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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 01.06.2005
Aktenzeichen: 1 S 499/05
Rechtsgebiete: AsylVfG, LVwVG


Vorschriften:

AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 4
AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 5
LVwVG § 6 Abs. 2 Satz 1
LVwVG § 20 Abs. 1
LVwVG § 21
LVwVG § 28
1. Eine Durchsuchungsanordnung nach § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG darf nur erlassen werden, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen für die im Rahmen der Durchsuchung beabsichtigte Verwaltungsvollstreckung vorliegen.

2. Dient die Durchsuchungsanordnung der Vollstreckung einer Herausgabeverpflichtung im Wege des unmittelbaren Zwangs durch Wegnahme, muss dieses Zwangsmittel gemäß § 20 Abs. 1 LVwVG zuvor grundsätzlich angedroht werden.

3. Von der vorherigen Androhung kann nach § 21 LVwVG nur bei Gefahr im Verzug abgesehen werden; dies ist dann der Fall, wenn die Durchsetzung der Maßnahme unaufschiebbar ist. Der bei Gefahr einer Vollstreckungsvereitelung zulässige Verzicht auf die Anhörung des Vollstreckungsschuldners vor Erlass der Durchsuchungsanordnung lässt als solcher einen Rückschluss auf die Unaufschiebbarkeit nicht zwingend zu.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

1 S 499/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Durchsuchungsanordnung

hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Dr. Weingärtner, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Schmenger und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Brandt

am 1. Juni 2005

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird festgestellt, dass die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25. Januar 2005 - 13 K 523/05 - erlassene Durchsuchungsanordnung rechtswidrig war.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthaft und nicht etwa nach § 80 AsylVfG ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung können Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten "nach diesem Gesetz" vorbehaltlich des § 133 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Der Anwendungsbereich des § 80 AsylVfG ist danach zu bestimmen, ob die angefochtene Entscheidung ihre rechtliche Grundlage im AsylVfG hat. Dies ist hier nicht der Fall. Zwar dient der angefochtene Beschluss der Vollstreckung einer unter anderem auf § 15 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 AsylVfG gestützten Verfügung. Die Rechtsgrundlage für die gerichtliche Entscheidung über die Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Vollstreckung einer sogenannten Passauflage findet sich indessen ausschließlich in § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG und den weiteren Vorschriften des Vollstreckungsrechts, nicht aber im AsylVfG (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.11.1999 - 11 S 240/99 -, VBlBW 2000, 204).

Die Beschwerde ist auch fristgerecht erhoben. Der angefochtene Beschluss wurde dem Antragsgegner frühestens bei der Durchsuchung, die am 09.02.2005 stattgefunden hat, ordnungsgemäß zugestellt. Die am 21.02.2005 erhobene Beschwerde wahrt demnach jedenfalls die Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO, so dass dahinstehen kann, ob die hinsichtlich einer Begründungspflicht unzutreffende Rechtsmittelbelehrung diese i.S. von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig macht.

Entgegen der Auffassung des Anragstellers steht dem Antragsgegner schließlich auch ein Rechtsschutzinteresse zur Seite, obwohl die Durchsuchung bereits erfolgt ist und sich die im Beschluss angeordneten Maßnahmen erledigt haben. Der Gesichtspunkt der prozessualen Überholung führt nicht zur Unzulässigkeit der Beschwerde. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes ist es vielmehr geboten, dem von einem tiefgreifenden, wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriff - hier in das Grundrecht aus Art. 13 GG - Betroffenen die Gelegenheit zu geben, dessen Berechtigung im Wege des hier sachdienlich gestellten Feststellungsantrags - nachträglich - klären zu lassen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt - wie hier - nach dem typischen Geschehensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher eine in der Prozessordnung vorgesehene Überprüfung nicht erfolgen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.04.1997 - 2 BvR 817/90 u.a. -, BVerfGE 96, 27 <40>; Beschluss des erkennenden Senats vom 14.05.2002 - 1 S 10/02 -, ESVGH 52, 217 <219> m.w.N.).

Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen, unter denen das Verwaltungsgericht eine Durchsuchungsanordnung erlassen darf, lagen nicht vor.

Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG kann der Vollstreckungsbeamte Wohnungen, Betriebsräume und sonstiges befriedetes Besitztum gegen den Willen des Pflichtigen nur auf Anordnung des Verwaltungsgerichts durchsuchen. Die auf Antrag der Vollstreckungsbehörde ergehende Durchsuchungsanordnung hat einer rechtmäßigen Vollstreckung zu dienen; nur wenn und soweit die Verwirklichung des Vollstreckungszwecks es gebietet, muss es der Vollstreckungsbehörde möglich sein, in den geschützten räumlich-gegenständlichen Bereich des Vollstreckungsschuldners einzudringen. Das Verwaltungsgericht hat demnach zunächst festzustellen, ob die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.04.1979 - 1 BvR 994/76 -, BVerfGE 51, 97 <113>), und sodann insbesondere zu prüfen, ob der Zweck der Vollstreckung nicht erreicht, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist und ein den Anforderungen des § 5 Abs. 1 LVwVG entsprechender Vollstreckungsauftrag an den Vollstreckungsbeamten vorliegt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.11.1999 - 11 S 240/99 -, a.a.O., m.w.N.).

Die hiernach gebotene Prüfung ergibt, dass der beantragten Durchsuchungsanordnung rechtliche Hindernisse entgegenstehen.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen. Die bestandskräftige und somit nach § 2 Nr. 1 LVwVG vollstreckbare Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 08.12.2004 gibt dem Antragsgegner in Ziff. 1 ausdrücklich auf, der Bezirksstelle für Asyl ein gültiges Reisedokument bzw. alle Urkunden und sonstigen Unterlagen, die Rückschlüsse auf seine Identität und Nationalität zulassen, bis spätestens 14 Tage nach Erhalt der Verfügung vorzulegen und zu überlassen. Das hiergegen gerichtete Vorbringen des Antragsgegners, der meint, diese Anordnung sei durch die Ermächtigungsgrundlage des § 15 AsylVfG nicht gedeckt, geht in zweifacher Hinsicht fehl. Zum einen sind im Vollstreckungsverfahren Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des vollstreckbaren - und insbesondere des bestandskräftigen - Verwaltungsakts ausgeschlossen (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.12.1998 - 1 BvR 831/89 -, NVwZ 1999, 290 <292> m.N.); die rechtliche Überprüfung der Durchsuchungsanordnung eröffnet keinen neuen Rechtsweg (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.06.1981 - 1 BvR 1094/80 -, BVerfGE 57, 346 <357>; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.06.1999 - 4 S 861/99 -, VBlBW 2000, 24 <25>). Zum anderen besteht schon nach dem Wortlaut von § 15 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 AsylVfG kein Zweifel, dass die Anordnung auf diese Ermächtigungsgrundlage gestützt werden kann.

Es fehlt indessen an den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen, die bei dem jeweils angewendeten Zwangsmittel zu beachten sind. Auch diese müssen hier vorliegen, denn die Durchsuchung dient der Durchsetzung eines im Verwaltungsvollstreckungsrecht vorgesehenen Zwangsmittels, das als solches rechtmäßig anzuwenden ist (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.10.1997 - 2 S 1583/97 -, VBlBW 1998, 103; BayVGH, Beschluss vom 23.04.1987 - 4 C 86.03145 -, BayVBl 1988, 565; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.09.1989 - 10 M 40/89 -, NVwZ 1990, 679; BFH, Beschluss vom 12.05.1980 - VII B 9/80 -, BFHE 130, 136 <138 f.>, jeweils zur Vollstreckung von Geldforderungen; Fliegauf/Maurer, Verwaltungsvollstreckungsrecht für Baden-Württemberg, 2. Aufl. 1983, § 6 Rn. 5; Müller-Eiselt in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 287 AO Rn. 17).

Mit der Durchsuchung sollten solche Gegenstände aufgefunden werden, die der Antragsgegner entgegen der aus Ziff. 1 der Verfügung folgenden Verpflichtung nicht herausgegeben und dem Antragsteller überlassen hat. Die Herausgabeverpflichtung sollte demnach im Wege des unmittelbaren Zwanges durch Wegnahme (§ 28 LVwVG) vollstreckt werden. Dieses Zwangsmittel ist dem Antragsgegner vor Erlass der Durchsuchungsanordnung aber entgegen der Vorschrift des § 20 Abs. 1 LVwVG nicht angedroht worden.

Auf die Androhung des Zwangsmittels, mit der - als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips - der Pflichtige zur freiwilligen Befolgung des Gebots angehalten und ein Vorgehen im Wege des Verwaltungszwangs entbehrlich gemacht werden soll (vgl. Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes und der Länder, 1997, S. 298 m.N.), konnte hier nicht ausnahmsweise verzichtet werden.

Nach § 21 LVwVG kann u. a. von § 20 Abs. 1 LVwVG abgewichen werden, soweit die Abwehr einer Gefahr, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht und gestört wird, dies erfordert. Erforderlich ist die Abweichung, wie der dieser Bestimmung beigefügten amtlichen Überschrift entnommen werden kann, bei Gefahr im Verzug; die Gesetzesbegründung stellt demnach auf das Bedürfnis nach einer schnellen Durchsetzung von Verwaltungsakten auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr ab (LT-Drs. 6/2990, S. 22). Gefahr im Verzug liegt dann vor, wenn der Erfolg einer notwendigen Maßnahme ohne sofortiges Eingreifen beeinträchtigt oder vereitelt würde, die Maßnahme also unaufschiebbar ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.09.1981 - 3 S 1274/81 -, VBlBW 1982, 140 <141>; Urteil vom 08.02.1993 - 8 S 515/92 - VBlBW 1993, 298 <303>; Fliegauf/Maurer, a.a.O., § 21 Rn. 2).

Eine Dringlichkeit in diesem Sinne war hier nicht gegeben. Im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung ist das Regierungspräsidium Stuttgart selbst von einer Unaufschiebbarkeit der Vorlageverpflichtung nicht ausgegangen, denn es hat dem Antragsgegner, wie in § 20 Abs. 1 Satz 2 LVwVG als Rechtsvoraussetzung für die Androhung vorgesehen, für die Erfüllung der Pflicht eine Frist gesetzt; folglich wäre auch Gelegenheit gewesen, auf das Zwangsmittel mit einer sogenannten unselbständigen Androhung gemäß § 20 Abs. 2 LVwVG hinzuweisen. Auch im Zeitpunkt des Antrags auf Erlass der Durchsuchungsanordnung war für die Unaufschiebbarkeit nichts dargetan; für eine Änderung der Verhältnisse insbesondere allein durch das fruchtlose Verstreichen der dem Antragsgegner gesetzten Frist spricht nichts.

Dieses Begriffsverständnis der Gefahr im Verzug deckt sich mit dem für den Erlass der Durchsuchungsanordnung maßgeblichen. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 LVwVG, Art. 13 Abs. 2 2. Alt. GG kann der Richtervorbehalt nur dann in zulässiger Weise entfallen, wenn die mit der Einschaltung des Richters verbundene Verzögerung nicht hingenommen werden kann, weil ansonsten der Erfolg der Durchsuchung gefährdet wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.04.1979 - 1 BvR 994/76 -, BVerfGE 51, 97 <111>; Urteil vom 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00 -, BVerfGE 103, 142 <155>; Müller-Eiselt, a.a.O., § 287 AO Rn. 25 f.; Wesser, NJW 2002, 2138 <2141 f.>).

Die Durchsetzung der dem Antragsgegner in Ziff. 1 der Verfügung auferlegten Verpflichtung sieht letztlich auch der Antragsteller nicht durch den Zeitablauf, sondern durch die Warnfunktion einer Zwangsmittelandrohung gefährdet. Sein Hinweis auf die Verfahrensweise bei Erlass der Durchsuchungsanordnung verfängt aber nicht. Der Antragsteller kann sich nicht auf die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung berufen, wonach bei der Gefahr einer Vollstreckungsvereitelung die gem. Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebotene Anhörung des Vollstreckungsschuldners unterbleiben kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.06.1981 - 1 BvR 1094/80 -, BVerfGE 57, 346 <359 f.>; Müller-Eiselt, a.a.O., § 287 AO Rn. 19). Denn diese Erwägung bezieht sich nur auf die gerichtliche Ermächtigung zu dieser Modalität der Vollstreckung; am Erfordernis, dass die sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen müssen, ändert sich dadurch nichts (vgl. zur zivilprozessualen Zwangsvollstreckung Heßler in: Münchner Kommentar zur ZPO, Band 2, 2000, § 758a Rn. 52).

Ein Wertungswiderspruch liegt in dieser Unterscheidung nicht. So will bereits wenig überzeugen, dass durch die Beachtung der Förmlichkeiten des Verwaltungsvollstreckungsrechts die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Vollstreckung merklich verringert wird; denn schon nach der Bekanntgabe der Verfügung hätte der Vollstreckungsschuldner ggf. Anlass und Gelegenheit, geforderte Unterlagen beiseite zu schaffen. Die Ankündigungswirkung allein der Androhung unmittelbaren Zwangs bleibt indessen noch sehr allgemein. Demgegenüber wäre der Hinweis auf eine bevorstehende Durchsuchung sehr viel konkreter; insoweit mag sich der Betroffene in Sicherheit wiegen, so dass ein gewollter und im Interesse der Effektivität der Vollstreckung angezeigter Überraschungseffekt hier zum Tragen kommen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, da Gerichtsgebühren nicht anfallen (siehe Kostenverzeichnis Nr. 5502, Anlage 1 zum GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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