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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 11.06.2001
Aktenzeichen: 13 S 542/01
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 42 Abs. 6
1. § 42 Abs. 6 AuslG, der die tatsächliche Durchsetzung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sicherstellt, entspricht dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz, dass ein Staat vorbehaltlich seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen berechtigt ist, die Bestimmungen für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in seinem Hoheitsgebiet festzulegen, und berührt die Personalhoheit des Herkunftsstaates über den betreffenden Ausländer nicht.

2. Eine Ausnahme von der Regel des § 42 Abs. 6 AuslG liegt vor, wenn ein überwiegendes Interesse des Ausländers die Überlassung des Passes erfordert und dadurch die Erfüllung und ggfs. zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers nicht gefährdet wird (hier bejaht bei der Übersendung des Reisepasses an das zuständige Generalkonsulat zur Bestellung eines Bevollmächtigten für Verwaltungsverfahren im Herkunftsstaat des Ausländers)


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

13 S 542/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Herausgabe eines Reisepasses

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Stumpe, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jaeckel-Leight und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Hartung

am 11. Juni 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. April 2000 - 16 K 925/00 - teilweise geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Reisepass des Antragstellers an das Generalkonsulat der Arabischen Republik Ägypten, Eysseneckstraße 34, 60322 Frankfurt am Main, zu übersenden. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, soweit dieses den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Herausgabe des Reisepasses betrifft, sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf DM 4.000,- festgesetzt.

Gründe:

Der Senat hat die Beschwerde lediglich insoweit zugelassen, als das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Herausgabe des Reisepasses des Antragstellers, abgelehnt hat. Die insoweit zugelassene Beschwerde ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Begründet ist die Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung lediglich insoweit, als der Antragsteller die Herausgabe seines Reisepasses zu der beim Generalkonsulat der Arabischen Republik Ägypten vorzunehmenden Bestellung eines Bevollmächtigten in steuerlichen Angelegenheiten begehrt. Soweit der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur generellen Herausgabe seines Reisepasses beantragt, hat die Beschwerde dagegen keinen Erfolg. Denn lediglich hinsichtlich der Herausgabe des Reisepasses zur Ermöglichung der Bestellung eines Steuerbevollmächtigten hat der Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf generelle Herausgabe seines von der Antragsgegnerin verwahrten Reisepasses. § 42 Abs. 6 AuslG bestimmt, dass ein Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden soll. Der Antragsteller ist im Sinne von § 42 Abs. 6 AuslG ausreisepflichtig, weil er die für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht besitzt (§ 42 Abs. 1 AuslG). Mit Verfügung vom 20.9.1999 hat die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung in Form der Aufenthaltserlaubnis/EWG und der Aufenthaltsbewilligung abgelehnt. Entgegen der Ansicht des Antragstellers bedeutet die Verwahrung seines Reisepasses durch die Antragsgegnerin keinen völkerrechtswidrigen Eingriff in die Personalhoheit seines Heimatstaates Ägypten. Dementsprechend kann dahingestellt bleiben, ob eine natürliche Person aus einem völkerrechtswidrigen Handeln von Behörden des Aufenthaltsstaates gegenüber seinem Heimatstaat - hier die nach Ansicht des Antragstellers unzulässige Entziehung des das Staatsangehörigkeitsband zum Ausdruck bringenden Reisepasses - überhaupt subjektive Rechts in dem Sinne ableiten kann, dass er die Herausgabe des von Behörden des Aufenthaltsstaates verwahrten Reisepasses unmittelbar an sich verlangen kann. Die Verwahrung des Reisepasses eines ausreisepflichtigen Ausländers, die verhindern soll, dass der betreffende Ausländer seine Ausreise oder Abschiebung aus dem Bundesgebiet durch Vernichtung oder Zurückhaltung des Reisepasses vereiteln oder verzögern kann, berührt die Personalhoheit des Herkunftsstaates des betreffenden Ausländers nicht. Denn das aus der Staatsangehörigkeit folgende Schutz- und Treueverhältnis des Ausländers zu seinem Herkunftsstaat wird von den Behörden des Aufenthaltsstaates durch die durch sachliche Interessen gerechtfertigte Verwahrung des Reisepasses nicht in Frage gestellt (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 42 AuslG, Rn. 39). Insbesondere maßen sich Behörden des Völkerrechtssubjekts Bundesrepublik Deutschland hierdurch keine eigene Personalhoheit gegenüber dem Antragsteller an. Es entspricht einem feststehenden Grundsatz des Völkerrechts, dass ein Staat, vorbehaltlich seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen, berechtigt ist, die Bestimmungen für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in seinem Hoheitsgebiet festzulegen (vgl. EGMR, Urteil vom 26.9.1997, InfAuslR 1997, 430, 432, Rn. 34 - Mehemi/Frankreich). Das Recht, über den Aufenthalt von fremden Staatsangehörigen auf dem eigenen Staatsgebiet grundsätzlich entscheiden zu können, schließt auch die Befugnis ein, Anordnungen zu treffen, die den tatsächlichen Erfolg von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sicherstellen sollen, wie durch § 42 Abs. 6 AuslG die Verwahrung des Reisepasses, und die zugleich die Personalhoheit des fremden Staates über den betreffenden Ausländer nicht verletzen. Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers gebietet es nicht, dass die Antragsgegnerin das Original des Reisepasses generell an den Antragsteller entgegen der Sollvorschrift des § 42 Abs. 6 AuslG herauszugeben hat. Seine Identität oder seine Zugehörigkeit zum ägyptischen Staatsverband kann der Antragsteller durch die Vorlage einer beglaubigten Kopie des Reisepasses, die, wie das bisherige Verfahren belegt, von der Antragsgegnerin auch ausgehändigt wird, nachweisen. Erst wenn glaubhaft gemacht ist, dass eine beglaubigte Kopie des Reisepasses im Einzelfall nicht ausreicht, kommt eine Ausnahme von der Regel des § 42 Abs. 6 AuslG in Betracht. Neben der Bestellung eines Bevollmächtigten für in Ägypten anhängige steuerliche Verwaltungsverfahren (dazu nachfolgend) hat der Antragsteller jedoch keinen Fall glaubhaft gemacht, in dem er zur Erledigung einer persönlichen Angelegenheit tatsächlich des Originals seines Reisepasses bedarf. Zwar hat der Antragsteller in Nummer 2 seiner eidesstattlichen Versicherung vom 26.3.2001 entsprechende Behauptungen aufgestellt. Er hat aber nicht substantiiert dargelegt, dass er zum Abheben von Geld von einem Konto, zum Abholen von Post beim Postamt, zur Ausstellung eines Benutzerausweises für eine Biblio- oder Videothek oder zur Verlängerung oder zum Abschluss eines Mietvertrages unbedingt das Original seines Reisepasses benötigt und eine amtlich beglaubigte Kopie des Passes nicht ausreicht.

Demgegenüber hat der Antragsteller einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin das Original seines Reisepasses herausgibt, wodurch es dem Antragsteller ermöglicht wird, bei dem für ihn zuständigen Generalkonsulat seines Heimatstaates in Frankfurt am Main einen Bevollmächtigten zu bestellen, der ihn in amtlichen Verfahren gegenüber den Steuerbehörden seines Heimatlandes vertreten kann. Aus der Formulierung "soll" in § 42 Abs. 6 AuslG folgt, dass die Ausländerbehörde das Passpapier eines ausreisepflichtigen Ausländers in der Regel in Verwahrung nehmen muss. Lediglich in Ausnahmefällen kann und muss die Behörde das Papier vorübergehend herausgeben. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn ein überwiegendes Interesse des Ausländers die Überlassung des Passes erfordert und dadurch die Erfüllung und ggfs. zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers nicht gefährdet wird (vgl. Bay VGH, Urteil vom 17.6.1997 - 10 B 97.127 -, AuAS 1997, 170 f.; GK-AuslR, § 42, Rn. 100). Im vorliegenden Fall ist eine solche besondere Konstellation, in der die Behörde das Original des Reisepasses herauszugeben hat, gegeben. Nach den Auskünften, die der Senat bei der Botschaft der Arabischen Republik Ägypten eingeholt hat, benötigt der Antragsteller für die beim Generalkonsulat vorzunehmende Bestellung eines Bevollmächtigten für die in seinem Heimatland anhängigen steuerrechtlichen Verfahren tatsächlich das Original seines Reisepasses. Auch die weitere Voraussetzung, dass die Erfüllung oder ggfs. zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers durch die Herausgabe des Originals nicht gefährdet wird, ist durch die vom Generalkonsulat ins Auge gefasste Vorgehensweise erfüllt. Nach der vom Senat beim ägyptischen Generalkonsulat eingeholten Auskunft vom 22.5.2001 wird dieses den von der Antragsgegnerin unmittelbar übersandten Reisepass nicht an den Antragsteller herausgeben, wenn dieser beim Generalkonsulat zur Bestellung des Bevollmächtigten vorstellig wird, sondern in Verwahrung nehmen. Das ägyptische Generalkonsulat hat in seinem Schreiben vom 22.5.2001 ferner mitgeteilt, dass es den bei ihm verwahrten Reisepass des Antragstellers zum Zeitpunkt seiner Ausreise auf ein inhaltlich begründetes Ersuchen der Antragsgegnerin hin an diese freigeben wird. Die Auskünfte der Botschaft und des Generalkonsulats der Arabischen Republik Ägypten und ihr sonstiges Verhalten geben dem Senat keinen Anlass zu der Annahme, diese diplomatischen Vertretungen würden den oben beschriebenen völkerrechtlichen Grundsatz, wonach jeder Staat grundsätzlich über den Aufenthalt von Ausländern und insbesondere über seine Beendigung entscheidet, missachten und eine inhaltliche Überprüfung derjenigen gegenüber dem Antragsteller verfügten aufenthaltsbeendenden Maßnahme der Antragsgegnerin oder des Landes Baden-Württemberg vornehmen, die dem vom Generalkonsulat im Schreiben vom 22.5.2001 geforderten Ersuchen um Herausgabe des Reisepasses zu Grunde liegt. Aus dem geschilderten Zweck der Regelung des § 42 Abs. 6 AuslG und den Voraussetzungen für eine Ausnahme von der in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommenden Regel ergibt sich zugleich, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Herausgabe des Originals des Reisepasses unmittelbar an sich hat. Denn die öffentlichen Interessen, die für eine Verwahrung von Reisepässen von ausreisepflichtigen Ausländern streiten, müssen auch in den beschriebenen Ausnahmefällen, in denen der Pass herauszugeben ist, nur so weit zurück stehen, wie es die Interessen des Ausländers an der Herausgabe des Reisedokuments unbedingt erfordern. Den berechtigten Interessen des Antragstellers, die ein Abweichen von der Regel des § 42 Abs. 6 AuslG erfordern, wird aber bereits dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass die Antragsgegnerin den Reisepass unmittelbar an das Generalkonsulat übersendet und dem Antragsteller damit die Bestellung eines Bevollmächtigten ermöglicht wird. Einer Herausgabe des Reisepasses an den Antragsteller bedarf es hierfür nicht. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin kann der Anspruch des Antragstellers auf Herausgabe seines Reisepasses nicht mit der Begründung verneint werden, es sei dem Antragsteller möglich und auch zumutbar, seine zu regelnden Angelegenheiten in seinem Heimatland direkt zu erledigen. In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 26.3.2001, die gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 und § 294 Abs. 1 ZPO im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu beachten ist, hat der Antragsteller vorgetragen, dass das Steuerverfahren in Ägypten noch anhängig ist und ein nachteiliger Steuerbescheid jederzeit ergehen kann. Dementsprechend ist der Antragsteller zur Wahrnehmung seiner Interessen gegenüber den ägyptischen Steuerbehörden auf die sofortige Herausgabe des Passes angewiesen und kann nicht auf einen späteren Zeitraum verwiesen werden, in dem er sich nach der Vorstellung der Antragsgegnerin wieder in seinem Heimatland befindet. Zudem ist der Zeitpunkt, in dem gegenüber dem Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen tatsächlich vollzogen werden, ungewiss. Derzeit ist noch das Hauptsacheverfahren gegen die Versagung einer Aufenthaltsgenehmigung und die Abschiebungsandrohung (Verfügung der Antragsgegnerin vom 20.9.1999) beim Verwaltungsgericht Stuttgart anhängig, in dem zwischen den Beteiligten auch die umstrittene Frage zu klären ist, ob dem Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung die Regelung des § 8 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AuslG entgegensteht. Im Hinblick auf die Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller im November 1992 mit einem von der deutschen Botschaft in Kairo ausgestellten Visum eingereist ist.

Aus der vom Antragsteller durch seine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemachten Tatsache, dass ein nachteiliger Steuerbescheid jederzeit ergehen kann, ergibt sich auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund. Auch das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung steht dem Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall nicht entgegen. Im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist eine Durchbrechung dieses Grundsatzes zulässig. Denn ein Teilerfolg in dem beim Verwaltungsgericht Stuttgart anhängigen Hauptsacheverfahren, der nach den vorstehenden Ausführungen wahrscheinlich ist, käme mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät, um dem Antragsteller noch eine rechtzeitige Bestellung eines Bevollmächtigten zu ermöglichen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 25 Abs. 2 Satz 1, § 20 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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