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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 10.10.2002
Aktenzeichen: 5 S 1655/01
Rechtsgebiete: LBO


Vorschriften:

LBO § 5 Abs. 1
LBO § 5 Abs. 6 Nr. 2
LBO § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
1. Ein Balkon, der die Privilegierungsmaße des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO nicht einhält, ist selbst abstandsflächenpflichtig.

2. Zur Frage, ob eine an der Grundstücksgrenze errichtete gemeinsame Brandmauer die für eine Zulassung eines grenznahen Balkons nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO erforderliche Sondersituation auf dem Nachbargrundstück begründen kann.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

5 S 1655/01

Verkündet am 19.10.2002

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

erteilter Baugenehmigung

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Lutz und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schefzik und Albers auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 04. April 2001 - 12 K 1304/00 - geändert.

Die Baugenehmigung der Beklagten vom 30. September 1999 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 27. März 2000 werden aufgehoben.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Beklagte. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren tragen die Beklagte und der Beigeladene jeweils zur Hälfte; ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie selbst.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Balkons.

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem dreigeschossigen Wohnhaus bebauten Grundstücks Wxxxxxxxxxx Straße 48 auf Gemarkung der Beklagten. Der Beigeladene ist Eigentümer des östlich angrenzenden Grundstücks Wxxxxxxxxxx Straße 46, das ebenfalls mit einem dreigeschossigen Wohngebäude bebaut ist. Die beiden grenznahen Gebäude mit einer gemeinsamen, im rückwärtigen Bereich ca. 2,50 m vor die jeweilige Außenwand vortretenden Brandmauer sind Bestandteile einer Hausgruppe, die auch noch das grenznahe dreigeschossige Wohngebäude auf dem westlich an das Grundstück der Klägerin angrenzenden Grundstück Wxxxxxxxxxx Straße 50 umfasst. Die gemeinsame Brandmauer ragt über die niveaugleichen jeweils zweiten Obergeschosse der Gebäude der Klägerin und des Beigeladenen hinaus und ist im Dachbereich entsprechend der Dachneigung abgetreppt. Im Anschluss an die gemeinsame Brandmauer verläuft die Grundstücksgrenze schräg in nordöstlicher Richtung. In den drei Stockwerken der Wohngebäude der Klägerin und des Beigeladenen sind bis zur Tiefe der Brandmauer loggiaartige Balkone angebracht. Das Gebäude des Beigeladenen weist zudem in einem Abstand von ca. 4 m zur gemeinsamen Brandmauer einen östlichen Seitenflügel auf.

Am 19.11.1997 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Balkons. Dieser soll im Dachgeschossbereich mit einer durchbrochenen Stahlumwehrung in den auf Grund des östlichen Seitenflügels vorhandenen Innenwinkel des Gebäudes angrenzend an die gemeinsame Brandmauer bis zu deren Tiefe errichtet werden, wobei die Balkonplatte an der Stelle der bisherigen Überdachung des darunter liegenden Balkons im zweiten Obergeschoss zu liegen kommen soll. Mit Schreiben vom 21.11.1997 wies die Beklagte den Beigeladenen auf die Unvollständigkeit der eingereichten Bauvorlagen hin und verlangte die Nachreichung einer "Schnittzeichnung durch den Balkon mit Darstellung der Grenzwand zum Nachbargebäude Wxxxxxxxxxx Straße 48". Im Rahmen der Angrenzeranhörung erhob die Klägerin mit Schreiben vom 04.12.1997 Einwendungen, "die sich auf die §§ 5 und 6 der Landesbauordnung von Baden-Württemberg (LBO) beziehen. Ich bin mit der Grenzbebauung nicht einverstanden. ... Von meiner Seite liegt kein Einverständnis mit der Planung vor, die ... wenig aussagekräftig ist. ..."

Mit Bescheid vom 09.12.1997 lehnte die Beklagte den Bauantrag ab, weil die erforderliche Abstandsfläche nicht eingehalten sei; der geplante Balkon überschreite die Maße des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO, weil er mehr als 1,50 m vor die Außenwand vortrete und von der Nachbargrenze nicht mindestens 2 m entfernt sei. Dem hiergegen eingelegten Widerspruch des Beigeladenen half die Beklagte auf Weisung des Regierungspräsidiums Karlsruhe ab und erteilte mit Bescheid vom 30.09.1999 die beantragte Baugenehmigung unter Zurückweisung der Nachbareinwendungen der Klägerin; zwar werde die vorgeschriebene Tiefe der Abstandsfläche von 5,12 m nicht eingehalten, doch lägen die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO vor.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend: Die vom Beigeladenen eingereichten Pläne seien viel zu ungenau, so dass sich die mit dem Vorhaben verbundene Beeinträchtigung für ihr Wohngebäude nicht richtig beurteilen und feststellen lasse. Auf jeden Fall werde es zu einer weiteren Verschattung des bereits jetzt sehr dunklen Zimmers in ihrer Dachgeschosswohnung kommen, das zudem einem ungehinderten Einblick ausgesetzt wäre. Die Brandschutzvorschriften würden ebenso wenig eingehalten wie das Rücksichtnahmegebot.

Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Bescheid vom 27.03.2000 - zugestellt am 30.03.2000 - zurück. In den Gründen hieß es im Wesentlichen: In Bezug auf die rückwärtige Gebäudewand könne der Balkon ohne weiteres an der gemeinsamen Grundstücksgrenze vortreten. Eine Abstandsfläche müsse auch nicht in Bezug auf die westliche Außenwand des Seitenflügels (Gebäudeinnenwinkel) eingehalten werden, da insoweit nicht diese Wand, sondern die gemeinsame Brandmauer den entscheidenden Abschluss zum Grundstück der Klägerin bilde, auch soweit die Brandmauer (nur) als Mauerscheibe vor die rückwärtige Gebäudefront trete. Eine Abstandsfläche müsste der Balkon (teilweise) nur einhalten, wenn er nicht mit der Brandmauer abschließen, sondern bis zur Hauptfassade vorgezogen würde. Hierauf komme es jedoch nicht entscheidend an, da die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO gegeben seien. In Anbetracht des bereits vorhandenen Bauzustands, insbesondere der vorhandenen Überdachung, an deren Stelle der Balkon treten solle, sei nicht damit zu rechnen, dass dieser die Belichtungs- und Belüftungssituation auf dem Nachbargrundstück der Klägerin wesentlich verschlechtere. Für die über die Brandwand hinausragende Balkonumwehrung sei eine leichte, licht- und luftdurchlässige Stahlkonstruktion vorgesehen, die zu keinen weiteren Einschränkungen für die Klägerin führe und aus brandschutztechnischer Sicht eher eine Verbesserung darstelle. Schließlich seien durch eine Unterschreitung der erforderlichen Abstandsfläche nachbarliche Belange nicht erheblich beeinträchtigt, da sich auch auf dem Grundstück der Klägerin unmittelbar an der gemeinsamen Grenze hinter der Brandwand loggiaartige Balkone befänden. Zudem überrage die Brandmauer die Balkonplatte zwischen 0,50 m und 1,50 m. Das Dachgeschosszimmer im Wohngebäude der Klägerin sei vom geplanten Balkon aus praktisch nicht einsehbar.

Am 02.05.2000 hat die Klägerin unter Bekräftigung und Ergänzung ihres Widerspruchsvorbringens gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung und den Widerspruchsbescheid Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht nach Einnahme eines Augenscheins - dem Antrag der Beklagten folgend - mit Urteil vom 04.04.2001 abgewiesen hat. In den Gründen heißt es im Wesentlichen: Das Bauvorhaben halte zwar die nach § 5 Abs. 1 LBO vorgeschriebene Abstandsfläche - wegen der schräg verlaufenden Grundstücksgrenze auch in Richtung Norden - nicht ein. Doch lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO für eine Ausnahme vor. Eine Beeinträchtigung der Belüftung und mit Blick auf die bereits vorhandene Bebauung auch eine Verschattung des Dachgeschosszimmers im Anwesen der Klägerin würden durch den 1,10 m hohen, mit einer unterbrochenen Stahlkonstruktion umwehrten Balkon nicht bewirkt. Auch Gründe des Brandschutzes stünden nicht entgegen, wie bereits im Widerspruchsbescheid zutreffend dargelegt sei. Abgesehen davon, dass lediglich der Bereich unmittelbar vor dem Gaubenfenster des Dachgeschosszimmers einsehbar sein dürfte, handele es sich bei der Nichteinsehbarkeit lediglich um eine Chance, auf deren Aufrechterhaltung kein im öffentlichen Recht wurzelnder Anspruch bestehe. Die Frage der Standsicherheit des Vorhabens im Hinblick auf die Tragfähigkeit der gemeinsamen Brandmauer habe die Behörde der dem Beigeladenen auferlegten bautechnischen Prüfung vorbehalten dürfen.

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 27.07.2001 - 5 S 1250/01 - die Berufung zugelassen.

Mit der am 03.09.2001 vorgelegten Berufungsbegründung beantragt die Klägerin,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 04. April 2001 - 12 K 1304/00 - zu ändern und die Baugenehmigung der Beklagten vom 30. September 1999 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 27. März 2000 aufzuheben.

Die Klägerin macht geltend: Die eingereichten und genehmigten Bauvorlagen seien unvollständig. Im Lageplan sei die geplante Anlage entgegen § 4 Abs. 4 Nr. 5 LBOVVO ohne Angabe der Maße und der erforderlichen Abstandsflächen dargestellt. Entgegen § 6 Abs. 2 Nr. 3 LBOVVO fehle eine Ansicht der geplanten Anlage mit Anschluss an angrenzende Gebäude, so dass die Höhenlage des Balkons nicht erkennbar sei. Gleichermaßen fehle eine - vergeblich angemahnte - Seitenansicht. Auch die Baubeschreibung weise Unklarheiten auf. Unter Nr. 6 sei in der Rubrik "Tragkonstruktion" angegeben "Balkon als Stahlkonstruktion". Demgegenüber habe die Beklagte beim Ortstermin von einer Betonplatte gesprochen. Da sich die Unbestimmtheit der angefochtenen Baugenehmigung auf nachbarrechtsrelevante Merkmale beziehe, könne sie - die Klägerin - sich hierauf berufen. Die Voraussetzungen für eine Zulassung des grenznahen Balkons nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO seien nicht erfüllt. Die Belichtung und insbesondere die Belüftung ihres Wohnanwesens seien bereits jetzt durch den Seitenflügel des Wohngebäudes des Beigeladenen stark beeinträchtigt (Feuchtigkeitsschäden, Risse). Im Falle der Errichtung des Balkons drohe eine weitere Verschlechterung dieses Zustands. Hinsichtlich ihres Nachbargrundstücks liege auch keine besondere Situation vor, die ihre Schutzwürdigkeit bezüglich der Einhaltung der erforderlichen Abstandsflächen mindere. Insbesondere existiere kein deckungsgleicher Anbau. Im Übrigen bestehe keine Notwendigkeit für den Beigeladenen, den Balkon an der vorgesehenen Stelle zu errichten. Das Vorhaben verstoße zudem gegen §§ 14 Abs. 2, 15 Abs. 1 und 26 LBO. Vor allem aber werde die nach § 6 Abs. 3 LBOAVO einzuhaltende Abstandsfläche von 1,25 m nicht gewahrt. Im Übrigen dürfe die rückwärtige Fassade der Hausgruppe auch unter denkmalschutzrechtlichen Aspekten nicht verändert werden. Das Vorhaben des Beigeladenen verstoße ferner gegen die Bauordnung der Beklagten aus dem Jahre 1898 und gegen die Vereinbarung der früheren Grundstückseigentümer für die Errichtung der die Hausgruppe bildenden Gebäude aus dem Jahre 1905.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und meint ergänzend, dass sich der Inhalt der Baugenehmigung hinreichend konkret aus den eingereichten Bauvorlagen ergebe; die gemeinsame Brandmauer werde auch künftig 0,80 m über die vorgesehene Betonplatte des genehmigten Balkons hinausragen.

Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor: Die Errichtung des Balkons erfordere keine Abstandsfläche. Unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.02.2000 zum Begriff des Doppelhauses und zu dessen Zulässigkeit sei für sein Gebäude und das der Klägerin, die Bestandteile einer Hausgruppe seien, das Abstandsflächengebot auf der Grundlage der bestehenden Gegenseitigkeit aufgehoben. Da die Tiefe des Balkons nur 2,50 m betrage, sei ein damit anzunehmender Versprung angesichts einer Gesamtgebäudetiefe von über 13 m als vereinbar mit der Deckungsgleichheit einer Hausgruppe anzusehen, zumal der Balkon nicht vor die gemeinsame Brandmauer vortrete und diese 0,50 m bis 1,50 m über die Betonplatte des Balkons hinausrage. Der schräge Verlauf der Grundstücksgrenze im rückwärtigen Bereich spiele insoweit keine Rolle. Jedenfalls bestehe ein Anspruch auf Zulassung einer geringeren Abstandsfläche nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO. Die dafür erforderliche Besonderheit in Bezug auf das Nachbargrundstück der Klägerin sei die 2,50 m vor das Gebäude vorspringende und die Betonplatte des Balkons um 0,50 m bis 1,50 m überragende Brandmauer. Angesichts des Abstands der Dachgaube auf dem Grundstück der Klägerin von 1,65 m und der geringen Breite der Gaube selbst bzw. des darin befindlichen Fensters sei eine Einsichtnahme in den dahinter liegenden Raum kaum möglich. Selbst wenn Vorschriften der Bauvorlagenverordnung - wie behauptet - nicht eingehalten worden wären, folgte daraus keine Rechtsverletzung der Klägerin. Insoweit komme allein eine Verletzung der nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften in Betracht. Für eine diesbezügliche Überprüfung seien die eingereichten Vorlagen jedoch ausreichend, zumal die bauliche Änderung nur darin bestehe, dass die bisher vorhandene Überdachung des Balkons im zweiten Obergeschoss durch eine Betonplatte ersetzt werde. Aus dem Grundriss des Dachgeschosses (mit Balkon) könne anhand der eingezeichneten Maße eine mögliche Betroffenheit erkannt werden. Hinsichtlich der Bauordnung der Residenzstadt Karlsruhe aus dem Jahre 1898 lege die Klägerin nicht dar, welche subjektiven Rechte für sie daraus ableitbar seien, abgesehen davon, dass sie insoweit präkludiert sei. Aus der Erklärung der früheren Eigentümer der Grundstücke Weinbrenner Straße 46, 48 und 50 aus dem Jahre 1905 ergebe sich nichts für eine Verpflichtung, Stellung und Höhe seines Gebäudes zu einem späteren Zeitpunkt nicht zu verändern. Der mit dem Vorhaben verbundenen Veränderung der Rückfassade des Gebäudes habe das Landesdenkmalamt zugestimmt. Fehl gingen die Hinweise der Klägerin auf unterbliebenen Wärme- und Schallschutz sowie auf mangelhaften Brandschutz.

Dem Senat liegen die einschlägigen Behördenakten vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene und den Anforderungen des § 124a Abs. 3 VwGO a.F. genügende Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Nachbarklage stattgeben müssen. Denn die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 30.09.1999 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Nachbarrechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Das genehmigte Vorhaben verstößt gegen die unstreitig nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 Satz 3 LBO müssen vor Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen liegen, die von oberirdischen baulichen Anlagen freizuhalten sind, wobei der nachbarschützende Teil der Abstandstiefe im vorliegenden Fall 0,4 der Wandhöhe beträgt. Aus der Regelung des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO, wonach bei der Bemessung der Abstandsflächen Vorbauten wie Balkone außer Betracht bleiben, wenn sie nicht breiter als 5 m sind, nicht mehr als 1,5 m vortreten und von Nachbargrenzen mindestens 2 m entfernt bleiben, folgt, dass auch nur diese Vorbauten keine eigenen Abstandsflächen auslösen (sollen); demgegenüber müssen vor abstandsrechtlich nicht privilegierten Vorbauten, die die kumulativen Maße des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO nicht einhalten, Abstandsflächen liegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.10.1985 - 3 S 2010/85 - BRS 44 Nr. 102 und Beschl. v. 06.03.2002 - 3 S 279/02 - sowie OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 29.11.1985 - 7 B 2402/85 - BRS 44 Nr. 101). Danach muss der geplante Balkon Abstandsflächen einhalten, da er vor die rückwärtige Außenwand des Gebäudes des Beigeladenen 2,50 m und damit mehr als 1,50 m vortritt und von der wegen ihres schrägen Verlaufs rückwärtigen Grenze zum Grundstück der Klägerin - wenn auch nur teilweise - nicht mindestens 2 m entfernt bleibt.

Damit steht zugleich fest, dass der umstrittene Balkon zur rückwärtigen, schräg verlaufenden Grundstücksgrenze nicht die erforderliche Abstandsfläche einhält.

Der die Privilegierungsmaße des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO überschreitende Balkon hält die danach erforderliche Abstandsfläche aber auch zur seitlichen (westlichen) Grenze zum Grundstück der Klägerin hin nicht ein, sondern soll hier unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze (Brandmauer) errichtet werden.

Der Beigeladene kann nicht - wie im Berufungsverfahren geschehen - geltend machen, dass der geplante Balkon überhaupt keine Abstandsfläche zum Grundstück der Klägerin hin einhalten müsse. Das wäre nach § 5 Abs. 1 Satz 2 LBO nur der Fall, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss, es sei denn, die vorhandene Bebauung erfordert eine Abstandsfläche (Nr. 1), oder das Gebäude an die Grenze gebaut werden darf und öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird (Nr. 2). Mit dieser Regelung soll hinsichtlich des Erfordernisses der Einhaltung einer Abstandsfläche eine Divergenz zwischen Bauplanungs- und Bauordnungsrecht vermieden werden. Bauplanungsrechtlich einschlägig ist im vorliegenden Fall § 34 BauGB. Abzustellen ist also auf die Bauweise in der Umgebungsbebauung, wobei die Wertungen der Baunutzungsverordnung zugrunde zu legen sind (vgl. Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Aufl., § 5 RdNr. 44).

Bei der gemeinsamen Errichtung der Gebäude Wxxxxxxxxxx Straße 50 sowie der beiden angrenzenden Gebäude der Klägerin und des Beigeladenen (Wxxxxxxxxxx Straße 48 und 46) sind die Bauherren (Rechtsvorgänger) von einem "Gruppenbau" ausgegangen (vgl. das Baugesuch vom 27.06.1905 und die nachgereichte Erklärung vom 08.07.1905). Nach § 97 ("offene Bauweise") der Bauordnung für die Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe aus dem Jahre 1898 konnte die baupolizeiliche Genehmigung eines "Gruppenbaues" nur auf Grund der Einigung der beteiligten Grundeigentümer erfolgen; sie war für alle beteiligten Grundeigentümer derart bindend, dass derjenige Eigentümer, welcher seinen Teil des "Gruppenbaues" zunächst nicht ausführte, oder dessen Rechtsnachfolger später nicht selbständig, sondern nur so bauen durfte, wie es die Vollendung des "Gruppenbaus" erforderte. Da der aus den Gebäuden Wxxxxxxxxxx Straße 46 bis 50 bestehende "Gruppenbau" nicht länger als 50 m und die beiden Endgebäude seitliche Abstandsflächen zum jeweiligen Nachbargrundstück aufweisen, ist damit faktisch die Situation einer "Hausgruppe" i. S. der offenen Bauweise (§ 22 Abs. 2 BauNVO) gegeben. In terminologischer Hinsicht sei angemerkt, dass auch im Baugesuch vom 27.06.1905 von der Erbauung einer "Hausgruppe" die Rede ist.

Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 24.02.2000 - 4 C 12.98 - BVerwGE 110, 355) zu Begriff und Zulässigkeit eines Doppelhauses i. S. des § 22 Abs. 2 BauNVO - diese Rechtsprechung dürfte im Grundsatz auf die Einzelelemente einer Hausgruppe im Sinne dieser Regelung übertragbar sein - meint der Beigeladene, dass der geplante, 2,50 m vor die rückwärtige Hauswand, aber nicht vor die an der Grundstücksgrenze vorhandene gemeinsame Brandmauer vortretende Balkon angesichts einer Gesamtgebäudetiefe von ca. 13 m einen Versprung an der gemeinsamen Grundstücksgrenze darstelle, der - wie bei einem Doppelhaus - auch bei einer Hausgruppe im Hinblick auf den eine solche kennzeichnenden wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände unschädlich sei. Damit übersieht der Beigeladene jedoch die vorliegende Besonderheit der auf der Grundlage von § 97 der Bauordnung für die Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe aus dem Jahre 1898 gewollten und bereits verwirklichten "Deckungsgleichheit" der einen Bestandteil des "Gruppenbaus" ("Hausgruppe") bildenden Gebäude des Beigeladenen und der Klägerin, gerade auch im Bereich des Dachs bzw. des Dachgeschosses. Hier sollten nur Gauben als Dachaufbauten für stehende Fenster, die sich dem gemeinsamen Dach unterordnen (vgl. hierzu Senatsurt. v. 14.07.2000 - 5 S 1418/00 -), zulässig sein. Eine grenznahe bauliche Anlage wie der geplante Balkon, der als Austritt zudem die - in den Bauvorlagen nicht gekennzeichnete - Umwandlung jedenfalls eines der beiden bisher vorhandenen Fenster in eine Tür bedingt, verlässt in diesem Bereich die bereits umgesetzte planungsrechtliche Grundlage der Gegenseitigkeit des Verzichts auf seitliche Grenzabstände innerhalb des "Gruppenbaus" ("Hausgruppe").

Gänzlich unberührt von den vorstehenden Darlegungen bleibt die Abstandsflächenpflicht des Balkons im Verhältnis zur rückwärtigen schrägen Grundstücksgrenze.

Entgegen der Auffassung der Baurechtsbehörden und des Verwaltungsgerichts kann sich der Beigeladene für die grenznahe Errichtung des Balkons nicht auf § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO berufen. Danach sind geringere Tiefen der Abstandsflächen zuzulassen, wenn Beleuchtung mit Tageslicht sowie Belüftung in ausreichendem Maße gewährleistet bleiben, Gründe des Brandschutzes nicht entgegenstehen und, soweit die Tiefe der Abstandsflächen die Maße des § 5 Abs. 7 Satz 3 LBO unterschreitet, nachbarliche Belange nicht erheblich beeinträchtigt werden. Nach der Rechtsprechung aller mit Baurechtssachen befassten Senate des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (vgl. Senatsbeschl. v. 29.01.1999 - 5 S 2971/98 - VBlBW 1999, 347 sowie Urt. v. 15.09.1999 - 3 S 1437/99 - und vom 08.11.1999 - 8 S 1668/99 -) ist bei der Prüfung der Frage, ob nachbarliche Belange erheblich beeinträchtigt werden, von der normativen Wertung auszugehen, dass eine den nach § 5 Abs. 7 Satz 3 LBO nachbarschützenden Teil unterschreitende Tiefe der Abstandsfläche regelmäßig zu einer erheblichen und damit nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung des betreffenden Nachbarn führt, gleichgültig, ob die Unterschreitung gravierend oder geringfügig ist. Eine hiervon abweichende Beurteilung ist nur gerechtfertigt, wenn auf dem betroffenen Nachbargrundstück besondere Umstände vorliegen, die das Interesse des Nachbarn an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der Abstandsflächentiefe deutlich mindern oder als weniger schutzwürdig erscheinen lassen. Derartige Besonderheiten sind für das Nachbargrundstück der Klägerin - nur auf dieses und nicht (auch) auf das Baugrundstück des Beigeladenen ist abzustellen - nicht ersichtlich.

Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil nicht dargelegt, worin es diese Sondersituation sieht. Die Widerspruchsbehörde hat die besonderen Umstände zunächst darin gesehen, dass sich auf dem Grundstück der Klägerin "unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze hinter der gemeinsamen Brandwand loggiaartige Balkone befinden". Im Folgenden hat die Behörde jedoch selbst eingeräumt, dass dies nicht für den Dachgeschossbereich gelte, da mit dem geplanten Balkon die bisherige "Spiegelbildlichkeit" zwischen den beiden Gebäuden verloren gehe. Die weitergehende behördliche Erwägung, wonach die Klägerin jedoch nicht verlangen könne, dass stets nur symmetrisch angebaut werde, ist im vorliegenden Zusammenhang der für § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO erforderlichen Sondersituation auf dem Nachbargrundstück unerheblich. Als weiteren besonderen Umstand hat die Widerspruchsbehörde gewertet, dass auf der gemeinsamen Grenze eine Brandmauer verlaufe, die im Bereich des geplanten Balkons die Balkonplatte zwischen 0,50 m und 1,50 m überrage. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Dabei kann dahinstehen, ob diese (Aus-)Maße eines "Überstands" der abgetreppten Brandmauer überhaupt zutreffend sind. Den genehmigten Bauvorlagen sind sie nicht zu entnehmen. Sie hätten sich aus der von der Beklagten mit Schreiben vom 21.11.1997 angeforderten "Schnittzeichnung durch den Balkon mit Darstellung der Grenzwand zum Nachbargebäude Wxxxxxxxxxx Straße 48" ergeben (können). Unabhängig von der insoweit anzunehmenden Unbestimmtheit der erteilten Baugenehmigung steht jedenfalls außer Zweifel, dass der geplante 2,50 m tiefe Balkon, der nicht nur aus der Bodenplatte, sondern auch aus der Umwehrung besteht, nur teilweise von der abgetreppten Brandmauer "verdeckt" wird. Auch die Nutzung des Balkons findet weit überwiegend gerade nicht "hinter der Brandmauer" statt. Da der Balkon selbst - wie dargelegt - abstandsflächenpflichtig ist, kann im vorliegenden Zusammenhang auch nicht darauf abgestellt werden, dass im Dachgeschossbereich keine grenznahe geschlossene Wand in Geschosshöhe entsteht, vielmehr angesichts der geringeren Höhe der Balkonumwehrung und deren licht- und luftdurchlässiger Ausführung eine merkliche Beeinträchtigung der Belichtungs- und Belüftungssituation für das Dachgeschosszimmer im Gebäude der Klägerin wohl nicht zu befürchten ist. Damit allein können die für eine ausnahmsweise grenznahe Errichtung des Balkons nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO erforderlichen besonderen Umstände auf dem Nachbargrundstück nicht begründet werden. Solche sind auch nicht deshalb zu bejahen, weil sich der Verstoß gegen das Abstandsflächengebot (nur) im Bereich des Dachs bzw. Dachgeschosses des Wohngebäudes der Klägerin abspielt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Beschluss

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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