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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 13.04.2007
Aktenzeichen: 1 S 2751/06
Rechtsgebiete: WaffG


Vorschriften:

WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1
Die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit, die auf strafrechtlichen Verurteilungen beruht, kann nur durch tatbezogene Umstände entkräftet werden; dies gilt auch hinsichtlich der Würdigung der Persönlichkeit des Betroffenen. Solche Umstände liegen nicht bereits dann vor, wenn dem Betroffenen nach einer Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis aufgrund einer positiven Prognose über seine Kraftfahreignung wieder erteilt wird.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

1 S 2751/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen waffen- und sprengstoffrechtlicher Erlaubnis

hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 13. April 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 6. November 2006 - 4 K 1745/06 - geändert. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht sowie für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 4.125 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene und mit ausreichender Begründung im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO versehene Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat der Ansicht, dass das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.09.2006 das entgegenstehende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme nicht überwiegt. Mit dieser Verfügung hat die Behörde - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) - in Ziff. I die dem Antragsteller erteilten Waffenbesitzkarten (§ 10 Abs. 1 WaffG) und den Europäischen Feuerwaffenpass (§ 32 Abs. 6 WaffG) gemäß § 45 Abs. 2 WaffG sowie die Sprengstofferlaubnis (§ 27 Abs. 1 SprengG) gemäß § 34 Abs. 2 SprengG widerrufen, in Ziff. II und III Folgeanordnungen nach § 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WaffG, § 32 Abs. 5 SprengG getroffen sowie in Ziff. V und VI - von Gesetzes wegen sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2, § 12 LVwVG) - bei Nichterfüllung der Anordnungen Zwangsgeld (§§ 20, 23 LVwVG) sowie gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG und § 32 Abs. 5 SprengG die Sicherstellung der Waffen und Sprengstoffreste als bundesrechtliche Sonderregelung der Verwaltungsvollstreckung angedroht (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.1985 - 1 C 12.83 -, BVerwGE 71, 234 <247 f.>; Beschluss des erkennenden Senats vom 20.10.1993 - 1 S 1223/93 -, NVwZ-RR 1994, 210).

Es spricht Überwiegendes dafür, dass dem Antragsteller als Voraussetzung für eine waffenrechtliche bzw. sprengstoffrechtliche Erlaubnis die erforderliche Zuverlässigkeit fehlt (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG, § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SprengG).

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Regelvermutung der waffen- bzw. sprengstoffrechtlichen Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b WaffG, § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b SprengG vorliegen. Regelmäßig unzuverlässig ist danach, wer u. a. wegen einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat - hierzu zählt auch die fahrlässige Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 2 StGB (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1989 - 1 C 36.87 -, BVerwGE 84, 17 <19 ff.>; vom 13.12.1994 - 1 C 31.92 -, BVerwGE 97, 245 <248>) - zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder - wie hier - mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist (Strafbefehl des Amtsgerichts Titisee-Neustadt vom 12.03.2001: 50 Tagessätze; Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 22.02.2006: 55 Tagessätze), wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Letzteres ist hier auch bezogen auf den - bei noch ausstehendem Widerspruchsbescheid - maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung der Fall; bezüglich der ersten Verurteilung durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Titisee-Neustadt besteht kein Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG (siehe BVerwG, Urteil vom 26.03.1996 - 1 C 12.95 -, BVerwGE 101, 24 <26 f.>), da insoweit nach Maßgabe der Bestimmungen des § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 47 Abs. 3 Satz 1, § 36 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 4 BZRG Tilgungsreife noch nicht vorliegt.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts dürften indessen besondere Umstände, die die Annahme eines Ausnahmefalles zu rechtfertigen geeignet sind, nicht gegeben sein.

Bereits die Tatsache der den Regeltatbestand erfüllenden zweimaligen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung begründet im allgemeinen den Mangel der erforderlichen Zuverlässigkeit. Wer derartige Delikte begeht, gibt nach der gesetzgeberischen Wertung des Waffengesetzes Anlass zu der Befürchtung, er könne es auch als Waffenbesitzer am nötigen Verantwortungsbewusstsein fehlen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.04.1991 - 1 B 78.91 -, NVwZ-RR 1991, 635). Nach Sinn und Zweck des Gesetzes soll das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering gehalten werden. Es soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit der Waffe jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.1994 - 1 C 31.92 -, BVerwGE 97, 245 <248>; BT-Drs. 14/7758 S. 54 zu § 54 Abs. 2). Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen ist dieses Vertrauen nachhaltig erschüttert.

Der Sachverhalt gibt aller Voraussicht nach nichts dafür her, dass die hieraus folgende Regelvermutung entfallen muss.

Ein Ausnahmefall kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.1994 - 1 C 31.92 -, BVerwGE 97, 245 <250>; Beschluss vom 19.09.1991 - 1 CB 24.91 -, Buchholz 402.5 WaffG Nr. 60; siehe auch Meyer, GewArch 1998, 89 <91> m.w.N.). Dabei setzt die Vermutungsregelung nicht voraus, dass außer den Verurteilungen weitere nachteilige Umstände bekannt geworden sind; sie greift also auch dann ein, wenn der Betreffende sich ansonsten immer ordnungsgemäß verhalten hat.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann die gegen den Antragsteller sprechende Vermutung nicht als entkräftet angesehen werden.

Beide Trunkenheitsfahrten sind keineswegs als Bagatelldelikte einzuordnen. Vielmehr handelte es sich um typische Fälle von Trunkenheitsfahrten, die höchstens insoweit vom Normalfall abweichen, als der Antragsteller jeweils eine ungewöhnlich hohe Blutalkoholkonzentration aufwies, die auf eine - vom Antragsteller auch eingeräumte - ausgeprägte Alkoholgewöhnung schließen lässt. Auch das mit den Fahrten verbundene Gefährdungspotenzial für die anderen Verkehrsteilnehmer ist jeweils nicht gering einzuschätzen; bei der ersten Fahrt folgt dies insbesondere auch daraus, dass der Antragsteller mit einem Pferde-Anhänger unterwegs war, und bei der zweiten Fahrt ist er über eine längere Strecke auf einer stark befahrenen Straße unsicher gefahren. Entlastende persönliche Umstände - so solche bei diesem von Verantwortungslosigkeit gekennzeichneten Verhalten überhaupt in Betracht gezogen werden könnten - sind nicht ersichtlich.

Gibt somit die maßgebliche tatbezogene Betrachtungsweise keinen Anlass, von der gesetzlichen Regelvermutung abzuweichen, ist es aus waffenrechtlicher Sicht ohne Belang, wie eine Wiederholungsgefahr im Hinblick gerade auf den Straftatbestand, der Gegenstand der Verurteilung gewesen ist, einzuschätzen ist. Daher ist es unerheblich, wenn nach Verurteilung wegen Trunkenheit im Straßenverkehr nach Ablauf der Sperrfrist die Fahrerlaubnis wieder erteilt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.09.1991 - 1 CB 24.91 -, Buchholz 402.5 WaffG Nr. 60; OVG NRW, Beschluss vom 02.09.2003 - 20 A 1523/03 - <juris> Rz. 8 ff.). Das der Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde zugrunde liegende - eingeschränkt - positive medizinisch-psychologische Gutachten über die Kraftfahreignung trägt zur Widerlegung der waffenrechtlichen Regelvermutung jedenfalls dann nichts bei, wenn es - wie vorliegend - nicht gerade auf besondere Umstände der Tat gestützt ist (a.A. Hess. VGH, Urteil vom 22.11.1994 - 11 UE 1428/93 -, RdL 1995, 67 <68>). Die auf die Frage der Zuverlässigkeit bezogene Regelvermutung kann durch eine spätere Entwicklung, die in einem anderen Rechtsbereich für die Frage der Eignung von Bedeutung ist, nicht durchbrochen werden. Anderenfalls würde die gesetzgeberische Entscheidung überspielt, im Waffenrecht im Interesse einer gesteigerten Effektivität der Gefahrenabwehr sowohl Zuverlässigkeit als auch Eignung zu verlangen.

Erweist sich hiernach die angefochtene Verfügung - einschließlich der unselbstständigen Folgeanordnungen und der Zwangsmittelandrohung, gegen die eigenständige rechtliche Bedenken weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind - aller Voraussicht nach als rechtmäßig, ergibt die Abwägung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, dass dem öffentlichen Vollzugsinteresse der Vorrang gebührt vor dem privaten Interesse des Antragstellers, von den waffen- und sprengstoffrechtlichen Erlaubnissen weiterhin Gebrauch machen zu können. Denn bereits die materielle Regelung trägt eine Eilbedürftigkeit in sich (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 26.07.2005 - 1 S 1365/05 - und vom 22.01.2007 - 1 S 2199/06 - ; Nds. OVG, Beschluss vom 29.11.2003 - 11 ME 286/03 - <juris>; BayVGH, Beschluss vom 07.07.2005 - 19 CS 05.1154 -, BayBVl 2005, 666). Es besteht nämlich ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran, das mit dem privaten Waffenbesitz verbundene erhebliche Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten. Das Interesse an der Jagdausübung hat dahinter zurückzutreten; dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil die Jagd grundsätzlich - und auch beim Antragsteller - nur Liebhaberei und Freizeitbeschäftigung ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.09.2003 - 5 S 1899/03 -, VBlBW 2004, 107 <108>). Auch der angesichts der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht dem Sofortvollzug nicht entgegen (siehe hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.10.2003 - 1 BvR 1594/03 -, NJW 2003, 3618 <3619>). Denn insbesondere läuft die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht auf die Schaffung vollendeter Tatsachen hinaus. Der Antragsteller ist hierdurch nämlich nicht gezwungen, seine Schusswaffen unbrauchbar machen zu lassen oder einem berechtigten Dritten dauerhaft zu überlassen. Vielmehr ist es ihm rechtlich möglich und auch zumutbar, die Schusswaffen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zur einstweiligen Verwahrung einem - zuverlässigen - Dritten zu überlassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Änderung und Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 sowie § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Für den Widerruf der Waffenbesitzkarte ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich der Auffangstreitwert in Höhe von 5.000 EUR in Ansatz zu bringen. Eine Erhöhung des Auffangstreitwerts ist jedoch dann geboten, wenn mehrere Waffenbesitzkarten und/oder eine große Zahl von Waffen vom Widerruf erfasst sind. Dies ist hier bei 3 Waffenbesitzkarten mit insgesamt 14 Waffen und einem Europäischen Feuerwaffenpass mit 8 Waffen der Fall, so dass der Senat insoweit einen Streitwert in Höhe von 7.000 EUR für angemessen hält, der für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist. Die Folgeanordnungen fallen ebenso wenig wie die Nebenentscheidungen - mit Ausnahme der Zwangsgeldandrohung, die mit einem Achtel des Betrags einzustellen ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.06.2005 - 11 S 806/05 -, NVwZ-RR 2006, 219) - für die Streitwertfestsetzung ins Gewicht. Entsprechend war auch der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren festzusetzen und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts insoweit von Amts wegen abzuändern.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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