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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 12.09.2005
Aktenzeichen: 10 S 1642/05
Rechtsgebiete: StVG, OWiG, FeV


Vorschriften:

StVG § 3 Abs. 1 Satz 1
StVG § 3 Abs. 4 Satz 2 zweiter Halbsatz
StVG § 24a Abs. 2
StVG § 25
OWiG § 84 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1
FeV Anlage 4 Nr. 9.2.2
Die verordnungsrechtliche Regelung des § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung, wonach bei einem gelegentlichen Cannabiskonsum und dem Unvermögen, zwischen der Einnahme von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen, die Fahrerlaubnis regelmäßig zu entziehen ist, begegnet im Hinblick darauf, dass im Bußgeldverfahren nach § 25 StVG nur die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn im Bußgeldverfahren wird nicht über die Fahreignung des Betroffenen entschieden.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

10 S 1642/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Entziehung der Fahrerlaubnis

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schlüter und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Brandt und Dr. Hartung

am 12. September 2005

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25. Juli 2005 - 3 K 1957/05 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei Beschwerden gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Danach prüft der Verwaltungsgerichtshof nur die in einer rechtzeitig eingegangenen Beschwerdebegründung dargelegten Gründe. Auf dieser Grundlage hat die Beschwerde keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen nicht dazu, dass die vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO vorzunehmende Abwägung zu Gunsten des Interesses des Antragstellers ausfällt, vom Vollzug der Entziehungsverfügung des Landratsamtes Heilbronn vom 18.05.2005 bis zu einer endgültigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben. Auch im Hinblick auf das Vorbringen in der Beschwerdebegründung ist nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage von der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung auszugehen. Es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet und somit ernstlich zu befürchten ist, er werde bereits vor einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden. Damit überwiegt aber das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verfügung.

Auch nach Ansicht des Senats ist der Antragsteller nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 und der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung wegen seines gelegentlichen Konsums von Cannabis und des Unvermögens, zwischen der Einnahme und dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen, fahrungeeignet, so dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen ist (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Auch im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller den gelegentlichen Konsum von Cannabis eingeräumt. Das Unvermögen des Antragstellers, zwischen der Einnahme von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen, ergibt sich daraus, dass dieser am 18.02.2005 unter der berauschenden Wirkung von D9-Tetrahydrocannabinol (5,7 ng/ml) ein Kraftfahrzeug geführt hat. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass jedenfalls bei einer D9-THC-Konzentration von mehr als 2 ng/ml die verkehrsrelevanten Eigenschaften eines Fahrerlaubnisinhabers beeinträchtigt sind und damit das fehlende Trennungsvermögen im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung belegt ist (vgl. Senatsbeschl. v. 10.05.2004 - 10 S 427/04 -, DAR 2004, 604). Bei dieser Konzentration ist im Anschluss an ein vom Bundesverfassungsgericht im dortigen Verfahren 1 BvR 2062/96 eingeholtes Gutachten von Prof. Dr. K. vom 15.08.2001 von einer Beeinträchtigung der verkehrsrelevanten Eigenschaften des Fahrers auszugehen (vgl. auch Berghaus/Schulz/Szegedi, in: Berghaus/Krüger, Cannabis im Straßenverkehr, S. 87; vgl. Senatsbeschl. v. 22.09.2003 - 10 S 1537/04 -; v. 08.10.2003 - 10 S 842/03 -; v. 03.11.2003 - 10 S 2281/03 -; v. 19.01.2004 - 10 S 1495/03 -; v. 15.04.2004 - 10 S 107/04 -; v. 10.05.2004 - 10 S 427/04 -, DAR 2004, 604; v. 02.06.2004 - 10 S 1880/03 -). Im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts (§ 24a Abs. 2 StVG) wird darüber hinaus davon ausgegangen, dass bereits bei einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml ein zeitnaher Cannabiskonsum mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gegeben ist (vgl. Beschluss der Grenzwertkommission zu § 24a Abs. 2 StVG vom 20.11.2002 zu den in der Anlage zu § 24a Abs. 2 StVG genannten Substanzen; Weitbrecht, Blutalkohol 2003, 130, 135; vgl. dazu auch BVerfG, Beschl. v. 21.12.2004 - 1 BvR 1652/03 -, NVwZ 2005, 441).

Auch der zeitliche Abstand zwischen der Fahrt unter dem Einfluss von THC am 18.02.2005 und der Bekanntgabe der Entziehungsverfügung vom 18.05.2005 an den Antragsteller führt nicht zu einem Überwiegen des Aufschubinteresses des Antragstellers. Erst am 22.03.2005 wurde das Landratsamt von der Polizeidirektion Heilbronn nach § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG über den Sachverhalt informiert. Anschließend musste sich das Landratsamt bei der Staatsanwaltschaft Heilbronn noch die Strafakten beschaffen (Rückgabe am 19.04.2005), den Antragsteller nach § 28 LVwVfG anhören (20.04.2005) und seinem Bevollmächtigten auf dessen Anforderung vom 02.05.2005 Akteneinsicht gewähren. Im Hinblick hierauf kann dem Landratsamt nicht vorgehalten werden, die Angelegenheit in einer Weise zögerlich vorangetrieben zu haben, die die Verfügung als solche oder auch nur die Anordnung der sofortigen Vollziehung als unzulässig erscheinen lässt.

Der Entziehungsverfügung steht ferner nicht entgegen, dass gegen den Antragsteller wegen der Fahrt unter der berauschen Wirkung von D9-THC vom 18.02.1005 ein Bußgeld von 250,- EUR und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden ist. § 84 Abs. 1 OWiG besagt lediglich, dass, sofern der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden ist, dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann. Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der Nichteignung des Betroffenen ist eine - präventive - Maßnahme der Gefahrenabwehr und dient nicht der Sanktionierung eines Verhaltens (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.11.1966 - 1 BvR 173/63 -, BVerfGE 20, 365). Der Rechtmäßigkeit der auf § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. q StVG sowie § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung gestützten Entziehungsverfügung steht auch nicht entgegen, dass der Gesetzgeber, wie sich aus § 24a Abs. 2 und § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG ergibt, als Ahndung des Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung von Cannabis ein Fahrverbot als ausreichend ansieht, während nach der Fahrerlaubnis-Verordnung der gelegentliche Cannabiskonsum und das fehlende Trennungsvermögen zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt (so aber Dencker, DAR 2004, 626, 630 f.). Denn die Fahrerlaubnis-Verordnung - als bloße Rechtsverordnung - ist insoweit nicht wegen eines Widerspruchs zu Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes nichtig, weil der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 25 StVG den Bereich der Fahreignung gerade nicht geregelt hat. Im Verfahren nach § 25 StVG wird keine Entscheidung über die Eignung eines Kraftfahrzeugfahrers zum Führen von Kraftfahrzeugen getroffen. Mit der Verhängung eines Fahrverbots neben einer Geldbuße wird lediglich eine erzieherische Nebenfolge verfügt, nicht jedoch über die Fahreignung des Betreffenden befunden. Das Fahrverbot ist als "Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme" gedacht und ausgeformt und soll in erster Linie spezialpräventiv auf nachlässige oder leichtsinnige Kraftfahrer einwirken (vgl. BT-Drucks. V/1319, S. 90; BVerfG, Beschl. v. 16.07.1969 - 2 BvL 11/69 -, BVerfGE 27, 36, 42; BVerwG, Beschl. v. 21.01.1994 - 11 B 116/93 -, NJW 1994, 1672; BayObLG, Beschl. v. 09.10.2003 - 1 ObOWi 270/03 -, NZV 2004, 100). Da im Bußgeldverfahren die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geprüft wird, entfalten Bußgeldentscheidungen nach § 3 Abs. 4 Satz 2 zweiter Halbs. StVG für das behördliche Entziehungsverfahren auch nur insoweit Bindungswirkung, als sie sich auf die Feststellung des Sachverhalts und die Beurteilung der Schuldfrage beziehen, nicht hingegen hinsichtlich der Eignungsfrage.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327). Nach § 52 Abs. 2 GKG beträgt der Regelstreitwert, der der Berechnung nach dem Streitwertkatalog zugrunde zu legen ist, 5.000,- Euro. Dieser Betrag ist für das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren zu halbieren.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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