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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 01.07.2002
Aktenzeichen: 11 S 469/01
Rechtsgebiete: AuslG, StGB


Vorschriften:

AuslG § 46 Nr. 2
AuslG § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 5
StGB § 3
StGB § 6
Bei einer Ausweisung nach § 46 Nr. 2 AuslG wegen einer von einem Ausländer außerhalb des Bundesgebiets begangenen Straftat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob diese Auslandsstraftat - abweichend vom Grundsatz des § 3 StGB - unter den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts fällt und der Ausländer wegen dieser Straftat daher (auch) nach deutschem Strafrecht in der Bundesrepublik Deutschland verurteilt werden könnte. Insbesondere ist nicht maßgeblich, ob die Straftat unter den Katalog der vom sog. Weltrechtsprinzip erfassten Straftaten in § 6 StGB fällt.
11 S 469/01

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Ausweisung, Aufenthaltserlaubnis und Reiseausweis, hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schaeffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Paehlke-Gärtner

am 1. Juli 2002

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 22. Januar 2001 - 12 K 406/00 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 22.1.2001 kann keinen Erfolg haben. Die Zulässigkeit dieses Zulassungsantrags richtet sich noch nach dem bis zum 31.12.2001 geltenden Recht (VwGO a.F.; vgl. die Übergangsvorschrift des § 194 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20.12.2001, BGBl. I S. 3987).

Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen, mit der der Kläger - ein am 23.3.1968 geborener algerischer Staatsangehöriger, der im Jahr 1993 als Asylberechtiger anerkannt wurde - die Aufhebung der Verfügung der Ausländerbehörde der Beklagten vom 24.11.1999 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 2.2.2000), soweit damit die Ausweisung des Klägers angeordnet wurde, sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und eines Reiseausweises nach der Genfer Konvention erstrebt hat. Das Gericht hat zur Begründung (u.a.) ausgeführt, die Ausweisung nach §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG sei rechtlich nicht zu beanstanden. In dem angefochtenen Bescheid werde zutreffend davon ausgegangen, dass die strafrechtliche Verurteilung des Klägers in Frankreich (durch Urteil des Tribunal de Grande Instance de Paris vom 19.1.1998 zu vier Jahren Freiheitsstrafe) wegen Straftaten erfolgte, die auch in Deutschland vorsätzliche Straftaten darstellen. Der Kläger sei wegen eines dem § 129 StGB vergleichbaren Vereinigungsdelikts, wegen täterschaftlicher Beteiligung an Urkundendelikten (entsprechend § 276 StGB) sowie wegen Verstößen gegen das französische Ausländerrecht (vergleichbar mit § 92a AuslG) verurteilt worden. Dabei sei das französische Gericht davon überzeugt gewesen, dass der Kläger einer kriminellen Vereinigung angehörte, die Staatsangehörige aus den Maghreb-Staaten mit Hilfe fremder und gefälschter Pässe über Tschechien und die Bundesrepublik Deutschland illegal nach Frankreich einschleuste. Auch die Asylberechtigung des Klägers stehe seiner Ausweisung nicht entgegen, da bei ihm schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorlägen. Dies ergebe sich aus einer vom Gericht selbst vorgenommenen individuellen Würdigung der ihm strafrechtlich zur Last gelegten Beteiligung an organisierter illegaler Einschleusung von Ausländern mit Blick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch in der Bundesrepublik Deutschland. Die vom Kläger begangene Beteiligung an organisierter Schleuserkriminalität gehöre zu den in ausländerrechtlicher Hinsicht besonders schwerwiegenden Straftaten. Mit der Ausweisung sei die Beklagte zugleich rechtlich daran gehindert, dem Kläger den begehrten Aufenthaltstitel zu erteilen. Auch die Versagung des Reiseausweises nach der Genfer Flüchtlingskonvention sei unter diesen Umständen rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Kläger hat keine Gründe dargelegt, die eine Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil rechtfertigen könnten.

Ohne Erfolg beruft er sich auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Für die nach § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO a.F. gebotene Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist erforderlich, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz, auf welchen es für deren Richtigkeit ankommt, oder eine dafür erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.2000, VBlBW 2000, 392 = NVwZ 2000, 1163 = DVBl. 2000, 1458). Begründet ist der Antrag, wenn eine Überprüfung des dargelegten Vorbringens aufgrund der Akten ergibt, dass derartige beachtliche Zweifel tatsächlich vorliegen. Jedenfalls letzteres ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat keine erheblichen Gründe vorgebracht, die dafür sprechen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird.

Bei der Ausweisung des Klägers nach § 46 Nr. 2 AuslG wegen außerhalb des Bundesgebiets begangener Straftaten, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftaten anzusehen sind, kommt es - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht darauf an, ob diese Auslandsstraftaten - abweichend vom Grundsatz des § 3 StGB, wonach das deutsche Strafrecht für Taten gilt, die im Inland begangen werden - unter den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts fallen und er wegen dieser Straftaten (auch) nach deutschem Strafrecht in der Bundesrepublik Deutschland verurteilt werden könnte. Insbesondere ist die Bestimmung des § 6 StGB, wonach das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts für bestimmte Taten gegen international geschützte Rechtsgüter gilt, hierfür nicht maßgeblich. Die in § 6 StGB zum Ausdruck kommende Konkretisierung des Weltrechtsprinzips erstreckt die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts ohne Rücksicht auf Tatort, Recht des Tatorts und Staatsangehörigkeit des Täters auf Tatbestände, die international zu schützende Rechtsgüter zum Gegenstand haben (vgl. Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, Komm., 50 Aufl., § 6 StGB, RdNr. 1; Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Komm., 26. Aufl., § 6 StGB, RdNr. 1). Für die im vorliegenden Zusammenhang allein maßgebliche Beurteilung des Verhaltens eines Ausländers unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr im Hinblick auf seinen Aufenthalt im Bundesgebiet ist diese Zweckbestimmung nicht entscheidend. Durch das gesetzliche Erfordernis in § 46 Nr. 2 AuslG, dass die im Ausland begangene Straftat im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen sein muss, sollen - unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Strafrechtssysteme in Deutschland und in dem jeweiligen fremden Staat, in dem die Tat begangen wurde - das Gewicht und die Bedeutsamkeit der Straftat im Blick auf die in der Bundesrepublik Deutschland geltende Rechtsordnung ausschließlich unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten bestimmt werden. So soll beispielsweise eine Bestrafung im Ausland wegen eines Delikts, das in Deutschland nicht strafbar ist, von vornherein keinen Ausweisungsgrund darstellen. Dementsprechend kommt es für die Erfüllung der Voraussetzungen des Ausweisungstatbestands des § 46 Nr. 2 AuslG - in der Variante der Begehung einer Auslandsstraftat - nicht auf die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit einer Bestrafung der konkreten Tat im Ausland oder im Inland an; insoweit ist auch die Frage einer Doppelbestrafung irrelevant. Im Fall des Klägers hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen dargelegt, dass die hier maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Nr. 2 AuslG erfüllt sind, indem die Straftaten des Klägers, die er in Frankreich begangen hat, Straftaten entsprechen, die im Bundesgebiet nach deutschem Strafrecht als vorsätzliche Straftaten (hier: § 129 StGB, § 276 StGB, § 92a AuslG) anzusehen sind. Damit setzt sich der Kläger in dem Zulassungsantrag nicht auseinander.

Entgegen der Ansicht des Klägers bezieht das Gericht auch nicht "in Frankreich begangene Straftaten ohne weiteres auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland". Das Verwaltungsgericht hat ersichtlich nicht nur ein "Verhalten im Ausland" als Grund und Anlass für die Ausweisung des Klägers gewürdigt, sondern entscheidend auf seine Beteiligung an der organisierten illegalen Einschleusung von Ausländern mit Blick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch in der Bundesrepublik Deutschland abgestellt. Die der Bestrafung des Klägers in Frankreich zugrunde liegende Beteiligung an organisierten Straftaten, bei der Staatsangehörige aus den Maghreb-Staaten mit Hilfe fremder und gefälschter Pässe - offenbar durch eine international agierende Bande, der der Kläger angehört hat - über Tschechien und die Bundesrepublik Deutschland illegal nach Frankreich eingeschleust wurden, hat einen unmittelbaren Bezug zum Bundesgebiet und stellt - wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat - einen schwerwiegenden Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG - wie im Übrigen auch im Sinne von § 68 Abs. 2 AsylVfG - dar, der auch den besonderen Ausweisungsschutz überwindet, den der Kläger als Asylberechtigter gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AuslG genießt. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einem illegalen Einschleusen von Ausländern (auch nach Deutschland und über Deutschland in andere Länder) und durch die Zugehörigkeit zu einer entsprechend international organisierten kriminellen Vereinigung oder Gruppe ("illegales Einwanderungsnetzwerk"), bei der (nach den Feststellungen des französischen Strafgerichts) u.a. Waffen, Munition, gefälschte Ausweispapiere, Tarnbekleidung und eine Schrift über die Technik der Stadtguerilla sichergestellt wurden, die Straftaten - zumindest teilweise - auch im Ausland begangen werden. Dies ändert bei einer - hier ausschließlich maßgeblichen - ordnungsrechtlichen Beurteilung jedenfalls dann nichts an der ausländerrechtlichen Erheblichkeit des Fehlverhaltens des Ausländers für seinen weiteren Aufenthalt, wenn - wie hier - ein eindeutiger Bezug zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet besteht.

Auch der vom Kläger weiter geltend gemachte Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) kann unter den gegebenen Umständen nicht zu einer Zulassung der Berufung führen. Denn solche Schwierigkeiten sind jedenfalls im Fall des Klägers nicht ersichtlich und auch nicht entsprechend dem Darlegungsgebot (§ 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO a.F.) dargelegt worden. Welche Voraussetzungen für die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen müssen, ist eine rechtlich nach den - hier nicht fraglichen und in dem Zulassungsantrag nicht in Zweifel gezogenen - tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls zu beurteilende Frage. Es begegnet jedenfalls keinen besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten, im Fall des Klägers festzustellen, dass er durch seine illegale Schleusertätigkeit als Beteiligter einer international agierenden kriminellen Vereinigung oder Gruppe schwerwiegend (auch) gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen hat und damit die für seine Ausweisung maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab.

Der Umstand, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 22.12.2000 die Anerkennung des Kläger als Asylberechtiger widerrufen hat, bleibt für die vorliegende Entscheidung außer Betracht, da dies in dem angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt wurde und dieser Umstand jedenfalls zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis führt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 und § 25 Abs. 2 GKG in Verbindung mit § 5 ZPO in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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