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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 17.04.2007
Aktenzeichen: 2 S 2101/06
Rechtsgebiete: BauGB, LVwVfG, BGB


Vorschriften:

BauGB § 133 Abs. 3 Satz 5
LVwVfG § 59 Abs. 1
LVwVfG § 62
BGB § 134
Das vom Bundesverwaltungsgericht im Erschließungsbeitragsrecht entwickelte "Erfordernis der Offenlegung" (BVerwG, Urteil vom 1.12.1989 - 8 C 44.88 -, BVerwGE 84, 183) gebietet die getrennte Ausweisung der Ablöseanteile, die auf den Erschließungsbeitrag nach dem Baugesetzbuch, auf den Wasserversorgungsbeitrag und auf den Abwasserbeitrag entfallen, da ansonsten nicht die Überprüfung möglich ist, ob der Ablösebetrag den Grundsätzen der Abgabengerechtigkeit und Abgabengleichheit gerecht wird (im Anschluss an Senatsurteil vom 26.6.2003 - 2 S 2567/01 -, VBlBW 2004, 224).
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

2 S 2101/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Erschließungsbeitrag

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 17. April 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. August 2006 - 2 K 938/06 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.227,36 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Erschließungsbeitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 18.11.2005 abgelehnt worden ist, hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag zu Recht abgelehnt.

Zwar ist der Antrag statthaft (vgl. dazu § 80 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Abs. 5 VwGO) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der nach § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO geforderte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Antragsgegnerin gestellt und von dieser abgelehnt worden. Auch ist der angefochtene Erschließungsbeitragsbescheid nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar, so dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig ist.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs oder einer Klage gegen die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten davon abhängig, ob nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 3 VwGO). Solche Zweifel sind nur dann anzunehmen, wenn ein Erfolg von Rechtsbehelf oder Klage wahrscheinlicher ist als deren Misserfolg. Nach der Rechtsprechung des Senats sind deshalb in Abgabensachen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids regelmäßig dann nicht gegeben, wenn sich der Verfahrensausgang als offen darstellt (vgl. etwa Beschluss vom 18.8.1997 - 2 S 1518/97 - m.w.N.). Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil der Verfahrensausgang dann die eigentlich gebotene Interessenabwägung nicht steuern kann, während andererseits die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung in § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO die sofortige Vollziehung trägt (dazu auch BVerfG, Beschluss vom 10.10.2003, NVwZ 2004, 93). Auch wenn man ihr ein überwiegendes Gewicht nicht allein wegen der normativen Festlegung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung zuerkennen wollte (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 14.4.2005 - 4 VR 1005.04 -, NVwZ 2005, 689 zu § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO; Debus, NVwZ 2006, 49 f. m.w.N.), rechtfertigt bei offenem Verfahrensausgang jedenfalls der in Rede stehende abgabenrechtliche Normzweck - die Gewährleistung der ausreichenden finanziellen Sicherung der Tätigkeit der öffentlichen Hand - und wohl auch eine Deckungsgleichheit mit § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO (Debus, aaO, S. 50) die Annahme eines regelmäßig überwiegenden Vollzugsinteresses. Nach dem Rechtsgedanken des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO ist die aufschiebende Wirkung auch dann anzuordnen, wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dass Letzteres der Fall sein könnte, ist nicht erkennbar.

Darüber hinaus bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheids. Im Einzelnen:

1. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin steht ihrer Heranziehung zum Erschließungsbeitrag die von ihrer Rechtsvorgängerin geschlossene Ablösungsvereinbarung nicht entgegen. Ein wirksamer Ablösungsvertrag im Sinne des § 133 Abs. 3 S. 5 BauGB bewirkt, dass ein andernfalls mit Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht für eine beitragsfähige Erschließungsanlage begründetes abstraktes Schuldverhältnis zwischen der Gemeinde und dem Grundstückseigentümer/Erbbauberechtigten gar nicht erst entsteht. Eine solche wirksame Ablösungsvereinbarung ist aber in dem am 20.12.1976 zwischen der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin als Käuferin des streitgegenständlichen Grundstücks einerseits und der Antragsgegnerin andererseits abgeschlossenen Kaufvertrag nicht enthalten. Denn die Ablösungsvereinbarung, wonach "der Kaufpreis unter Zugrundelegung eines Quadratmeterpreises von 35,-- DM einschließlich der Anliegerbeiträge 161.035,-- DM beträgt", ist nichtig und kann deshalb keine Rechtswirkungen entfalten. Sie verstößt gegen ein gesetzliches Verbot (vgl. §§ 59 Abs. 1, 62 LVwVfG i.V.m. § 134 BGB), da sie - bezogen auf die Ablösung des Erschließungsbeitrags - gegen § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB und den in dieser Vorschrift enthaltenen Grundsatz der Offenlegung der Ablösebeträge verstößt (vgl. Senatsurteil vom 26.6.2003 - 2 S 2567/01 -, VBlBW 2004, 224).

Den Gemeinden ist es grundsätzlich untersagt, Erschließungskosten anders als durch die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften auf die Eigentümer/Erbbauberechtigten der erschlossenen Grundstücke umzulegen. Das Gesetz lässt eine Ausnahme hiervon insofern zu, als eine Gemeinde nach Erlass von Ablösungsbestimmungen Vereinbarungen über die Ablösung des Erschließungsbeitrags treffen kann (§ 133 Abs. 3 Satz 2 BBauG/§ 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB). Fehlen indes ausreichende Ablösungsbestimmungen, so führt dies zur Nichtigkeit eines gleichwohl geschlossenen Ablösungsvertrages (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.1.1982 - 8 C 24.81 -, BVerwGE 64, 361). Die Notwendigkeit, vor dem Abschluss von Ablösungsverträgen (ausreichende) Ablösungsbestimmungen zu erlassen, bedeutet zugleich, dass die Ablösungsverträge nur in Übereinstimmung mit den Ablösungsbestimmungen geschlossen werden dürfen und dass ein Ablösungsvertrag, dessen Ablösebetrag in Abweichung von den anzuwendenden Bestimmungen ermittelt worden ist, nichtig ist (BVerwG, Urteil vom 1.12.1989 - 8 C 44.88 -, BVerwGE 84, 183; Beschluss vom 17.9.2002 - 9 B 43.02 -, Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 133). Dies ergibt sich aus dem mit der Regelung des § 133 Abs. 3 Satz 2 BBauG/§ 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB verfolgten Ziel, im Interesse der dem Erschließungsbeitragsrecht immanenten Grundsätze der Abgabengerechtigkeit und Abgabengleichheit eine möglichst gleichmäßige Handhabung aller Ablösungsfälle sicherzustellen. Macht aber das Gesetz die Befugnis zum Abschluss von Ablösungsverträgen mit Rücksicht auf die vorbezeichneten Grundsätze von der Erfüllung dieser einzig auf die Ermittlung der Höhe der Ablösebeträge ausgerichteten Voraussetzungen abhängig, verlangt es zugleich die Offenlegung der Ablösebeträge (BVerwG, Urteil vom 1.12.1989, aaO). Denn ohne eine solche Offenlegung können die genannten Ermächtigungsschranken praktisch nicht greifen, weil sich ohne eine Offenlegung nicht überprüfen lässt, ob der Betrag etwa willkürlich oder aber in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Ablösungsbestimmungen ermittelt worden ist. Ohne eine Offenlegung der Ablösebeträge, d.h. ohne Ergänzung durch das Verbot der Vereinbarung wahrhaft "verdeckter" Ablösebeträge, gingen die Schranken, die der Gesetzgeber der Zulässigkeit von Ablösungsverträgen gesetzt hat, in ihrer tatsächlichen Auswirkung ins Leere (BVerwG, Urteil vom 1.12.1989, aaO). Daraus folgt, dass § 133 Abs. 3 Satz 2 BBauG/§ 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB nur zum Abschluss solcher Ablösungsverträge ermächtigt, die dem Gebot der Offenlegung genügen; Ablösungsverträge, die dieser Anforderung nicht entsprechen, verstoßen gegen ein gesetzliches Verbot und sind daher nichtig. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass bei einem Grundstückskauf- und Ablösungsvertrag der Ablösebetrag in der notariellen Urkunde ausgewiesen wird. Vielmehr reicht es aus, wenn die Gemeinde ihn (wenigstens) dem Vertragspartner vor Abschluss des Vertrages mitgeteilt hat, so dass dieser ihn in dem Gesamtpreis erkennen konnte und er dadurch Bestandteil der Vereinbarung geworden ist (BVerwG, Urteil vom 1.12.1989, aaO).

Nach diesen Maßstäben ist die im Kaufvertrag vom 20.12.1976 enthaltene Ablösungsvereinbarung bereits deshalb als nichtig anzusehen, weil sie dem Gebot der Offenlegung nicht genügt.

Dass bei dem hier zu beurteilenden gemischten Grundstückskauf- und Ablösungsvertrag der Ablösebetrag nicht getrennt in der notariellen Urkunde ausgewiesen wird, dürfte zwar im Hinblick auf die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unerheblich sein. Ausweislich der Sitzungsniederschrift des Gemeinderats der Antragsgegnerin vom 30.9.1975 ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass der Grundstückspreis mit 15,--DM/qm und die Anliegerbeiträge mit 20,-- DM/qm anzusetzen sind; davon ausgehend lässt sich der Ablösebetrag (4.601 qm multipliziert mit 20,-- DM/qm = 92.020,-- DM) unproblematisch ermitteln. Dass dieser Ablösebetrag der Rechtsvorgängerin vor Abschluss des Vertrags mitgeteilt worden ist, dürfte der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechen.

Allerdings erfordert der Grundsatz der Offenlegung bei der vorliegenden Konstellation die getrennte Ausweisung des Ablösebetrags für den Erschließungsbeitrag einerseits und für die Wasserversorgungs- und Abwasserbeiträge andererseits. Nur die getrennte Ausweisung des auf den Erschließungsbeitrag entfallenden Ablöseanteils ermöglicht dem Gericht die Überprüfung, ob der Ablösebetrag in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Ablösungsbestimmungen ermittelt worden ist und damit den Grundsätzen der Abgabengerechtigkeit und Abgabengleichheit gerecht wird.

Davon ausgehend lässt sich weder der zitierten Bestimmung im Kaufvertrag vom 20.12.1976 noch - nach Aktenlage - sonstigen Vereinbarungen, Niederschriften oder Aktenvermerken außerhalb des Vertrags vom 20.12.1976 entnehmen, welcher Anteil auf die Erschließungsbeiträge einerseits und die Wasserversorgungs- und Abwasserbeiträge andererseits entfällt. Auch ansonsten sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich und von den Beteiligten im Übrigen auch nicht vorgetragen, dass die Antragsgegnerin der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin vor Abschluss des Kaufvertrags den Ablöseanteil, der auf den Erschließungsbeitrag einerseits und auf die Beiträge nach dem Kommunalabgabengesetz andererseits entfällt, mitgeteilt hat.

Die getrennte Ausweisung des Ablösebetrags für den Erschließungsbeitrag ist auch deshalb unabdingbar, weil andernfalls die Einhaltung der sogenannten Missbilligungsgrenze nicht überprüft werden könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt das Erschließungsbeitragsrecht Ablösungsverträgen eine absolute (Missbilligungs-)Grenze, die überschritten ist, wenn sich im Rahmen einer von der Gemeinde durchgeführten Beitragsabrechnung herausstellt, dass der Beitrag, der dem Grundstück als Erschließungsbeitrag zuzuordnen ist, das Doppelte oder mehr als das Doppelte bzw. die Hälfte oder weniger als die Hälfte des vereinbarten Ablösungsbetrags ausmacht (BVerwG, Urteil vom 9.11.1990 - 8 C 36.89 -, BVerwGE 87, 77).

Der dargelegte Verstoß gegen den Grundsatz der Offenlegung führt zur Nichtigkeit der Ablösungsvereinbarung insgesamt, weil die Ablösung der Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch von der Ablösung der Abgaben nach dem Kommunalabgabengesetz (Wasserversorgungs- und Abwasserbeiträge) nicht zu trennen ist.

2. Soweit die Antragstellerin schließlich sinngemäß rügt, der Erschließungsbeitrag sei bezüglich der "Raistinger Straße" verjährt, kann der Verfahrensausgang allenfalls als offen bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang stellt die Antragstellerin nicht in Frage, dass die letzte Unternehmerrechnung erst im Jahre 2001 bei der Antragsgegnerin eingegangen ist und davon ausgehend die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG 1996) für den Erschließungsbeitrag (bis zum Erlass des Beitragsbescheids am 18.11.2005) noch nicht abgelaufen gewesen wäre (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22.8.1975 - IV C 11.73 -, BVerwGE 49, 131). Vor dem Hintergrund, dass die "Raistinger Straße" mehrere selbständige Erschließungsanlagen umfassen dürfte, rügt die Antragstellerin ausschließlich, "die letzte Unternehmerrechnung der Firma R. betreffe nicht den im streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbescheid abgerechneten Bereich der Raistinger Straße". Die Prüfung dieser Unternehmerrechnung darauf, ob sie sich (auch) auf Bauarbeiten im Abrechnungsgebiet bezieht, muss aber - so zu Recht schon das Verwaltungsgericht - einer endgültigen Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, was die dargelegte Bewertung eines offenen Verfahrensausgangs rechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 3 GKG (in Anknüpfung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8.7.2004, VBlBW 2004, 467).

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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