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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 11.08.2009
Aktenzeichen: 10 S 839/09
Rechtsgebiete: StVG, FeV, GG


Vorschriften:

StVG § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
StVG § 4
FeV § 34 Abs. 1
FeV Anl. 12
GG Art. 3 Abs. 1
Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass jeder Verstoß gegen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung über die Geschwindigkeit, der in das Verkehrszentralregister einzutragen ist, unabhängig davon, mit wie viel Punkten er im Punktsystem nach § 4 StVG bewertet wird, als schwerwiegende Zuwiderhandlung im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG eingestuft wird.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

10 S 839/09

In der Verwaltungsrechtssache

wegen straßenverkehrsrechtlicher Anordnung (Aufbauseminar)

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 11. August 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. März 2009 - 6 K 3812/08 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe:

Der auf das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind dargelegt, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in der Antragsbegründung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, VBlBW 2000, 392, 393; Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77, 83). Diese Voraussetzungen erfüllt das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren nicht. Aus den in der Antragsbegründung dargelegten Gründen erweist sich die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts nicht als ernstlich zweifelhaft.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage ersichtlich zu Recht abgewiesen. Der Kläger räumt ein, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG, § 34 Abs. 1 FeV i.V.m. A.2.1 der Anlage 12 vorliegen, weil der Antragsteller innerhalb der Probezeit die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h überschritten hat. Die Bewertung, ob eine Zuwiderhandlung als schwerwiegend einzustufen ist, hat der Verordnungsgeber in § 34 Abs. 1 FeV i.V.m. Anlage 12 zur FeV abschließend und für die Behörde bindend vorgenommen. Entgegen der in der Antragsbegründung vertretenen Auffassung begegnet diese Einstufung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. § 34 FeV Abs. 1 i.V.m. Anlage 12 kann sich auf eine den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechende Ermächtigungsgrundlage stützen. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. m) StVG ermächtigt zum Erlass von Rechtsverordnungen über die Einstufung der im Verkehrszentralregister gespeicherten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten als schwerwiegend für Maßnahmen nach den Regelungen der Fahrerlaubnis auf Probe gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Einstufung jeglicher Geschwindigkeitsüberschreitung als schwerwiegend (vgl. A 2.1 der Anlage 12) unabhängig davon, ob der Verstoß nach § 4 StVG i.V.m. § 40 FeV, Anlage 13 mit 4 Punkten, 3 Punkten oder nur einem Punkt bewertet wird, mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar, weil beide Regelungen unterschiedliche Zwecke verfolgen. Während Maßnahmen nach dem Punktesystem des § 4 StVG dem Schutz der Verkehrsteilnehmer vor Mehrfachtätern unabhängig von deren Erfahrungsstand und Alter dienen, sollen behördliche Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG Gefährdungen durch unerfahrene Fahrzeugführer entgegenwirken. Anlage 12 zu § 34 Abs. 1 FeV liegt der Gedanke zugrunde, vor allem diejenigen Verstöße zu erfassen, die auf besondere Defizite in der Einstellung und im Verkehrsverhalten des Fahranfängers schließen lassen (Senatsbeschl. v. 24.11.2003 - 10 S 2435/03 -). Die Entscheidung des Gesetzgebers, zu diesen Tatbeständen wegen ihres Gefahrenpotentials und der hierin zum Ausdruck kommenden Einstellungs- und Verhaltensdefizite jegliche Verstöße gegen Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung über die Geschwindigkeit zu zählen, liegt in den Grenzen seines Beurteilungsspielraums und verstößt nicht gegen das Willkürverbot. Der Gesetzgebers ist befugt, einen Sachverhalt durch generalisierende und auf den typischen Regelfall bezogene Bestimmungen zu regulieren. Der Umstand, dass diese generelle Regelung auch atypische Konstellationen, wie etwa geringfügige Geschwindigkeitsübertretungen erfassen kann, berührt die Rechtmäßigkeit der gesetzlichen Regelung nicht. Zeigt ein Fahranfänger ein Verkehrsverhalten mit erhöhter Gefährlichkeit, kann dies deshalb unabhängig von der konkreten Verkehrs-situation zum Anlass für Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 StVG genommen werden. Auch der Umstand, dass Geschwindigkeitsübertretungen im Hinblick auf Maßnahmen nach § 2 a Abs. 2 Nr. 1 StVG gleich behandelt werden wie die in A.1 der Anlage 12 genannten schwerwiegenden Straftaten, verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Denn die jeweilige Zuwiderhandlung wird innerhalb des Normsystems "Fahrerlaubnis auf Probe" gerade nicht danach bewertet, ob es sich um eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit handelt und welche Sanktionen sie nach sich zieht, sondern systemgerecht nur danach, ob die Auffälligkeit so gewichtig ist, dass sie die Annahme der Nichtbewährung rechtfertigt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.03.2002 - 7 A 11244/01 - NZV 2002, 528). Bewährungszweifel werden aber sowohl durch Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einer erhöhten Gefährlichkeit als auch durch Straftaten mit einem besonderen Gefahrenpotential für den Straßenverkehr hervorgerufen; hinsichtlich dieses Merkmals ist eine Gleichbehandlung daher offensichtlich sachlich gerechtfertigt. Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht verletzt. Im Hinblick auf die von unerfahrenen Verkehrs-teilnehmern für die allgemeine Verkehrssicherheit und für sie selbst ausgehenden Gefahren, wobei gerade nicht angepasste Geschwindigkeit eine häufige Unfallursache darstellt, erscheint ein Aufbauseminar als geeignete und zumutbare Maßnahme, um dem Fahranfänger sein Fehlverhalten vor Augen zu führen (vgl. Senatsbeschl. v. 22.01.2008 - 10 S 1669/07 - juris; Senatsbeschl. v. 15.03.2005 -10 S 228/05 -). Im Übrigen hat der Antragsteller einen mit drei Punkten bewerteten und damit erheblichen Verkehrsverstoß begangen, der wegen seiner Gefahrenträchtigkeit die Teilnahme an einem Aufbauseminar als angemessen und geradezu geboten erscheinen lässt. Schließlich verletzt § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG i.V.m. § 34 Abs. 1 FeV i.V.m. Ziffer A.2.1 der Anlage 12 entgegen der Antragsbegründung auch nicht das Bestimmtheitsgebot. Aus der Regelung folgt eindeutig, dass jeder Verstoß gegen eine Vorschrift der Straßenverkehrsordnung über die Geschwindigkeit als schwerwiegend eingestuft wird. 2.

Der geltend gemachte Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht ausreichend dargelegt. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine grundsätzliche, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre und deren Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., B. v. 28.05.1997 - A 16 S 1388/97 - AuAS 1997, 261; B. v. 18.01.2007 - 13 S 1576/06 - juris). Es muss deshalb in der Begründung des Antrags auf Zulassung deutlich werden, warum prinzipielle Bedenken gegen einen vom Verwaltungsgericht in einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt bestehen, warum es also erforderlich ist, dass sich das Berufungsgericht noch einmal klärend mit der aufgeworfenen Frage auseinandersetzt und entscheidet, ob die Bedenken durchgreifen. Schließlich ist darzulegen, warum die aufgeworfene Frage für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich war und auch im Berufungsverfahren entscheidungserheblich sein wird.

Diesen Anforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Der Vortrag, das Berufungsverfahren sei geeignet, eine Rechtsfrage von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung zu entscheiden, reicht zu einer substantiierten Geltendmachung der Grundsatzbedeutung nicht aus. Der Kläger legt nicht dar, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 2a Abs. 2 StVG i.V.m. § 34 Abs. 1 FeV und Anlage 12 in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet wird oder dass eine bisher einhellig vorgenommenen Beantwortung der Frage im Lichte neuer Gesichtspunkte überprüft werden muss. Mit den tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung setzt sich die Antragsbegründung nicht auseinander und legt nicht dar, weshalb gegen den Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts prinzipielle Bedenken bestehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 und § 52 Abs. 2 GKG (vgl. Senatsurt. v. 22.01.2008 - 10 S 1669/07 - juris).

Der Beschluss ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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