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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.04.2009
Aktenzeichen: 4 EO 592/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1967 Abs. 2
BGB § 1975
Eine Abwasserbeitragsschuld, die nach dem Tod des Erblassers entsteht, ist keine reine Nachlassverbindlichkeit, sondern eine eigene Verbindlichkeit des Erben, die insoweit nicht der Haftungsbeschränkung der §§ 1975, 1990 BGB unterliegt.
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 4. Senat - Beschluss

4 EO 592/05 In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausbaubeiträge,

hier: Beschwerde nach § 123 VwGO

hat der 4. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Prof. Dr. Aschke, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Blomenkamp und den Richter am Oberverwaltungsgericht Gravert am 9. April 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 14. März 2005 - Aktenzeichen 6 E 5488/04 We - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird zugleich unter Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung auf 352,41 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe keinen Anspruch darauf, von der Vollstreckung des Abwasserbeitragsbescheids vom 28.05.2003 in sein eigenes Vermögen verschont zu bleiben. Eine Haftungsbeschränkung wegen der Nachlassverwaltung liege nicht vor. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 Abgabenordnung (AO) hätten Erben für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schulden nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts einzustehen. Gemäß § 1975 BGB sei die Haftung der Erben für Nachlassverbindlichkeiten im Falle der angeordneten Nachlassverwaltung auf den Nachlass beschränkt. Hier handele es sich jedoch nicht um eine Nachlassverbindlichkeit. Denn die persönliche Beitragspflicht des Antragstellers sei nach dem Erbfall entstanden, weil der Antragsteller zusammen mit den Miterben eine Gesamthandsgemeinschaft bilde, ihm hinsichtlich des Grundstücks ein ideeller Anteil in Höhe seines Erbteils zustehe und er gemeinsam mit den Miterben die Rechte des Eigentümers habe. Selbst wenn es sich um eine Nachlasserbenschuld handele, stünde dies einer Haftung mit dem eigenen Vermögen nicht entgegen. Denn die Nachlasserbenschuld habe eine Doppelnatur, sie sei einerseits Nachlassverbindlichkeit, andererseits Eigenschuld des Erben. Daran ändere auch nichts, wenn man dem neueren Ansatz des Bundesfinanzhofes im Urteil vom 11.08.1998 (VII R 118/95, BFHE 186, 328) folgend daran anknüpfte, wem die Steuerschuld bei materieller Betrachtung zuzurechnen sei. Denn im vorliegenden Fall resultiere die Beitragsschuld aus dem Behalten des Grundstücks und sei dem Antragsteller als eigene Schuld zuzurechnen.

Gegen diesen erstmals am 21.03.2005 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller zunächst entsprechend der Rechtsmittelbelehrung am 30.03.2005 Antrag auf Zulassung der Beschwerde gestellt. Nach Berichtigungsbeschluss vom 13.04.2005, der am 20.04.2005 zugestellt wurde, hat er am 06.05.2005 Beschwerde eingelegt. Auf den Hinweis des Beschwerdegerichts vom 19.05.2005 (zugegangen am 24.05.2005), dass die Beschwerde nicht fristgerecht eingegangen sei, hat der Antragsteller am 01.06.2005 Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung ausgeführt, dass ein Mitarbeiter der Kanzlei die Postsendung mit dem Beschwerdeschriftsatz am 03.05.2005 ausreichend frankiert so rechtzeitig in den Briefkasten der Poststelle eingeworfen habe, dass der Brief bei normaler Brieflaufzeit am 04.05.2005 beim Verwaltungsgericht hätte eingehen müssen (der Briefumschlag wurde versehentlich nicht zu den Gerichtsakten genommen). Noch zuvor, mit Schriftsatz vom 19.05.2005, eingegangen am 20.05.2005, hat der Antragsteller die Beschwerde begründet. Darin macht er geltend, dass die im Bescheid vom 28.05.2003 festgesetzte Abgabe eine Nachlassverbindlichkeit sei. Bei den Verbindlichkeiten aus dem Abwasserbeitragsbescheid handele es sich um sogenannte Nachlassverwaltungsschulden, die aus der Verwaltungstätigkeit des Nachlassverwalters ohne jedes Hinzutun des Antragstellers entstanden seien. Es lägen keine Nachlasserbenschulden vor, weil der Antragsteller nichts getan habe, sondern seine Inanspruchnahme allein daraus resultiere, dass er Mitglied der Erbengemeinschaft sei, in deren Eigentum sich das betroffene Hausgrundstück befinde. Die Forderung sei erst mit Erlass des Bescheids vom 28.05.2003 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Nachlassverwalter bereits bestellt gewesen. Die auf den Zeitpunkt des Erbfalls rückwirkende Absonderung des Nachlasses von dem eigenen Vermögen des Erben führe dazu, dass der Antragsteller mit seinem eigenen Vermögen nicht hafte. Hilfsweise erhebe der Antragsteller die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist als fristgerecht zu behandeln, weil dem Antragsteller gemäß § 60 Abs. 1 und 2 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Er hat dargelegt und hinreichend glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden gehindert war, die gesetzliche Beschwerdefrist einzuhalten. Der Zulässigkeit des Antrags und der Beschwerde dürfte auch nicht entgegenstehen, dass zwischenzeitlich das Nachlassinsolvenzverfahren eingestellt worden ist; hierdurch ist keine Erledigung des vorliegenden Verfahrens eingetreten (MünchKomm BGB/Siegmann, 2004, § 1975 Rdnr. 6).

Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Nachprüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergeben jedoch nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag zu Unrecht abgelehnt hat.

Erben haben für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schulden nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten einzustehen. Vorschriften, durch die eine abgabenrechtliche Haftung der Erben begründet wird, bleiben unberührt (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 ThürKAG i. V. m. § 45 Abs. 2 AO). Nach dieser Vorschrift ist der Erbe zur Schuldentilgung in dem Umfang verpflichtet, wie er auch nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts für Nachlassverbindlichkeiten haftet. Gemäß § 1967 BGB haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten grundsätzlich unbeschränkt. Allerdings kann die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten auf den Nachlass beschränkt werden, wenn eine Nachlassverwaltung angeordnet oder das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet ist (§ 1975 BGB).

Der Antragsteller geht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht im Ansatz zu Recht davon aus, dass bei der Frage der Haftung für die geltend gemachte Beitragsforderung zwischen sogenannten Erblasserschulden, Erbfallschulden, Nachlasserbenschulden und Eigenschulden des Erben zu unterscheiden ist. Unter Erblasserschulden sind vom Erblasser herrührende Schulden zu verstehen, die im Zeitpunkt des Erbfalls schon in der Person des Erblassers begründet waren. Die zweite Gruppe sind die den Erben als solchen treffenden Schulden, die aus Anlass des Erbfalls entstehen; zu ihnen gehören Pflichtteilsansprüche, Vermächtnisse und Auflagen, aber auch Nachlasskosten und Nachlassverwaltungsschulden. Erblasserschulden und Erbfallschulden zählen auf Grund der gesetzlichen Regelung (§ 1967 Abs. 2 BGB) unstreitig zu den Nachlassverbindlichkeiten, für die der Erbe gemäß § 1975 BGB auf den Nachlass beschränkt haftet. Zu der im Gesetz nicht genannten dritten Gruppe, den Nachlasserbenschulden, sind diejenigen Verbindlichkeiten zu rechnen, die der Erbe in ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses eingegangen ist. Nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur stellen sie Schulden mit einem doppelten Haftungsgegenstand dar. Sie sind einerseits eigene Verbindlichkeiten, für die der Erwerber aus seinem Vermögen haftet, andererseits entsteht daneben auch eine Nachlassverbindlichkeit, wenn das Rechtsgeschäft mit dem Nachlass oder Erbfall zu tun hat. Für die Eigenverbindlichkeiten haftet der Erbe trotz der Nachlassabsonderung unbeschränkt. Nach verbreiteter Auffassung setzt die Entstehung einer Nachlasserbenschuld ein Handeln des Erben bei der Verwaltung des Nachlasses voraus, das in einem rechtsgeschäftlichen Handeln bestehen kann oder in dem in die Tat umgesetzten Entschluss, z. B. vorübergehend als Fahrzeug- oder Tierhalter an die Stelle des Erblassers zu treten. Bei der vierten Gruppe, den Eigenschulden des Erben, handelt es sich um Verbindlichkeiten, die vor oder nach dem Erbfall in der Person des Erben entstanden sind und ihn als Träger seines eigenen Vermögens berühren. Sie zählen nicht zu den Nachlassverbindlichkeiten (vgl. zum Vorstehenden: MünchKomm BGB/Siegmann, a. a. O., § 1967 Rdnr. 5 ff.; Palandt-Edenhofer, BGB, § 1967 Rdnr. 2 ff.).

Nach Auffassung des Senats sprechen überwiegende Gründe dafür, die geltend gemachte Beitragsforderung als eigene Schuld des Antragstellers zu qualifizieren. Ob daneben noch eine Nachlasserbenschuld besteht, bedarf keiner Klärung, da sich der Antragsteller, soweit er die Beitragsforderung als eigene Verbindlichkeit schuldet, insoweit nicht auf die beschränkte Haftung gemäß §§ 1975, 1990 BGB berufen könnte. Eine Erblasserschuld liegt nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht vor, weil die Beitragsschuld erst nach dem Erbfall entstanden ist. Die Beitragsschuld dürfte des Weiteren keine Erbfallschuld darstellen, weil sie nicht aus Anlass des Erbfalls entstanden ist und den Erben nicht als solchen trifft. Es geht auch nicht um Verbindlichkeiten, die deshalb noch dem Erblasser zuzurechnen sind, weil sie aus einem Geschehensablauf folgen, der noch vom Erblasser zu Lebzeiten ins Werk gesetzt wurde (so nunmehr BFH, Urteil vom 11.08.1998, VII R 118/95, BFHE 186, 328 [337, 338]), oder deren Verpflichtungsgrund in anderer Weise in dem ererbten Nachlass als pflichtbelastete Rechtslage bereits vorhanden war; es handelt sich ferner nicht i. e. S. um Verpflichtungen aus einem rechtsgeschäftlichen Handeln des Erben zur Verwaltung des Nachlasses. Anknüpfungspunkt für das Entstehen des Beitragsschuldverhältnisses ist nicht der Erbfall. Vielmehr wurzelt das Schuldverhältnis darin, dass der Antragsteller nach der Annahme der Erbschaft - als Mitglied der Erbengemeinschaft - Inhaber des Nachlasses und Eigentümer des zu veranlagenden Grundstücks geworden ist. Die Beitragsschuld hat ihre Grundlage in einem durch Gesetz und Beitragssatzung definierten öffentlich-rechtlichen Abgabenschuldverhältnis (§ 7 Abs. 1 ThürKAG i. V. m. der BGS-EWS vom 29.08.2001). Der Antragsteller wird demnach nicht als Erbe des Nachlasses in Anspruch genommen, sondern als Eigentümer des Grundstücks, für das die Beitragspflicht nach dem Erbfall originär entstanden ist. Damit schließt sich der Senat der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts an (vgl. OVG NW , Beschluss vom 27.02.2001, 9 B 157/01, NVwZ-RR 2001, S. 596 [597]; OVG Nds. Beschluss vom 06.03.2008, 9 ME 149/08, zitiert nach Juris, Rdnr. 7, 8). In diesen Entscheidungen wurden Abfallgebühren, Abwassergebühren, Straßenreinigungsgebühren, Grundsteuern sowie Niederschlagswassergebühren als Eigenschulden des Erben angesehen, weil diese Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis entstehen, sobald der abgabenpflichtige Tatbestand verwirklicht ist. Dies ist bei dem geforderten Beitrag das Entstehen der persönlichen Beitragspflicht in der Person des Grundstückseigentümers, d. h. der Erbengemeinschaft nach dem verstorbenen M .

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des für die Kostenberechnung maßgebenden Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat hält es für angemessen, den vom Antragsteller geforderten Beitrag als Ausgangswert in Ansatz zu bringen, ohne hiervon einen Abzug entsprechend dem Erbteil zu machen; denn ob und in welcher Höhe die Forderung bei beschränkter Haftung ggf. aus dem Nachlass zu befriedigen gewesen wäre, war bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antrags- bzw. Beschwerdeeinlegung wohl fraglich. Dieser Betrag ist allerdings auf ein Viertel zu reduzieren. Die Befugnis zur Änderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Hinweis:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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