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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 29.11.2007
Aktenzeichen: 11 S 1702/07
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 7 Abs. 2 Satz 2
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 5
1. Die aufgrund summarischer Prüfung gewonnene gerichtliche Erkenntnis, dass die nachträgliche Fristverkürzung einer Aufenthaltserlaubnis offensichtlich rechtmäßig ist, begründet als solche kein besonderes Vollzugsinteresse. Vielmehr bedarf es darüber hinaus eines sonstigen Sofortvollzugsinteresses, das im Einzelfall und nach gegenwärtiger Sachlage einen dringenden unverzüglichen Handlungsbedarf voraussetzt (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11.2.2005 - 11 S 1170/04 -, EZAR NF 094 Nr. 2).

2. Hat ein minderjähriger Ausländer nur geringe Integrationsleistungen im Bundesgebiet aufzuweisen und ist er noch stark in seinem Heimatstaat verwurzelt, so sind diese Umstände bei der Prüfung des besonderen Vollzugsinteresses auch vor dem Hintergrund des Kindeswohls mit zu berücksichtigen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 1702/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung;

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 29. November 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren werden abgelehnt.

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 05. Juli 2007 - 1 K 1140/07 - geändert.

Die Anträge auf Wiederherstellung und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2007 werden abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen auf jeweils 10.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

I. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind abzulehnen, nachdem die Antragsteller trotz entsprechender Aufforderung des Gerichts ihre Bedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht haben. Zwar unterbleibt im vorliegenden Beschwerdeverfahren die Prüfung der Erfolgsaussicht des Rechtsmittels, weil die Antragsgegnerin die Beschwerde eingelegt hat (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dies entbindet aber nicht von der Prüfung, ob die Antragsteller nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen können (vgl. § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 117 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO). Mit der zusammen mit dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vom 21.09.2007 vorgelegten - undatierten - Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist die Bedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Wie bereits das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss vom 05.07.2007 ausgeführt hat, dürfte der deutsche Ehemann jedenfalls der Antragstellerin zu 1 gegenüber unterhaltspflichtig sein. Zum einsatzpflichtigen Vermögen der Antragstellerin gehört auch ein Anspruch auf Prozesskostenhilfevorschuss (vgl. §§ 1361, 1360 a Abs. 4 BGB). Die Bewilligung kommt nicht in Betracht, wenn der Unterhaltsverpflichtete wirtschaftlich leistungsfähig ist und die Geltendmachung des Anspruchs nach Lage des Einzelfalls zumutbar und alsbald durchsetzbar ist (vgl. Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 166 Rn. 14 m.w.N.). Auch die Angaben über die Unterstützung durch die Schwester sowie zu den Wohnkosten sind unsubstantiiert. Nachdem die Antragsteller unter Fristsetzung bis zum 05.11.2007 zur Ergänzung ihres unvollständigen Antrags aufgefordert wurden, darf die Ablehnung der Bewilligung auf die Unvollständigkeit der Anträge gestützt werden (vgl. Bader u.a., a.a.O. Rn. 21 m.w.N.).

II. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 05.07.2007, in dem das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.05.2007 hinsichtlich der nachträglichen Verkürzung der Aufenthaltserlaubnisse (Nr. 1 des Bescheids) wiederhergestellt und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheids) angeordnet hat, hat Erfolg.

Die fristgerecht erhobene (vgl. § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und begründete (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO) sowie den inhaltlichen Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechende Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch begründet.

Die im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der nachträglichen Aufenthaltsbefristung das private Interesse der Antragsteller überwiegt, vorläufig bis zur endgültigen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit von den Folgen des Vollzugs dieser Verfügung verschont zu bleiben. Die auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 15.05.2007 gegen die für sofort vollziehbar erklärte (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) nachträgliche Verkürzung der Aufenthaltserlaubnisse und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die kraft Gesetzes (§§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 12 LVwVG) sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohungen gerichteten Anträge der Antragsteller sind statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO), aber unbegründet. Die Verfügung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin vom 10.05.2007 ist - wovon auch das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen ist - voraussichtlich rechtmäßig (1.). Darüber hinaus ist nach Auffassung des Senats hinsichtlich der nachträglichen Verkürzung der Aufenthaltserlaubnisse das zusätzlich erforderliche besondere öffentliche Vollzugsinteresse gegeben (2.). Schließlich ist die Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden (3.).

1. a) Die materiellen Voraussetzungen für die nachträgliche Befristung des Aufenthalts sind gegeben. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann die Ausländerbehörde bei einer befristeten Aufenthaltserlaubnis die Frist nachträglich verkürzen, wenn die rechtlichen Erteilungsvoraussetzungen der Aufenthaltserlaubnis entfallen sind. So liegt es hier:

Die eheliche Lebensgemeinschaft der Antragstellerin zu 1 mit ihrem deutschen Ehemann besteht, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, jedenfalls seit Februar 2007 nicht mehr. Der deutsche Ehemann strebt die Scheidung an. Anhaltspunkte für Versöhnungsbemühungen oder eine nur vorübergehende Trennung werden von der Antragstellerin nicht dargelegt und sind auch nicht ersichtlich. Vielmehr hat sich zwischenzeitlich die Trennung weiter vertieft, nachdem die Antragsteller seit dem 13.09.2007 nicht mehr im Haus des Ehemanns der Antragstellerin zu 1 wohnen.

Damit sind seit Februar 2007 die Voraussetzungen (vgl. §§ 27, 28 AufenthG) für die der Antragstellerin zu 1 zwecks Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft erteilte Aufenthaltserlaubnis entfallen, die ihr erstmals in Form eines drei Monate gültigen Einreisevisums am 23.05.2005 und anschließend am 23.06.2005 in Form einer auf ein Jahr befristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt und die auf den vor Ablauf der Geltungsdauer gestellten Verlängerungsantrag bis zum 30.05.2008 verlängert wurde. Ebenso sind die Voraussetzungen für die dem am 12.03.1992 geborenen Antragsteller zu 2 zum Familiennachzug mit der Mutter erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entfallen.

b) Das der Antragsgegnerin damit nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen, die Befristung der erteilten Aufenthaltserlaubnisse nachträglich zu verkürzen, hat diese ermessensfehlerfrei ausgeübt (vgl. § 40 VwVfG, § 114 VwGO). Sie hat insbesondere mit der Befristungsentscheidung nicht gegen den das Ermessen beschränkenden, aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 GG) abgeleiteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.

Im Hinblick darauf, dass die Aufenthaltserlaubnisse der Antragsteller ohne die Verkürzungsentscheidung noch bis zum 30.05.2008 gültig gewesen wären, kann nicht davon die Rede sein, der Aufenthalt werde unnötigerweise um eine nur noch sehr geringe Frist verkürzt, obwohl er ansonsten ohnehin alsbald durch Fristablauf sein für den Ausländer voraussehbares und insoweit auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten kalkulierbares Ende gefunden hätte.

Die Verkürzungsentscheidung erweist sich auch nicht etwa deshalb als unverhältnismäßig, weil der Antragstellerin zu 1 ein Anspruch auf Erteilung einer eheunabhängigen, selbständigen Aufenthaltserlaubnis zustünde. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1 nach § 31 AufenthG verneint.

Die Antragstellerin zu 1 erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert wird, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft "seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet" bestanden hat". Die Antragstellerin zu 1 hat ihren Ehemann am 22.02.2005 in Russland geheiratet. Sie reiste zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft am 12.06.2005 in die Bundesrepublik ein. Zum Zeitpunkt der jedenfalls im Februar 2007 erfolgten Trennung der Eheleute bestand die Lebensgemeinschaft also gerade erst ein Jahr und acht Monate im Bundesgebiet.

Die Antragstellerin zu 1 hat auch keinen Anspruch darauf, dass gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG von der Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet abgesehen wird. Denn an der dafür erforderlichen "besonderen Härte" fehlt es aller Voraussicht nach. Eine solche liegt laut § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insbesondere dann vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine "erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange" droht (1. Alternative) oder wenn dem Ehegatten wegen der "Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist" (2. Alternative). Die generellen Nachteile und Schwierigkeiten, die jede Rückübersiedlung in das Heimatland für jeden Ausländer mit sich bringen, sind damit nicht gemeint, vielmehr muss eine "besondere" Härte vorliegen, also ein Nachteil, der über das hinausgeht, was ein Ausländer regelmäßig hinzunehmen hat, wenn er das Bundesgebiet wieder verlassen muss. Der Fall der Antragsteller stellt weder nach der 1. Alternative noch nach der 2. Alternative einen solchen Härtefall dar.

Gegen die Behauptung der Antragstellerin zu 1, sie werde im Falle einer Abschiebung nach Russland finanziell und sozial vor das Nichts gestellt, nachdem sie dort alle Verbindungen und Beziehungen aufgegeben habe, spricht eindeutig der von ihrem Ehemann gegenüber der Antragsgegnerin dargelegte, anhand von Kontoauszügen belegte Umstand, dass die Antragstellerin zu 1 bis Weihnachten 2006 insgesamt achtmal zusammen mit ihrem Sohn, dem Antragsteller zu 2, für jeweils mehrere Wochen auf Kosten ihres Ehemannes nach Russland geflogen ist, durch viele Ferngespräche nach Russland erhebliche Telefonkosten verursacht und in Russland offenbar auch mit Mitteln des Ehemannes eine Eigentumswohnung renoviert und unterhalten hat. Im Übrigen wäre selbst bei Zugrundelegung des Vorbringens der Antragstellerin zu 1 keine besondere Härte gegeben, weil sich ihre Situation auch dann nicht signifikant von der anderer Zuwanderer mit vergleichbarer Aufenthaltsdauer unterscheidet. Die Notwendigkeit, sich eine eigenständige Existenz aufzubauen, teilt sie mit allen Ausländern, die nach einem kurzen Auslandsaufenthalt in die Heimat zurückkehren. Mittellos wäre sie zudem nicht, da sie gegebenenfalls bis zu einer Scheidung und auch danach Unterhaltsansprüche gegen ihren Ehemann geltend machen kann, soweit ihr eine eigene Erwerbstätigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die Notwendigkeit, sich eine eigenständige Existenz aufzubauen, kann auch schon deshalb keine besondere Härte begründen, weil sie bei einem Verbleib in Deutschland in gleicher Weise bestehen würde, sobald keine Unterhaltsansprüche mehr gegeben sind (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 21.02.2005 - 1 B 22/05 - juris).

Im Hinblick auf den Antragsteller zu 2 ist ebenfalls kein von dem aufenthaltsrechtlichen Schicksal seiner Mutter unabhängiges Aufenthaltsrecht erkennbar.

Der Antragsteller zu 2 kann kein Aufenthaltsrecht vom Ehemann seiner Mutter ableiten, nachdem dieser die Vaterschaft erfolgreich angefochten hat. Entgegen der Beschwerdeerwiderung sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Antragsteller zu 2 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben könnte. Die Anerkennung der Vaterschaft vor einem russischen Standesbeamten am 25.02.2005 hat nicht zu einem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit geführt. Ein vor dem 01.07.1993 von einer ausländischen Mutter außerhalb der Ehe geborenes Kind konnte durch vollendete Legitimation, d.h. durch Vaterschaftsanerkennung und Eheschließung der Eltern, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Dieses Rechtsinstitut ist jedoch mit der Neuregelung des Kindschaftsrechts schon zum 01.07.1998 entfallen, so dass ab diesem Zeitpunkt kein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit aus diesem Grund mehr eintreten konnte. Vaterschaftsanerkennung und Eheschließung erfolgten vorliegend zu einem Zeitpunkt, als es eine Legitimation im deutschen Recht nicht mehr gab. In Betracht kommt allein ein Erklärungserwerb nach § 5 StAG, dessen tatbestandliche Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen, weil der Antragsteller zu 2 nicht seit drei Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Die Voraussetzungen des § 5 StAG können auch nicht mehr eintreten, nachdem das Amtsgericht Villingen-Schwenningen mit Urteil vom 30.03.2007 festgestellt hat, dass der Ehemann der Antragstellerin zu 1 nicht der Vater des Antragstellers zu 2 ist. Damit fehlt es an einer wirksamen Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft. Dieses Urteil ist nach Zurückweisung der dagegen eingelegten Berufung seit dem 23.08.2007 rechtskräftig. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeerwiderung kann die Vaterschaftsanerkennung vom 25.02.2005 im Hinblick auf die unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtswirkungen dieser Rechtsinstitute sowie die unterschiedlichen Zuständigkeiten (Standesamt bzw. Gericht) nicht (auch) als Adoption angesehen werden (vgl. zur Anerkennung der Vaterschaft Art. 48 des Familiengesetzbuches der Russischen Föderation vom 29.12.1995 - FGB -, abgedr. bei Bergmann/Ferid/Henrich, Int. Ehe- und Kindschaftsrecht, Russische Föderation, und zur Adoption Art. 124 ff. FGB, a.a.O.). Damit kommt auch ein Staatsangehörigkeitserwerb nach § 6 StAG nicht in Betracht.

Schließlich ist nichts dafür erkennbar, dass die Antragsteller den Verhältnissen in Russland so entfremdet oder in die deutschen Verhältnisse so integriert wären, dass ihnen - anders als anderen Ausländern mit vergleichbar kurzem Aufenthalt - der Aufbau einer Existenzgrundlage in ihrem Heimatland nicht zumutbar sein könnte.

2. Die Sofortvollzugsanordnung erweist sich als formal beanstandungsfrei. Sie ist in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise nicht allein mit der Rechtmäßigkeit der Verkürzungsentscheidung, sondern darüber hinausgehend damit begründet worden, dass das öffentliche Interesse an der konsequenten Durchsetzung der Ausreisepflicht unter Berücksichtigung der von den Antragstellern am 03.03.2007 begangenen Straftat deren privates Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiege, und dass die Antragsteller unberechtigt eine im Eigentum der Schwiegermutter der Antragstellerin zu 1 stehende Wohnung bewohnten, weshalb bereits ein Klageverfahren auf Herausgabe dieser Wohnung anhängig sei.

Die Sofortvollzugsanordnung der nachträglichen Fristverkürzung ist auch materiell nicht zu beanstanden. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 220 <227 f.>; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25.01.1996 - 2 BvR 2718/95 - AuAS 1996, 62 <63> und vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - NVwZ 2007, 946 = InfAuslR 2007, 275). Das besondere Vollzugsinteresse kann daher nicht damit begründet werden, dass ein besonderes öffentliches Interesse daran bestehe, Ausländer, die offensichtlich die Voraussetzungen eines Aufenthaltstitels nicht mehr erfüllen, alsbald zur Ausreise zu verpflichten. Die aufgrund summarischer Prüfung gewonnene gerichtliche Erkenntnis, dass die nachträgliche Fristverkürzung offensichtlich rechtmäßig ist, begründet daher als solche kein besonderes Vollzugsinteresse (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.1997 - 13 S 1132/06 - VBlBW 1997, 390). Vielmehr bedarf es eines über die (selbst offensichtliche) Rechtmäßigkeit der nachträglichen Fristverkürzung eines Aufenthaltstitels hinausgehenden sonstigen Sofortvollzugsinteresses, das im Einzelfall und nach gegenwärtiger Sachlage einen dringenden unverzüglichen Handlungsbedarf voraussetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 11.02.2005 - 11 S 1170/04 - EZAR NF 094 Nr. 2 - zum Widerruf eines Aufenthaltstitels).

Daran gemessen ist das besondere Vollzugsinteresse vorliegend zu bejahen. Soweit die Antragsgegnerin auf die von den Antragstellern am 03.03.2007 begangene Straftat abgestellt hat, hat sich die von ihr daran geknüpfte Prognose einer Wiederholungsgefahr jedenfalls in der Person des Antragstellers zu 2 zwischenzeitlich bestätigt. Die Antragstellerin zu 1 hatte am 03.03.2007 ihrem damals 14-jährigen Sohn wissentlich das Fahren ohne Fahrerlaubnis gestattet. Sie wurde deshalb vom Amtsgericht xxxxxxxxx-xxxxxxxxxxxx mit Urteil vom 11.05.2007 zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt. Der Antragsteller zu 2 wurde wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen und verwarnt. Ihm wurde auferlegt, 20 Stunden Arbeitsleistungen nach Weisung des Jugendamts zu erbringen. In der Folgezeit wurde der Antragsteller zweimal wegen Körperverletzung angezeigt: Am 04.05.2007 erstattete die Schwiegermutter der Antragstellerin zu 1 Anzeige bei dem Polizeirevier xxxxxxxxx, da sie am 02.05.2007 von dem Antragsteller zu 2 während eines Streites umgestoßen worden sei. Hierbei habe sie Verletzungen im Brust- und Rückenbereich erlitten. Am 25.06.2007 zeigte der Stiefvater des Antragstellers zu 2 bei dem Polizeirevier xxxxxxxxx an, dass dieser ihn während eines Streites unvermittelt in den Schwitzkasten genommen habe und zu Boden habe bringen wollen. Ferner habe der Antragsteller zu 2 damit gedroht, ihn gemeinsam mit anderen Jugendlichen zusammenzuschlagen. Ungeachtet des Umstands, dass die Staatsanwaltschaft Konstanz gemäß § 45 Abs. 1 JGG von der Verfolgung dieser Körperverletzung absah, belegt die Strafanzeige doch, dass der Antragsteller sich durch die von dem Amtsgericht xxxxxxxxx-xxxxxxxxxxxx ausgesprochene Verwarnung nicht von der Begehung weiterer Straftaten hat abhalten lassen. Die Anzeigen wegen Körperverletzung deuten auf ein gewisses Aggressionspotential bei dem Antragsteller zu 2 hin, welches die Prognose erneuter Straffälligkeit während des Widerspruchsverfahrens und eines sich gegebenenfalls anschließenden Klageverfahrens zu rechtfertigen vermag.

Für die Annahme eines besonderen Vollzugsinteresses spricht weiter der bemerkenswert geringe Grad der Integration der Antragsteller im Bundesgebiet. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin zu 1 auch nur den Versuch unternommen hätte, einen Arbeitsplatz zu finden und sich wirtschaftlich zu integrieren. Der Prozesskostenhilfeantrag belegt, dass ihr Lebensunterhalt im Bundesgebiet nicht verlässlich gesichert ist. Ob und wie lange sie von ihrer Schwester noch in einem Maße unterstützt wird, dass sie ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen auskommt, erscheint offen. Schützenswerte Bindungen im Bundesgebiet werden nicht geltend gemacht. Demgegenüber belegen die auf Kosten ihres Ehemannes unternommenen jeweils mehrwöchigen Reisen nach Russland, die Kontaktpflege dorthin mittels Telefonaten sowie der Umstand, dass sie dort offenbar eine Eigentumswohnung unterhält, eine fortbestehende starke Verbindung in ihre Heimat. Auch der Antragsteller zu 2 weist nur unzureichende Integrationsleistungen auf. Ausweislich der vorgelegten Bescheinigung hat er erst seit 18.09.2006 die Schule besucht. Dies legt den Schluss nahe, dass er nach der Einreise über ein Jahr lang seiner Schulpflicht nicht genügt hat. Ob er in der Lage ist, die Hauptschule in Deutschland erfolgreich zu beenden, erscheint fraglich. Nachweise über die schulischen Leistungen wurden nicht vorgelegt. Letztlich kann jedoch offenbleiben, ob der Antragsteller zu 2 in der Lage wäre, einen Schulabschluss in Deutschland zu erlangen. Nachdem ihm unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ein weiteres Aufenthaltsrecht in Deutschland zusteht, liegt es bei objektiver Betrachtung auch in seinem eigenen Interesse, die Reintegration in seinem Heimatland nicht weiter hinauszuzögern und die Schulzeit baldmöglichst in Russland zu einem Abschluss zu bringen. Aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller zu 2 den größten Teil seiner Schulzeit in Russland verbracht hat, erscheint ein Schulerfolg, der eine Grundlage für den Einstieg in das Berufsleben bietet, dort eher gewährleistet als in Deutschland. Die Gefahr einer weiteren Entwurzelung ist bei minderjährigen Ausländern vor dem Hintergrund des immer zu berücksichtigenden Kindeswohls durchaus in die Erwägungen einzustellen.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Umstände des Einzelfalles ist das erforderliche besondere öffentliche Vollzugsinteresse vorliegend zu bejahen. Trägt ein Ausländer nicht oder nur unzureichend zu seiner Integration bei, so ist sein Interesse an einem vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet während des Rechtsmittelverfahrens geringer zu gewichten. Demgegenüber tritt in diesen Fällen der Gesetzeszweck der Begrenzung des Zuzugs (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) in den Vordergrund und vermag das besondere öffentliche Vollzugsinteresse zu begründen.

Auch die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Garantie eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes, der bereits für den vorläufigen Rechtsschutz wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - NVwZ 2007, 946 = InfAuslR 2007, 275 zur sofortigen Vollziehbarkeit einer Ausweisung), steht der Bejahung des besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses nicht entgegen, wenn - wie vorliegend - in der Hauptsache keine Erfolgsaussichten gegeben sind und dem Aufschubinteresse der Antragsteller nur ein geringes Gewicht beizumessen ist.

3. Bestehen somit keine Bedenken gegenüber der Rechtmäßigkeit der nachträglichen Aufenthaltsbefristung, so erweist sich auch die angegriffene Abschiebungsandrohung als rechtmäßig. Mit der sofort vollziehbaren Befristung des Aufenthalts ist der legale Aufenthalt der Antragsteller ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids erloschen, so dass sie nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig sind und die Ausreisepflicht zugleich nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ist. Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG, die der Rechtmäßigkeit der Bezeichnung Russlands als Abschiebezielstaat in der Abschiebungsandrohung entgegenstehen könnten (§ 59 Abs. 3 AufenthG), sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die den Antragstellern gesetzte Ausreisefrist (§ 59 Abs. 1 AufenthG) war nicht unverhältnismäßig kurz, sondern ausreichend, um ihnen die Abwicklung ihrer Angelegenheiten zu ermöglichen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruhen auf § 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 39 Abs. 1 GKG. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats entspricht der Streitwert in aufenthaltsrechtlichen Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 VwGO, wenn dem Ausländer - wie auch im vorliegenden Fall - bereits durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels ein legaler Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht wurde (grundlegend: Senatsbeschluss vom 04.11.1992 - 11 S 2216/92 - juris; ebenso VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.12.2004 - 13 S 2510/04 -).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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