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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 22.02.2006
Aktenzeichen: 11 S 1066/05
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG, AsylVfG


Vorschriften:

AuslG § 43 Abs. 1 Nr. 4
AuslG § 45 Abs. 2
AuslG § 53
AuslG § 55 Abs. 2
AufenthG § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AufenthG § 55 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 6
AufenthG § 60 Abs. 7
AufenthG § 60a Abs. 2
AsylVfG § 42 Satz 1
AsylVfG § 73 Abs. 1
1. Zum Prüfprogramm und zu den Ermessenskriterien beim Widerruf einer asylbezogenen unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (Fortschreibung von BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 - 1 C 13.02 -, NVwZ 2003, 1275 und VGH Bad.- Württ., Urteil vom 16.10.1996 - 13 S 2408/95 -)

2. Ein Vorbringen, das typische Merkmale eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG (§ 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) aufweist, darf beim Widerrufsermessen nur nach Maßgabe der Bindungs- bzw. Sperrwirkung von Bundesamtsentscheidungen nach § 42 Satz 1 AsylVfG berücksichtigt werden.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

11 S 1066/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Widerrufs der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 22. Februar 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29. Juli 2004 - 2 K 345/04 - geändert. Die Klage gegen die Verfügung des Landratsamts Bodenseekreis vom 07. Oktober 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 30. Januar 2004 wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist ein 1995 in Deutschland geborener serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit. Seine Eltern, Axxxx und Dxxxx Axxxxx, reisten mit der ältesten Schwester Dxxxxx 1994 in das Bundesgebiet ein. Ihre Asylanträge wurden durch Bescheide des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) vom 01.12.1994 abgelehnt, Abschiebungshindernisse nach § 51 und § 53 AuslG wurden nicht festgestellt. Diese Bescheide wurden am 23.11.1995 bestandskräftig. Ein erster Asylfolgeantrag der Mutter wurde 1999 abgelehnt. Die Ehe der Eltern wurde 1995 in Jugoslawien geschieden, das Sorgerecht für den Kläger der Mutter zugesprochen. Der Vater heiratete im Anschluss eine deutsche Staatsangehörige; eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug wurde ihm von der Stadt Tuttlingen 1999 wegen Fehlens einer ehelichen Lebensgemeinschaft versagt, im Oktober 2001 wurde der Vater in den Kosovo abgeschoben. Die Mutter, eine ältere Schwester sowie zwei jüngere Geschwister des Klägers werden seit längerem geduldet. Mit Bescheid vom 05.08.2002 hat das Bundesamt einen zweiten Folgeantrag der Mutter und einen Folgeantrag der Schwester Dxxxxx sowie Anträge auf Änderung der früheren Bescheide bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG abgelehnt.

Der Kläger wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 28.06.1999 in Befolgung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils als Asylberechtigter anerkannt und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG wurde festgestellt. Hierauf erteilte das Landratsamt Bodenseekreis dem Kläger mit Bescheid vom 29.07.1999 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Mit Verfügung vom 01.12.2000, bestandskräftig seit dem 05.02.2003, widerrief das Bundesamt die Asylanerkennung und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vorliegen. Anknüpfend hieran widerrief das Landratsamt Bodenseekreis mit Verfügung vom 07.10.2003 die unbefristete Aufenthaltserlaubnis und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Serbien-Montenegro unter Gewährung einer Ausreisefrist von einem Monat ab Bekanntgabe an. Die Entscheidung wurde auf § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG gestützt: schutzwürdige Belange des Klägers und seiner Familie am Verbleib in Deutschland bestünden nicht; die Mutter sei nur im Hinblick auf das bisherige Aufenthaltsrecht des Klägers bis zu einer gemeinsamen Ausreise der Familie geduldet worden. Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger unter anderem geltend, seine Mutter wolle gerne arbeiten, könne dies wegen der vier Kinder jedoch nicht. Bei einer Rückkehr mit den Kindern in das Kosovo würden sie jeden familiären Rückhalt verlieren. Zu ihrem früheren Ehemann habe die Mutter keinen Kontakt mehr, im Gegenteil werde sie von diesem und seiner Familie aufs Schlimmste verfolgt.

Das Regierungspräsidium Tübingen wies den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 30.01.2004 zurück: Der Kläger habe keinen Anspruch auf einen gleichwertigen asylunabhängigen Aufenthaltstitel und auch sonst seien keine Ermessensfehler beim Widerruf zu erkennen. Die Einlassungen zu zielstaatsbezogenen Gefahren könnten wegen der Bindungswirkung der negativen Entscheidung des Bundesamts nicht berücksichtigt werden. Schutzwürdige persönliche Belange, die das öffentliche Widerrufsinteresse überwögen, seien nicht zu erkennen. Das bisherige Aufenthaltsrecht sei seinerseits asylbedingt. Der Kläger könne auch keine Um- oder Rückstufung in ein befristetes Aufenthaltsrecht verlangen. Anhaltspunkte für eine Eingliederung der Familie in die sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse lägen nicht vor und die gemeinsame Rückkehr in die Heimat sei zumutbar. Die Eltern hätten kein Aufenthaltsrecht und der Kläger und seine Angehörigen bezögen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bzw. Sozialhilfe, was als Ermessenserwägung zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden könne.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger am 05.02.2004 Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, dass er nicht schlechter gestellt werden dürfe als Berechtigte nach § 51 Abs. 1 AuslG, die nach § 35 Abs. 1 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis erhielten. Sozialhilfebezug könne ihm und seiner Mutter nicht entgegengehalten werden. Seine Mutter könne weder zur eigenen Familie noch zur Familie des Vaters in das Kosovo zurückkehren. Die Familie des Vaters werde in diesem Fall alles versuchen, um der Mutter die Kinder wegzunehmen. Sie erhalte schon jetzt Telefonanrufe mit entsprechenden Drohungen. Mit den Geschwistern der Mutter im Kosovo bestehe kein Kontakt, deren eigene Familie wolle mit ihr nichts zu tun haben.

Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat der Klage mit Urteil vom 29.07.2004 - 2 K 345/04 - , zugestellt am 08.09.2004, stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben: Der Beklagte habe das ihm nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Zwar stehe dem Kläger kein gleichwertiges Aufenthaltsrecht zu, da die asylbedingten Aufenthaltszeiten nicht zu berücksichtigen seien. Der Kläger werde auch nicht gegenüber Flüchtlingen nach § 51 Abs. 1 AuslG benachteiligt. Die Bescheide litten aber an einem Ermessensdefizit. In entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG müssten auch Duldungsgründe im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG in das Ermessen eingestellt werden. Dies habe der Beklagte versäumt. In der mündlichen Verhandlung habe der Beklagte sein Ermessen lediglich dahin ergänzt, dass der Kläger über keinen Pass verfüge. Auf den bereits in Widerspruchsverfahren geltend gemachten Vortrag, die Familie des Vaters im Kosovo habe die Mutter bedroht und im Falle einer Rückkehr die Wegnahme der Kinder und die Entziehung des Sorgerechts angekündigt, sei der Beklagte aber nicht näher eingegangen. Er habe stattdessen deutlich gemacht, dieser Gesichtspunkt werde erst später im Rahmen der eigentlichen Abschiebung geprüft und es werde gegebenenfalls eine Duldung erteilt. Damit habe der Beklagte verkannt, dass es sich um ein dauerhaftes unverschuldetes Abschiebungshindernis handle, das schon bei der Entscheidung über den Widerruf berücksichtigt werden müsse.

Auf Antrag des Beklagten hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 19.05.2005, zugestellt am 08.06.2005, zugelassen: An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden ernstliche Zweifel. Mit dem Vortrag, er fürchte sich vor Sanktionen durch die väterliche Familie im Kosovo, berufe der Kläger sich auf ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis. Dessen Berücksichtigung dürfte die Bindungswirkung der negativen Feststellung des Bundesamts im Widerrufsbescheid vom 01.12.2000 entgegenstehen. Im Übrigen dürften die Ermessenserwägungen des Beklagten nicht zu beanstanden sein.

In seinem am 04.07.2005 eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz verweist der Beklagte im Wesentlichen auf den Zulassungsbeschluss des Senats und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29.07.2004 - 2 K 345/04 - zu ändern und die Klage gegen die Verfügung des Landratsamts Bodenseekreis vom 07.10.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 30.01.2004 abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils, die überzeugend seien. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht die Bedrohungssituation durch die Familie des Vaters als einen im Rahmen des Ermessens notwendigerweise zu berücksichtigenden Gesichtspunkt angesehen. Diese Bedrohungssituation stelle kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG dar. Es handle sich vielmehr um einen drohenden, mit dem Widerruf der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis verbundenen Nachteil. Dieser könne zwar kein Abschiebungshindernis begründen, was auch nicht beabsichtigt sei, müsse aber zu seinen Gunsten in die Ermessensentscheidung über den Widerruf einbezogen werden. Das Bedrohungsszenario sei vergleichbar mit anderen zu berücksichtigenden Nachteilen, etwa denen, dass ihm der Kulturkreis im Kosovo fremd sei und er dort keinen familiären Rückhalt genieße. Das Problem der Kompetenzverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde stelle sich hierbei nicht.

Dem Senat liegen die Ausländerakten des Landratsamts Bodenseekreis und des Regierungspräsidiums Tübingen vor. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diese Behördenakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierauf verzichtet haben und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.

Die statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und inhaltlich ausreichend begründete Berufung des Klägers (vgl. § 124a Abs. 6 i. V. m. Abs. 3 Satz 3 und 4 VwGO) hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte der - zulässigen - Anfechtungsklage des Klägers gegen die Widerrufsentscheidung und die Abschiebungsandrohung in der Verfügung des Landratsamts Bodenseekreis vom 07.10.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 30.01.2004 nicht stattgeben dürfen. Denn diese Klage ist unbegründet, weil die angegriffenen Verfügungen rechtmäßig sind und daher Rechte des Klägers nicht verletzen ( § 113 Abs. 1 VwGO).

A. Die Widerrufsverfügung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

I. Die Tatbestandsvoraussetzungen des - bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens geltenden und daher hier anzuwendenden - § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG für den Widerruf der dem Kläger asylbezogen nach § 68 Abs. 1 AsylVfG a.F. erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis lagen beim Kläger unstreitig vor. Denn seine am 28.06.1999 erfolgte Anerkennung als Asylberechtigter und als Flüchtling nach § 51 Abs. 1 AuslG wurde durch Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 01.12.2000 widerrufen und ist mit Bestandskraft dieses Widerrufsbescheids am 05.02.2003 erloschen (vgl. § 73 Abs. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 75 AsylVfG a.F.).

II. Der Beklagte hat entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch das ihm eingeräumte Widerrufsermessen fehlerfrei in einer dem Zweck der Ermächtigung in § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG entsprechenden Weise ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO). Er hat alle im Fall des Klägers relevanten öffentlichen und privaten Belange erhoben und sie ohne Verkennung ihres tatsächlichen und rechtlichen Gewichts sowie in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Rechtsprechung sachgerecht in seine Abwägung eingestellt und auch das Abwägungs- und Entscheidungsergebnis ist nicht zu beanstanden.

1. Der Beklagte hat zunächst richtig erkannt, dass ein Widerruf wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben (Verbot widersprüchlichen Verhaltens) dann von vornherein nicht in Betracht kommt - das Widerrufsermessen mithin auf ein Widerrufsverbot beschränkt ist -, wenn der Ausländer unabhängig von seiner (entfallenen) Asylberechtigung einen Anspruch auf ein dem entzogenen Recht gleichwertiges Aufenthaltsrecht hat, sei es, dass ihm ein solches Aufenthaltsrecht schon bei Zuerkennung der Asylberechtigung zustand und lediglich überlagert war oder dass ihm jedenfalls im Zeitpunkt des Widerrufs ein Anspruch auf ein solches Aufenthaltsrecht aus anderen - asylunabhängigen - Rechtsgründen zusteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 - 1 C 13.02 -, NVwZ 2003, 1275 ff. = InfAuslR 2003, 324 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.1996 - 13 S 2408/95 -, EzAR 214 Nr. 5; ebenso OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18.09.2000 - 1 M 2888/00 -, Juris). Ein solcher Fall war beim Kläger aber nicht gegeben. Voraussetzung dafür wäre gewesen, dass der Kläger einen Anspruch auf einen der widerrufenen unbefristeten Aufenthaltserlaubnis in qualitativer und zeitlicher Hinsicht (mindestens) gleichwertigen Aufenthaltstitel, mindestens also ebenfalls einen Anspruch auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder auf eine Aufenthaltsberechtigung gehabt hätte, wobei dieser Aufenthaltstitel keinerlei sachlichen Bezug zum früheren asylbedingten Aufenthalt hätte aufweisen, aber auch zeitlich auf keinem vorangegangenen asylbedingten Aufenthalt hätte aufbauen dürfen. Denn asylbezogene Aufenthaltszeiten dürfen nicht als rechtmäßiger Voraufenthalt auf Mindestaufenthaltszeiten angerechnet werden, wie sie etwa in § 24 Abs. 1 Nr. 1, § 27 Abs. 2 Nr. 1 AuslG und - nach heutigem Recht - in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gefordert werden (zu diesen Voraussetzungen eines gleichwertigen asylunabhängigen Aufenthaltsrechts vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 a.a.O. unter Verwerfung der abweichenden Auffassung des Senats im zugrunde liegenden Urteil vom 10.04.2002 - 11 S 331/02 -, InfAuslR 2002, 289 ff.).

Von einem diesen Anforderungen genügenden gleichwertigen Aufenthaltsrecht konnte beim Kläger bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht die Rede sein. Ein Anspruch auf eine Aufenthaltsberechtigung nach § 27 AuslG scheiterte schon am Erfordernis einer vorherigen dreijährigen unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die wegen ihres asylunabhängigen Charakters hätte angerechnet werden können (vgl. § 27 Abs. 2 Nr. 1 b) AuslG). Ein Anspruch auf eine asylunabhängige unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AuslG schied aus vergleichbaren Gründen deswegen aus, weil es ebenfalls an einer vorangegangenen anrechenbaren asylunabhängigen Aufenthaltserlaubnis fehlte (vgl. § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG); damit kann offen bleiben, ob die Mindestfrist von 5 Jahren in § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG überhaupt hätte erreicht werden können, nachdem die dem Kläger erteilte Aufenthaltserlaubnis vom 29.07.1999 bei Wirksamkeit des Widerrufs (§ 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) noch keine 5 Jahre bestanden hatte und fraglich erscheint, welche davor liegenden Zeiten rechtmäßigen Voraufenthalts hätten angerechnet werden können (dazu etwa Hailbronner, Komm. zum AuslG, Sept. 2001, § 24 Rn. 10).

2. Ermessensfehler zu Lasten des Klägers sind dem Beklagten im Ergebnis auch insofern nicht unterlaufen, als er sich mit der Frage befasst - und diese verneint - hat, ob dem Kläger im maßgeblichen Widerrufszeitpunkt ein Anspruch auf ein gegenüber der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis geringerwertiges Aufenthaltsrecht zustand. Der Beklagte hat sich ausweislich des Widerspruchsbescheids zur Prüfung dieser Frage deswegen verpflichtet gesehen, weil aus Gleichbehandlungsgründen im Einzelfall untersucht werden müsse, "ob eine Um- oder Rückstufung" in einen geringerwertigen Aufenthaltstitel in Betracht komme, etwa weil in Vergleichsfällen humanitäre Aufenthaltsrechte nach § 32 AuslG erteilt worden wären oder Flüchtlinge im "kleinen Asyl" nach § 51 Abs. 1 AuslG "nach § 35 Abs. 1 AuslG ein asylunabhängiges Aufenthaltsrecht" erlangt hätten. Ferner sei erörterungsbedürftig, ob der Kläger eine befristete Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug verlangen könne.

Dieser weite Prüfungsansatz dürfte im vorliegenden Fall entbehrlich gewesen sein. Gegenstand ist nicht der Widerruf einer befristeten Aufenthaltserlaubnis oder einer befristeten Aufenthaltsbefugnis, wie sie anerkannten Konventionsflüchtlingen erteilt wurde (§ 70 AsylVfG a.F.), sondern der Widerruf einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis aufgrund von § 68 AsylVfG a.F. Prüfprogramm der Ermessensentscheidung ist in diesem Fall die Frage, ob es gerechtfertigt ist, dem Ausländer den asylbedingt erteilten unbefristeten - hochwertigen - Aufenthaltstitel zu belassen oder ob dieser Titel zu entziehen ist. Eine Zwischenlösung gibt es nicht. Denn der Gegenstand des Widerrufs ist nicht teilbar, der Widerruf kann nicht auf einen die Befristung der Aufenthaltserlaubnis oder die Aufenthaltsbefugnis übersteigenden weitergehenden Teil beschränkt werden (so zutreffend VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.1996 - 13 S 2408/95 -, EzAR 214 Nr. 5). Die Frage, ob dem Kläger statt der bisher unbefristeten Aufenthaltserlaubnis möglicherweise ein befristetes Aufenthaltsrecht etwa zum Familiennachzug oder aus anderweitigen humanitären Gründen zustand, hatte daher nur für die Entscheidung Bedeutung, ob man ihm deswegen den (überschießenden) unbefristeten Aufenthaltstitel belassen oder diesen entziehen und den befristeten Aufenhaltstitel neu erteilten wollte. Im Ergebnis hat das Regierungspräsidium diese Frage zutreffend beantwortet. Es hat richtig erkannt, dass, dem Kläger mangels eines Aufenthaltsrechts seiner Eltern bzw. seiner Mutter seinerzeit keine Aufenthaltserlaubnis zum Kindernachzug nach §§ 21 Abs. 1 Satz 1 oder nach § 20 i.V.m. § 17 AuslG zustand und dass er mangels der beschäftigungsbezogenenen Voraussetzungen bei seinen Eltern auch die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsbefugnis nach § 32 AuslG i.V.m. dem Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.06.2001 [4-13 JUG/104] nicht erfüllte. Auch eine vom Kläger behauptete Schlechterstellung gegenüber Flüchtlingen mit dem Status des § 51 Abs. 1 AuslG lag nicht vor. Wäre der Kläger nur als Flüchtling nach § 51 Abs. 1 AuslG anerkannt worden und wäre ihm deswegen nur eine Aufenthaltsbefugnis nach § 70 AsylVfG erteilt worden, hätte diese, da sie ihrerseits verfolgungsbezogen ist, nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG unter den gleichen Voraussetzungen widerrufen werden können wie die im Streit stehende unbefristete Aufenthaltserlaubnis. In gleicher Weise wäre auch eine nach Maßgabe des § 35 Abs. 1 AuslG erworbene unbefristete Aufenthaltserlaubnis dem Widerruf nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG ausgesetzt gewesen. Abgesehen davon waren im maßgeblichen Zeitpunkt (Januar 2004) aber auch schon die zeitlichen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 AuslG nicht erfüllt und zudem war der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert.

3. Auch im Übrigen vermag der Senat Ermessensfehler nicht zu erkennen.

a) Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Wegfall der Asylberechtigung oder der Flüchtlingseigenschaft nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich auch eine Beendigung des darauf beruhenden Aufenthaltsrechts nach sich zieht und dass daher in den Fällen des § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG in der Regel ein gewichtiges öffentliches Interesse am Widerruf der Aufenthaltsgenehmigung besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 a.a.O., VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.11.2005 - 11 S 650/05 -, Juris). Trotz dieses - gewichtigen - öffentlichen Interesses an der Beendigung des spezifisch asylbedingten Aufenthaltstitels ist der Ausländerbehörde freilich ein weiter Ermessensspielraum eröffnet. Hierbei hat sie unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls eine Abwägung mit den schutzwürdigen prüfungsrelevanten Belangen des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland vorzunehmen, wie sie beispielhaft für die Aufenthaltsbeendigung durch Ermessensausweisung in § 45 Abs. 2 AuslG (heute: § 55 Abs. 3 AufenthG) aufgeführt sind. Hierzu gehören nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG (= § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) vor allem die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 a.a.O.). Diesen ist im Wege einer Verhältnismäßigkeitsprüfung das öffentliche Interesse am Verlust des asylbedingten Aufenthaltstitels gegenüber zu stellen. Hat der Ausländer dabei einen Anspruch auf einen geringerwertigen Aufenthaltstitel, wird es in aller Regel verhältnismäßig (angemessen) sein, ihm den überschießenden Titel zu entziehen und ihn auf den neuen Titel zu verweisen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind des weiteren auch die in § 45 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 AuslG (= § 55 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 AufenthG) genannten Belange ihrer tatsächlichen und rechtlichen Bedeutung gemäß in den Blick zu nehmen. Die Behörde muss sich daher im Einzelfall bei Bedarf auch mit den Folgen einer Aufenthaltsbeendigung für die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden und mit dem Ausländer in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Familienangehörigen auseinandersetzen sowie auf etwaige Duldungsgründe nach § 55 Abs. 2 AuslG (§ 60a Abs. 2 AufenthG) in Form rechtlicher oder tatsächlicher Abschiebungshindernisse eingehen.

Zu den Abschiebungshindernissen nach § 55 Abs. 2 AuslG bzw. § 60a AufenthG gehören sowohl solche, die ihren Anlass im Inland haben (inlandsbezogene Abschiebungshindernisse - insofern wird häufig Deckungsgleichheit mit schutzwürdigen Belangen nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG vorliegen -.) als auch solche, die sich außerhalb des Bundesgebiets im Herkunftsland bzw Abschiebezielstaat auswirken (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, zur Unterscheidung vgl. BVerwG, Urteile vom 11.11.1997 - 9 C 13.96 -, NVwZ 1998, 526 ff.; = VBlBW 1998, 216 f.; Urteil vom 21.09.1999 - 9 C 12.90 -, BVerwGE 109, 305 ff.; VGH Bad.-Württ., .Beschluss vom 10.07.2003 - 11 S 2611/02 -, VBlBW 2003, 482 sowie Urteil vom 21.06.2004 - 11 S 770/04 -, InfAuslR 2004, 429 ff.).

Bei den zielstaatsbezogenen rechtlichen Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (= § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) kommt allerdings der besondere Zusammenhang mit dem früheren Asylverfahren und die Abgrenzung der Entscheidungskompetenzen zwischen dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und den Ausländerbehörden zum Tragen. Mit Stellung des Asylantrags wird nach §§ 24 Abs. 2, 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die Zuständigkeit und die Pflicht des Bundesamts zur Entscheidung auch über das Bestehen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ( § 60a Abs. 2 bis 7 AufenthG) begründet. Diese Entscheidung kann nach § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG zwar unterbleiben, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder die Voraussetzungen des 51 Abs. 1 AuslG ( § 60 Abs. 1 AufenthG) festgestellt werden. Sie muss jedoch nachgeholt werden, wenn die Asylanerkennung oder der Flüchtlingsstatus enden (vgl. etwa § § 32 und 39 Abs. 2 AsylVfG). Hieraus folgt, dass das Bundesamt berechtigt, aber auch und verpflichte ist, Statusentscheidungen über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ( § 60 Abs. 2 - 7) AufenthG erstmals zusammen mit dem Widerruf einer Asylanerkennung oder der Flüchtlingseigenschaft nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG (§ 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG) zu treffen; denn es soll nicht offen blieben, ob und in welcher Form dem Ausländer Abschiebungsschutz gewährt wird (sog. Vollständigkeitsprinzip, vgl. BVerwG, Urteil vom 20.04.1999 - 9 C 29.98 -, InfAuslR 1999, 373). An die hierbei getroffene - positive wie negative - Statusfeststellung des Bundesamts ist die Ausländerbehörde nach § 42 Satz 1 AsylVfG strikt gebunden. Hat das Bundesamt die Statusfeststellung unterlassen, so ergibt sich aus § 42 Satz 1 AsylVfG anstelle der Bindungswirkung eine Sperrwirkung; die Ausländerbehörden dürfen in diesem Unterlassensfall nicht in das beim Bundesamt bestehende Entscheidungsvakuum eindringen; sie haben zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse daher aus ihrem Prüfprogramm auszuklammern (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.10.2004 - 11 S 1448/03 -, Juris, m.w.N.; zum neuen Recht vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.04.2005 - 11 S 2779/04 -, Juris).

Die aus § 42 Satz 1 AsylVfG folgende Bindungs- bzw. Sperrwirkung gilt für alle denkbaren Entscheidungen der Ausländerbehörden, in denen es rechtlich unmittelbar oder auch nur mittelbar auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG/ § 60a Abs. 2 - 7 AufenthG ankommt, mithin nicht nur für Entscheidungen über die Gewährung eines Aufenthalts- oder Bleiberechts aufgrund des Abschiebungshindernisses, sondern auch für Entscheidungen über die Aufenthaltsbeendigung, in denen solche Abschiebungshindernisse - als Duldungsgründe - in das Ermessen einzustellen sind. Dies ist für die Entscheidung über eine Ausweisung anerkannt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.05.2003 - 13 S 1113/02 -, VBlBW 2003, 486 f.) gilt in gleicher Weise aber auch für die hier in Rede stehende Entscheidung über den Widerruf eines asylbezogenen Aufenthaltstitels nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG (§ 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Die Sperrwirkung greift in all diesen Fällen solange, bis das Bundesamts die geforderte Statusentscheidung nach § 53 AuslG (§ 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) getroffen hat. Ist dies in der asylrechtlichen Widerrufsentscheidung geschehen, setzt die Bindungswirkung ein mit der Folge, dass die Ausländerbehörde bei positiver Feststellung von einem Duldungsgrund nach § 55 Abs. 2 AuslG ausgehen muss (bei Feststellungen nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG) bzw. ausgehen soll (bei Feststellungen nach § 53 Abs. 6 AuslG). Diese bindenden Feststellungen sind in das Widerrufsermessens einzustellen und die Behörde hat dann zu prüfen, ob sie deswegen vom Widerruf gänzlich absehen oder sich auf die Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG bzw. auf eine Aufenthaltsbefugnis etwa nach § 30 Abs. 3 AuslG beschränken will. Entsprechendes gilt nach heutigem Recht: Die Ausländerbehörde hat im Rahmen ihres Ermessens ebenfalls zu prüfen, ob sie dem Ausländer den überschießenden Aufenthaltstitel belässt oder ob sie ihn widerruft und dem Ausländer "nur" eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt oder sie sich gar nur mit der Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG begnügen darf. Hat das Bundesamt negativ über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (§ 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) entschieden, dürfen die Ausländerbehörden derartige - auch nachgeschobene, mit einem neuen Sachverhalt begründete - Abschiebungshindernisse ausnahmslos nicht berücksichtigen, sondern müssen davon ausgehen, dass solche Abschiebungshindernisse nicht bestehen. Die Ausländer sind insoweit auf einen isolierten Wiederaufgreifensantrag beim Bundesamt (sog. Folgeschutzgesuch) zu verweisen (vgl. zu dieser Möglichkeit BVerwG, Urteil vom 21.03.2000 - 9 C 41.99 -, BVerwGE 111, 77 ff. = NVwZ 2000, 940 f.; VGH Bad.-Württ., vom 13.09.2000 - 11 S 988/00 -, NVwZ 2001, 151 ff.) und haben diesem gegenüber gegebenenfalls auch einstweiligen Rechtsschutz zu suchen.

b) Gemessen an diesen Vorgaben sind die Ermessenserwägungen des Beklagten nicht zu beanstanden. Sie beruhen weder auf einer tatsächlichen oder rechtlichen Fehlgewichtung der Belange des Klägers noch sind sie unvollständig.

Der Beklagte hat berücksichtigt, dass der im Bundesgebiet geborene Kläger sich im maßgeblichen Zeitpunkt acht Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat, wobei er allerdings zunächst nur geduldet war, ab der Asylantragstellung im September 1997 eine Aufenthaltsgestattung erhielt und erst ab Juli 1999 über die asylbedingt erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügte. Während der Dauer des gesamten (erlaubten wie unerlaubten) Aufenthalts hat der Kläger jedoch keine besonders schutzwürdigen Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Der Beklagte hat insoweit zu Recht wegen des jungen Alters und der Abhängigkeit des Klägers von den Eltern im Schwerpunkt auf die tatsächlichen und rechtlichen Lebensumstände der Eltern, insbesondere der Mutter abgestellt und gewichtige Anhaltspunkte für deren soziale und wirtschaftliche Integration verneint. Die Eltern verfügten zu keiner Zeit über einen gesicherten Aufenthaltstitel. Mit Ausnahme der kurzen Zeit einer Aufenthaltsgestattung während des Asylverfahrens 1994 bis 1995 waren sowohl der Vater als auch die Mutter immer nur geduldet, die Mutter ersichtlich auch während ihrer laufenden Asylfolgeverfahren, die jeweils in kein reguläres Asylverfahren mündeten. 1995 wurden die Eltern geschieden. Der Vater wurde im Oktober 2001 nach Serbien-Montenegro abgeschoben. Die Mutter - und in deren Gefolge die die Geschwister - leiten ihr Bleiberecht seit Jahren ersichtlich allein vom Kläger und dessen aslybedingtem Aufenthaltstitel ab. Aufgrund seiner durch die Asylberechtigung belegten politischen Verfolgung war dem minderjährigen Kläger die Rückkehr in den Heimatstaat unzumutbar, was unter dem Gesichtspunkt der Familieneinheit (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) ausschlaggebend dafür war, dass die allein sorgeberechtigte Mutter und mit ihr auch die Geschwister Duldungen erhielten. Denn der Kläger war und ist auf die Betreuung der Mutter angewiesen. Eine Aufenthaltserlaubnis für den Nachzug zum Kläger nach § 17 ff. AuslG hat die Mutter nie erhalten. Die Mutter hat sich auch wirtschaftlich und beruflich nicht in die hiesigen Lebensverhältnisse eingegliedert, da sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezog und bezieht. Ob und inwieweit sie diese Leistungen trotz Arbeitsbereitschaft erhält, weil sie sich um ihre Kindern kümmern muss, ist in diesem Zusammenhang nicht ausschlaggebend. Jedenfalls ist es der Familie nicht gelungen, eine gefestigte Existenz aufzubauen. Schließlich muss sich die Mutter entgegenhalten lassen, dass eine aufenthaltsrechtlich erhebliche und insoweit schutzwürdige Eingliederung in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland während eines lediglich geduldeten Aufenthalts grundsätzlich nicht erfolgen kann (vgl. Beschlüsse des Senats vom 25.09.2003 - 11 S 1795/03 -, InfAuslR 2004, 70). Auch eine nach Art. 8 EMRK rechtserhebliche "Verwurzelung" als faktischer Inländer erfordert - als Basis - grundsätzlich eine entsprechende aufenthaltsrechtliche Verankerung, die bei Minderjährigen nur durch gewichtige sonstige nachhaltige - hier fehlende - Integrationsleistungen der Familienangehörigen kompensiert werden kann (vgl. dazu im Einzelnen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - unter Hinweis insbesondere auch darauf, dass Kinder bis zum 16. Lebensjahr grundsätzlich vom Aufenthaltsrecht und den Integrationsleistungen der Eltern abhängig sind).

Der Senat verkennt nicht, dass die Aufenthaltsbeendigung in Deutschland und die Rückkehr in das Kosovo gleichwohl für den Kläger und seine Familie Nachteile mit sich bringen, da sie im dortigen Kulturkreis nicht bzw. nicht mehr fest verwurzelt sind und dem hiesigen Kulturkreis inzwischen näher stehen. Derartige sich aus den allgemein unterschiedlichen Lebensverhältnissen und unterschiedlichen Sozialstandards in Deutschland und dem jeweiligen Herkunftsstaat ergebenden Rückkehrerschwernisse sind in ausländerrechtlichen Verfahren, wie dem Kläger zuzugeben ist, auch ohne Rücksicht auf die Entscheidungslage beim Bundesamt berücksichtigungsfähig. Sie sind im Rahmen der schutzwürdigen Belange nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG (§ 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) als Parameter für "sonstige" (kulturelle und/oder soziale) "Bindungen im Bundesgebiet" zu prüfen und unterfallen nicht der Bindungswirkung nach § 42 Satz 1 AsylVfG, da sie wesentlichen Inlandsbezug haben, jedenfalls aber mit den typischen Streitgegenständen (Lebenssachverhalten) bei zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (= § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) nichts zu tun haben. Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 und Abs. 4 AuslG (= § 60 Abs. 2, 3 und Abs. 5 AufenthG) i.V.m. - insbesondere - Art. 3 EMRK setzen, grob gesprochen, den Vortrag gravierender konkreter gezielter Eingriffe in die Rechtsgüter Leib und Leben und allgemein in die Menschenwürde voraus, die zudem vom Staat oder ihm zurechenbaren Stellen ausgehen müssen. § 53 Abs. 6 AuslG ( § 60 Abs. 7 AufenthG) knüpft in Satz 1 ebenfalls an im Einzelfall konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit an, die von außerhalb des Staates stehenden Personen oder Gruppen ausgehen. Dem werden nach Satz 2 Gefahren für die gesamte Bevölkerung oder für eine Bevölkerungsgruppe gleichgestellt, wenn jedes Gruppenmitglied "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (sog. extreme Allgemeingefahr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17.10.1995 -9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 ff., und vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379 ff.). Bei Allgemeingefahren unterhalb der Schwelle einer solchen Extremgefahr kann sich eine Sperrwirkung (für das Bundesamt wie für die Ausländerbehörden) aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung ergeben, denn der parlamentarische Gesetzgeber weist die Handlungsbefugnis insofern nach § 54 AuslG (§ 60a Abs. 1 AufenthG) den obersten Landesbehörden in Gestalt der Ermächtigung für Abschiebungserlasse zu, was die anderen Gewalten zu respektieren haben (vgl. dazu auch den Beschluss des Senats vom 21.09.2005 - 11 S 2924/04 -).

Mit einem der vorgenannten Geschehensabläufe hat der Vortrag des Klägers, der Kosovo sei ihm und seiner Familie kulturell entfremdet und sie hätten dort keinen familiären Rückhalt mehr, nichts zu tun. Dieser Vortrag war daher zu berücksichtigen, ohne dass ihm freilich entscheidendes Gewicht zukam. Beide geltend gemachten Nachteile sind nicht so außergewöhnlich und gravierend, dass der Beklagte sie hätte hinter dem gewichtigen öffentlichen Interesse an der Beendigung des asylbedingten Aufenthalts des Klägers zurückstellen müssen. Hinsichtlich der Rückkehr in ein ihm kulturell entfremdetes, der Mutter aber keinesfalls "gänzlich fremdes" Umfeld mit niedrigerem Lebens- und Sozialstandard beruft sich der Kläger auf typische Nachteile einer Vielzahl von Flüchtlingen. Aufgrund seines jungen Alters und mit Hilfe der Mutter wird sich der Kläger im Herkunftsland wieder eingewöhnen können. Der Kläger muss auch nicht allein in den Kosovo zurückkehren, sondern wird vom Beklagten ersichtlich nur gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern zurückgeführt werden. Dass die Mutter im Kosovo auf vollkommen fehlenden familiären Rückhalt treffen wird, hält der Senat für wenig wahrscheinlich. Zwar ist der Kontakt zu ihrem früheren Ehemann nach dessen Abschiebung abgebrochen und wird als nunmehr feindselig geschildert (dazu unten), obwohl sie mit diesem auch nach der Scheidung (und nach dessen Eheschließung mit einer über 20 Jahre älteren deutschen Staatsangehörigen) in Deutschland zeitweise noch zusammengelebt hat und er nach Angaben eines Arztes auch Vater der nach der Scheidung geborenen Kinder sein soll. Jedoch leben unstreitig die Geschwister der Mutter im Kosovo. Dass sie von diesen keinerlei Unterstützung erfahren wird, hält der Senat nach der Lebenserfahrung für unwahrscheinlich. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers ist zu vage, um diesen Sachverhalt glaubhaft zu machen.

Soweit der Kläger behauptet, bei einer Rückkehr werde die Mutter von ihrem früheren Ehemann und dessen Familie "schlimm bedroht", diese würden ihr sofort die Kinder wegnehmen, macht er in erster Linie Nachteile der Mutter und allenfalls sekundär eigene Rechtsverletzungen geltend. Entscheidend ist jedoch, dass dieser Lebenssachverhalt nach Zielrichtung und Struktur erkennbar Elemente eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG aufweist (Bedrohung von Leib, Leben, Willens- und Entscheidungsfreiheit durch einzelne Privatpersonen ohne Urheberschaft staatlicher Stellen). Dementsprechend hat die Mutter des Klägers die Drohung des früheren Ehemanns und dessen Schwager, ihr bei einer Rückkehr die Kinder wegnehmen zu lassen, auch in ihrem - zweiten - Asylfolgeantrag vom 02.04.2002 beim Bundesamt geltend gemacht und das Bundesamt hat hierüber im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG auch - negativ - entschieden. Die gegebene Sachnähe zu einem Anspruch nach § 53 AuslG führt dazu, dass die Wirkungen des § 42 Satz 1 AsylVfG zum Tragen kommen. Der Beklagte war daher gehindert, den Komplex "Bedrohung durch den Vater und dessen Familie im Kosovo" eigenständig auf seine - nicht zweifelsfreie - Wahrheit zu prüfen und zugunsten des Klägers in das Widerrufsermessen einzustellen. Vielmehr war der Beklagte an die negative Feststellung des Bundesamts im Bescheid vom 01.12.2000 gebunden, dass beim Kläger Abschiebungshindernisse weder nach § 53 Abs. 1 - 4 noch nach § 53 Abs. 6 AuslG vorliegen. Unerheblich ist, dass das Bundesamt sich bei dieser Entscheidung mit dem jetzigen Vorbringen (Bedrohung durch den Vater) nicht befasst hat. Um dieses Geschehen zur Geltung zu bringen, müsste der Kläger beim Bundesamt, wie bereits ausgeführt, einen Wiederaufgreifensantrag nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG oder nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG stellen. Dass dieser Erfolg hätte, erscheint freilich im Hinblick auf die Ausführungen des Bundesamts im bereits erwähnten Ablehnungsbescheid vom 05.08.2002 gegenüber der Mutter des Klägers unwahrscheinlich.

B. Auch die mit der Widerrufsentscheidung verbundene Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die gesetzlichen Vorgaben nach § 50 Abs. 1 - 3 AuslG sind erfüllt. Der Kläger wurde mit Wirksamkeit der Widerrufsentscheidung und das dadurch erfolgte Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (§§ 44 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) ausreisepflichtig ( § 42 Abs. 1 AuslG) und diese Ausreisepflicht ist aufgrund des angeordneten Sofortvollzuges auch vollziehbar geworden, was nach der Rechtsprechung des Senat freilich nicht zwingende Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Abschiebungsandrohung ist. Die Bezeichnung des Heimatstaats Serbien-Montenegro als Abschiebezielstaat war zulässig, nachdem die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG für dieses Land bindend (§ 4 AsylVfG) widerrufen war und das Bundesamt ebenfalls bindend ( § 42 Satz 1 AsylVfG) das Fehlen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG festgestellt hatte. Schließlich ist auch die festgesetzte Ausreisefrist (ein Monat ab Bekanntgabe der Entscheidung) angemessen, da die Mutter des Klägers und wohl auch die Geschwister des Klägers damals bereits ausreisepflichtig waren (vgl. u.a. den Bescheid des Bundesamts vom 05.08.2002), so dass einer gemeinsamen Ausreise und gegebenenfalls gleichzeitigen Abschiebung aller Familienmitglieder rechtlich nichts im Wege stand.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss vom 22.02.2006

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 52 Abs. 2, 72 Nr. 1 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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