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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 19.02.2000
Aktenzeichen: 1 S 414/00
Rechtsgebiete: VersG


Vorschriften:

VersG § 15 Abs. 1
Das Einüben von polizeiwidrigen Handlungen mittels Rollenspiels (hier Probeblockade auf einem Anschlußgleis zu einem Kernkraftwerk) kann seinerseits bereits eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit sein, die die zuständige Behörde ermächtigt, sofort vollziehbare Auflagen zur Verhinderung der Übung zu erlassen.
1 S 414/00

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluß

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Durchführung einer Versammlung; vorläufiger Rechtsschutz

hier: Antrag auf Zulassung der Beschwerde

hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, Schefzik und Schenk

am 19. Februar 2000

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers, die Beschwerde gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 18. Februar 2000 - 4 K 485/00 - zuzulassen, wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 4.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

Der nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 VwGO statthafte Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat in dem vorliegenden Rechtsstreit, der in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht signifikant vom Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren dieser Art zu entscheidenden Streitfälle abweicht und deshalb keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten aufweist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 22.04.1997 - 14 S 313/97 -, VBlBW 1997, 228 und vom 07.01.1998 - 7 S 3117/97 -, NVwZ-RR 1998, 371) ausgeführt, daß kein überwiegendes Interesse des Antragstellers daran besteht, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 17.02.2000 wiederherzustellen. Mit dieser werden dem Antragsteller, der für die Kampagne "X-tausendmal quer-überall" als Versammlungsleiter eine Versammlung angemeldet hat, folgende für sofort vollziehbar erklärte Auflagen erteilt:

1. "Probeblockaden jedweder Art auf dem oder außerhalb des Industriegleises sowie anderenorts und Rollenspiele, deren Inhalt das probeweise Wegtragen von Versammlungsteilnehmern ist, die zu "Übungszwecken" eine Blockadeaktion simulieren, sind im Verlauf der Versammlung untersagt.

2. Das Betreten des Industriegleises einschließlich des Schotterbettes links und rechts der Kreuzung Industriegleis/L 555 sowie der Baustelle entlang des Industriegleises ist untersagt."

Diese Auflagen dürften nach der im Eilverfahren gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung rechtmäßig sein. Insbesondere ist die Erkenntnis des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit liege nicht erst dann vor, wenn gegen Strafgesetze oder Anordnungen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung verstoßen werde, sondern bereits dann, wenn solche Verstöße geprobt würden.

Der Antragsteller, der in seiner Person voraussichtlich keine Gewähr dafür bietet, daß er als Veranstalter der Demonstration gegen Störungen der öffentlichen Sicherheit einschreiten wird (vgl. hierzu Beschluß des Senats vom 18.06.1999 - 1 S 1464/99 -, VBlBW 1999, 462), da er selbst - was unbestritten ist - anläßlich eines Castor-Transports wegen Zerstörung von Bauwerken hat verurteilt werden müssen, begründet seinen Zulassungsantrag im wesentlichen damit, daß wesentliche Belange der Öffentlichkeit nicht verletzt würden und reale Gefahren für Dritte nicht bestünden, da lediglich in einem Rollenspiel die gewaltfreie Blockade von Industriegleisen durch Demonstranten, deren Entfernung durch die Ordnungskräfte (andere Demonstranten) und die dabei entstehenden Probleme und Konflikte eingeübt werden sollten. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Landratsamts Karlsruhe, daß Blockaden der Verkehrswege, auf denen ein Castor-Behälter transportiert werden soll, rechtswidrig sind (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Auflage, § 15 RdNr. 117 ff. mit zahlreichen Nachweisen). Die bewußte und gewollte Verhinderung genehmigter und damit im Einklang mit der Rechtsordnung stattfindender Transporte von Industriegütern oder Industrieabfällen ist ein Verstoß gegen die rechtsstaatliche Friedensordnung und damit gegen die öffentliche Sicherheit. Selbst wenn im Einzelfall eine Blockadehandlung nicht als strafrechtlich bewehrte Nötigung angesehen werden sollte (§ 240 StGB, vgl. hierzu und zum Gegenteil BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u.a. - NJW 1987, 43), ändert dies nichts an der grundsätzlichen Feststellung, daß die Blockierung eines Schienenweges, auf dem ein genehmigter Transport stattfinden soll, gegen die öffentliche Sicherheit verstößt.

Im vorliegenden Fall geht es indes, wie der Antragsteller zu Recht vorträgt, nicht um die Blockade eines Castor-Transports, sondern um die Einübung von Strategien, wie ein solcher Transport erfolgreich verhindert werden kann. Der Antragsteller beabsichtigt demnach mit der von ihm angemeldeten Demonstration, das Einüben polizeiwidrigen Verhaltens. Es sollen "Probeblockaden jedweder Art" geübt und zu "Übungszwecken" simuliert werden. Wenn das Verwaltungsgericht hierin eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit sieht, die den Sofortvollzug einer dies verhindernden Auflage rechtfertigt, so steht dies mit § 15 Abs. 1 VersG in Einklang und ist deshalb nicht zu beanstanden.

Auch soweit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Auflage Nr. 2, die das Betreten der Gleise und der Baustelle untersagt, abgelehnt wird, hat das Verwaltungsgericht keine ernstlich zweifelhafte Ermessensentscheidung getroffen. Aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung gelangt das Verwaltungsgericht zutreffend zu der Erkenntnis, daß wegen der topographischen Verhältnisse und der Durchführung von Baumaßnahmen das vom Landratsamt verhängte Betretungsverbot zum Schutz der Demonstrationsteilnehmer rechtmäßig ist. Die dagegen vorgebrachten Gründe im Beschwerdezulassungsverfahren ziehen dies nicht ernstlich in Zweifel.

Nach dem unstreitigen Sachverhalt existieren steile Böschungen und es besteht eine Baustelle. Ob Baustellenfahrzeuge vor Ort vorhanden sind oder nicht, ist insoweit unerheblich. Eine Gefährdung von Demonstrationsteilnehmern, über deren Zahl und Alter eine Prognose schwer möglich erscheint, da der Antragsteller u. a. auch über das Internet zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen hat, ist naheliegend, so daß eine unmittelbare Gefährdung für deren körperliche Unversehrtheit vorliegt und deshalb die Annahme der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichts, eine polizeiliche Gefahr liege vor, die die Auflage rechtfertige, nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden kann. Hinzu kommt, daß es sich bei dem Industriegleis nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners um Privateigentum handelt. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Antragstellers, der Schutz des Privateigentums müsse hinter dem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit zurückstehen, weshalb auch auf Grundstücken Privater demonstriert werden dürfe. Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit rechtfertigt grundsätzlich keinen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Privateigentum.

Der Antragsteller überdehnt den Inhalt der Demonstrationsfreiheit, wenn er unbeschränkt neben dem Zeitpunkt, der Art und dem Inhalt der Veranstaltung auch deren Ort als in seiner Dispositionsbefugnis stehend bezeichnet. Das Landratsamt hat - und ihm folgend das Verwaltungsgericht - darauf hingewiesen, daß nach der Verordnung des Innenministeriums über den Bau und Betrieb von Anschlußbahnen (BOA) vom 17.03.1971 (GBl. S. 119) das Betreten der Anschlußbahn außerhalb der zugelassenen Wege ohne Erlaubnis des Anschlußinhabers nur von Personen erlaubt ist, die in Ausübung eines öffentlichen Amtes handeln (§ 35 Abs. 1 BOA). Der Verstoß gegen diese bußgeldbewehrte Norm (§ 39 Abs. 1 Nr. 2.1 BOA) stellt eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Der Antragsteller will mit seiner Veranstaltung die Gleise betreten, so daß eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Ob dies im Einzelfall ausreichen würde, um für eine Demonstration eine entsprechende Auflage zu erteilen, ist hier nicht zu entscheiden. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, daß es dem Veranstalter "lediglich" um ein Rollenspiel geht. Für ein solches "Spiel" müssen jedoch die Interessen des Betreibers einer Anschlußbahn, die der Antragsgegner berücksichtigen darf, nicht hinter denjenigen des Veranstalters zurücktreten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 14 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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