidung des Rechtsstreits nicht dienlich. Dies gelte insbesondere, weil Frau A bei der Antragsgegnerin federführend die Richtigkeit der angefochtenen Heranziehungsbescheide auch öffentlich vertreten habe.

Gemäß § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 42 Abs. 1 und 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.

Das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht hat gemäß § 48 ZPO auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Hier hat der Senat gemäß § 48 ZPO von Amts wegen über die Selbstanzeige der Richterin zu entscheiden, weil die bloße Anregung, dass der Senat die Selbstanzeige für begründet erachten möge, nicht als Ablehnungsgesuch eines Beteiligten zu werten ist.

Inhaltlich setzt die Besorgnis der Befangenheit - ebenso wie bei der Ablehnung gemäß § 42 Abs. 1 ZPO - nicht voraus, dass der Richter tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Maßgebend ist vielmehr, ob vom Standpunkt des betreffenden Beteiligten aus genügende objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Betrachters geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erregen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.07.1986, 6 B 70.85, Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 37; Beschluss vom 07.10.1987, 9 CB 20/87, NJW 1988, S. 722). Bei der Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit ist zu berücksichtigen, dass beide Parteien einen Anspruch auf den gesetzlichen Richter haben. Dieser verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) bedingt, dass es weder ein Beteiligter durch ein Ablehnungsgesuch noch der über die Befangenheit befindende Spruchkörper in der Hand haben kann, die Besetzung des Gerichts abweichend vom Geschäftsverteilungsplan aus anderen als zwingenden gesetzlichen Gründen zu ändern. Demzufolge sind bei der Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit restriktive Maßstäbe anzulegen, mag es dem Beteiligten auch noch unverfänglicher und vertrauenswürdiger erscheinen, wenn der betreffende Richter nicht mitwirkte. Die Voraussetzungen für die Besorgnis der Befangenheit liegen erst vor, wenn ein Beteiligter die auf objektiv feststellbaren Tatsachen beruhende, subjektiv vernünftigerweise mögliche Besorgnis hat, der Richter werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden. Die bloße Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.12.1975, VI C 129.74, BVerwGE 50, 36 [38 f.]; Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand 9/2007, § 54, Rdnr. 27, 29, m. w. Nw.).

Nach diesen Maßstäben ergeben sich aus der dienstlichen Erklärung der Richterin und dem Vorbringen der Antragstellerseite keine hinreichenden Tatsachen, die zur Besorgnis der Befangenheit führen. Persönliche Beziehungen zwischen dem Richter und Verfahrensbeteiligten können grundsätzlich die Besorgnis der Befangenheit begründen. Diese Beziehungen können in einer freundschaftlichen Verbundenheit oder auch feindseligen Einstellung bestehen. Dabei lassen sich keine festen Regeln aufstellen, vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Allerdings sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Pflegt der Richter enge persönliche Kontakte mit einer Partei oder ist er mit ihr eng befreundet, wird es näher liegen anzunehmen, dass die andere Partei den Eindruck haben muss, der Richter werde sein persönliches Verhältnis nicht völlig vom Streitverfahren trennen können. Hingegen begründet eine persönliche Beziehung des Richters zum Prozessbevollmächtigten die Besorgnis der Befangenheit erst dann, wenn aus Sicht der Partei Anzeichen dafür bestehen, dass sich die Voreingenommenheit für oder gegen einen Prozessbevollmächtigten auch auf die sachliche Entscheidung und mithin auf sie selbst auswirken könnte (vgl. BayVGH, Beschluss vom 20.04.2007, 1 N 05.1068, zitiert nach Juris; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 26.09.2007, 5 W 233/07 u. a., Juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 05.05.2003, 5 U 120/03, Juris; OLG HH, Beschluss vom 18.11.2002, 13 U 15/02, Juris; Schneider, DRiZ 1978, S. 42 [45]).

Nach den objektiv feststellbaren Tatsachen ist die persönliche Beteiligung der betroffenen Personen hier nicht so beschaffen, dass vom subjektiven Standpunkt eines vernünftigen Betrachters die Besorgnis gerechtfertigt wäre, die Richterin werde in der Sache voreingenommen entscheiden. Zwar ist die Richterin mit der Mitarbeiterin beim Beklagten befreundet und pflegt mit ihr auch privaten Kontakt. Aus der dienstlichen Erklärung der Richterin ergibt sich indessen nicht, dass ein Austausch über die vorliegende Beitragserhebung stattgefunden hätte. Auf vorsorgliche Nachfrage hat die Richterin dies bestätigt und klargestellt, dass ihre Erklärung vollständig alle aus ihrer Sicht wesentlichen Gesichtspunkte enthalte. Aus den Akten ist ersichtlich, dass Frau A als zuständige Sachbearbeiterin die Beitragsangelegenheit insgesamt betreut und die ergangenen Beitragsbescheide inhaltlich erarbeitet (nicht auch unterzeichnet) hat. Diese Aufgabe hat sie allerdings im Rahmen ihrer regulären beruflichen Tätigkeit wahrgenommen. Die Sachbearbeiterin ist also nicht selbst als Beteiligte betroffen, vielmehr hat sie als Amtswalterin fremde Angelegenheiten besorgt. Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen ist auch kein herausgehobenes oder prominentes Projekt, das ihr berufliches Ansehen oder ihre berufliche Stellung beträfe oder ein besonders starkes persönliches Engagement erwarten ließe und es deshalb mit der Rechtsverfolgung in eigener Sache vergleichbar machte. Daran ändert nichts, dass sie die Beitragserhebung öffentlich vertreten hat. Denn die Erörterung und Verteidigung auch umstrittener öffentlicher Maßnahmen beispielsweise in Bürgerversammlungen gehört noch zur üblichen Aufgabenerfüllung, solange keine völlig atypischen Verhältnisse vorliegen. Die Stellung der Sachbearbeiterin als Beteiligte im Verfahren ist von daher mit einem Prozessbevollmächtigten zu vergleichen, der, wie es unter Angehörigen derselben Berufsgruppe häufiger der Fall ist, mit einem Richter befreundet ist. Der vorliegende Fall stellt sich damit auch im Hinblick auf die Mitwirkung der Richterin nicht als solcher dar, in dem sie über die persönliche Rechtsstellung oder die Interessen der befreundeten Sachbearbeiterin mitentscheiden würde. Es handelt sich vielmehr um ein Streitverfahren, in dem Richterin und Sachbearbeiterin aufgrund ihres Amtes fremde Aufgaben wahrnehmen. In einem solchen Fall ist vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters davon auszugehen, dass die der richterlichen Pflicht geschuldete und im Richteramt geschulte Neutralität ausreichen, um innere Entscheidungskonflikte nicht aufkommen zu lassen. Anders könnte es dann sein, wenn besondere Umstände hinzutreten, aus denen auf eine stärkere persönliche Beteiligung und damit fehlende Unabhängigkeit gegenüber einem Beteiligten geschlossen werden kann. Dafür sind aber keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Hinweis:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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