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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 13.09.2007
Aktenzeichen: 11 S 442/07
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 1
§ 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG regelt in seiner dritten Variante in der bis zum 28.08.2007 geltenden Fassung nur die Verletzung einer Auskunftspflicht als besondere Ausprägung der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten und setzt voraus, dass der Ausländer zuvor auf die möglichen Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Auskunftspflicht hingewiesen worden ist.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

11 S 442/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Ausweisung

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 13. September 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 18. Januar 2007 - 1 K 421/06 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am xx.xx.1975 geborene Kläger ist chinesischer Staatsangehöriger. Er reiste im November 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte erfolglos seine Anerkennung als Asylberechtigter. Im Anschluss an das Asylverfahren wurde der Kläger geduldet. Ein Asylfolgeantrag blieb ebenfalls erfolglos.

Mit Bescheid vom 21.06.2004 forderte das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl Reutlingen - den Kläger auf, einen Pass vorzulegen oder - falls er nicht über ein solches Dokument verfüge - bei der Konsularabteilung der Botschaft der Volksrepublik China in Bonn ein Rückreisedokument zu beantragen. Am 16.11.2004 füllte der Kläger einen "Fragebogen für chinesische Staatsangehörige" aus, in dem er in deutscher und chinesischer Sprache Angaben zu seiner Identität machte. Der Fragebogen wurde der chinesischen Botschaft übersandt. Sie teilte dem Regierungspräsidium Tübingen am 18.08.2005 mit, das Ergebnis sei "negativ".

Am 24.11.2005 füllte der Kläger erneut den "Fragebogen für chinesische Staatsangehörige" aus. Der Fragebogen wurde wiederum zusammen mit einem von dem Kläger vorgelegten chinesischen "Fahndungsbefehl" der chinesischen Botschaft übersandt. Sie antwortete unter dem 12.12.2005 mit dem Vermerk "verfälschte Fahndung und negativ nach Überprüfung".

Mit Bescheid vom 28.02.2006 wies das Regierungspräsidium Tübingen den Kläger nach dessen vorheriger Anhörung aus dem Bundesgebiet aus. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger erfülle die Voraussetzungen des Ausweisungstatbestandes des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, denn er sei der Aufforderung zur Passbeschaffung allenfalls unzulänglich nachgekommen. Nach Auskunft der chinesischen Botschaft habe er falsche Angaben gemacht. Außerdem habe er keine Anstrengungen unternommen, Dokumente aus seinem Heimatland zu beschaffen. Besonderen Ausweisungsschutz genieße er nicht. Eine ordnungsgemäße Ermessensausübung erfordere seine Ausweisung.

Am 23.03.2006 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. In seiner Begründung hat er bestritten, falsche Angaben gemacht zu haben und vorgetragen, aus den Antworten der Konsularabteilung der chinesischen Botschaft in Bonn könne nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden, ob seine mangelnde Identifikation auf sein Verschulden oder nicht doch vielmehr auf mangelnde Kooperationsbereitschaft der lokalen Behörden in China zurückzuführen sei. Man dürfe nicht außer Acht lassen, dass seitens der chinesischen Behörden bei der Rückführung von Flüchtlingen keinerlei Mitwirkungsbereitschaft bestehe. Dies belegten die einschlägigen Lageberichte des Auswärtigen Amtes. Das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen mittelbarer Falschbeurkundung sei gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Nach den Ausführungen der Staatsanwaltschaft in deren Einstellungsverfügung vom 13.11.2006 könne nicht der Nachweis geführt werden, dass er tatsächlich Aliaspersonalien verwendet habe. Denkbar sei auch, dass die Auskunft der chinesischen Behörden falsch sei, etwa weil die dortigen Meldeunterlagen unvollständig seien oder aber ein missliebiger Staatsbürger auf diese Weise außerhalb des Landes gehalten werden solle.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ergänzend vorgetragen: Aufgrund langjähriger Erfahrungen bei Passbeschaffungsmaßnahmen für chinesische Staatsangehörige und des ständigen Kontaktes der Bezirksstelle für Asyl mit der chinesischen Botschaft sei allgemein bekannt, dass von Seiten der chinesischen Botschaft bei falschen bzw. unvollständigen Angaben hinsichtlich einer Person lediglich eine Negativmeldung ohne genauere Angaben erfolge. Chinesische Staatsangehörige, die korrekte Angaben machten, erhielten in der Regel innerhalb von drei bis sechs Monaten ein Rückreisedokument. Im Übrigen habe der Kläger bisher keine Anstrengungen unternommen, sich in seinem Heimatland um ein Dokument zu bemühen, obwohl ihm dies möglich sei, weil er dort eine Ehefrau und ein Kind zurückgelassen habe. Die Staatsanwaltschaft sei nicht in gleicher Weise wie das Regierungspräsidium Tübingen in der Lage, den Sachverhalt zu beurteilen, weil es anders als das Regierungspräsidium nicht seit Jahren damit beauftragt sei, Passersatzdokumente für chinesische Staatsangehörige zu besorgen. Die Aussage der Staatsanwaltschaft, auch eine falsche Auskunft der chinesischen Behörden sei denkbar, sei eine reine Vermutung und werde durch nichts belegt. Auf entsprechenden rechtlichen Hinweis des Verwaltungsgerichts teilte der Beklagte mit, dass der Kläger vor Erlass der Ausweisungsverfügung nicht auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen worden sei. Dies sei auch nicht erforderlich, denn das Belehrungserfordernis des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG beziehe sich nach dem eindeutigen Wortlaut nur auf die Tatbestandsalternative der falschen oder unvollständigen Angaben, nicht jedoch auf die Tatbestandsalternative der Verletzung der Mitwirkungspflicht.

Mit Urteil vom 18.01.2007 - 1 K 421/06 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die angefochtene Verfügung aufgehoben. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Es könne offen bleiben, ob der Kläger seine Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung verletzt habe. Denn der Kläger sei nicht über die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen worden. Diese Hinweispflicht bestehe auch im Fall der Tatbestandsvariante "Verletzung von Mitwirkungspflichten". Aus dem Wortlaut, der systematischen Stellung und dem Sinn und Zweck der Vorschrift folge, dass sich die in § 55 Abs. 2 Nr. 1 letzter Halbsatz AufenthG normierte Hinweispflicht auf alle Tatbestandsalternativen der Vorschrift erstreckten. Das Urteil wurde dem Beklagten am 25.01.2007 zugestellt.

Am 14.02.2007 hat der Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ergebe sich aus dem Wortlaut, der Begründung zum Gesetzentwurf und der Gesetzessystematik, dass die Hinweispflicht nur bei der Tatbestandsvariante "falsche oder unvollständige Angaben" bestehe. Eine unterschiedliche Behandlung der beiden Tatbestandsvarianten sei auch deshalb gerechtfertigt, weil das Aufenthaltsgesetz Verstöße gegen die Mitwirkungspflicht und Verstöße gegen die Pflicht, zutreffende und vollständige Angaben zu machen, unterschiedlich sanktioniere. Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht stelle eine Ordnungswidrigkeit dar, falsche Angaben eines Ausländers zu seinem Alter, seiner Identität oder Staatsangehörigkeit sei jedoch strafbewehrt.

Der Beklagte beantragt - sachdienlich gefasst -,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 18.01.2007 - 1 K 421/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger tritt der Berufung ohne eigene Antragstellung entgegen. Die Rechtsauffassung des Beklagten sei mit dem Gesetz nicht vereinbar. Die Vorschrift des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG lasse zweifelsfrei erkennen, dass der Gesetzgeber das Ausweisungsermessen wegen unzureichender Mitwirkung bei Maßnahmen von Behörden nur dann habe eröffnen wollen, wenn der Ausländer über die Rechtsfolge zuvor entsprechend informiert worden sei. Im Übrigen habe er seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt. Er habe unstreitig mehrfach Anträge bei der chinesischen Botschaft auf die Erteilung von Heimreisepapieren gestellt, die lediglich erfolglos geblieben seien. Dass die chinesische Botschaft pauschal und völlig unsubstantiiert in einem Formschreiben mitgeteilt habe, dies beruhe auf falschen bzw. unvollständigen Angaben, lasse aufgrund der mangelnden Überprüfbarkeit dieser Aussage und der vom Auswärtigen Amt in dessen Lageberichten zur Volksrepublik China regelmäßig bestätigten völligen Behördenwillkür in der Volksrepublik China keine andere Beurteilung zu.

Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Ausländerakten des Regierungspräsidiums Tübingen und der Stadt Ulm sowie die Verfahrensakte des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Verfügung des Regierungspräsidiums Tübingen vom 28.02.2006 zu Recht aufgehoben. Die Ausweisungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die von der Behörde angenommenen tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausweisung liegen nicht vor.

1.

Der vom Regierungspräsidium Tübingen als Rechtsgrundlage der Ausweisung herangezogene § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG trägt die Ausweisungsverfügung nicht. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer nach § 55 Abs. 1 AufenthG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er in Verfahren nach diesem Gesetz oder zur Erlangung eines einheitlichen Sichtvermerks nach Maßgabe des Schengener Durchführungsübereinkommens falsche oder unvollständige Angaben zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels gemacht oder trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes zuständigen Behörden im In- und Ausland mitgewirkt hat, wobei die Ausweisung auf dieser Grundlage nur zulässig ist, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde. In Betracht kommt im vorliegenden Fall allein die vom Regierungspräsidium Tübingen herangezogene dritte Variante der Vorschrift, nach der ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn er trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung des Aufenthaltsgesetzes zuständigen Behörden mitgewirkt hat. Die beiden ersten Varianten beziehen sich auf Rechtsverstöße eines Ausländers zur Erlangung eines Aufenthaltstitels. Diese Situation liegt nicht vor.

Der Senat kann es ebenso wie das Verwaltungsgericht offen lassen, ob der Kläger tatsächlich einen Verstoß gegen eine Rechtspflicht zur Mitwirkung begangen hat, der eine Ausweisung rechtfertigen würde. Denn es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AufenthG. Nach dieser Regelung ist "die Ausweisung auf dieser Grundlage nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde". Die Hinweispflicht gilt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht nur für die ersten beiden Varianten des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG sondern auch für die dritte Variante. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift (dazu a.) und der Begründung zum Gesetzentwurf (dazu b.).

a.

Nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AufenthG besteht die Hinweispflicht bei einer Ausweisung "auf dieser Grundlage". Mit dieser Formulierung nimmt die Vorschrift den gesamten ersten Halbsatz mit seinen drei Varianten in Bezug. Erfasst werden sämtliche Ausweisungen auf der Grundlage des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, ohne dass zu unterscheiden wäre, ob sie wegen falscher oder unvollständiger Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels oder wegen der Verletzung einer Mitwirkungspflicht in einem sonstigen Verfahren nach dem Aufenthaltsgesetz verfügt wird. Darüber hinaus bringt auch die systematische Stellung des Halbsatzes am Ende der Vorschrift zum Ausdruck, dass er sich auf den gesamten vorangehenden ersten Halbsatz bezieht.

§ 55 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AufenthG spricht allerdings auch von einem Hinweis auf die Rechtsfolgen "falscher oder unvollständiger Angaben" vor der "Befragung". In der Literatur wird daher die Auffassung vertreten, wegen der Bezugnahme auf falsche oder unvollständige Angaben bedürfe es im Falle der dritten Variante (Verletzung der Mitwirkungspflicht) keiner Belehrung (Armbruster in HTK-AuslR, § 55 AufenthG/zu Abs. 2 Nr. 1 05/2007 Nr. 4 m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, § 55 AufenthG Rdnr. 22; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 55 AufenthG Rdnr. 15). Der Senat folgt dieser Ansicht nicht. Nach Auffassung des Senats beschränkt § 55 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AufenthG vielmehr die Ausweisungsmöglichkeit nach der dritten Variante der Vorschrift auf solche Fälle, in denen der Ausländer seine Mitwirkungspflicht dadurch verletzt, dass er bei einer Befragung falsche oder unvollständige Angaben macht. Die Befragung kann sowohl mündlich als auch schriftlich, in Form eines Formulars oder auch formlos erfolgen. Der zweite Halbsatz des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG konkretisiert somit den weiten Begriff der Mitwirkungspflicht in der dritten Variante des ersten Halbsatzes dieser Vorschrift.

Das Erfordernis einer Befragung macht deutlich, dass § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nur einen bestimmten Teilbereich der Mitwirkungspflichten eines Ausländers erfasst, nämlich den der Auskunftspflichten. Denn eine Befragung erfolgt zu dem Zweck Antworten - oder mit anderen Worten "Angaben" - zu erhalten. Dem Auskunftsverlangen der Behörde steht die Auskunftspflicht des Ausländers gegenüber. Das Aufenthaltsgesetz normiert insbesondere in § 49 Abs. 1 AufenthG eine solche spezielle Mitwirkungspflicht. Die Vorschrift fordert von einem Ausländer, gegenüber der Ausländerbehörde auf Verlangen Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit zu machen. Die Pflicht besteht nicht nur in Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels sondern auch in anderen ausländerrechtlichen Verfahren, wie z.B. bei der Passbeschaffung, denn § 49 Abs. 1 AufenthG beschränkt die Auskunftspflicht des Ausländers nicht auf bestimmte Verfahren. Die Angaben des Ausländers müssen richtig und vollständig sein. Sind sie es nicht, kann der Ausländer nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG wegen Verletzung dieser Mitwirkungspflicht ausgewiesen werden, wenn er vor dem Auskunftsverlangen auf diese mögliche Rechtsfolge hingewiesen wurde.

b.

Auch die Begründung zum Gesetzentwurf zeigt, dass die dritte Variante des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nur die Verletzung von Auskunftspflichten eines Ausländers als besondere Ausprägung seiner ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten als Ausweisungsgrund regelt und einen Hinweis auf die möglichen Rechtsfolgen eines Verstoßes voraussetzt. Maßgeblich ist insoweit die Begründung zur gleichlautenden Vorgängerregelung in § 46 Nr. 1 AuslG (BT-Drs. 14/7386 (neu) S. 56). Denn die Begründung zu § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG beschränkt sich auf den Hinweis, die Vorschrift entspreche § 46 Nr. 1 AuslG. Die Regelung des § 46 Nr. 1 AuslG in der hier maßgeblichen Fassung wurde durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 09.01.2002 (BGBl. I S. 361) in das Ausländergesetz eingefügt.

Nach der Begründung zum Gesetzentwurf dokumentiert der Betroffene durch Falschangaben im Titelerteilungsverfahren, dass er nicht bereit ist, sich an die deutsche Rechtsordnung zu halten und führt dadurch die zuständigen Behörden in die Irre. Durch falsche Angaben könnten darüber hinaus eventuelle Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen und gewaltbereiten Bewegungen verschleiert werden. Wegen der daraus resultierenden Gefahren sei es erforderlich, auch in diesen Fällen die Möglichkeit einer Ausweisung zu eröffnen. "Dasselbe" gelte, wenn der Ausländer seine Mitwirkungspflichten verletze.

Die Begründung macht deutlich, dass die gesamte Regelung darauf zielt, Gefahren zu vermeiden, die durch Täuschung und Irreführung der Behörden verursacht werden. Dies gilt umso mehr, als die Neufassung des § 46 Nr. 1 AuslG im Jahr 2002 im Zeichen der Terrorabwehr stand, wie schon der Titel des Änderungsgesetzes, aber auch der Wortlaut der Begründung zu § 46 Nr. 1 AuslG zeigen. Aus der Begründung lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der dritten Variante der Vorschrift (Verletzung der Mitwirkungspflicht) eine andere Zielsetzung verfolgte als mit den ersten beiden Varianten. Gegen eine solche Annahme spricht vielmehr vor allem der Wortlaut der Begründung ("Dasselbe gilt ..."). Eine Täuschung der Behörde setzt aber voraus, dass durch ein Handeln des Ausländers Fehlvorstellungen geweckt werden. Dies ist durch bloßes Nichtstun des Ausländers kaum denkbar. Fehlvorstellungen können erst entstehen, wenn der Ausländer falsche oder auch unvollständige Angaben macht. Solche falschen oder unvollständigen Angaben können eine Verletzung der Mitwirkungspflicht darstellen, die allerdings nach dem letzten Satz der Begründung zu § 46 Nr. 1 AuslG nur dann die Möglichkeit zur Ausweisung eröffnen soll, wenn der Ausländer zuvor "bei der Befragung" auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde.

c.

Schließlich lässt sich aus der Neufassung des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG durch Artikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I, S. 1970) nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Gesetzgeber hat § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG in seiner bisherigen Fassung durch eine Vorschrift ersetzt, die nur noch teilweise mit der bisherigen übereinstimmt und gerade die hier streitigen Fragen neu regelt. Die Neufassung spricht nicht mehr von einem Hinweis vor der "Befragung" sondern fordert, dass "der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen", wie sie in Buchstabe a) und b) der Vorschrift genannt sind, hingewiesen wurde. Aus der Begründung zum Gesetzentwurf lässt sich ebenfalls kein gegen die Auslegung der bisherigen Regelung durch den Senat sprechender Anhaltspunkt entnehmen, denn die Begründung spricht insoweit lediglich von einer "klareren Fassung zur Beseitigung von Widersprüchen" (vgl. BT-Drs. 16/5065 zu Nr. 43 (§ 55) zu Buchstabe a, S. 79).

2.

Die angefochtene Ausweisungsverfügung erweist sich auch unter den Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht als rechtmäßig. Das Regierungspräsidium hat die Verfügung zwar nicht auf diese Vorschrift gestützt. Die Verwaltungsgerichte haben jedoch umfassend zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob ein angegriffener Verwaltungsakt kraft einer anderen als der angegebenen Rechtsgrundlage rechtmäßig ist. Im Falle einer Ermessensentscheidung der Behörde müssen die anzustellenden Erwägungen jedoch in beiden Fällen die gleichen sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.06.1989 - 4 C 40/88 -, NVwZ 1990, 259, 260). Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG kann ein Ausländer unter anderem ausgewiesen werden, wenn er einen Verstoß gegen eine behördliche Entscheidung begangen hat. In Betracht käme hier allein ein Verstoß gegen die dem Kläger im Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 21.06.2004 auferlegte Pflicht, einen Pass vorzulegen bzw. einen solchen bei einer persönlichen Vorsprache bei der chinesischen Botschaft zu beantragen. Einen Verstoß gegen diese Verpflichtungen hat das Regierungspräsidium dem Kläger in der Ausweisungsverfügung jedoch nicht vorgehalten. Es hat ausschließlich darauf abgestellt, dass der Kläger in den ihm vorgelegten Fragebögen falsche Angaben gemacht habe und sich keine Dokumente aus seinem Heimatland habe schicken lassen. Diese Pflichten waren dem Kläger in dem Bescheid vom 21.06.2004 jedoch nicht auferlegt worden. Die vom Regierungspräsidium in der Ausweisungsverfügung angestellten Erwägungen können somit nicht zugleich für eine auf § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gestützte Ausweisung herangezogen werden, so dass ein Wechsel des Ausweisungsgrundes im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht möglich ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. Insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vor, da es sich bei der Vorschrift des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG um sogenanntes auslaufendes Recht handelt. Sie wurde durch Artikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007, BGBl. I, S. 1970) in einer Weise geändert, dass sich die hier streitigen Fragen in gleicher Weise nicht mehr stellen. In einem solchen Fall kommt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.10.2004 - 1 B 139/04 -, Buchholz 402.240 § 7 AuslG Nr. 12). Dass noch Fälle abzuwickeln sind, in denen das alte Recht von Bedeutung ist, reicht nicht aus. Erforderlich wäre vielmehr, dass sich eine klärungsbedürftige Frage zur Auslegung der außer Kraft getretenen Norm für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zeit weiter stellen kann (BVerwG, Beschluss vom 09.06.2000 - 4 B 19/00 - juris). Eine solche Situation liegt hier nicht vor.

Beschluss vom 13. September 2007

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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