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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 29.10.2008
Aktenzeichen: 3 S 1318/07
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 1 Abs. 10
§ 1 Abs. 10 BauNVO ermöglicht zur Sicherung des vorhandenen Bestandes die (anlagenbezogene) Zulassung einer gebietsfremden Nutzung, bietet aber keine Handhabe zur Korrektur der Festsetzungen eines Bebauungsplans hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksflächen.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

3 S 1318/07

In der Normenkontrollsache

wegen Gültigkeit der "2. Ortsbauplanänderung Korntal, im Bereich zwischen Friederich-, Martin-Luther-, Heim-, Wilhelm-/Charlottenstraße"

hat der 3. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 2008 für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bebauungsplan "2. Ortsbauplanänderung Korntal - Bereich zwischen Friederich-, Martin-Luther-, Heim- und Charlotten-/Wilhelmstraße" der Stadt Korntal-Münchingen vom 17. Juli 2006 wird für unwirksam erklärt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich gegen die Änderung eines Ortsbauplans der Antragsgegnerin.

Die Antragsteller sind Eigentümer der Grundstücke XXXXX XXXXX XX, XXX, XX und XX im Stadtteil Korntal der Antragsgegnerin. Auf dem Grundstück der Antragstellerin Ziff. 1 (Flst.-Nrn. 321), befinden sich ein Einfamilienhaus (XXXXXXX XXXX XX) sowie gewerblich genutzte bauliche Anlagen, hierunter u.a. ein Kfz-Reparaturbetrieb, ein Fotolabor sowie die Lagerhalle eines Gipser- und Stuckateurbetriebs. Der Antragsteller Ziff. 2 ist Grundstückeigentümer und Betreiber eines Elektroinstallationsbetriebs auf dem Grundstück XXXXXX XXXXX XX (Flst.-Nr. 288). Auf dem Grundstück befinden sich ferner ein Heizungsgeschäft und ein Ladengeschäft für Sicherheitstechnik. Auf dem Grundstück der Antragstellerin Ziff. 3, XXXXXX XXXXXX XX (Flst.-Nr. 286), betreibt diese einen Malerbetrieb. Die Grundstücke der Antragsteller liegen im Geltungsbereich der aus dem Jahr 1925 datierenden Ortsbausatzung Korntal. Nach dieser waren "Hintergebäude generell zu vermeiden" und bestimmte Gebäude und Grenzabstände einzuhalten. Die Ortsbausatzung wurde im Jahr 1957 geändert. Diese "1. Ortsbauplanänderung entlang der Ditzingerstraße zwischen Charlotten- und Martin-Luther-Straße" bezweckte im Wesentlichen, dass auf den Grundstücken beidseits der XXXXXXXX XXXXXX (damalige XXXXXXXstraße) "Wohnbebauung nur im Zusammenhang mit gewerblichen Betrieben" zulässig sein sollte. Zur Förderung der Mischgebietsentwicklung wurden die in der Ortsbausatzung 1925 dargestellten Bauverbotsflächen beidseits der XXXXXX XXXXXX getilgt und als Bauflächen ausgewiesen. Ferner enthielt die 1. Ortsbauplanänderung die Festsetzung von Baulinien, Vorgartenbereichen und Bauverboten in den "Blockinnenbereichen", Angaben zur Bauweise und Dachneigung sowie zu den einzuhaltenden Abständen.

Die 1. Ortsbauplanänderung hatte zur Folge, dass sich vier bereits ansässige Handwerksbetriebe auf ihren Grundstücken weiter entwickeln konnten. Im Übrigen ließ sich das mit der 1. Ortsbauplanänderung verfolgte Ziel nicht verwirklichen; namentlich fanden zusätzliche Betriebsansiedlungen in dem Plangebiet nicht statt. Vielmehr führte die Zulassung weiterer Wohnbauvorhaben in der Folgezeit dazu, dass die noch ansässigen Handwerksbetriebe zunehmend einen Fremdkörper darstellten und es vermehrt zu Beschwerden wegen des Werkstattlärms kam. Die - hier in Rede stehende - 2. Ortsbauplanänderung verfolgt das Ziel eines Kompromisses zwischen dem heute noch vorhandenen Gartencharakter des Gebiets und einer möglichen weiteren Wohnbebauung. Während eine Überbauung der "grünen Lungen" im Baublockinneren grundsätzlich aus ökologischen, insbesondere stadtklimatischen Gründen unerwünscht ist, soll im Übrigen der Wohnbauentwicklung in dem Gebiet Vorrang eingeräumt werden (vgl. Begründung zum Bebauungsplan, Seite 11 und 12). Nicht störende Handwerksbetriebe und sonstige mit der Wohnnutzung vereinbare Gewerbebetriebe sollen jedoch weiterhin zulässig bleiben.

Der 2. Ortsbauplanänderung liegt im Wesentlichen folgendes Verfahren zugrunde: Am 23.03.2000 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin die Änderung des Ortsbauplans Korntal im Bereich zwischen Friederich-, Martin-Luther-, Heim- und Charlotten-/Wilhelmstraße und die Durchführung einer Lärmuntersuchung in diesem Bereich. Der Aufstellungsbeschluss wurde am 06.04.2000 im Amtsblatt öffentlich bekannt gemacht. Am 20.04.2000 fand im Rahmen der vorgezogenen Bürgerbeteiligung eine öffentliche Anhörung statt; die Träger öffentlicher Belange wurden Ende März 2000 erstmals schriftlich angehört. Während seitens des Gewerbeaufsichtsamtes aus "immissionsschutzrechtlicher Sicht" keine Bedenken angemeldet wurden, regte die Handwerkskammer an, den Bereich, in dem auf den Grundstücken der Antragsteller die vier Handwerksbetriebe liegen, als Mischgebiet auszuweisen, da die Betriebe in einem Allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig seien. Ferner wurde für die vorhandenen Handwerksbetriebe eine Festsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO angeregt. In der Folgezeit legte das Ingenieurbüro XXXXX + XXXXX eine schalltechnische Stellungnahme vor. In seiner Sitzung vom 03.05.2001 billigte der Gemeinderat der Antragsgegnerin den vorliegenden Bebauungsplanentwurf des Stadtbauamts mit Textteil vom 28.02./30.03.2001 und beschloss die öffentliche Auslegung sowie die Unterrichtung der Träger öffentlicher Belange. Mit Schreiben vom 16.05.2001 und vom 23.08.2001 regten Handwerkskammer und Gewerbeaufsichtsamt an, die Bereiche, in denen Handwerksbetriebe ansässig seien, als Mischgebiet auszuweisen, und hinsichtlich des Bestandes der Betriebe eine Festsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO zu treffen. Die Antragstellerin Ziff. 1 machte mit Schreiben vom 18.07.2001 Einwendungen gegen die Festsetzung der Gebietsart "WA" geltend. Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 14.08.2001 mit, es sei beabsichtigt, zugunsten der Antragstellerin Ziff. 1 im Bebauungsplan einen objektbezogenen erweiterten Bestandsschutz festzusetzen. Am 27.09.2001 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin die erneute öffentliche Auslegung des geänderten Bebauungsplanentwurfs, der nunmehr auch eine Regelung des erweiterten Bestandsschutzes nach § 1 Abs. 10 BauNVO für die Grundstücke XXXXX XXXX XX, XXX, XX und XX beinhaltete. Die Handwerkskammer begrüßte den neuerlichen Entwurf mit Schreiben vom 16.10.2001 und auch das Gewerbeaufsichtsamt verzichtete auf weitere Anregungen. Hingegen machte die Antragstellerin Ziff. 1 geltend, die Festsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO reiche nicht aus; auch Nutzungsänderungen und Erweiterungen im Rahmen der bestehenden Gebäude müssten bei Einhaltung der Immissionsrichtwerte möglich bleiben. Entsprechende Einwendungen erhoben auch die Eigentümer der Grundstücke XXXXXXXX XXXX XX und XX. Nachdem mit den Einwendern Einigungsgespräche stattgefunden hatten, billigte der Gemeinderat einen wiederum geänderten Bebauungsplanentwurf und beschloss die erneute Auslegung desselben sowie die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange. Die Antragsteller erhoben auch gegen den neuerlichen Entwurf Einwendungen. Nach einer weiteren Modifikation der Regelung über den erweiterten Bestandsschutz folgte eine weitere - vierte - öffentliche Auslegung und Trägerbeteiligung. Auch hierbei erhoben die Antragsteller Einwendungen. In seiner Sitzung vom 06.07.2006 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin, in den Bebauungsplan für durch höhere Gewalt untergegangene Gebäude eine Wiedererrichtungsklausel aufzunehmen. Sodann beschloss er den Bebauungsplan "2. Ortsbauplanänderung Korntal, Bereich zwischen Friederich-, Martin-Luther-, Heim-, Charlotten-/Wilhelmstraße mit Öffentlichen Bauvorschriften" als Satzung. Dem Beschluss widersprach der Bürgermeister der Antragsgegnerin mit Schreiben an die Gemeinderäte vom 11.07.2006 und führte zur Begründung aus, die beschlossene Wiedererrichtungsklausel sei gesetzwidrig, da weder das Baugesetzbuch noch die Baunutzungsverordnung zu einer entsprechenden Festsetzung ermächtigten. In seiner Sitzung vom 17.07.2006 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin den Bebauungsplan "2. Ortsbauplanänderung Korntal, Bereich zwischen Friederich-, Martin-Luther-, Heim-, Charlotten-/Wilhelmstraße" ohne Wiedererrichtungsklausel als Satzung. Der Satzungsbeschluss wurde am 20.07.2006 im Amtsblatt der Antragsgegnerin öffentlich bekannt gemacht.

Die im Streit stehende "2. Ortsbauplanänderung Korntal" setzt für die Grundstücke der Antragsteller Ziff. 2 und 3 ein Besonderes Wohngebiet (WB1) fest. Für das Grundstück der Antragstellerin Ziff. 1 enthält er eine geteilte Festsetzung der Nutzungsart: Während der straßenseitige, mit einem Wohnhaus bebaute Grundstücksteil (XXXXXX XXXX XX) ebenfalls als Besonderes Wohngebiet (WB1) ausgewiesen ist, setzt der Bebauungsplan für den hinteren (nördlichen) Grundstücksteil ein Allgemeines Wohngebiet (WA1) fest. Die auf den Grundstücken der Antragsteller errichteten Gebäude befinden sich teilweise außerhalb der durch den Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen. Im Hinblick auf die bestehende gewerbliche Nutzung auf den Grundstücken der Antragsteller trifft der Bebauungsplan unter 1.1.4 (WB1) folgende textliche Festsetzung:

"Für die Zulässigkeit von Nutzungen gelten die für "Besonderes Wohngebiet WB" getroffenen Bestimmungen. Zusätzlich gilt erweiterter Bestandsschutz. Gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO sind auf den Flurstücken 286 und 288 sowie auf dem vorderen Grundstücksteil von Flurstück 321 Änderungen und Erneuerungen der bestehenden Anlagen und Nutzungen (einschl. Gebäuden) im nachstehend beschriebenen Umfang zugelassen:

Zugelassen sind Erweiterungen und Änderungen der Nutzung, soweit sie der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des geänderten Bebauungsplans verwirklichten Nutzung der Grundstücke dienen. Durch Änderungen dürfen die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplanes im Plangebiet zugelassenen Immissionen nicht überschritten werden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Lärmimmissionen, die im Einwirkungsbereich die bis zur vorliegenden Änderung des Bebauungsplanes geltenden Grenzwerte nicht überschreiten dürfen. Erweiterungen der baulichen Anlagen können ausnahmsweise zugelassen werden, wenn die Erweiterung ausschließlich der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung des Bebauungsplanes ausgeübten Nutzung dient und keine Betriebsführung zur Folge hat, nach der die dem Betrieb zuzurechnenden Lärmimmissionen stärker als 2,0 dB(A) zunehmen (erweiterter Bestandsschutz). Zulässig sind im bestehenden Gebäudebestand bauliche Anpassungsmaßnahmen, die infolge der Erneuerung der zum bestehenden Betrieb erforderlichen technischen Anlagen unerlässlich sind.

Nutzungsänderungen, die das Wohnen nicht wesentlich stören (z.B. Maler-, Schreiner-, Bürobetrieb) sind im Rahmen des vorhandenen Gebäudebestandes zulässig."

Eine nahezu textgleiche Festsetzung findet sich für das im nördlichen Grundstücksteil des Flurstücks 321 festgesetzte Allgemeine Wohngebiet WA1 (vgl. Ziff. 1.1.2 des Bebauungsplans). Zu der Festsetzung des erweiterten Bestandsschutzes auf den Grundstücken der Antragsteller heißt es in der Begründung des Bebauungsplans (dort S. 14 und 15):

"Um den derzeit vorhandenen gewerblichen Anlagen und Nutzungen -XXXXX XXXX XX u. XX X: Kfz-Reparaturwerkstatt und Lagerhalle eines

Möbelhauses, mit Werkstatt

XXXXXXXX XXXXXX XX: Schreinerei

XXXXXXXX XXXXXX XX: Gewerbebetrieb Maler, Laden

Rechtssicherheit für ihre wirtschaftliche Entwicklung zu geben, wird "erweiterter Bestandsschutz" gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO festgesetzt. Dieses ist mit der planerischen Grundkonzeption insofern vereinbar, als sich nach Auskunft des Gewerbeaufsichtsamts der Störgrad dieser gewerblichen Betriebe auf das Niveau eines Mischgebietes ("das Wohnen nicht wesentlich störende Betriebe" gem. § 6 BauNVO) beschränkt. Aufgrund der z.T. gewachsenen Nachbarschaft mit der angrenzenden Wohnbebauung bezieht sich der "erweiterte Bestandsschutz" auf den Erhalt und die Sicherung der Betriebsart und den Immissionsumfang (siehe Textteil Ziffern 1.1.2 und 1.1.4). Mit dieser Festsetzung soll zugleich dem Verschlechterungsverbot entsprochen werden.

Ziel des Bebauungsplan-Entwurfs ist es darüber hinaus, mit dem Instrument des "erweiterten Bestandsschutzes" eine Lösung zu erreichen, die sowohl die Entwicklungsabsichten der Gewerbetriebe auf Änderungen und Nutzungsänderungen (auch im außerhalb der überbaubaren Flächen vorhandenen Gebäudebestand) als auch den erforderlichen Schutz der Nachbarschaft in ausreichender Weise gewährleistet. Dieses Ziel ist in Gemengelagen i.d.R. nur bei Beachtung der gegenseitigen Rücksichtnahme möglich. Nutzungsänderungen, die das Wohnen nicht wesentlich stören (z.B. Maler, Schreinerei, Bürobetrieb) sind deshalb im vorhandenen Gebäudebestand zulässig.

Wird ein außerhalb der Baugrenzen stehender Gebäudeteil durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstört, kann dieser außerhalb der Baugrenzen stehende Gebäudeteil nicht wieder errichtet werden. Soweit damit im einzelnen Fall eine offenbar nicht beabsichtigte Härte, wie beispielsweise die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des betroffenen Grundstückseigentümers verbunden ist, kann im Einzelfall und zwar im Einvernehmen mit der Gemeinde (§ 36 Abs. 1 BauGB) gemäß § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes erteilt werden, soweit der zur Errichtung vorgesehene Bau nach der besonderen Eigenart des Gebiets mit der Wohnnutzung vereinbar ist."

Die Antragsteller haben am 08.06.2007 das Normenkontrollverfahren eingeleitet. Zur Begründung ihres Antrags führen sie aus, der Bebauungsplan verstoße gegen das Abwägungsgebot, weil er keine umfassende Wiedererrichtungsklausel für den Fall des Untergangs der Betriebe auf ihren Grundstücken enthalte. Ihnen würde ein Untergang der vornehmlich außerhalb der Baugrenzen errichteten Betriebsgebäude ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage entziehen. Das Planungsziel der Antragsgegnerin - Stärkung der Wohnnutzung und Durchgrünung des Plangebiets - lasse sich auf absehbare Zeit nicht verwirklichen, denn sie planten keine Betriebsaufgabe. Hinzu komme, dass der Plan selbst sein Planungsziel beeinträchtige. Denn die textlichen Festsetzungen ermöglichten sogar Erweiterungen der bestehenden Betriebe. Dies laufe dem Planungsziel der Durchgrünung zuwider. Nicht hinreichend berücksichtigt worden sei die Wertminderung der Grundstücke durch den Bebauungsplan, weil deren bauliche Ausnutzbarkeit gegenüber dem früheren Zustand eingeschränkt worden sei. Außerdem sei die Tauglichkeit der Grundstücke als Beleihungsobjekte beschränkt. Die Antragsgegnerin sei ferner zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Wiedererrichtungsklausel zu einer Ungleichbehandlung der Planbetroffenen führe. Im Übrigen verstoße der Bebauungsplan gegen das Gebot der Konfliktbewältigung, indem er auf ein Befreiungsverfahren nach § 31 Abs. 2 BauGB verweise, zumal eine Befreiung regelmäßig (nur) im Ermessen der Baurechtsbehörde stehe und die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB für eine Befreiung schon tatbestandlich nicht vorliegen dürften.

Die Antragsteller beantragen,

den Bebauungsplan "2. Ortsbauplanänderung Korntal - Bereich zwischen Friederich-, Martin-Luther-, Heim- und Charlotten-/Wilhelmstraße" der Stadt Korntal-Münchingen vom 17. Juli 2006 für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Sie führt aus, der formell einwandfrei zustande gekommene Bebauungsplan sei auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Namentlich liege ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) nicht vor. Die Antragsgegnerin habe das Interesse der Antragsteller an der gewerblichen Nutzung ihrer Grundstücke erkannt und diesem Interesse durch die Festsetzung der Nutzungsart und eines erweiterten Bestandsschutzes Rechnung getragen. Die in dem Bebauungsplan enthaltene Festsetzung der Nutzungsart werde aufgrund der Festsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO gegenüber den Antragstellern lediglich für den Fall des Untergangs der gewerblichen baulichen Anlagen durchgesetzt. In einem solchen Fall stehe der Gewerbetreibende vor einer neuen Standortentscheidung; diese Situation rechtfertige den Vorrang der Verwirklichung der Ziele des Bebauungsplans und das Zurückstellen des Interesses der Antragsteller. Die auf den Grundstücken der Antragsteller errichteten baulichen Anlagen beeinträchtigten das Planungsziel der Durchgrünung und der Erhaltung der "Grünen Lungen" zum Wohle des künftig überwiegend für die Wohnbebauung bestimmten Gebiets. Insofern treffe die Behauptung der Antragsteller nicht zu, dass es sich bei der gewerblichen Nutzung nur um eine geringe Beeinträchtigung handele. Der Gemeinderat habe einen Ausgleich schaffen wollen zwischen der Verwirklichung der Planziele und der Beachtung der Interessen der Antragsteller. Dass existente Betriebe Bestandsschutz genössen und zielwidrig weiter genutzt werden dürften, mache die Planung nicht rechtswidrig. Die Antragsteller hätten grundsätzlich keinen Anspruch auf Beibehaltung der bauplanungsrechtlichen Gegebenheiten und auf dauerhaften Erhalt der bestehenden Nutzungsmöglichkeiten. Im Übrigen sei es sehr zweifelhaft, dass der Grundstückswert durch die Planung erheblich gemindert werde, denn das Gebiet erfahre durch den Bebauungsplan insgesamt eine Aufwertung. Indem die Antragsteller nunmehr geltend machten, durch die Regelung zum erweiterten Bestandsschutz werde die Verwirklichung der Planziele ausgeschlossen, hielten sie der Antragsgegnerin vor, dass diese ihrem Petitum insoweit gefolgt und ihnen entgegen gekommen sei. Dabei übersähen die Antragsteller, dass der weitgehende Schutz der Eigentümerinteressen den Plangeber nicht verpflichte, perspektivisch in dem Gebiet eine von Gewerbebetrieben unbelastete Wohnbebauung vorzusehen. Eine Ungleichbehandlung zulasten der Antragsteller liege nicht vor. Schließlich treffe nicht zu, dass ein bestehender Konflikt auf der Ebene der Bauleitplanung unbewältigt in ein späteres Befreiungsverfahren verschoben worden sei. Anders als die Antragsteller meinten, könne das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht von vornherein verneint werden. Es bleibe vielmehr der konkreten Bauantragssituation überlassen, ob eine im Einzelfall bestehende Härte aufgrund Existenzgefährdung durch entsprechende bauliche Gestaltungsmöglichkeiten ausgeglichen werden könne. Für die von den Antragstellern geforderte Wiedererrichtungsklausel gebe es im geltenden Baurecht keine Ermächtigungsgrundlage, denn § 1 Abs. 10 BauNVO gestatte nur die Sicherung gebietsfremder Nutzungen, nicht aber die gebietsfremde Festlegung der überbaubaren Grundstücksfläche.

Dem Senat liegen die Planungsakten der Antragsgegnerin vor. Auf sie, auf die zwischen den Beteiligten im Normenkontrollverfahren gewechselten Schriftsätze und Urkunden sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthaften und fristgerecht gestellten Normenkontrollanträge sind zulässig, insbesondere sind die Antragsteller, deren Grundstücke im Plangebiet liegen und die durch den angegriffenen Bebauungsplan nachteilig betroffen werden, im Sinne des § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt.

Die Anträge sind auch begründet, denn der Bebauungsplan ist in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft und kann daher keinen Bestand haben.

Im Blick auf das Bebauungsplanverfahren unterliegt der angegriffene Bebauungsplan allerdings keinen Bedenken. Einwendungen haben die Antragsteller insoweit nicht erhoben, auch für den Senat sind Verfahrensfehler - soweit sie ohne eine entsprechende Rüge der Antragsteller im Blick auf die Planerhaltungsvorschriften überhaupt der Prüfung zugänglich wären - nicht ersichtlich.

In materiell-rechtlicher Hinsicht besteht kein Zweifel an der Erforderlichkeit der Planung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Die Gemeinden haben nach dieser Vorschrift Bauleitpläne aufzustellen, sobald (Zeitpunkt) und soweit (sachlicher und räumlicher Umfang) es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Aus dem Erforderlichkeitsmerkmal lässt sich indes nicht ableiten, dass bauplanerische Festsetzungen nur zulässig sind, wenn sie zur Bewältigung einer bauplanungsrechtlichen Problemlage unentbehrlich oder gar zwingend geboten sind. Zur Planung befugt ist die Gemeinde vielmehr schon dann, wenn sie hierfür hinreichend gewichtige städtebauliche Belange ins Feld führen kann. Welche städtebaulichen Ziele die Gemeinde sich setzt, liegt dabei in ihrem planerischen Ermessen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.05.1999 - 4 BN 15.99 -, NVwZ 1999, 1338 m.w.N.). Die Antragsgegnerin beabsichtigt mit der hier in Rede stehenden 2. Ortsbauplanänderung die Anpassung der bauplanungsrechtlichen Situation an die tatsächlichen Gegebenheiten in dem Gebiet und will dem dort bestehenden Bedarf nach der Wohnnutzung dienenden Vorhaben Rechnung zu tragen. Dieses - nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB anzuerkennende - städtebauliche Konzept wird ergänzt durch die städtebauliche Zielsetzung (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 Nr. 1 BauGB) nach einem Erhalt der "grünen Lungen" im Baublockinneren und der Beibehaltung des dort noch vorhandenen Gartencharakters. An der Erforderlichkeit des Bebauungsplans zu zweifeln besteht somit kein Anlass. Namentlich entfällt die Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht schon dann, wenn die Betroffenen - wie es auch hier der Fall ist - geltend machen, die Planung sei aufgrund des Bestandsschutzes einzelner baulicher Anlagen punktuell in absehbarer Zeit nicht vollständig realisierbar. Maßgeblich ist insoweit allein, ob die tatsächlichen Verhältnisse derart massiv und offenkundig vom Planinhalt abweichen, dass die Festsetzung bei einer auf den Gesamtgeltungsbereich des Bebauungsplans bezogenen Betrachtung ungeeignet ist, die städtebauliche Entwicklung noch in eine bestimmte Richtung zu steuern (Urteil des Senats vom 07.12.1998 - 3 S 3113/97 -, VBlBW 1999, 174). Von dergleichen kann hier nicht die Rede sein.

Die für die Grundstücke der Antragsteller geltenden Festsetzungen WA1 (Ziff. 1.1.2 der textlichen Festsetzungen) und WB1 (Ziff. 1.1.4 der textlichen Festsetzungen) verstoßen jedoch gegen das Bestimmtheitsgebot, denn ihr näherer Inhalt lässt sich im Hinblick auf das zulässige Immissionsniveau auch unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und des erkennbaren Willens des Normgebers nicht erschließen (vgl. zu den Anforderungen: BVerwG, Beschluss vom 24.01.1995 - 4 NB 3.95 -, DÖV 1995, 822; Ziegler, in: Brügelmann, Baugesetzbuch, Band 6, § 1 BauNVO RdNr. 260). Die Festsetzungen sind - soweit sie im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis zu beanstanden sind - wie folgt gefasst:

"Durch Änderungen dürfen die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplanes im Plangebiet zugelassenen Immissionen nicht überschritten werden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Lärmimmissionen, die im Einwirkungsbereich die bis zur vorliegenden Änderung des Bebauungsplanes geltenden Grenzwerte nicht überschreiten dürfen."

Diese Formulierung ermöglicht es den Normunterworfenen nicht zu erkennen, welchen lärmbezogenen Anforderungen die von der Festsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO begünstigen baulichen Anlagen genügen müssen. Denn "die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplanes im Plangebiet zugelassenen Immissionen" sind in dem Bebauungsplan weder bestimmt festgelegt noch sind sie nach den oben genannten Maßgaben bestimmbar. Der bisherige Ortsbauplan hatte auf die Festsetzung einer Nutzungsart ebenso verzichtet wie auf die Festsetzung von Schallleistungspegeln und lärmbezogenen Grenz- oder Orientierungswerten. Auch wenn nach heutigen Maßstäben manches dafür sprechen mag, dass die Festsetzung "Wohnbebauung nur im Zusammenhang mit gewerblichen Betrieben" einer mischgebietstypischen Nutzung nahe kommen dürfte, lässt sich diese Bauvorschrift nicht dahingehend auslegen, dass im Plangebiet bislang Immissionen wie in einem Mischgebiet zulässig waren, zumal die tatsächliche vorhandene Nutzung der in der 1. Ortsbauplanänderung im Jahre 1957 festgesetzten Bebauung nach den Feststellungen in dem angegriffenen Plan schon bislang nicht entsprochen hat. Der planbetroffene Grundstückseigentümer hat daher keinerlei Anhaltspunkt für die bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplanes im Plangebiet zugelassenen Immissionen. Auch die Begründung des Bebauungsplans oder sonst für dessen Auslegung maßgebliche Unterlagen verhalten sich zur Frage des bislang zugelassenen Immissionsniveaus nicht. Ein Rückgriff auf Anlagengenehmigungen (z.B. Baugenehmigungen) verbietet sich angesichts der Fassung der Festsetzung, die unmissverständlich an ein gebietsbezogenes Immissionsniveau anknüpft. Der von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur Beschluss vom 24.01.1995, a.a.O.) für maßgeblich gehaltene erkennbare Wille des Normgebers ist somit unklar, den aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Bestimmtheitsanforderungen damit nicht genügt.

Denkbar wären - soweit eine Anknüpfung an ein vorhandenes Immissionsniveau Gegenstand der Festsetzung sein soll - gebietsbezogene und anlagenbezogene Regelungen, wobei hinsichtlich etwaiger gebietsbezogener Regelungen hier wohl auch der Klarstellung bedürfte, ob an das Immissionsniveau angeknüpft werden soll, das mit der im Ortsbauplan festgesetzten - aber so nicht vorhandenen - Nutzung ("Wohnbebauung nur im Zusammenhang mit gewerblichen Betrieben") im Einklang steht oder an jenes, das der faktischen Bebauung (ganz überwiegend Wohnnutzung) im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans entspricht. Im Hinblick auf die Bestimmtheit entsprechender Festsetzungen dürfte sich auch die eindeutige Bezugnahme auf das ihr zugrunde liegende technische Regelwerk und die begriffliche Differenzierung von Grenz-, Richt- oder Orientierungswerten empfehlen. Die Anknüpfung an anlagenspezifische Genehmigungen (z.B. Baugenehmigungen), in denen Lärmgrenzwerte festgesetzt sind, hätte demgegenüber den Vorzug der Kongruenz der anlagenbezogenen Festsetzung im Bebauungsplan mit etwaigen anlagenbezogenen Legalisierungsakten. Der durch die Genehmigung vermittelte Bestandsschutz könnte auf diese Weise in die Bauleitplanung überführt werden, was dem Grundanliegen des § 1 Abs. 10 BauNVO am ehesten entsprechen dürfte. Die vorliegend gewählte Formulierung entspricht aber - dies hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt - den Bestimmtheitsanforderungen nicht.

Die zugunsten der Antragsteller getroffenen Festsetzungen stehen jedenfalls teilweise auch mit der Ermächtigungsgrundlage des § 1 Abs. 10 BauNVO nicht im Einklang. Nach dieser Vorschrift kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen dieser Anlagen allgemein zulässig sind oder ausnahmsweise zugelassen werden können, wenn in überwiegend bebauten Gebieten bestimmte vorhandene bauliche und sonstige Anlagen bei Festsetzung eines Baugebiets nach den §§ 2 bis 9 BauNVO unzulässig wären (Satz 1). Im Bebauungsplan können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden (Satz 2). Die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets muss in seinen übrigen Teilen gewahrt bleiben (Satz 3). Die Sätze 1 bis 3 gelten auch für die Änderung und Ergänzung von Bebauungsplänen (Satz 4).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschlüsse vom 11.05.1999 - 4 BN 15.99 -, BRS 62 Nr. 19, und vom 06.05.2002 - 4 BN 11.02 -, BRS 65 Nr. 41) steht § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO in einem sachlichen Zusammenhang mit § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB. Nach dieser Vorschrift sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne u.a. die Erhaltung, Erneuerung und Fortentwicklung vorhandener Ortsteile zu berücksichtigen. § 1 Abs. 10 BauNVO ermöglicht dem entsprechend eine am Bestand orientierte Planung und ist geeignet, insbesondere für Gewerbebetriebe Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen (vgl. BR-Drs. 354/89 S. 21, 23 f.). Macht die Gemeinde von dem Instrument des § 1 Abs. 10 BauNVO Gebrauch, so bedeutet dies, dass der Betriebsinhaber nicht mit den Nutzungsmöglichkeiten vorlieb nehmen muss, die ihm sonst nur im Rahmen des herkömmlichen Bestandsschutzes verbleiben und die sich im Wesentlichen in Reparatur- und Erhaltungsmaßnahmen erschöpfen, sondern je nach der Reichweite der getroffenen Regelung in die Lage versetzt wird, weiterhin Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen vorzunehmen. Vorhandenen Nutzungen werden auf diese Weise Entwicklungschancen offen gehalten, selbst wenn sie dem Gebietscharakter an sich fremd sind. Eine solche Bestandssicherung wertet der Normgeber als berechtigtes planerisches Anliegen unabhängig davon, aus welchem Grund die Anlage, der der erweiterte Schutz zuteil werden soll, im konkreten Planungsfall unzulässig ist (BVerwG, Beschluss vom 11.05.1999, a.a.O.). § 1 Abs. 10 BauNVO beruht damit auf der Erwägung, dass die Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung trotz der Differenzierungsmöglichkeiten, die § 1 Abs. 4 bis 9 BauNVO bieten, nicht in allen Fällen Planungsergebnisse gewährleisten, die den Belangen der Betroffenen angemessen Rechnung tragen.

§ 1 Abs. 10 BauNVO erfordert jedoch - und daran fehlt es hier bereits teilweise - auf einer ersten Stufe das Vorliegen von "gebietsfremden" Nutzungen. Dieses vom Plangeber generell gewollte Verbot solcher gebietsfremden Nutzungen und Anlagen wird sodann auf einer zweiten Stufe um die Möglichkeit angereichert, trotz dieser Verbote einzelne tatsächlich vorhandene gebietsfremde oder gebietsfremd werdende Anlagen im Wege erweiterten Bestandsschutzes als "Fremdkörper" zuzulassen. § 1 Abs. 10 BauNVO beinhaltet insofern eine anlagenbezogene Planung im Sinne einer Einzelfallregelung, bei der der grundsätzlich abstrakte Normcharakter des Bebauungsplans verlassen wird und deren Festsetzung sich konkret auf bestimmte vorhandene Nutzungen bezieht. Systematisch lässt sich die Norm als eine - § 34 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB 1986 vergleichbare - Abweichens- bzw. Befreiungsregel für einzelne unzulässige Nutzungen begreifen, wobei keine Bindung an gesetzliche Befreiungsvoraussetzungen (etwa § 31 Abs. 2 BauGB) besteht, sondern diese Voraussetzungen vielmehr von der Gemeinde nach Ermessen, wenngleich in den Grenzen des § 1 Abs. 10 Satz 3 BauNVO - in gebietsverträglicher Weise - festgelegt werden können (vgl. zu alldem Urteil des Senats vom 25.09.2007 - 3 S 1492/06 -, VBlBW 2008, 24 <26>; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl. 2008, § 1 RdNrn. 133, 136 f.).

Nach diesen Grundsätzen kann die von der Antragsgegnerin getroffene, auf § 1 Abs. 10 BauNVO gestützte Festsetzung auch deshalb keinen Bestand haben, weil sie von der Ermächtigungsgrundlage teilweise nicht gedeckt ist. Denn die auf den Grundstücken der Antragsteller Ziff. 2 und 3 sowie im Gebäude XXXXXX XXXXX XX verwirklichten Nutzungen stehen mit der Festsetzung eines Besonderen Wohngebiets im Einklang. Sowohl die Wohnnutzung (§ 4a Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) als auch sonstige Gewerbebetriebe - zu ihnen rechnen die auf den Grundstücken der Antragsteller Ziff. 2 und 3 vorhandenen Handwerks- und Gewerbebetriebe - sind im Besonderen Wohngebiet allgemein zulässig (§ 4a Abs. 2 Nr. 3 BauNVO; vgl. auch Ziegler, in: Brügelmann, a.a.O., § 4a BauNVO RdNr. 35; § 1 BauNVO RdNr. 109a; Fickert/Fieseler, a.a.O., § 4a RdNr. 17). Insoweit fehlt es bereits an dem für § 1 Abs. 10 BauNVO zwingend erforderlichen gebietsfremden Nutzung. Auch die Antragsgegnerin ist hiervon ausgegangen. So heißt es etwa in der Begründung zu dem Bebauungsplan (Seite 14 oben):

"Für die Grundstücke nördlich und südlich der XXXXXX XXXXX (östlicher Teil) wird "Besonderes Wohngebiet (WB)" festgesetzt, um die bestehende Situation der gewerblichen Nutzungen planungsrechtlich aufzufangen. (...) Die Festsetzung "Besonderes Wohngebiet" in den Baustreifen an der XXXXX XXXXXX (...) erlaubt eine Mischung mit gewerblichen Nutzungen, erzwingt diese aber nicht."

Der Gemeinderat der Antragsgegnerin ging somit - wie von ihrem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung eingeräumt - davon aus, dass die "bestehende Situation" durch den Bebauungsplan und dessen Festsetzung "Besonderes Wohngebiet" gedeckt ist. Einer Festsetzung des erweiterten Bestandsschutzes bedurfte es - was die ausgeübte Art der baulichen Nutzung auf diesen Grundstücken angeht - somit nicht. Denn was bereits nach der festgesetzten Nutzungsart allgemein zulässig ist, kann nicht Gegenstand einer Festsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO sein (vgl. auch Ziegler, a.a.O., § 1 RdNr. 409 m.w.N.). Zumindest bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang ferner die Festsetzung unter Ziff. 1.1.2 und 1.1.4, wonach "im bestehenden Gebäudebestand bauliche Anpassungsmaßnahmen zulässig sind, die infolge der Erneuerung der zum bestehenden Betrieb erforderlichen technischen Anlagen unerlässlich sind". Soweit die Regelung diejenigen "Anpassungsmaßnahmen" erfassen sollte, die bereits durch den einfachen Bestandsschutz der Anlage gedeckt sind (vgl. dazu Dürr, in: Brügelmann, a.a.O., Band 3, § 35 RdNr. 118), wäre sie überflüssig und hätte keinen eigenen Anwendungsbereich. Soweit - und dies scheint gewollt - die Regelung darauf abzielen sollte, dass sie auch solche baulichen Maßnahmen zulässt, die mit den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung oder den überbaubaren Grundstücksflächen im Widerspruch stehen, wäre sie von der Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt. Denn § 1 Abs. 10 BauNVO erfasst nur die Fälle, in denen eine bauliche Anlage mit der Art der festgesetzten Nutzung in Konflikt gerät. Abweichungen vom festgesetzten Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksflächen können hingegen nicht über § 1 Abs. 10 BauNVO, sondern nur über dem Anlagenbestand entsprechende grundstücksbezogene Festsetzungen oder Befreiungen von bestandsabweichenden Festsetzungen (§ 31 Abs. 2 BauGB) legalisiert werden. Bezogen auf die Grundstücke der Antragsteller bietet § 1 Abs. 10 BauNVO daher keine Handhabe für eine Erneuerung des vorhandenen Gebäudebestandes, soweit sich dieser außerhalb der festgesetzten Baugrenzen befindet oder sonst mit den Maßfestsetzungen nicht im Einklang steht. Dies hat der Gemeinderat der Antragsgegnerin verkannt, der es als ein Ziel des Bebauungsplan-Entwurfs formuliert hat, mit dem "Instrument des erweiterten Bestandsschutzes eine Lösung zu erreichen, die (...) die Entwicklungsabsichten der Gewerbetriebe auf Änderungen und Nutzungsänderungen (auch im außerhalb der überbaubaren Flächen vorhandenen Gebäudebestand) gewährleistet."

Schließlich steht die Festsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO auch nicht im Einklang mit dem Abwägungsgebot. Bei der Prüfung, ob der Bebauungsplan mit dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB vereinbar ist, stellt sich die Frage, ob das Interesse der Antragsteller an einem möglichst weitgehenden "erweiterten Bestandsschutz" abwägungsfehlerfrei berücksichtigt wurde. Nach § 1 Abs. 7 BauGB erfordert die Aufstellung eines Bebauungsplans eine umfassende und gerechte Abwägung der öffentlichen und privaten Belangen gegeneinander und untereinander. Die gerichtliche Kontrolle dieser von der Gemeinde vorzunehmenden Abwägung hat sich nach ständiger Rechtsprechung (grundlegend BVerwG, Urteil vom 05.07.1974 - 4 C 50.72 -, BVerwGE 45, 309) auf die Prüfung zu beschränken, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat (kein Abwägungsausfall), ob in sie an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge eingestellt werden musste (kein Abwägungsdefizit), ob die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange richtig erkannt worden ist (kein richtiges Abwägungsmaterial, keine rechtlich unzutreffende Bewertung) und ob der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belangen in einer Weise vorgenommen worden ist, die zu ihrer objektiven Gewichtung in einem angemessenen Verhältnis steht (keine Abwägungsdisproportionalität). Hat die Gemeinde diese Anforderungen an ihre Planungstätigkeit beachtet, wird das Abwägungsgebot nicht dadurch verletzt, dass sie bei der Abwägung der verschiedenen Belange dem einen den Vorzug einräumt und sich damit notwendigerweise für die Zurückstellung eines anderen entscheidet. Diese Anforderungen beziehen sich sowohl auf den Abwägungsvorgang als auf das Abwägungsergebnis. Dabei ist gemäß § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan abzustellen.

Das Interesse der Antragsteller nach einer möglichst weitgehenden Festsetzung des erweiterten Bestandsschutzes war für den Gemeinderat abwägungserheblich. Es war von Beginn an Gegenstand des Bebauungsplanverfahrens, es war mehrfach Gegenstand von Gemeinderatssitzungen und Ursache nicht unbeträchtlicher zeitlicher Verzögerungen im Planungsverfahren. Es hat schließlich in der endgültigen Abwägungsentscheidung (vgl. Beratungsunterlage 34/2005) breiten Raum eingenommen und war Anlass für einen Widerspruch des Bürgermeisters gegen den Satzungsbeschluss vom 06.07.2006. Jedoch erfolgte die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials defizitär und fehlerhaft. Anlagenbezogene Einzelfallregelungen nach § 1 Abs. 10 BauNVO setzen - sowohl im Hinblick auf die Bestimmtheit als auch auf das Abwägungsgebot - voraus, dass sich aus den textlichen oder zeichnerischen Festsetzungen zum erweiterten Bestandsschutz zweifelsfrei ergibt, auf welche konkret vorhandenen Anlagen sich die Festsetzungen beziehen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.05.2007 - 7 D 64/06.NE -, NVwZ-RR 2008, 13), und eine Abwägungsentscheidung zu der Frage getroffen werden kann, ob die gebietsfremde Nutzung mit der Zweckbestimmung des Baugebiets im Übrigen vereinbar ist (§ 1 Abs. 10 Satz 3 BauNVO). Diesen Anforderungen ist der Gemeinderat der Antragsgegnerin nicht gerecht geworden. Eine konkret-anlagenbezogene Festsetzung fehlt gänzlich. Selbst wenn man es insoweit für ausreichend halten wollte, dass sich die begünstigten Anlagen zweifelsfrei aus der Planbegründung ergeben, wäre den Anforderungen des Abwägungsgebots nicht genügt. Denn schon die auf den Grundstücken der Antragsteller verwirklichten Nutzungen sind nicht zutreffend erhoben worden. In der Begründung des Bebauungsplans hat die Antragsgegnerin den ihrer Auffassung nach vorhandenen Bestand dargestellt. Danach ist auf dem Grundstück der Antragstellerin Ziff. 1 (XXXXXX XXXXX XX und XXX) eine Kfz-Reparaturwerkstatt und die Lagerhalle eines Möbelhauses mit Werkstatt verwirklicht. Das dort vorhandene Wohnhaus findet ebenso wenig Erwähnung wie das Fotolabor und der Lagerraum des Stuckateur- und Trockenbaubetriebs. Ähnlich verhält es sich mit dem Grundstück des Antragstellers Ziff. 2. Nach der Begründung des Bebauungsplans ist dort eine Schreinerei verwirklicht. An der im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses ausgeübten Nutzung (Elektroinstallationsbetrieb, Heizungsgeschäft und Ladengeschäft für Sicherheitstechnik) geht diese Feststellung vorbei. Einzig die Darstellung der Nutzung des Gebäudes XXXXXX XXXXX XX ("Gewerbebetrieb Maler, Laden") entsprach den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses. Hinzu kommt, dass das Immissionsverhalten der begünstigten Anlagen nicht ermittelt wurde, was im Hinblick auf eine abwägungsfehlerfreie Entscheidung jedoch angesichts der unmittelbar angrenzenden Allgemeinen Wohngebiete, deren Zweckbestimmung gewahrt bleiben muss (vgl. § 1 Abs. 10 Satz 3 BauNVO), unerlässlich sein dürfte. Die bloße Bezugnahme auf die pauschale Einschätzung des Gewerbeaufsichtsamtes im Planverfahren, wonach sich der "Störgrad" sämtlicher gewerblicher Betriebe auf das Niveau eines Mischgebiets beschränkt (vgl. Begründung zum Bebauungsplan S. 14), dürfte schon deshalb nicht ausreichen, weil im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses andere Nutzungen verwirklicht waren als zum Zeitpunkt des Schreibens des Gewerbeaufsichtsamtes. Dieser Mangel bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials ist auch offensichtlich und dürfte auch für das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sein.

Schließlich erscheint überaus zweifelhaft, ob die Annahme des Gemeinderats, soweit mit dem Untergang der baulichen Anlage eine Existenzgefährdung des betroffenen Grundstückseigentümers verbunden sei, könne dem durch eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Rechnung getragen werden, dem Gebot der Konfliktbewältigung hinreichend gerecht wird. Denn es spricht einiges dafür, dass die Erhaltung der "grünen Lungen" einen Grundzug der Planung darstellt, der einer Befreiung von den Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksflächen im Baublockinneren entgegenstehen dürfte. Die vom Senat festgestellten Mängel führen zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans. Mängel, die einzelnen Festsetzungen eines Bebauungsplans anhaften, führen nur dann nicht zu dessen Unwirksamkeit, wenn die übrigen Regelungen, Maßnahmen oder Festsetzungen, für sich betrachtet, noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und wenn die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.01.2008 - 4 B 5.08 -, juris). Diesbezüglich muss vermieden werden, dass in die kommunale Planungshoheit mehr als nötig eingegriffen wird. Ein Gericht darf insbesondere nicht gestaltend tätig sein, sondern hat den planerischen Willen des Ortsgesetzgebers zu respektieren (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 19.09.2002 - 4 CN 1.02 -, BVerwGE 117, 58 <61>). Dies berücksichtigend vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Antragsgegnerin nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung beschlossen hätte, die für die Grundstücke der Antragsteller keine Festsetzungen zur Art ihrer baulichen Nutzung enthält. Der Beigeordnete der Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei das Ziel des Gemeinderats gewesen, das gesamte Plangebiet der Ortsbausatzung zu überplanen und eine einheitliche städtebauliche Ordnung herbei zuführen. Für den Gemeinderat sei - dies ergibt sich auch aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen zum Planverfahren - die Regelung für die gewerblich genutzten Grundstücke derart wesentlich gewesen, dass sich das Verfahren wegen der Streitigkeiten um diese Regelung über mehrere Jahre hingezogen habe. Angesichts dieser Aussagen und des zusammenhängenden, abgestuften Geflechts an Baugebieten, für welches die von den Gewerbebetrieben ausgehenden Immissionen von Bedeutung sein können, verbietet sich ein planerisch-gestaltender Eingriff des Senats, der mit einem nur partiell wirkenden Unwirksamkeitsverdikt im vorliegenden Fall notwendigerweise verbunden wäre.

Für ein denkbares neues Bebauungsplanverfahren bemerkt der Senat gleichwohl, dass den Antragstellern zwar ein Anspruch auf Abwägung des von ihnen geltend gemachten Belangs eines möglichst weitgehenden Bestandsschutzes zusteht. Die Antragsteller dürften aber wohl keinen Anspruch darauf haben, dass der derzeit auf ihren Grundstücken vorhandene Bestand durch die Bauleitplanung der Antragsgegnerin "eingriffsresistent" abgesichert wird. Insoweit überdehnen die Antragsteller ersichtlich den grundrechtlich fundierten Eigentumsschutz. Die von der Antragsgegnerin angeführten Planungsziele (Stärkung der Wohnbebauung, Erhaltung der grünen Lungen und Durchgrünung des Baublockinnern) dürften von dem Gemeinderat der Antragsgegnerin durchaus dahingehend gewichtet werden können, dass diesen Belangen der Vorrang vor dem privaten Interesse der Antragsteller am Wiederaufbau eines durch Brand- oder Naturereignisse zerstörten Gewerbebetriebs eingeräumt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss vom 29. Oktober 2008

Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG endgültig auf 30.000,-- EUR (je betroffenem Grundstück 10.000,-- EUR) festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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