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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 29.07.2008
Aktenzeichen: 11 S 158/08
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 104a Abs. 1
1. Die Soll-Vorschrift in § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedeutet, dass die Aufenthaltserlaubnis in der Regel erteilt werden muss und nur bei Vorliegen von atypischen Umständen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist. Ob atypische Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde erfordern, ist als Rechtsvoraussetzung von den Gerichten zu überprüfen.

2. Wann ein atypischer Fall anzunehmen ist, ist nach dem Zweck des § 104 a Abs. 1 AufenthG - Gewährung einer dauerhaften Aufenthaltsperspektive für langjährig geduldete und integrierte Ausländer - zu bestimmen. Dabei dürften nur Umstände berücksichtigungsfähig sein, die nicht bereits in den Tatbestandsvoraussetzungen von § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 AufenthG als Integrationskriterien geregelt sind.

3. Der "tatsächliche Schulbesuch" dürfte i. S. des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nachgewiesen sein, wenn das Kind während seines schulpflichtigen Alters - ungeachtet der in den Bundesländern in Bezug auf geduldete vollziehbar ausreisepflichtige Kinder unterschiedlich beantworteten Frage, ob es der Schulpflicht unterliegt oder nicht - ohne Unterbrechung in eine Schule aufgenommen war und im Sinne der landesrechtlichen Regelungen über die Schulbesuchspflicht am Unterricht teilgenommen hat.

4. Ob unerlaubtes Fernbleiben vom Unterricht ("Schulschwänzen") den Nachweis des "tatsächlichen Schulbesuchs" ausschließt, ist eine Frage des Einzelfalls und gemäß dem integrationspolitischen Zweck des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu beantworten, also danach, ob es - auch unter ergänzender Berücksichtigung erlaubter Abwesenheitszeiten - die aufgrund des jeweiligen Schulbesuchs erwartbare sprachliche wie soziale Integration und das Erreichen des gegebenenfalls angestrebten Schulabschlusses ausschließt oder ernsthaft in Frage stellt.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 158/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebung;

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 29. Juli 2008

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 6. Dezember 2007 - 3 K 2586/07 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 12.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller sind Angehörige der Ashkali-Volksgruppe aus dem Kosovo. Die 1956 und 1959 geborenen Antragsteller zu 1 und 2 reisten im Juli 1992 mit fünf Kindern, darunter auch der 1991 geborene Antragsteller zu 3, als Asylbewerber in das Bundesgebiet. Ihre Asylanträge und spätere Folgeanträge blieben erfolglos. Die 1994 und 1998 im Bundesgebiet geborenen Antragsteller zu 4 und 5 sind ebenfalls Kinder der Antragsteller zu 1 und 2. Für sie wurden keine Asylanträge gestellt. Alle Antragsteller sind seit längerer Zeit vollziehbar ausreisepflichtig und waren bislang im Besitz von Duldungen. Ein Abschiebungsversuch im November 2005 scheiterte an der Bereitschaft der UNMIK, die Antragsteller aufzunehmen.

Am 09.10.2007 beantragten die Antragsteller die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 104 a AufenthG. Mit Bescheid vom 23.11.2007 lehnte das Landratsamt Ortenaukreis die Anträge ab. Zwar solle bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Es liege jedoch ein atypischer Ausnahmefall vor. Die Antragsteller seien nicht integriert. Es gebe im Landkreis keine andere Familie, über die sich das soziale Umfeld so massiv beschwere. Die Vorwürfe gingen von "offenkundigen und permanenten Provokationen und einer unverschämten Ausnutzung des Gastrechts" bis zur Feststellung, dass die Antragsteller "offensichtlich nicht willens sind, sich in die örtliche Gemeinschaft einzufügen und sich an Recht und Ordnung zu halten". Wegen diverser Vorfälle, wie Beschädigungen, Verschmutzungen, Bedrohungen, Beleidigungen, Diebstahl, Körperverletzung und Erpressungsversuchen, hätten sich sogar Bürgerinitiativen gegen die Familie entwickelt. Auch die Wohnortgemeinde setze sich für eine baldige Rückführung ein. Die Familie sei auch wirtschaftlich nicht integriert, ihr Lebensunterhalt sei nicht durch eigene Erwerbstätigkeit gesichert. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass sich z. B. der Antragsteller zu 1 ernsthaft um eine Erwerbstätigkeit bemüht habe. Ein im Frühjahr 2007 vorgelegtes Beschäftigungsangebot sei vom potentiellen Arbeitgeber ohne Gründe zurückgezogen worden. Im September 2007 habe der Antragsteller zu 1 eine Beschäftigung trotz Zustimmung der Ausländerbehörde nicht aufgenommen. Es stehe damit bereits heute fest, dass eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe auch nicht verlängert werden könnte. Die Antragsteller zu 3 und 4 seien auch schulisch nicht integriert. Beide seien erheblich verhaltensauffällig und mit Schulordnungsmaßnahmen belegt worden. Der Antragsteller zu 4 habe im vergangenen Schuljahr 18 Tage unentschuldigt im Unterricht gefehlt und an 9 Tagen sei er wegen Fehlverhaltens vom Unterricht ausgeschlossen worden; insgesamt habe er 47 Tage im Unterricht gefehlt. Die Schule habe auch keine positive Schulabschlussprognose gegeben. Schließlich erfüllten die Antragsteller zu 2, 4 und 5 nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Passpflicht. Über die Widersprüche gegen diesen Bescheid wurde bislang nicht entschieden.

Nachdem die UNMIK im November 2007 einer Rückführung der Antragsteller zugestimmt hat, beabsichtigt der Antragsgegner erneut, die Antragsteller abzuschieben. Mit Beschluss vom 06.12.2007 hat das Verwaltungsgericht Freiburg ihm dies durch einstweilige Anordnung vorläufig untersagt. Anordnungsgrund und -anspruch seien in Bezug auf den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.

Wegen der Einzelheiten wird auf die dem Senat vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

1. Die fristgerecht erhobene und den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechend begründete Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gebieten keine andere Entscheidung über die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Sicherung der in der Hauptsache verfolgten Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen geduldeten Ausländer nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass er sich am 01.07.2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und dass er 1. über ausreichenden Wohnraum verfügt, 2. über ausreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne der Stufe A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt, 3. bei Kindern im schulpflichtigen Alter den tatsächlichen Schulbesuch nachweist, 4. die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat, 5. keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen hat und diese auch nicht unterstützt und 6. nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben. Eine positive Integrationsprognose, wie sie § 104 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 Halbsatz 2 sowie § 104 b Nr. 4 AufenthG für geduldete volljährige ledige Kinder geduldeter Ausländer, unbegleitete minderjährige Ausländer und minderjährige ledige Kinder ausgereister bislang geduldeter Ausländer verlangen, sieht § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG demgegenüber nicht vor. Liegen die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen vor, "soll" abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 (Sicherung des Lebensunterhalts) und Abs. 2 (Visumpflicht) AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden; die übrigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG müssen mithin ebenfalls erfüllt sein. In die nach dieser Bestimmung zu erteilende Aufenthaltserlaubnis sind im Sinne eines bis zur Volljährigkeit (vgl. dann § 104 a Abs. 2 AufenthG) abgeleiteten - unselbständigen - Aufenthaltsrechts (vgl. Hailbronner, a. a. O. § 104 a Rn. 19) auch die minderjährigen ledigen Kinder des geduldeten Ausländers einbezogen, wenn sie mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben.

Mit der Ausgestaltung als Soll-Vorschrift wird die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 AufenthG erleichtert. Während der Ausländer nach § 23 Abs. 1 AufenthG keinen unmittelbaren Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, sondern nur Gleichbehandlung nach Maßgabe der von der obersten Landesbehörde gebilligten praktischen Anwendung ihrer Anordnung i. S. des § 23 Abs. 1 AufenthG innerhalb des jeweiligen Bundeslandes beanspruchen kann (vgl. <zur Vorgängervorschrift in § 32 AuslG> BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63), bedeutet die Soll-Vorschrift in § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dass die Aufenthaltserlaubnis i n d e r R e g e l erteilt werden m u s s und nur bei Vorliegen von atypischen Umständen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (vgl. <zur Soll-Vorschrift des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG> BVerwG, Urt. v. 22.11.2005 - 1 C 18.04 - BVerwGE 124, 326). Zweck dieser gesetzlichen "Altfallregelung", die sich eng an den Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz - IMK-Beschluss - vom 17.11.2006 (abgedruckt bei Hailbronner, AuslR, § 23 - Stand Februar 2008 - Anlage I) anlehnt, ist es, dem Bedürfnis der seit Jahren im Bundesgebiet geduldeten und hier integrierten Ausländer nach einer dauerhaften Perspektive in Deutschland Rechnung zu tragen, wobei die in § 104 a Abs. 1 AufenthG genannten Kriterien diejenigen begünstigen sollen, "die faktisch und wirtschaftlich im Bundesgebiet integriert sind und sich rechtstreu verhalten haben" (BT-Drs. 16/5065 S. 201 f.). Ob atypische Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde erfordern, ist als Rechtsvoraussetzung von den Gerichten zu überprüfen (Senatsbeschluss vom 16.04.2008 - 11 S 100/08 - juris; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 22.11.2005, a. a. O., m. w. N.). Die Ausländerbehörde hat insoweit kein Ermessen. Verwaltungsvorschriften oder ministerielle Anwendungshinweise binden die Gerichte mithin ebenso wenig wie bei der Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 104 a Abs. 1 AufenthG. Wann ein atypischer Fall anzunehmen ist, ist nach dem Zweck des § 104 a Abs. 1 AufenthG - Gewährung einer dauerhaften Aufenthaltsperspektive für langjährig geduldete und integrierte Ausländer - zu bestimmen. Dabei dürften aus systematischen Gründen freilich nur Umstände berücksichtigungsfähig sein, die nicht bereits in den Tatbestandsvoraussetzungen von § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 AufenthG als Integrationskriterien geregelt sind (vgl. Hailbronner, a. a. O. §104 a AufenthG - Stand Februar 2008 - Rn. 3).

b) Das Verwaltungsgericht ist im angefochtenen Beschluss zunächst davon ausgegangen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 AufenthG erfüllt sind. Die in der Beschwerdebegründung hierzu dargelegten Gründe gebieten keine andere Beurteilung.

Der Antragsgegner verweist in dieser Hinsicht auf seine Antragserwiderung in erster Instanz vom 04.12.2007. Darin hatte er im Wesentlichen vorgetragen, mangels Anhaltspunkten für eine positive Prognose zur künftigen Sicherung des Lebensunterhalts durch eigene Erwerbstätigkeit könne trotz "abstrakter" Erfüllung der Voraussetzungen nach § 104 a Abs. 1 AufenthG vom Sollanspruch abgewichen werden; die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei allerdings schon wegen des unregelmäßigen Schulbesuchs der Antragsteller zu 3 und 4 ausgeschlossen. Dem Verweis auf diesen Vortrag ist in Bezug auf die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 AufenthG danach allenfalls die Darlegung zu entnehmen, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei in Bezug auf die Antragsteller zu 3 und 4 der "tatsächliche Schulbesuch" nicht i. S. des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nachgewiesen. Hierzu legt der Antragsgegner unter Bezugnahme auf eine von ihm eingeholte Auskunft der Schule ergänzend dar, der Antragsteller zu 3 habe ohne Krankheitstage insgesamt 18 Tage im Schuljahr 2006/07 und im Schuljahr 2007/2008 bis Anfang Januar 2008 insgesamt 10 Tage gefehlt. Auch habe er nur unregelmäßig an Schulpraktika teilgenommen und teilnehmende Firmen hätten über häufige Verspätungen und Fehltage geklagt. Der Antragsteller zu 4 habe ohne Krankheitstage insgesamt 27 Tage im Schuljahr 2006/07 und im Schuljahr 2007/2008 bis Anfang Januar 2008 bislang insgesamt 17 Tage gefehlt. Daraus folgt entgegen der Ansicht des Antragsgegners allerdings nicht ohne Weiteres, dass die Tatbestandsvoraussetzung nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht erfüllt ist.

§ 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verlangt für Kinder im schulpflichtigen Alter - lediglich - einen Nachweis über den "tatsächlichen Schulbesuch". Der Gesetzgeber formuliert damit in Anlehnung an Nr. 4.2 Satz 1 IMK-Beschluss ein bildungsbezogenes Integrationskriterium. Der Besuch einer Schule im schulpflichtigen Alter fördert die sprachliche wie soziale Integration und ermöglicht den Erwerb eines die spätere Berufsausbildung ermöglichenden Schulabschlusses. Anders als Nr. 4.2 Satz 1 IMK-Beschluss, wonach der Nachweis "durch Zeugnisvorlage" zu führen ist, schreibt § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG allerdings keinen qualifizierten Nachweis vor. Insbesondere ermächtigt die Vorschrift die Behörde abweichend von Nr. 4.2 Satz 1 IMK-Beschluss nicht, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis von einer "positiven Schulabschlussprognose" abhängig zu machen. Es genügt, dass die Schule tatsächlich besucht wird. Der Gesetzgeber begnügt sich mit der Erwartung, dass bereits mit dem Nachweis des Schulbesuchs im schulpflichtigen Alter als solchem aufgrund des gesetzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schulen ein Erwerb hinreichender sprachlicher wie sozialer Fähigkeiten und das Erreichen eines die Berufsausbildung ermöglichenden Schulabschlusses gewährleistet erscheinen. Die Voraussetzung dürfte mithin erfüllt ein, wenn das Kind während seines schulpflichtigen Alters - ungeachtet der in den Bundesländern in Bezug auf geduldete vollziehbar ausreisepflichtige Kinder unterschiedlich beantworteten Frage, ob es der Schulpflicht unterliegt oder nicht - ohne Unterbrechung in eine Schule aufgenommen war und im Sinne der landesrechtlichen Regelungen über die Schulbesuchspflicht am Unterricht teilgenommen hat. Ein erlaubtes Fernbleiben vom Unterricht wegen zwingender Verhinderung, z. B. infolge Krankheit, oder aufgrund einer Befreiung, Beurlaubung oder auch aufgrund einer Schulordnungsmaßnahme, dürfte demnach unschädlich sein, selbst wenn Fehlzeiten dieser Art - wie bei Schulordnungsmaßnahmen - vom Kind selbst verschuldet sind. Ob unerlaubtes Fernbleiben vom Unterricht ("Schulschwänzen") den aufenthaltsrechtlich gebotenen Nachweis des "tatsächlichen Schulbesuchs" ausschließt, ist im übrigen eine Frage des Einzelfalls und gemäß dem integrationspolitischen Zweck des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu beantworten, also danach, ob es - auch unter ergänzender Berücksichtigung erlaubter Abwesenheitszeiten - die aufgrund des jeweiligen Schulbesuchs erwartbare sprachliche wie soziale Integration und das Erreichen des gegebenenfalls angestrebten Schulabschlusses ausschließt oder ernsthaft in Frage stellt. Das dürfte allenfalls bei unerlaubtem Fernbleiben von erheblicher Dauer und/oder Häufigkeit in Betracht kommen und nur nach Einholung einer diesbezüglichen fachkundigen Stellungnahme der jeweiligen Schule sachgerecht zu entscheiden sein.

Ausgehend davon dürften die in der Beschwerdebegründung dargelegten Fehlzeiten zunächst um die Tage zu reduzieren sein, an denen die Antragsteller zu 3 und 4 auf Grund von Schulordnungsmaßnahmen von der Pflicht zur Teilnahme am Unterricht beurlaubt waren. Danach verbleiben gemäß der dem Landratsamt Ortenaukreis übersandten Aufstellung der xxxxxxxxx-xxxxxx - Förderschule - xxxxxxxxxx vom 08.01.2008 (S. 1337-1341 der Akten des Regierungspräsidiums Freiburg) folgende Zeiten unerlaubten Fernbleibens vom Unterricht: Beim Antragsteller zu 3 im Schuljahr 2006/2007 insgesamt 5 Tage und im Schuljahr 2007/2008 bis Anfang Januar 2008 insgesamt 6 Tage sowie beim Antragsteller zu 4 im Schuljahr 2006/2007 insgesamt 18 Tage und im Schuljahr 2007/2008 bis Anfang Januar 2008 insgesamt 12 Tage. Dabei handelt es sich zwar um Fehlzeiten erheblicher Dauer und Häufigkeit, die die Regelmäßigkeit der Teilnahme am Unterricht in Frage stellen. Auch sind nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Schule vom 24.07.2008 seit Januar 2008 weitere erhebliche Fehlzeiten unerlaubten Fernbleibens vom Unterricht hinzugekommen, und zwar beim Antragsteller zu 3 insgesamt 24 Tage sowie beim Antragsteller zu 4 insgesamt 34 Tage. Auch hat der Antragsteller zu 3 nach der "Anlage zum Abschlusszeugnis für die Schuljahre 2005 - 2008" (S. 1343 der Akten des Regierungspräsidiums Freiburg) bis Ende des Jahres 2007 nur sehr unregelmäßig an den Angeboten der Schule im Rahmen der beruflichen Neuorientierung (betriebliche Tages- und Blockpraktika) teilgenommen. Nach der Auskunft der Schule an den Senat vom 24.07.2008 ist er zudem in den letzten zehn Wochen des Schuljahres 2007/2008 unerlaubt dem Tagespraktikum ferngeblieben. Das sind zweifellos erhebliche unerlaubte Fehlzeiten. Ob sie - auch unter ergänzender Berücksichtigung der nicht unwesentlichen Zeiten erlaubter Unterrichtsabwesenheit - die aufgrund des Besuchs der Förderschule erwartbare sprachliche wie soziale Integration und das Erreichen des Schulabschlusses, sofern ein solcher auf der Förderschule überhaupt erreichbar sein sollte, ausschließen oder ernsthaft in Frage stellen, ist bislang allerdings weder nach der Beschwerdebegründung noch sonst nach Aktenlage sicher zu beurteilen. Eine fachkundige Äußerung der Schule zu dieser Frage wurde bislang nicht eingeholt. Auch Zeugnisse über die schulischen Leistungen liegen nicht vor. Die Schule hat mit ihrer Auskunft an den Senat vom 24.07.2008 für beide Antragsteller allerdings amtliche Schulbesuchsbescheinigungen übersandt, die die ununterbrochene Zugehörigkeit der Antragsteller zu 3 und 4 zur Schule und ihren durchgehenden Schulbesuch bestätigen und in keiner Weise relativieren. Darin bescheinigt die Schulleitung, der Antragsteller zu 3) sei seit dem 10.09.2001 Schüler ihrer Schule und habe im Schuljahr 2007/2008 die Klasse 9 besucht; ferner ist für ihn vermerkt: "Schulentlassung: 11.07.2008", allerdings ohne Angaben zum Schulabschluss. Für den Antragsteller zu 4 wird bestätigt, dass er seit dem 30.09.2001 Schüler der Schule sei und im Schuljahr 2007/2008 die Klasse "6/7" besucht habe; ferner ist für ihn vermerkt: "Voraussichtlicher Schulbesuch bis Juli 2010". Bei dieser Sachlage kann entgegen der Beschwerdebegründung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, die schulischen Fehlzeiten schlössen den Nachweis des - ansonsten unbestrittenen - tatsächlichen Schulbesuchs i. S. des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG aus. Das bedarf vielmehr weiterer Prüfung im Widerspruchsverfahren.

b) Aber auch soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss das Vorliegen eines atypischen Falls in Bezug auf die künftige Sicherung des Lebensunterhalts durch eigene Erwerbstätigkeit verneint hat, greift die Beschwerde nicht durch.

Der Antragsgegner meint zum einen, das Verwaltungsgericht sei insoweit den Rechtswirkungen der "ermessensleitenden Richtlinien" in den ministeriellen Anwendungshinweisen zu § 104 a AufenthG nicht gerecht geworden. Dieser Einwand ist schon deshalb unbegründet, weil das Vorliegen eines atypischen Falles - wie dargelegt - nicht dem Ermessen der Behörde unterliegt, sondern über diese Frage - als Rechtsvoraussetzung - von den Gerichten ohne Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle zu entscheiden ist.

Zum anderen legt der Antragsgegner dar, es liege auf der Hand, dass der kurz vor Vollendung seines 52. Lebensjahres stehende, über keinerlei berufliche Qualifikation verfügende und während seines nahezu 15jährigen Aufenthalts in Deutschland nie erwerbstätig gewesene Antragsteller zu 1 allenfalls eine einfache Tätigkeit im unteren Lohnsegment werde ausüben können, aus der er kein hinreichendes Einkommen zur Deckung des Lebensunterhalts seiner Familie erzielen könnte. Auch dieser Einwand greift nicht durch. Grundsätzlich und im Regelfall wird der Aufenthaltstitel dem Personenkreis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG erteilt, auch wenn der Lebensunterhalt nicht im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert ist. Allerdings ist auch der Aufenthaltstitel nach § 104 a Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Satz 1 AufenthG darauf angelegt, in eine eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts zu münden. Daher kann ein atypischer Fall bejaht und bereits die erstmalige Erteilung abgelehnt werden, wenn schon zum Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden kann, dass der Ausländer eine eigenständige Sicherung auf Dauer nicht erreichen wird und im Verlängerungsfall auch die Voraussetzungen eines Härtefalls im Sinne des Absatzes 6 nicht vorliegen werden. Bloße Zweifel genügen jedoch insoweit nicht, denn das System der Legalisierung nach § 104 a AufenthG ist in dieser Hinsicht gerade auf Probe angelegt. Ein atypischer Fall kann in Bezug auf die Sicherung des Lebensunterhalts daher nur angenommen werden, wenn mit hinreichender Sicherheit absehbar ist, dass die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis weder nach § 104 a Abs. 5 AufenthG noch nach den Härtefallvorschriften des § 104 a Abs. 6 AufenthG in Betracht kommen wird (vgl. Senatsbeschluss vom 16.04.2008, a. a. O.). Erforderlich ist insoweit entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht eine positive Prognose hinsichtlich der künftigen Sicherung des Lebensunterhalts. Vielmehr müsste bereits jetzt hinreichend sicher sein, dass eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausscheidet. Diese negative Prognose ist nur in extremen Ausnahmefällen gerechtfertigt (vgl. Senatsbeschluss vom 16.04.2008, a. a. O.). Zwar ist absehbar, dass der Antragsteller zu 1 insbesondere aufgrund seiner geringen Qualifikation Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben wird. Das rechtfertigt aber nicht die sichere Prognose, das die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgeschlossen erscheint, aus der ein Einkommen zur Deckung des gesamten Lebensunterhalts der Familie erzielt werden kann.

c) Soweit der angefochtene Beschluss im übrigen das Vorliegen eines atypischen Falls der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehält, ist auch das entgegen der Beschwerdebegründung rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner legt dar, im Hinblick darauf, dass die Antragsteller sich jeglichem Einfluss von Schule, Jugendhilfe- und Sicherheitsbehörden entzögen, die Antragsteller zu 1 und 2 offenkundig ihrer Erziehungspflicht nicht oder zumindest nicht im gebotenen Umfang nachkämen, der Antragsteller zu 4 zudem noch nicht strafmündig sei und sich Jugendhilfebehörde, Polizei und Gemeindeverwaltung angesichts des Bedrohungspotentials, das die Antragsteller für ihre soziale Umgebung bildeten, genötigt sähen, einen "runden Tisch" ausschließlich zur Problematik der Familie der Antragsteller zu bilden, widerspreche es Sinn und Zweck der Altfallregelung, ihnen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Der Senat lässt offen, ob dem uneingeschränkt gefolgt werden kann, insbesondere ob alle vom Antragsgegner angeführten Umstände solche sind, die keinem Integrationskriterium nach § 104 a Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AufenthG zuzuordnen sind und deshalb einen atypischen Fall begründen könnten. Er teilt vielmehr die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Beantwortung dieser Frage dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass mit einer Abschiebung der Antragsteller ein ihnen nach § 104 a Abs. 1 AufenthG zustehender Anspruch wohl unwiederbringlich verloren wäre, weil die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dieser Vorschrift im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal "geduldeter Ausländer" die weitere Anwesenheit im Bundesgebiet voraussetzt (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 27.11.2007 - 17 B 1779/07 - juris). Denn eine Duldung erlischt mit der Ausreise des Ausländers (§ 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Sind aber alle Tatbestandsvoraussetzungen nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllt, spricht zunächst mehr dafür als dagegen, dass der Anspruch besteht. Ob ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, kann zudem nur aufgrund einer umfassenden und sorgfältigen Prüfung aller Gesichtspunkte und gegebenenfalls nach persönlicher Anhörung der Ausländer entschieden werden, was regelmäßig dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist. Hinzu kommt, dass die Behörde selbst bei Vorliegen eines atypischen Falles immer noch eine Aufenthaltserlaubnis nach Ermessen erteilen kann und diese Ermessenentscheidung hier bislang nicht getroffen sein dürfte. Als Ermessensgesichtspunkt wäre wohl auch einzubeziehen, dass der Gesetzgeber der Ausländerbehörde in § 104 a Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit einräumt, die Aufenthaltserlaubnis unter der Bedingung zu erteilen, dass der Ausländer an einem Integrationsgespräch teilnimmt oder eine Integrationsvereinbarung abschließt. Dies könnte ein Mittel sein, um die Antragsteller während der Geltungsdauer der "Aufenthaltserlaubnis auf Probe" zur Behebung ihrer Integrationsdefizite anzuhalten. Wird eine Integrationsvereinbarung abgeschlossen, könnte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis von der Erfüllung der eingegangenen Integrationsverpflichtung abhängig gemacht werden (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 202). Bei dieser Ausgangslage erscheint eine vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens erzwungene Ausreise unverhältnismäßig und mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht vereinbar, weil sie der Sache nach die Hauptsache zu Lasten der Antragsteller vorweg nehmen würde.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 39 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG (je Antragsteller 2.500,-- EUR).

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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