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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 03.11.2008
Aktenzeichen: 11 S 2235/08
Rechtsgebiete: EMRK, AufenthG, VwGO


Vorschriften:

EMRK Art. 8
AufenthG § 25 Abs. 5
AufenthG § 60a Abs. 2 Satz 1
AufenthG § 104a Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1
Die Abschiebung eines langjährig geduldeten Ausländers, der wegen des Ausschlussgrundes des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG nicht unter die gesetzliche Altfallregelung fällt, kann im Einzelfall ein unverhältnismäßiger Eingriff in das geschützte Privatleben i.S. des Art. 8 EMRK sein, wenn die begangenen Straftaten die den Ausschlussgrund begründende Grenze von 50 Tagessätzen nicht erheblich übersteigen und lange zurückliegen, und der Ausländer

- die Aufenthaltsbeendigung nicht verzögert hat,

- seinen erwachsenen Kindern und deren Familien ein Aufenthaltsrecht eingeräumt wurde,

- er seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sichert, und

- er infolge einer grundlegenden Wandlung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in seinem Herkunftsstaat (hier: Kosovo) und der Zugehörigkeit zu einer dort wenig geachteten ethnischen Minderheit (hier: Ashkali) in besonderem Maße entwurzelt ist.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 2235/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebung;

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 3. November 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 23. Juli 2008 - 4 K 1074/08 - geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Antragsteller vorläufig auszusetzen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die 1962 geborenen Antragsteller gehören der Volksgruppe der Ashkali an und stammen aus dem Kosovo. Sie sind serbische, möglicherweise auch kosovarische Staatsangehörige und besitzen gültige serbische Reisepässe. Die Antragsteller reisten 1992 mit ihren 1981, 1982, 1983 und 1986 geborenen Kindern zur Durchführung eines Asylverfahrens in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid vom 15.09.1994 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) ihre Asylanträge ab; ein 1999 durchgeführtes Folgeverfahren blieb ebenfalls ohne Erfolg. In der Folgezeit wurde der Aufenthalt der Antragsteller geduldet.

Mit Urteil des Amtsgerichts xxxxxxxxxx vom 17.06.2004 wurden die Antragsteller wegen Betrugs zu Geldstrafen von 80 Tagessätzen (Antragsteller zu 1) bzw. 70 Tagessätzen (Antragstellerin zu 2) verurteilt. Dem lag zugrunde, dass die Antragstellerin zu 2 von Juli 1999 bis Juli 2002 stundenweise als Haushaltshilfe in mehreren Privathaushalten tätig war, was dem Sozialhilfeträger verschwiegen wurde. Dadurch kam es zu Überzahlungen von Sozialhilfeleistungen in Höhe von 4.183,39 EUR.

Seit August 2004 sind beide Antragsteller erwerbstätig; sie beziehen seither keine Hilfe zum Lebensunterhalt mehr.

Mit Bescheid vom 05.09.2007 lehnte das Landratsamt Lörrach die Anträge der Antragsteller auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20.11.2006 mit der Begründung ab, dass aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen ein Ausschlussgrund vorliege. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde vom Regierungspräsidium Freiburg mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2008 zurückgewiesen. Auf einen - ebenfalls geltend gemachten - möglichen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG gingen beide Bescheide nicht ein. Am 16.04.2008 haben die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg erhoben, mit der sie die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehren (Az.: 4 K 708/08).

Mit Beschluss vom 23.07.2008 - 4 K 1074/08 - lehnte das Verwaltungsgericht Freiburg die Anträge auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO seien bereits unzulässig. Wenn man die Anträge sachdienlich als solche nach § 123 VwGO auslege, fehle es am erforderlichen Anordnungsanspruch. Die Antragsteller hätten keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK. Zwar sei der Schutzbereich des Art. 8 EMRK eröffnet, doch sei der Eingriff in das Recht der Antragsteller auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Gegen eine gelungene Integration sprächen insbesondere die von den Antragstellern begangenen Straftaten.

Mit ihren Beschwerden begehren die Antragsteller, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Abschiebung vorläufig auszusetzen.

Der Antragsgegner ist den Beschwerden entgegengetreten. Er führt ergänzend aus, es liege im Wesentlichen im Verhalten der UNMIK begründet, dass nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Versuch unternommen worden sei, die Antragsteller abzuschieben. Erst seit Mai 2005 sei die UNMIK überhaupt bereit gewesen, Ashkali in beschränkter Zahl aufzunehmen. Angesichts der beschränkten Rückführungsmöglichkeiten sei die Rückführung der Antragsteller, die seit 01.10.2004 nicht mehr im Leistungsbezug standen, nicht prioritär gewesen. Nach dem Abbau des Rückführungsstaus im Jahr 2006 sei sodann die Abschiebung der Antragsteller im Hinblick auf eine zu erwartende Bleiberechts- bzw. Altfallregelung vorläufig zurückgestellt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Senat vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die fristgerecht erhobenen und begründeten sowie inhaltlich den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechenden Beschwerden der Antragsteller sind zulässig und begründet. Die Antragsteller haben sowohl das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - der Antragsgegner beabsichtigt, sie abzuschieben -, als auch die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO, §§ 920, Abs. 2, 294 ZPO). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts geht der Senat bei der im Eilverfahren allein angezeigten und möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage davon aus, dass die Antragsteller auch weiterhin zumindest einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG besitzen. Ihre Abschiebung ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil der damit einhergehende Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein dürfte. Ob den Antragstellern deshalb auch Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen erteilt werden müssen oder können und ob insoweit im Lichte aufenthaltsrechtlicher Schutzwirkungen aus Art. 8 EMRK trotz der rechtskräftigen Verurteilung auch von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden muss (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), kann im anhängigen Hauptsacheverfahren geklärt werden.

Die beabsichtigte Abschiebung dürfte - jedenfalls - in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreifen. Der EGMR geht insoweit von einem weiten Begriff des "Privatlebens" aus, dessen Schutzbereich auch das "Recht auf Entwicklung einer Person" sowie das Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - "gewachsenen Bindungen", umfasst. Allerdings darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein eine gegebenenfalls auch zwangsweise Aufenthaltsbeendigung bei Ausländern bereits deswegen, weil diese sich eine bestimmte Zeit im Aufnahmeland aufgehalten haben. Eine Aufenthaltsbeendigung kann vielmehr nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das "Privatleben" im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über "starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte" zum "Aufnahmestaat" verfügt, so dass er aufgrund der Gesamtentwicklung "faktisch zu einem Inländer" geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann. Nachdem die Antragsteller seit nunmehr rund 16 Jahren in Deutschland leben, seit über vier Jahren über feste Arbeitsplätze verfügen und von Sozialleistungen unabhängig sind, sie die deutsche Sprache beherrschen, drei ihrer vier inzwischen erwachsenen Kinder eigene Familien gegründet haben und über gesicherte Aufenthaltsrechte verfügen, können die für die rechtliche Annahme eines im Bundesgebiet geführten Privatlebens erforderlichen Bindungen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht kaum verneint werden. Wie sich hinreichend etwa aus den neueren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Sachen "Sisojeva I und II" (EGMR, Urteile vom 16.06.2005 und 15.01.2007, EuGRZ 2006, 554 und InfAuslR 2007, 140) sowie "Rodrigues da Silva und Hoogkamer" (EGMR, Urteil vom 31.01.2006, EuGRZ 2006, 562) ergibt, kommt es im Rahmen des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 EMRK wohl nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Ausländer über einen zumindest vorübergehenden legalen Aufenthalt verfügte (offen gelassen im Urteil vom 08.04.2008 - Nr. 21878/06 - "Nnyanzi"); der Schutzbereich dieses Menschenrechts dürfte vielmehr auch bei nur Geduldeten eröffnet sein können (Senatsbeschluss vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - InfAuslR 2008, 29 = VBlBW 2008, 114 = NVwZ 2008, 344; ebenso Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 150; HK-AuslR/Fränkel, § 25 AufenthG Rn. 56; Benasssi, InfAuslR 2006, 397 <401 f.>; Hoppe, ZAR 2006, 125; Marx, ZAR 2006, 261 <266>; a.A. wohl Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.07.2008 - 8 ME 42/08 - juris und Storr in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 25 AufenthG Rn. 31). Auch die von den Antragstellern begangenen Straftaten, die inzwischen über sechs Jahre zurückliegen, stellen ihre gesellschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet nicht ernsthaft in Frage.

Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK dürfte zu bejahen sein, weil die hier asylverfahrensrechtlich begründeten Ausreisepflichten durchgesetzt, d.h. der Aufenthalt der Antragsteller in Deutschland durch Abschiebung beendet werden soll. Der Senat geht - wie inzwischen wohl auch die Antragsteller - davon aus, dass diesen wegen der begangenen Straftaten weder ein aus der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG vom 20.11.2006 (Az.: 4-1340/29; vgl. insbesondere Nr. 3.3) ermöglichtes Bleiberecht noch ein Aufenthaltsrecht nach der gesetzlichen Altfallregelung des § 104 a AufenthG zusteht, weswegen eine aufenthaltsrechtliche Legalisierung ihres Privatlebens im Bundesgebiet insoweit ausgeschlossen sein dürfte.

Gleichwohl ergibt sich aus der Existenz der Bleiberechts- und Altfallregelungen keine hier relevante Sperrwirkung. Vielmehr bleibt neben den dort geregelten generalisierten Fallkonstellationen Raum für hiervon losgelöste Einzelfallabwägungen, auch bei einer Entscheidung über das Vorliegen eines zwingenden Duldungsgrundes nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (Senatsbeschluss vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - a.a.O. m.w.N.). Etwas anderes wäre gerade im Falle von Straftätern mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. die Nachweise in BVerfG, Beschluss vom 01.03.2004 - 2 BvR 1570/03 - NVwZ 2004, 852 = InfAuslR 2004, 280 = EuGRZ 2004, 317) nicht vereinbar.

Der Eingriff in das geschützte Privatleben der Antragsteller dürfte im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, weil unverhältnismäßig sein. Insoweit ist insbesondere das öffentliche Interesse an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit dem Interesse der Antragsteller an der Aufrechterhaltung ihrer faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Bindungen im Bundesgebiet abzuwägen. Dabei kommt es zunächst auf den jeweiligen Grad der "Verwurzelung" an; je stärker der Betroffene im Aufenthaltsstaat integriert ist, desto schwerer müssen die öffentlichen Interessen wiegen (vgl. EGMR, Urteil vom 22.06.2006 - Nr. 59643/00 - "Kaftailova"). Weiter ist auf den Grad der "Entwurzelung" abzustellen, d. h. auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat, insbesondere aufgrund der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden und aufnahmebereiten Verwandten. Schließlich können im Rahmen der Schrankenprüfung sonstige Faktoren Berücksichtigung finden, etwa ob der Aufenthalt des Betroffenen zumindest vorübergehend legal war und damit - i.S. einer "Handreichung des Staates" - schutzwürdiges Vertrauen auf ein Hierbleibendürfen entwickelt werden konnte.

Gemessen daran dürfte das Interesse der Antragsteller an der Aufrechterhaltung ihrer privaten Bindungen im Bundesgebiet das öffentliche Interesse insbesondere an Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern voraussichtlich überwiegen. Aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet, ihrer familiären Bindungen und ihrer Berufstätigkeit ist von einer weitreichenden "Verwurzelung" der Antragsteller in Deutschland auszugehen. Die Aufenthaltsdauer beträgt das Doppelte der in der gesetzlichen Altfallregelung des § 104 a AufenthG geforderten acht Jahre, ab denen eine hinreichende Integration bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen sozusagen gesetzlich vermutet wird. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass voraussichtlich alle vier Kinder der Antragsteller bereits ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet erlangt haben oder in Kürze erlangen werden. Zu den engen familiären Bindungen der Antragsteller zu ihren Kindern und Enkelkindern treten die sozialen Kontakte zu Deutschen hinzu, die durch die vorgelegten schriftlichen Erklärungen belegt werden. Die Antragsteller haben sich auch nicht erst mit Blick auf die Bleiberechts- bzw. Altfallregelung um Integration in den Arbeitsmarkt bemüht. Sie sind vielmehr bereits seit über vier Jahren erwerbstätig. Dass sie erst als Erwachsene eingewandert sind, steht angesichts dieser besonderen Umstände ihrer Verwurzelung nicht entgegen (vgl. EGMR, Urteil vom 31.01.2006 - Nr. 50252/99 - "Sezen" - InfAuslR 2006, 255). Insoweit unterscheiden sich die Umstände des vorliegenden Falles wesentlich von denen des Falles "Nnyanzi", in dem der EGMR bei einer abgelehnten Asylbewerberin aus Uganda nach zehnjährigem Aufenthalt in Großbritannien einen unverhältnismäßigen Eingriff durch die Abschiebung verneint hat (Urteil vom 08.04.2008 - Nr. 21878/06 -). Die Straftaten, die die nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG einen Ausschlussgrund begründende Grenze von 50 Tagessätzen nicht erheblich übersteigen und die zwischenzeitlich über sechs Jahre zurückliegen, fallen demgegenüber nicht erheblich ins Gewicht.

Nachdem die Antragsteller nach Aktenlage in den letzten 16 Jahren nicht mehr im Kosovo gewesen sind, dort keine nahen Verwandten haben, diese vielmehr alle in Deutschland leben, sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Kosovo seit ihrer Ausreise grundlegend gewandelt haben, sie dort einer wenig geachteten ethnischen Minderheit angehören, kann auch eine weitreichende "Entwurzelung" angenommen werden. Dass der Aufenthalt der Antragsteller nie legalisiert war, spricht nicht entscheidend gegen sie. Die Antragsteller haben nach Aktenlage in keiner Weise dazu beigetragen, dass es nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung kam. Grund für die laufende Verlängerung der Duldungen war, wie der Antragsgegner erläutert hat, im Wesentlichen das abwehrende Verhalten der UNMIK gegenüber der Rückführung von Minderheitsangehörigen und zuletzt die Entscheidung des Antragsgegners, den Fall im Hinblick auf die Bleiberechts- und Altfallregelung zurückzustellen. Vor diesem Hintergrund sowie der skizzierten konkreten Verwurzelungs- und Entwurzelungssituation erscheint der mit der Abschiebung verbundene Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK in der Gesamtabwägung derzeit unverhältnismäßig. Hierfür spricht zudem, dass die Antragsteller nach Abschiebung keine realistische Möglichkeit haben dürften, in absehbarer Zeit legal wieder in das Bundesgebiet einzureisen. Die für ihr Privatleben konstitutiven Beziehungen könnten bei einer Abschiebung mithin gegebenenfalls irreparabel beschädigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 = NVwZ 2007, 946).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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