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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 27.11.2008
Aktenzeichen: 2 S 2223/08
Rechtsgebiete: BauGB, KAG, 16. BImSchV


Vorschriften:

BauGB § 131 Abs. 1
KAG § 33 Satz 1 Nr. 7
KAG § 38
16. BImSchV § 3
Die in einer Erschließungsbeitragssatzung getroffene Regelung, wonach Geschosse, die von der Lärmschutzanlage eine Schallpegelminderung von weniger als 3 dB(A) erfahren, bei der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands nicht berücksichtigt werden, kann ohne eine entsprechende satzungsrechtliche Anordnung nicht in der Weise gehandhabt werden, dass eine mehr als 2 dB(A) betragende Lärmminderung auf den nächsten ganzzahligen Wert aufgerundet und damit als ausreichend erachtet wird. Die in der 16. BImSchV getroffene Regelung, nach der die für die Tages- bzw. Nachtzeit geltenden Gesamtbeurteilungspegel auf ganze dB(A) aufzurunden sind, erlaubt keine andere Beurteilung.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

2 S 2223/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Erschließungsbeitrag

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 27. November 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. Juni 2008 - 3 K 1450/06 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.051 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts liegen nicht vor.

1. An der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, mit dem das Verwaltungsgericht den Klagen stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 19.1.2005 aufgehoben hat, bestehen keine ernstlichen Zweifel.

Mit dem von den Klägern angefochtenen Bescheid hat die Beklagten die Kläger zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 2.051,47 € für die erstmalige Herstellung der Lärmschutzwand im Baugebiet "Ortsetter II" herangezogen. Der Bescheid stützt sich auf die Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Lärmschutzwand entlang der Bahnlinie Waldshut/Basel im Bereich des Bebauungsplans "Ortsetter II" - Warmbach vom 9.6.1998, die das Baugebiet vor dem von der Bahnlinie ausgehenden Lärm schützen soll. Nach § 5 der Satzung bilden die von der Lärmschutzwand im Sinne von § 131 Abs. 1 S. 1 BauGB erschlossenen Grundstücke das Abrechnungsgebiet. Erschlossen sind Grundstücke, die durch die Lärmschutzwand eine Schallpegelminderung von mindestens 3 dB(A) erfahren. Der um den Gemeindeanteil verringerte und anderweitig nicht gedeckte Erschließungsaufwand wird nach § 6 Abs. 1 der Satzung auf die Grundstücke des Abrechnungsgebiets in dem Verhältnis verteilt, in dem die Nutzungsflächen der einzelnen Grundstücke zueinander stehen. Die Nutzungsfläche eines Grundstücks ergibt sich durch Vervielfachung seiner Grundstücksfläche mit einem Nutzungsfaktor. Dieser Faktor beträgt bei eingeschossiger Bebaubarkeit 1,0 und steigert sich entsprechend dem Maß der baulichen Nutzung in Zwischenschritten auf bis zu 2,0. Als Geschosszahl gilt die im Bebauungsplan festgesetzte höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse. Geschosse, die von der Lärmschutzanlage eine Schallpegelminderung von weniger als 3 dB(A) erfahren, werden bei der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands nicht berücksichtigt (§ 6 Abs. 3 S. 4 EBS). Grundstücke, auf denen keines der nach dem Bebauungsplan zulässigen Vollgeschosse durch die Lärmschutzanlage in der genannten Weise geschützt werden, nehmen damit nicht an der Verteilung des für die Errichtung der Anlage entstandenen umlagefähigen Erschließungsaufwands teil.

Zur Ermittlung der von der Lärmschutzwand erschlossenen Grundstücke sowie des Ausmaßes der auf ihnen zu verzeichnenden Lärmpegelminderung hat die Beklagte eine schalltechnische Untersuchung bei der Fa. B. eingeholt. Das Gutachten vom November 2004 hat für das Erdgeschoss des Wohnhauses der Kläger einen Beurteilungspegel ohne Lärmschutzwand von 42 db(A) bei Tag und 39 db(A) bei Nacht und für das Obergeschoss einen Beurteilungspegel von 44 db(A) bei Tag und 40 db(A) bei Nacht ermittelt. Die Beurteilungspegel mit Lärmschutzwand werden in dem Gutachten mit 40/36 dB(A) für das Erdgeschoss und 36/37 db(A) für das Obergeschoss angegeben. Die infolge der Lärmschutzwand entstehende Lärmminderung für das Wohnhaus der Kläger wird dementsprechend in dem Gutachten für das Erdgeschoss auf 2 dB(A) bei Tag und 3 dB(A) bei Nacht und für das Obergeschoss auf 3 dB(A) bei Tag und Nacht veranschlagt.

Das Verwaltungsgericht hält den angefochtenen Bescheid für rechtswidrig, da das der Berechnung zugrunde liegende Computerprogramm nach den Erläuterungen des Gutachters in der mündlichen Verhandlung so eingestellt gewesen sei, dass es die errechneten Werte der durch die Lärmschutzwand bewirkten Lärmpegelminderung bereits von 2,1 dB(A) an auf 3 dB(A) aufgerundet habe. Ob auf dem Grundstück der Kläger an dem von dem Gutachter untersuchten Aufpunkt 35 eine Lärmpegelminderung von mindestens 3 dB(A) erreicht werde, stehe deshalb nicht fest, sondern sei im Gegenteil sehr zweifelhaft. Diese Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten, da sie die objektive Beweislast für das Vorliegen der den geltend gemachten Anspruch begründenden Voraussetzungen trage.

Die dagegen erhobenen Einwendungen der Beklagten greifen nicht durch. Die Beklagte macht unter Hinweis auf eine von ihr eingeholte Stellungnahme des Gutachters geltend, dass die in der schalltechnischen Untersuchung genannten Zahlen für die Pegeldifferenz nicht gerundet seien. Eine Rundung auf ganze Zahlen sei nur bei den Ausgangswerten erfolgt, d. h. bei den für die Situation mit und ohne Lärmschutzwand errechneten Beurteilungspegeln. Die Bedenken des Verwaltungsgerichts sind mit diesem Einwand nicht ausgeräumt. Im Gegenteil: Die Beklagte hat auf die Bitte des Senats den Gutachter um eine Aufstellung ersucht, in der die errechneten Beurteilungspegel für die Situation mit und ohne Lärmschutzwand in nicht gerundeter Form aufgeführt sind. Die Beurteilungspegel ohne Lärmschutzwand betragen danach für das Wohnhaus des Klägers im Erdgeschoss 41,8 db(A) bei Tag und 38,0 db(A) bei Nacht und im Obergeschoss 43 db(A) bei Tag und 39,2 db(A) bei Nacht. Für die Situation mit Lärmschutzwand werden in der Tabelle Beurteilungspegel von 39,1/35,1 dB(A) im Erdgeschoss und 40,6/36,5 db(A) im Obergeschoss genannt. Aus diesen Werten errechnet sich für das Wohnhaus der Kläger eine infolge des Lärmschutzwalls entstehende Lärmminderung von 2,7/2,9 dB(A) im Erdgeschoss und 2,4/2,7 dB(A) im Obergeschoss. Die Vermutung des Verwaltungsgerichts hat sich damit als zutreffend erwiesen. Nach der vorgelegten Tabelle steht fest, dass durch die Lärmschutzwand keines der nach dem Bebauungsplan zulässigen Vollgeschosse auf dem Grundstück der Kläger eine Lärmpegelminderung von mindestens 3 dB(A) erfährt.

Der Umstand, dass die für das Grundstück der Kläger errechnete Lärmpegelminderung weniger als 3 dB(A) beträgt, wäre allerdings unschädlich, wenn die Satzung der Beklagten es gestattete, die errechneten Lärmminderungswerte auf ganze Zahlen aufzurunden, wie dies sowohl der Gutachter als auch die Beklagte für richtig halten. Das ist jedoch nicht der Fall. Als von der Lärmschutzwand erschlossen bezeichnet § 5 S. 2 der Satzung Grundstücke, die durch die Lärmschutzwand eine Schallpegelminderung von mindestens 3 dB(A) erfahren. Das steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (u. a. Urt. v. 23.6.1995 - 8 C 20.93 - BVerwGE 99, 18; Urt. v. 19.8.1988 - 8 C 51.87 - BVerwGE 80, 99) und des Senats, wonach der durch Lärmschutzanlagen vermittelte erschließungsbeitragsrechtlich relevante Sondervorteil in dem durch eine solche Anlage bewirkten Schutz besteht, nämlich in der Verminderung von Lärm, der die Ausnutzbarkeit der betroffenen Grundstücke negativ beeinflusst. Diese Lärmminderung muss merkbar sein, d. h. mindestens 3 dB(A) betragen. Grundlage dafür ist, dass geringere Veränderungen der Geräuschsituation nach allgemeinen Erkenntnissen der Akustik vom menschlichen Ohr nicht oder kaum wahrgenommen werden können (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.3.2008 - 3 C 18.07 - NJW 2008, 2867; Urt. v. 22.5.1987 - 4 C 33.83 - BVerwGE 77, 285; Urt. v. 19.8.1988 - 8 C 51.87 - aaO). In Übereinstimmung hiermit betrachtet § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 16. BImSchV eine Lärmzunahme u.a. dann als wesentlich, wenn der Beurteilungspegel des Verkehrslärms um mindestens 3 dB(A) erhöht wird.

Die Verteilungsregelung in § 6 der Satzung der Beklagten beruht auf der gleichen Überlegung. Die dort vorgenommenen Differenzierungen berücksichtigen, dass das Ausmaß der Vorteile, die den einzelnen durch eine Lärmschutzanlage erschlossenen Grundstücken vermittelt wird, abhängig ist vom Ausmaß der zugunsten dieser Grundstücke bewirkten Schallpegelminderungen. Der Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit verlangt deshalb, dass bei der Aufwandsverteilung für eine Lärmschutzanlage erheblich unterschiedlichen Schallpegelminderungen angemessen Rechnung zu tragen ist (BVerwG, Urt. v. 23.6.1995 - 8 C 18.94 - NVwZ 1996, 403). Als in diesem Sinne erheblich betrachtet die Satzung der Beklagten Unterschiede von jeweils 3 dB(A).

In § 6 Abs. 3 S. 4 der Satzung der Beklagten ist dementsprechend bestimmt dass Geschosse, die von der Lärmschutzanlage eine Schallpegelminderung von weniger als 3 dB(A) erfahren, bei der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands nicht berücksichtigt werden. Die mit Hilfe einer exakten mathematischen Größe getroffene Aussage dieser Vorschrift ist unmissverständlich. Schallpegelminderungen von 2,4 dB(A) bis 2,9 dB(A), wie sie im Fall des Grundstücks der Kläger zu verzeichnen sind, betragen weniger als 3 dB(A) und sind somit nach der Regelung in § 6 Abs. 3 S. 4 EBS nicht ausreichend. Der Umstand, dass sich die Wirkung des Lärms auf den Menschen mit einem bestimmten Lärmwert nur unvollkommen erfassen lässt, vermag entgegen der Ansicht der Beklagten kein anderes Ergebnis zu begründen. Ohne eine entsprechende satzungsrechtliche Anordnung ergibt sich daraus keine Rechtfertigung, alle über 2 dB(A) liegenden Werte auf den nächsthöheren ganzzahligen Wert aufzurunden.

Die Berechtigung zu einem solchen Vorgehen lässt sich auch nicht aus der 16. BImSchV herleiten. Die auf der Ermächtigung in § 43 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG beruhende 16. BImSchV verfolgt in Übereinstimmung mit den §§ 1 und 41 Abs. 1 BImSchG das Ziel, den Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche beim Bau oder der wesentlichen Änderung von öffentlichen Straßen sowie von Schienenwegen der Eisenbahnen und Straßenbahnen sicherzustellen. Die Verordnung legt dazu bestimmte Immissionsgrenzwerte fest, die durch den Beurteilungspegel der von dem betreffenden Verkehrsweg ausgehenden Geräusche nicht überschritten werden dürfen, und bestimmt das Verfahren zur Ermittlung dieser Beurteilungspegel. Die 16. BImSchV steht damit entgegen der Ansicht der Beklagten nicht in der Normenhierarchie über ihrer Satzung, da diese nicht den Bau oder die wesentliche Änderung von Straßen oder Schienenwegen zum Gegenstand hat, sondern die Frage regelt, welche Grundstücke von der in der Satzung bezeichneten Lärmschutzanlage erschlossen sind und wie der umlagefähige Erschließungsaufwand auf die erschlossenen Grundstücke zu verteilen ist.

Der auf den Bau oder die wesentliche Änderung von Straßen oder Schienenwegen beschränkte Anwendungsbereich der 16. BImSchV schließt allerdings nicht aus, im Zusammenhang mit den von der Satzung der Beklagten geregelten Fragen und der dadurch erforderlichen Ermittlung der durch die Lärmschutzwand bewirkten Lärmpegelminderung auf das in den Anlagen zu dieser Verordnung beschriebene und in § 3 S. 1 16. BImSchV für verbindlich erklärte Berechnungsverfahren zurückzugreifen. Das gilt jedoch nicht für die in beiden Anlagen enthaltene Regelung, nach der die für die Tages- bzw. Nachtzeit geltenden Gesamtbeurteilungspegel bzw. im Falle des § 1 Abs. 2 Nr. 2 16. BImSchV die Differenz des Beurteilungspegels auf ganze dB(A) aufzurunden sind. Die Regelung hat im Zusammenhang mit der oben erwähnten Bestimmung in § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 16. BImSchV zur Folge, dass bereits die rechnerische Erhöhung des von dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärms um 2,1 dB(A) genügt, um eine wesentliche Änderung im Sinn des § 1 Abs. 1 16. BImSchV und damit die Anwendbarkeit dieser Verordnung und des in ihr enthaltenen Schutzkonzepts zu bejahen. Es handelt sich folglich um eine für die von dem Verkehrslärm Betroffenen begünstigende Regelung, die ihre Rechtfertigung in dem mit der 16. BImSchV bezweckten Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen findet. Auf das ganz andere Ziele verfolgende Erschließungsbeitragsrecht lässt sich diese Regelung nicht übertragen, zumal sie sich in diesem Bereich nicht zu Gunsten, sondern zu Lasten des Bürgers auswirkte.

2. Die Rechtssache besitzt auch keine grundsätzliche Bedeutung. Die in der Begründung des Zulassungsantrags formulierte Frage, ob die in einer Erschließungsbeitragssatzung zur Begründung der Erschließungswirkung des Grundstücks vorgegebene Lärmpegelminderung nach den Vorgaben der 16. BImSchV unter Berücksichtigung der dort vorgeschriebenen Rundungen zu erfolgen hat, kann mit Hilfe der allgemein anerkannten Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden. Zu ihrer Klärung bedarf es daher nicht erst der Durchführung eines Berufungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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