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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 06.03.2007
Aktenzeichen: 12 S 2473/06
Rechtsgebiete: SGB VIII, SGB X


Vorschriften:

SGB VIII § 27
SGB VIII § 89a
SGB VIII § 89f
SGB X § 41 Abs. 1 Nr. 1
1. § 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X gilt für eine Erklärung des Personensorgeberechtigten bezüglich der Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung.

2. Die Heilung des Verfahrensfehlers tritt mit Rückwirkung ein.

3. Die Heilung wirkt sich auf den Erstattungsanspruch aus, da dieser in seinen materiell-rechtlichen Voraussetzungen identisch ist mit der Hilfegewährung.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

12 S 2473/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Kostenerstattung

hat der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 6. März 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 21. April 2005 - 12 K 123/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich gegen die Erstattung von Jugendhilfeleistungen für die am 9.8.1996 geborene Hilfeempfängerin.

Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 130 b VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Urteil den Beklagten verurteilt, dem Kläger die in der Zeit vom 1.2.2003 bis 27.2.2005 entstandenen Kosten für die gewährte Hilfe zur Erziehung zu erstatten. Die Berufung wurde zugelassen.

In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, zwar sei die vom Kläger bis zum 27.2.2005 erbrachte Hilfe zunächst rechtswidrig gewesen, denn der Vater, der zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung ebenfalls sorgeberechtigt gewesen sei, habe sein erforderliches Einverständnis mit der Hilfeleistung nicht erteilt. Auch sei höchstrichterlich entschieden, dass aus der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht auch das Recht folge, Hilfe zur Erziehung zu beantragen. Der Mangel, der der aufgrund des fehlerhaften Antrags vom 17.12.1998 bewilligten Hilfe zur Erziehung ursprünglich angehaftet habe, sei jedoch dadurch geheilt worden, dass der Vater der Hilfeempfängerin am 28.2.2005 sein nachträgliches Einverständnis mit der Hilfeleistung erklärt habe. Die Hilfe zur Erziehung sei infolge dieser Erklärung nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X von Anfang an als rechtmäßig geleistet anzusehen.

Zur Begründung seiner am 27.5.2005 eingelegten Berufung trägt der Beklagte vor, eine nachträgliche Einverständniserklärung durch den Vater habe die Rechtswidrigkeit der Bewilligung der Hilfegewährung nicht heilen können. § 41 SGB X sei schon deswegen nicht heranzuziehen, weil die Gewährung von Hilfe zur Erziehung keinen Antrag voraussetze. Der in § 41 SGB X enthaltene Katalog von sechs Verfahrensfehlern sei abschließend. Im Übrigen betreffe § 41 SGB X auch nur eine Regelung der rückwirkenden Heilung eines Verwaltungsaktes im laufenden Verwaltungsverfahren, nicht aber andere Rechtsverhältnisse wie z.B. Amtshaftungsklagen und Erstattungsansprüche. Für Erstattungsansprüche bleibe es deshalb dabei, dass der Verwaltungsakt bis zur Heilung rechtswidrig war und die Heilung nur "ex nunc" wirke. Eine andere gesetzliche Regelung, die zur Heilung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes des Klägers "ex tunc" führe, sei nicht ersichtlich.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 21.4.2005 - 12 K 123/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus, die Sichtweise des Beklagten sei zu "formalistisch". Die Vorschrift des § 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X sei zumindest analog auf die nachträgliche Genehmigung eines Antrags etwa durch einen gesetzlichen Vertreter anwendbar. Der Antrag auf die Gewährung von Hilfe zur Erziehung sei am 17.12.1998 gestellt und nachträglich vom sorgeberechtigten Vater genehmigt worden, so dass die Hilfegewährung von Anfang an als rechtmäßig zu betrachten und der Erstattungsanspruch gegeben sei.

Dem Senat liegen die Akten der Beteiligten und des Verwaltungsgerichts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Erstattung der von ihm in der Zeit vom 01.02.2003 bis 27.02.2005 für die Hilfeempfängerin geleisteten Hilfe zur Erziehung bejaht.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, scheidet eine Erstattungspflicht nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGB VIII und § 86 Abs. 6 SGB VIII dann aus, wenn die Jugendhilfe rechtswidrig geleistet wurde. Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 21.06.2001 - 5 C 6.00 -, NJW 2002, 232 und - juris - m.w.N. sowie VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.04.2005 - 9 S 109/03 - FEVS 57, 23 und - juris -) zu Recht festgestellt, dass die Jugendhilfe hier - zunächst - in rechtswidriger Weise geleistet worden war, weil eine Einverständniserklärung des Vaters der Hilfeempfängerin nicht vorgelegen hatte und die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Stadt Wiesbaden nicht gleichzeitig mit dem Entzug der Rechte der Eltern auf Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung verbunden war. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Senat sieht daher insoweit gemäß § 130 b VwGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Entscheidungserheblich für das Berufungsverfahren ist daher nur die Frage, ob dem am 28.02.2005 erklärten Einverständnis des Vaters der Hilfeempfängerin mit der für sie gewährten Jugendhilfe Rückwirkung zukommt, so dass diese von Anfang an als rechtsmäßig anzusehen und damit ein Erstattungsanspruch gegeben ist.

Dem Verwaltungsgericht ist darin zu folgen, dass vorliegend § 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X heranzuziehen ist, wonach der in dem Fehlen des für den Erlass eines Verwaltungsaktes erforderlichen Antrags liegende Verfahrensfehler dadurch geheilt werden kann, dass der erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird. Diese Vorschrift ist nicht etwa nur analog, sondern direkt auf eine Erklärung des Personensorgeberechtigten für die Inanspruchnahme von Jugendhilfe nach §§ 27, 33 SGB VIII anzuwenden. Auch tritt die Heilung des Verfahrensfehlers mit Rückwirkung, d. h. "ex tunc" ein.

§ 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X setzt voraus, dass "der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird". Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.

Der Beklagte wendet diesbezüglich ein, die Vorschrift komme schon deswegen nicht zur Anwendung - auch nicht analog - , weil das SGB VIII keinen Antrag auf Hilfe zur Erziehung vorsehe. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Zwar ist insoweit richtig, dass ein förmlicher Antrag nicht notwendig ist. Andererseits setzt die Jugendhilfe im Hinblick auf Art. 6 GG nicht aber schon dann ein, sobald dem Träger der Jugendhilfe die Voraussetzungen bekannt werden. Die Gewährung von Hilfe zur Erziehung von Amts wegen ist daher unzulässig (Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfekommentar, 3. Aufl., § 27 RdZiff. 26 m.w.N.). Materielle Voraussetzung für die Hilfegewährung nach den §§ 27 ff. SGB VIII ist deshalb, dass der Personensorgeberechtigte, d.h. beide Elternteile, wenn sie - wie hier - zum Zeitpunkt der Antragstellung die gemeinsame Sorge ausüben, entweder durch einen Antrag oder eine eindeutige Willensbekundung sein Einverständnis zur dieser Hilfe erklärt (BVerwG, Urteil vom 21.06.2001, a.a.O., und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.04.2005 - 9 S 103/03 -, a.a.O., m.w.N.). Bei der Gewährung der Jugendhilfe ist damit eine Willensbekundung der Personensorgeberechtigten "erforderlich" im Sinne des § 41 SGB X. Da § 41 SGB X aber nicht einen förmlichen, sondern lediglich einen "erforderlichen" Antrag voraussetzt, ist nur entscheidend, ob eine entsprechende Willenserklärung des Personensorgeberechtigten vorliegt. Dies ist hier der Fall, nachdem der Vater der Hilfeempfängerin am 28.02.2005 sein Einverständnis mit der Hilfeleistung erklärt hat.

Die Wirkung der Heilung nach § 41 SGB X tritt auch mit Wirkung "ex tunc" ein, d.h. der Verwaltungsakt ist von dem Tag seiner Heilung an so anzusehen, als sei er stets mangelfrei gewesen (BSG, Urteil vom 06.10.1994 - GS 1/91 - BSGE 75, 163; von Wulffen SGB X 4. Aufl. § 41 RdZiff. 3; Giese/Krahmer, Sozialgesetzbuch I und X § 41 RdZiff. 6.1). Auch insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts gemäß § 130 b VwGO verwiesen werden.

Dem Beklagten ist auch nicht darin zu folgen, die Regelung der rückwirkenden Heilung in § 41 SGB X betreffe "generell nur die Frage der Angreifbarkeit des Verwaltungsaktes im laufenden Verwaltungsverfahren, nicht aber andere Rechtsverhältnisse wie zum Beispiel Amtshaftungsklagen oder Erstattungsansprüche, die sich mittelbar aus dem Erlass eines Bescheids ergeben". Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht ausgeführt, die Annahme, der Verwaltungsakt sei infolge der Heilung als von Anfang an rechtmäßig anzusehen, schließe es nicht aus, in einem "anderen Verfahren" auf den bis zur Heilung des Verwaltungsakts geltenden Rechtszustand abzustellen (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 45 Rn. 18). Ein in diesem Sinne "anderes Verfahren" als das ursprüngliche Verwaltungsverfahren ist die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs, da dieser Anspruch andere rechtliche Voraussetzungen hat als der im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren geltend gemachte Anspruch. Gleiches gilt aber nicht für den hier erhobenen Erstattungsanspruch. Dieser ist in seinen materiell-rechtlichen Voraussetzungen identisch mit der Hilfegewährung. Nur wenn die Hilfe in rechtmäßiger Weise gewährt wurde, ist gem. § 89 f SGB VIII auch der Erstattungsanspruch gegeben. Nimmt man daher eine rückwirkende Heilung eines Verfahrensfehlers im Verhältnis des Leistungserbringers und Leistungsempfängers an, muss sich die Heilung wegen der Akzessorietät des Erstattungsanspruchs auch auf diesen auswirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 S. 2 Halbs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Beschluss

vom 6. März 2007

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf 15.600,-- EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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