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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 04.12.2003
Aktenzeichen: 5 S 1746/02
Rechtsgebiete: BBauG 1960, BauGB


Vorschriften:

BBauG 1960 § 173 Abs. 3
BauGB § 30 Abs. 3
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 35 Abs. 2
BauGB § 35 Abs. 3
1. Der Verlust eines Bebauungsplandokuments führt nicht schon für sich genommen zur Ungültigkeit oder zum Außerkrafttreten des betreffenden Plans. Daraus folgt auch, dass nicht allein wegen des Verlusts von Planunterlagen die Möglichkeit von Mängeln im Rechtssetzungsverfahren unterstellt werden darf (wie BVerwG, Beschl. v. 01.04.1997 - 4 B 206.96 - NVwZ 1997, 890). Dies gilt auch für die Ausfertigung, deren Fehlerhaftigkeit bei Verlust des Originalplans nicht ohne weiteres angenommen werden darf.

2. Bestandteil eines nach § 173 Abs. 3 BBauG 1960 übergeleiteten Bebauungsplans können auch bauplanungsrechtliche Vorschriften in einer Landesbauordnung sein, die den Inhalt einer planerischen Festsetzung bestimmen oder ergänzen.

3. Eine unter Geltung der Neuen allgemeinen Bauordnung für das Königreich Württemberg vom 06.10.1872 in einem Baulinien- bzw. Ortsbauplan festgesetzte Baulinie hatte zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes 1960 die Folge, dass das Grundstück bis zu einer Tiefe von 50 m - gemessen ab der Linie - als bebaubar galt. Mit diesem Inhalt entsprach sie der Festsetzung einer überbaubaren Grundstücksfläche und konnte nach § 173 Abs. 3 BBauG 1960 als nicht qualifizierter Bebauungsplan übergeleitet werden (wie VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.01.1998 - 8 S 2447/97 - NuR 1999, 332, und - 8 S 2430/97 - PBauE § 173 BBauG 1960 Nr. 1).

4. Allein durch Zeitablauf - hier fast 100 Jahre - wird eine bauplanerische Festsetzung in der Regel nicht funktionslos.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

5 S 1746/02

Verkündet am 04.12.2003

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Bauvorbescheids

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schnebelt, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Albers und die Richterin am Verwaltungsgericht Schiller auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. November 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Juni 2002 - 3 K 1316/01 - geändert.

Das beklagte Land wird verpflichtet, der Klägerin einen Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung von drei Reihenhäusern an dem in den Bauvorlagen eingezeichneten Standort im südlichen Bereich des Grundstücks Pxxxxxxxxstraße xxx, Flst.Nr. xxxxx, in Weissach zu erteilen. Der Bescheid des Landratsamts Böblingen vom 13. Oktober 1999 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 26. Februar 2001 werden aufgehoben, soweit diese entgegenstehen.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid für die Errichtung von drei Reihenhäusern im südlichen Teil ihres Grundstücks Flst.Nr. 20/1 der Gemarkung Weissach (Pxxxxxxstraße xx).

Das etwa 64 m tiefe und zwischen 13,5 und 26 m breite Grundstück grenzt im Norden an die Pxxxxxxstraße - früher Mxxxxxxxxx Straße - und ist mit einem an der Straße gelegenen, vor 1900 errichteten Wohnhaus bebaut. Der rückwärtige, südliche Teil wird gärtnerisch genutzt und ist mit Bäumen bestanden. Auch die östlich und westlich des Grundstücks der Klägerin an der Pxxxxxx-straße gelegenen Grundstücke sind - bis auf eine Scheune auf dem Grundstück Flst.Nr. xxxx (Pxxxxxxxstraße xx) - im rückwärtigen Bereich nicht bebaut. Der Abstand der Gebäude entlang der Pxxxxxxstraße bis zu der Wohnbebauung entlang der weiter südlich gelegenen Kxxxxstraße beträgt etwa 70 m. Nach Westen geht diese unbebaute Fläche in die freie Landschaft über. In diesem Bereich befindet sich an einem von der Pxxxxxxstraße nach Süden abzweigenden Feldweg ein Wohngebäude (Flst.Nr. xxxxxx, Pxxxxxxstraße xx).

Für das Gebiet südlich der Pxxxxxxstraße existiert kein unter Geltung des Bundesbaugesetzes bzw. des Baugesetzbuchs erlassener Bebauungsplan. In einem von der Beigeladenen vorgelegten Originalplan, der ausweislich eines von Geometer Sxxxxx unterschriebenen Vermerks am 30.08.1899 oder 1890 - die letzte Zahl ist undeutlich - "gefertigt" wurde und den gesamten Ortsbereich der Beigeladenen umfasst, sind - meist entlang der dargestellten Straßen - rote Linien eingezeichnet, unter anderem südlich der Pxxxxxxstraße auf dem Grundstück der Klägerin und den östlich und westlich benachbarten Grundstücken. Ein weiterer, von Oberamtsgeometer Nxxxxxxx am 13.02.1929 gefertigter und ebenfalls bei der Beigeladenen aufbewahrter Plan trägt die Aufschrift "Oberamt Vaihingen-Enz/Gemeinde Weissach/Übersichtsplan zum Ortsbauplan/Gemeindeexemplar". Dieser Plan enthält ein Bauverbotsgebiet und - teilweise mit Genehmigungsdatum versehene - Baulinien (schwarz und rot), unter anderem - ohne Datum - eine Baulinie südlich der Pxxxxxxstraße und die Anmerkung: "Die nicht mit Genehmigungsvermerk versehenen Baulinien wurden am 9. Nov. 1905 genehmigt".

Am 10.08.1999 beantragte die Klägerin die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Errichtung von fünf Reihenhäusern mit Tiefgarage, wobei ausweislich der eingereichten Bauvorlagen zwei Reihenhäuser im nördlichen Teil des Grundstücks anstelle des alten Wohngebäudes und drei weitere Reihenhäuser in dessen südlichem Bereich - bis zu etwa 45 m südlich der Pxxxxxxstraße - errichtet werden sollen. Der Gemeinderat der Beigeladenen versagte sein Einvernehmen zu der vorgesehenen rückwärtigen Bebauung.

Mit Bescheid vom 13.10.1999 stellte das Landratsamt Böblingen fest, dass die Errichtung von zwei Reihenhäusern bzw. eines Doppelhauses im nördlichen Bereich des Grundstücks sowie die Errichtung einer Tiefgarage, soweit diese dem natürlichen Geländeverlauf entsprechend erdüberdeckt ausgeführt werde, zulässig, die beabsichtigte Bebauung des südlichen Bereichs des Grundstücks mit drei Reihenhäusern hingegen unzulässig sei. Die Beigeladene habe das erforderliche Einvernehmen diesbezüglich versagt. Die rückwärtigen Gebäude lägen im Außenbereich im Sinne von § 35 BauGB. Eine Zulassung nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB scheide aus, da öffentliche Belange entgegenstünden. Den am 05.11.1999 von der Klägerin gegen den ablehnenden Teil des Bescheids eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2001 zurück.

Mit der am 21.03.2001 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobenen Verpflichtungsklage hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, entlang der Pxxxxxxstraße verlaufe auf dem zur Bebauung vorgesehenen Grundstück eine Baulinie alten Rechts, welche eine "Tiefenwirkung" von 50 m aufweise. Für die Existenz der Baulinie gebe es im vorliegenden Fall genügend Hinweise, so insbesondere den von Geometer Sxxxxx am 30.08.1890 bzw. 1899 gefertigten Ortsbauplan sowie den Übersichtsplan vom 13.02.1929. Außerdem hätten Recherchen in alten Gemeinderatsprotokollen der Beigeladenen ergeben, dass die "bürgerlichen Kollegien" der Beigeladenen am 11.03.1905 nach einem Brand die teilweise Ausdehnung und Abänderung des bestehenden Ortsbauplans beschlossen hätten. Ausweislich der Niederschrift sei beschlossen worden, bestimmte, in einem Plan gelb eingezeichnete Baulinien aufzuheben, rot eingetragene Linien festzusetzen und blau eingezeichnete Linien bestehen zu lassen. Damit sei auch die vorhandene Baulinie entlang der Pxx-xxxxxstraße bestätigt worden. In einem Gemeinderatsprotokoll vom 09.11.1905 sei unter anderem festgehalten, dass die am 11.03.1905 beschlossene Änderung bzw. teilweise Neufestsetzung am 09.11.1905 genehmigt worden sei. Am 27.05.1927 sei eine weitere Änderung des Ortsbauplans beschlossen worden, die jedoch nicht die Pxxxxxxstraße betroffen habe. Der Gemeinderat habe dann am 01.02.1929 die Fertigung zweier Übersichtsortsbaupläne beschlossen. Bei dem vorliegenden, von Oberamtsgeometer Nxxxxxxx gefertigten Plan vom 13.02.1929 handle es sich um einen der damals in Auftrag gegebenen Pläne. In diesem finde sich auch die am 09.11.1905 genehmigte Baulinie entlang der Pxxxxxxstraße. Die vorgelegten Protokolle über die Sitzungen der "bürgerlichen Kollegien" enthielten jeweils auf der letzten Seite die Unterschriften sämtlicher Mitglieder, darunter insbesondere des Vorsitzenden des Gemeinderats und damaligen Bürgermeisters. Die Baulinie sei zum Beispiel auch in Lageplänen zu Baugesuchen aus den Jahren 1971 und 1981 eingezeichnet. Es sei danach vom Bestehen einer Baulinie mit der Folge einer Bebaubarkeit der betroffenen Grundstücke bis zu einer Tiefe von 50 m ab dieser Linie auszugehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg hätten solche Baulinien die Wirkung einer vorderen und einer hinteren Baugrenze nach heutigem Recht und setzten damit eine überbaubare Grundstücksfläche im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1b BBauG 1960 fest; eine solche Festsetzung sei gemäß § 173 Abs. 3 BBauG 1960 als einfacher Bebauungsplan übergeleitet worden.

Mit Urteil vom 12.06.2002 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Errichtung von drei Reihenhäusern im hinteren Bereich des Grundstücks der Klägerin sei pla-nungsrechtlich unzulässig, weil sie auf nicht überbaubarer Grundstücksfläche erfolgen solle und auf Grund der konkreten Gegebenheiten entweder sich nicht einfüge (§ 34 Abs. 2 BauGB) oder öffentliche Belange beeinträchtige (§ 35 Abs. 2 BauGB). Es habe nicht festgestellt werden können, dass eine überleitungsfähige planerische Festsetzung für das Grundstück der Klägerin existiere. Auch für solche Festsetzungen gelte nämlich, dass sie in ihrem Inhalt feststehen und zweifelsfrei nachgewiesen sein müssten. Dafür sei grundsätzlich eine Ausfertigung des Plans zu verlangen. Eine solche sei nicht vorhanden. Auch eine Ersatzausfertigung des Plans liege nicht vor. Es gebe kein Gemeinderatsprotokoll, das sich gerade mit der hier streitigen Baulinie von 1905 befasse. Selbst wenn man annähme, dass der Verlust des Bebauungsplandokuments nicht für sich gesehen zur Ungültigkeit des Plans führe, helfe dies der Klägerin nicht weiter. In einem solchen Fall bedürfte es nämlich des anderweitigen Nachweises des tatsächlich geltenden Rechts. Daran fehle es hier. Der Übersichtsplan von 1929 könne einen solchen Nachweis nicht erbringen. Die Kammer sei nämlich der Auffassung, dass bloße Indizien nicht ausreichten, sondern dass ein solcher Nachweis nur im Wege der sogenannten Ersatzausfertigung geführt werden könne. Es möge zwar viel dafür sprechen, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Baulinie südlich der Pxx-xxxxxstraße beschlossen worden sei. Das genüge aber nicht für die Annahme einer rechtsverbindlichen Regelung.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 03.07.2002 zugestellte Urteil die darin zugelassene Berufung am 31.07.2002 eingelegt und sie nach Fristverlängerung am 11.10.2002 begründet.

Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Juni 2002 - 3 K 1316/01 - zu ändern, das beklagte Land zu verpflichten, der Klägerin einen Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung von drei Reihenhäusern an dem in den eingereichten Bauvorlagen eingezeichneten Standort im südlichen Bereich des Grundstücks Pxxxxxxstraße xx, Flst.Nr. xxxx, in Weissach zu erteilen, und den Bescheid des Landratsamts Böblingen vom 13. Oktober 1999 sowie den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 26. Februar 2001 aufzuheben, soweit diese entgegenstehen.

Zur Begründung wird vorgetragen: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hätte unter Beachtung der "Tiefenwirkung" der Baulinie von 1905 an der heutigen Pxxxxxxstraße der Klage stattgeben müssen. Es sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Nachweis der Baulinie nicht gelungen sei. Er scheitere nicht daran, dass der Ortsbauplan weder in seiner Originalurkunde noch in einer beglaubigten Kopie auffindbar sei. Der Verlust des Bebauungsplans lasse den Rechtssetzungsakt als solchen unberührt und führe daher nicht für sich gesehen zur Ungültigkeit oder zum Außerkrafttreten des Bebauungsplans. Aus den vorliegenden Unterlagen und Plänen ergebe sich, dass die "bürgerlichen Kollegien" am 11.03.1905 einen Ortsbauplan beschlossen hätten. Dieser habe zwar trotz entsprechender Bemühungen im alten Rathaus der Beigeladenen nicht aufgefunden werden können. Auf Grund der diesbezüglichen Übereinstimmung der Pläne von 1890 bzw. 1899 und vom 13.02.1929 könne jedoch nicht mehr bezweifelt werden, dass es immer ein- und dieselbe Baulinie gewesen sei, welche nach den verschiedenen Plänen südlich der Pxxxxxxstraße auf dem Grundstück der Klägerin verlaufe. Soweit das Verwaltungsgericht dargelegt habe, es gebe kein Gemeinderatsprotokoll, das sich mit der hier streitigen Baulinie von 1905 befasse, sei dies unrichtig. Denn der Gemeinderatsbeschluss vom 11.03.1905 befasse sich mit dem Anlass der damals ziemlich umfassenden Neuplanung, nämlich dem Brand vom 24.10.1904, und dem Umstand, dass bestimmte Baulinien bestehen bleiben sollten. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei somit die Existenz eines Gemeinderatsbeschlusses über die Baulinie nachgewiesen worden. Eine Baulinie sei infolge dessen sowohl vor 1905 als auch danach vorhanden gewesen. Es werde nicht verkannt, dass es hier an der Existenz des materiellen Substrats der Norm aus dem Jahr 1905 fehle. Der Inhalt des geltenden Ortsrechts könne aber auch mit Hilfe noch vorhandener Dokumente nachgewiesen werden, denen ausreichende Feststellungen für die Beurteilung des konkreten Genehmigungsantrags entnommen werden könnten. Abgesehen davon spreche die Tatsache, dass bei der Beigeladenen keine weiteren Verwaltungsakten und Pläne mehr zu finden seien, für eine fehlende Vorsorge gegen den Verlust von Planunterlagen auf behördlicher Seite. Die Missachtung solcher Vorsorge könne aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu einer Beweislastumkehr oder zu einer Beweiserleichterung führen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung wird unter anderem vorgetragen: Es fehle bereits an einem verbindlichen Ortsbauplan. Die im vorgelegten Plan aus dem 19. Jahrhundert eingezeichneten Linien könnten als Baulinien gedeutet werden, allerdings stimme ein größerer Teil der Linien weder mit den vorhandenen Baulinien noch mit der späteren Bebauung überein. Es fehlten jegliche Angaben über Zweck, Legalität, Identität, Ausfertigung usw. Auch könne nicht von einer Beweislastumkehr ausgegangen werden. Voraussetzung für eine Überleitung wäre außerdem, dass die Baulinie zum Zeitpunkt ihrer Aufstellung und ihrer Überleitung abwägungsfehlerfrei gewesen wäre. Hierüber lägen keinerlei Nachweise vor. Die behauptete Baulinie sei zwar öfters in Lageplänen zu Bauvorhaben an der Pxxxxxxstraße eingezeichnet. Aufgrund der fehlenden rechtlichen Grundlage sei sie aber bei der baurechtlichen Beurteilung nie zugrunde gelegt worden. Die Voraussetzungen des § 35 BauGB für eine Bebauung des südlichen Bereichs des Grundstücks lägen daher nicht vor. Dies gälte auch bei einer Beurteilung nach § 34 BauGB.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Dem Senat liegen die einschlägigen Behördenakten und die von den Beteiligten vorgelegten Pläne vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen, weil die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung eines Bauvorbescheids über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung von drei Reihenhäusern im südlichen Bereich ihres Grundstücks Flst.Nr. xxxx hat. Soweit der Bescheid des Landratsamtes Böblingen vom 13.10.1999 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 26.02.2001 einen entsprechenden Anspruch ablehnen, sind sie rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 LBO kann auf schriftlichen Antrag des Bauherrn ein schriftlicher Bescheid zu einzelnen Fragen eines Vorhabens erteilt werden (Bauvorbescheid). Auf seine Erteilung besteht ein Anspruch, wenn dem betreffenden Bauvorhaben insoweit keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (§ 57 Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO). Hier geht es der Klägerin um die Frage der Bebaubarkeit ihres Grundstücks mit drei Reihenhäusern an dem in den Bauvorlagen eingezeichneten Standort im südlichen Bereich.

Dabei kann offen bleiben, ob das Grundstück der Klägerin Flst.Nr. xxxx im (nicht qualifiziert beplanten) Innenbereich oder im Außenbereich liegt. Denn es ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vom Bestehen einer entlang der nördlichen Grundstücksgrenze zur Pxxxxxxstraße verlaufenden Baulinie als Festsetzung eines übergeleiteten Bebauungsplans (vgl. § 30 Abs. 2 BauGB) mit der Folge einer Bebaubarkeit ihres Grundstücks bis zu einer Tiefe von 50 m - gemessen ab der Baulinie - auszugehen (dazu unter I.). Deshalb ist die Errichtung der Reihenhäuser sowohl bei einer Beurteilung nach § 34 BauGB als auch nach § 35 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche bauplanungsrechtlich zulässig (dazu unter II.).

I.

1. Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Pläne und Dokumente zu der Überzeugung gelangt, dass auf dem Grundstück der Klägerin unter Geltung der Neuen allgemeinen Bauordnung für das Königreich Württemberg vom 06.10.1872 (württ. RegBl. S. 305, im Folgenden BauO 1872) eine von Westen nach Osten entlang der Pxxxxxxstraße verlaufende Baulinie festgesetzt worden ist.

Dem steht insbesondere nicht die Tatsache entgegen, dass weder das Original des Ortsbauplans mit der betreffenden Baulinie noch eine beglaubigte Abschrift des Plans vorliegen. Nicht zu folgen ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts, für den Nachweis planerischer Festsetzungen sei grundsätzlich eine Ausfertigung des Plans zu verlangen. Denn der Verlust eines Bebauungsplandokuments - also sozusagen des "materiellen" Substrats der "ideellen" Norm - lässt den Rechtssetzungsakt als solchen unberührt und führt daher nicht schon für sich gesehen zur Ungültigkeit oder zum Außerkrafttreten des betreffenden Plans (BVerwG, Beschl. v. 01.04.1997 - 4 B 206.96 - NVwZ 1997, 890 = PBauE § 10 BauGB Nr. 13; Urt. v. 17.06.1993 - 4 C 7.91 - NVwZ 1994, 281 = PBauE § 10 BauGB Nr. 8; ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.01.1998 - 8 S 2430/97 - PBauE § 173 BBauG 1960 Nr. 1). Der Nachweis einer planerischen Festsetzung kann bei Fehlen des Originalplans zum Beispiel mit Hilfe anderer Dokumente geführt werden, die die betreffende Festsetzung enthalten oder beschreiben. Dabei sind gegebenenfalls allgemeine Beweisgrundsätze zu berücksichtigen; das bedeutet, dass derjenige, der sich auf das Vorhandensein einer ihm "günstigen" Norm beruft, hier die Klägerin bezüglich der Baulinie, grundsätzlich die Beweislast für deren Bestehen trägt (vgl. dazu und zu einer möglichen Beweislasterleichterung oder -umkehr bei Verletzung bestehender Aufbewahrungs- und Protokollierungspflichten durch eine Behörde: BVerwG, Beschl. v. 01.04.1997 - 4 B 206.96 - a.a.O.).

Dass die von der Klägerin behauptete Baulinie vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzbuchs vom 23.06.1960 (BGBl. I. S. 341 - BBauG 1960) existierte, wird zunächst durch die vorhandenen Pläne belegt. Sie ist sowohl in dem von Geometer Sxxxxx im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts gefertigten Plan als auch in dem "Übersichtsplan zum Ortsbauplan" von Oberamtsgeometer Nxxxxxxx vom 13.02.1929 eingezeichnet. Zwar fehlen nähere Informationen über den älteren Plan, der eine Vielzahl von Baulinien enthält. Insbesondere ist nicht bekannt, wann die danach entlang der Pxxxxxxstraße verlaufende Baulinie festgesetzt und genehmigt worden sein könnte. Dem Übersichtsplan aus dem Jahre 1929 und den von der Klägerin vorgelegten Niederschriften über die Verhandlungen von Gemeindegremien der Beigeladenen lässt sich aber entnehmen, dass diese Baulinie jedenfalls später - am 11.03.1905 - (erneut) beschlossen bzw. festgesetzt und am 09.11.1905 genehmigt wurde.

Die beiden "bürgerlichen Kollegien", der Gemeinderat und der Bürgerausschuss, die damals für die Feststellung von Ortsbauplänen zuständig waren (vgl. Art. 4 BauO 1872), beschlossen am 11.03.1905 die Neufassung und Änderung des bestehenden Ortsbauplans. In der Niederschrift über die damalige Verhandlung - die von den anwesenden Mitgliedern der Kollegien und auch vom Bürgermeister unterschrieben wurde - ist unter anderem festgehalten, dass wegen des am 24.10.1904 stattgefundenen Brandes im unteren Ortsteil verschiedene Neubauten erforderlich würden. Hierdurch sei die teilweise Ausdehnung und Abänderung des Ortsbauplans in diesem Gebiet notwendig geworden und für diesen Zweck im Auftrag des Gemeinderats von Geometer Sxxxxx ein Plan aufgestellt worden, in dem die alten "in Fortfall kommenden" Baulinien gelb, die neu einzuführenden rot und die bestehen bleibenden blau eingetragen seien. Weiter wird ausgeführt, dass die "bürgerlichen Kollegien" heute Einsicht in diesen Plan erhalten und beschlossen hätten, die gelb eingezeichneten Baulinien aufzuheben, die rot eingetragenen festzusetzen, die blau eingezeichneten, als genehmigt geltenden Linien bestehen zu lassen und nach Beibringung der noch nötigen Unterlagen und geschehenen Auslegung der Pläne die Genehmigung des königlichen Oberamts nachzusuchen. Das weitere Verfahren lässt sich der Niederschrift über eine Verhandlung vor beiden "bürgerlichen Kollegien" vom 23.11.1905 entnehmen: "Die unter 11. März des Jahres beschlossene Änderung mit teilweiser Neufestsetzung des Ortsbauplans hat die oberamtliche Genehmigung erhalten. - Erlass vom 09.11.1905 - . Derselbe wurde 8 Tage lang vom 13. bis einschließlich 20. November im Rathaussaal zur allgemeinen Einsichtnahme ausgelegt und entsprechende öffentliche Bekanntmachung erlassen. Einsprachen kamen nicht herein. Die bürgerlichen Gremien nahmen Kenntnis davon." Auch im Übersichtsortsbauplan vom 13.02.1929 wird für alle nicht mit einem abweichenden Datum versehene Baulinien, also auch für die südlich der Pxxxxxxstraße verlaufende, als Genehmigungsdatum der 09.11.1905 angegeben.

Auch wenn der in der Sitzung vom 11.03.1905 beschlossene Ortsbauplan mit den gelben, roten und blauen Baulinien nicht vorliegt, bestehen danach keine vernünftigen Zweifel mehr daran, dass zu den am 11.03.1905 (erneut) beschlossenen und am 09.11.1905 genehmigten Baulinien eine Baulinie entlang der Pxxxxxxstraße gehört. Bezeichnend ist auch, dass diese Baulinie sogar in Lageplänen zu Bauanträgen aus den Jahren 1971 (bezüglich des Grundstücks Flst.Nr. xxxxxx) und 1981 (bezüglich des Grundstücks Flst.Nr. xxxxxx), allerdings mit dem Datum "09.09.1905", aufgenommen wurde.

2. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Festsetzung unwirksam gewesen wäre.

Dass die am 11.03.1905 beschlossene Änderung des Ortsbauplans - mit gleichzeitiger erneuter Festsetzung bereits bestehender Baulinien - vom zuständigen Oberamt genehmigt und der Plan sodann bis zum 20.11.1905 "zur allgemeinen Einsichtnahme ausgelegt" worden ist (vgl. Art. 5 Abs. 1 BauO 1872), ergibt sich aus der Niederschrift über die Verhandlung der "bürgerlichen Kollegien" vom 23.11.1905. Rechtserhebliche formelle oder materielle Fehler sind nicht ersichtlich. Dabei ist ebenfalls der bereits angeführte (oben I.1.) Grundsatz zu bedenken, dass der Verlust des Bebauungsplandokuments nicht schon für sich genommen zur Ungültigkeit oder zum Außerkrafttreten des Bebauungsplans führt. Denn daraus folgt auch, dass nicht auf Grund des Verlusts der Planunterlagen mehr oder weniger spekulativ die Möglichkeit von Mängeln im Rechtssetzungsverfahren unterstellt werden darf (BVerwG, Beschl. v. 01.04.1997 - 4 B 206.96 - a.a.O.). Dies gilt insbesondere für die Ausfertigung, deren ordnungsgemäße Vornahme in der Regel nur bei Vorliegen des Originalplans nachgewiesen werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat außerdem bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es verfehlt sein kann, wenn ein Verwaltungsgericht seine ihm gemäß § 86 Abs. 1 VwGO auferlegte Sachaufklärungspflicht zum Anlass nähme, "gleichsam ungefragt" in eine Suche nach Fehlern in der Vorgeschichte und Entstehungsgeschichte eines Bebauungsplans einzutreten (Urt. v. 07.09.1979 - 4 C 7.77 - DVBl. 1980, 230; Beschl. v. 01.04.1997 - 4 B 206.96 - a.a.O., und v. 20.06.2001 - 4 BN 21.01 - NVwZ 2002, 83; vgl. auch Urt. v. 17.04.2002 - 9 CN 1.01 -BVerwGE 116, 188; ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.02.1993 - 8 S 287/92 - NVwZ 1994, 700 = PBauE § 233 BauGB Nr. 1, m.w.N.). Das bedeutet zwar nicht, dass von einer rechtlichen Vermutung der Fehlerfreiheit auszugehen wäre. Auch entfällt bei Fehlen der Planurkunde die Beweiskraft gemäß § 418 Abs. 1 ZPO. Eine weitere Prüfung der formellen oder materiellen Rechtswirksamkeit ist aber auch bei einem "im Wege der Beweiserhebung rekonstruierten" Bebauungsplan bzw. dessen Festsetzungen nur bei begründetem Anlass zu Zweifeln vorzunehmen (BVerwG, Beschl. v. 01.04.1997 - 4 B 206.96 - a.a.O.). Ein solcher Anlass ist hier nicht ersichtlich, anders als in dem dem Senatsurteil vom 10.04.1997 (- 5 S 1564/96 - NVwZ-RR 1998, 545) zugrunde liegenden Fall, auf den sich das Verwaltungsgericht berufen hat. In jenem Fall lagen der Originalplan und die dazugehörigen Bebauungsplanakten vor, es fehlte aber an einer Ausfertigung. Ob eine ordnungsgemäße Ausfertigung hier schon deshalb zu bejahen wäre, weil die Niederschrift über die Verhandlung der "bürgerlichen Kollegien" vom 11.03.1905 den beschlossenen bzw. festgestellten Plan mit der Angabe des Planfertigers - Geometer Sxxxxx - und der Beschreibung, dass dieser gelbe, rote und blaue Baulinien enthalte, hinreichend eindeutig bezeichnet und vom Bürgermeister unterschrieben ist (vgl. zu den Anforderungen an eine sog. Ersatzausfertigung Senatsurt. v. 10.04.1997 - 5 S 1564/96 - a.a.O., m.w.N.), kann daher letztlich offen bleiben.

Anhaltspunkte dafür, dass diese Baulinie in der Zeit bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 wieder aufgehoben oder geändert worden wäre, bestehen nicht.

3. Die Baulinie ist - mit der Folge einer Bebaubarkeit betroffener Grundstücke bis zu einer Tiefe von 50 m - heute noch als Festsetzung eines einfachen Bebauungsplans wirksam und anzuwenden.

a) Nach § 173 Abs. 3 des Bundesbaugesetzes 1960 gelten bei Inkrafttreten des Gesetzes (gemeint ist das Inkrafttreten des Ersten bis Dritten Teils des BBauG 1960 am 29.06.1961) bestehende baurechtliche Vorschriften und festgestellte städtebauliche Pläne als Bebauungspläne fort, soweit sie verbindliche Regelungen der in § 9 BBauG 1960 bezeichneten Art enthalten. Dies trifft auch für die hier in Frage stehende Baulinie zu.

aa) Voraussetzung für eine Überleitung bestehender Pläne und Vorschriften ist nach § 173 Abs. 3 BBauG 1960 zunächst, dass diese einen Inhalt hatten, der nach § 9 BBauG 1960 Inhalt eines Bebauungsplans sein kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.10.1972 - IV C 14.71 - BVerwGE 41, 67). Das ist hier der Fall. Die Baulinie hatte aufgrund späterer Änderungen württembergischer baurechtlicher Vorschriften die Folge, dass das betreffende Grundstück bis zu einer Tiefe von 50 m bebaubar war. Mit diesem Inhalt entsprach sie der Festsetzung einer überbaubaren Grundstücksfläche im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1b BBauG 1960.

Eine unter Geltung der Neuen allgemeinen Bauordnung von 1872 in einem Baulinien- bzw. Ortsbauplan festgesetzte Baulinie hatte allerdings zunächst lediglich die Folge, dass Gebäude grundsätzlich nur an dieser Linie errichtet werden durften (Art. 21 BauO 1872), war also mit einer Baulinie nach heutigem Verständnis vergleichbar. Nach Inkrafttreten der württembergischen Bauordnung vom 28.07.1910 (Reg.Bl. S. 333, im Folgenden württ. BauO), deren Vorschrift über Baulinien - Art. 34 - auch auf bereits bestehende Baulinien anzuwenden war (vgl. Art. 129 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 württ. BauO, VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.05.1975 - III 918/74 - und v. 23.01.1998 - 8 S 2447/97 -NuR 1999, 332), durften Bauten die von einer Baulinie gebildete Grenze grundsätzlich nicht überschreiten; vorbehaltlich abweichender Regelungen in einer Ortsbausatzung stand es dem Bauherrn aber frei, Bauten ganz oder teilweise hinter die Baulinie "zurückzustellen" (Art. 34 Abs. 1 und 2 württ. BauO). Es bestanden damals zwar schon Vorschriften, die bestimmten, dass Grundstücke insoweit als innerhalb des Ortsbauplans gelegen anzusehen sind, "als sie entweder in eine von Baustraßen umschlossene Fläche fallen oder aber von einer Baulinie nicht mehr als 50 m, waagrecht gemessen, abstehen" (Art. 25 des Gesetzes betreffend das landwirtschaftliche Nachbarrecht vom 15.06.1893 [Reg.Bl. S. 141], vgl. auch Art. 65 Abs. 2 württ. BauO). Das Bauen außerhalb dieses Bereichs war aber wohl planungsrechtlich grundsätzlich weiter erlaubt (nach § 32 Abs. 2 BauO 1872 konnte es nur aus "feuer- und sicherheitspolizeilichen Gründen" untersagt werden, nach Art. 65 Abs. 1 württ. BauO war es bei "feuer- oder gesundheitspolizeilichen" oder "sitten- oder sicherheitspolizeilichen" Bedenken zu untersagen - vgl. zu Art. 65 württ. BauO: Häffner, Württ. BauO, 1. Band, 1911, Art. 65 Anm. 5 ff., 7), so dass eine Baulinie noch nicht zugleich als Festsetzung einer überbaubaren Grundstückfläche anzusehen gewesen sein dürfte (vgl. dazu und zum Folgenden VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.01.1998 - 8 S 2430/97 - a.a.O.). Dies änderte sich mit Inkrafttreten des durch das Gesetz des Staatsministeriums zur Änderung der Bauordnung vom 15.12.1933 (RegBl. S. 443) neu in die württembergische Bauordnung eingefügten Art. 1a. Nach dessen Absatz 2 war die Errichtung von Bauten außerhalb des Gebiets des Ortsbauplans und, soweit kein solcher bestand, außerhalb eines geschlossenen Wohnbezirks nur noch zulässig, wenn weder polizeiliche Bedenken irgendwelcher Art noch Rück-sichten auf ein Orts- oder Landschaftsbild entgegenstehen. Gebäude, die sich zum dauernden Wohnen eignen, waren nach Art 1a Abs. 3 württ. BauO außerdem nur zulässig, wenn sie Bestandteile eines land- oder forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Betriebs oder eines ortsgebundenen gewerblichen Betriebs bilden und nur einen untergeordneten Bruchteil der Grundstücksfläche des Betriebs einnehmen sollen. Gemäß Art. 1a Abs. 4 württ. BauO galten als außerhalb des Ortsbauplans gelegen Grundstücke insoweit, als sie entweder nicht in eine von Baustraßen umschlossene Fläche fallen oder mehr als 50 m, waagrecht gemessen, hinter einer Baulinie liegen.

Damit kam einer Baulinie auch die sogenannte "Tiefenwirkung" zu, das heißt, sie hatte zur Folge, dass ein Grundstück grundsätzlich bis zu einer Tiefe von 50 m - gemessen ab der Linie - als innerhalb des Ortsbauplans gelegen und damit als grundsätzlich bebaubar galt (vgl. dazu, dass sich dies auch unter Geltung der Verordnung über die Regelung der Bebauung vom 15.02.1936 [RGBl. 1936 I, 104] nicht änderte: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.02.1995 - 8 S 2183/94 - VBlBW 1995, 400). Mit diesem Inhalt konnte sie übergeleitet werden (ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.01.1998 - 8 S 2430/97 - und - 8 S 2447/97 - sowie Urt. v. 17.02.1995 - 8 S 2183/94 - jeweils a.a.O.). Die Regelung des Art. 1a Abs. 4 württ. BauO ist zwar an sich mit Inkrafttreten des Baugesetzbuchs 1960 außer Kraft getreten (vgl. Neuffer, Die Auswirkungen des BBauG auf die Württ. BauO, VBlBW 1961, 97, 101). Soweit bauplanungsrechtliche Vorschriften in einer Landesbauordnung Ortsbaurecht ergänzten, also zum Beispiel den Inhalt einer planerischen Festsetzung bestimmten, gelten sie aber als Bestandteil des übergeleiteten Plans weiter (vgl. Bielenberg/Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 1. Mai 2003, § 233 Rdnrn 76, 87 und 90; Grauvogel in: Brügelmann, BBauG, Stand: Februar 1986, § 173 Anm. IV 1 b) cc) (4); Schrödter, BBauG, 4. Aufl. 1980, § 173 Rdnr. 8c; Gaentzsch in: Berliner Komm., 3. Aufl. 2002, § 10 Rdnr. 49; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.01.1998 - 8 S 2430/97 - a.a.O., m.w.N., und v. 22.05.1975 - III 918/74 -; OVG NRW, Urt. v. 22.04.1965 - VII A 819/63 - OVGE MüLü 21, 227).

bb) Voraussetzung für eine wirksame Überleitung eines Plans nach § 173 Abs. 3 BBauG 1960 ist außerdem, dass der Plan sowohl zum Zeitpunkt seiner Aufstellung - nach den damals geltenden Anforderungen - als auch zum Zeitpunkt der Überleitung dem Gebot gerechter Abwägung der berührten Belange entsprach (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urt. v. 20.10.1972 - IV C 14.71 - a.a.O., und v. 11.05.1973 - IV C 39.70 - Buchholz 406.11 § 173 BBauG Nr. 12; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.02.1993 - 8 S 287/92 - a.a.O.; Bielenberg/Söfker, a.a.O., § 233 Rdnr. 88). Davon ist hier auszugehen. Abwägungsfehler sind weder erkennbar noch vorgetragen. Wie oben bereits ausgeführt wurde (I.2.), darf insbesondere nicht allein wegen des Fehlens des Originalplans auf die Fehlerhaftigkeit des damaligen Normsetzungsprozesses geschlossen werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.04.1997 - 4 B 206.96 - a.a.O.; ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.02.1993 - 8 S 287/92 - a.a.O., m.w.N.). Die entlang der Pxxxxxxstraße festgesetzte Baulinie mit der Rechtsfolge der "Tiefenwirkung" hatte zudem nicht etwa einen Inhalt, der zum Zeitpunkt der Überleitung nicht abwägungsfehlerfrei zum Inhalt eines Plans hätte gemacht werden können.

b) Die Festsetzung der Baulinie ist auch nicht wegen der Länge der verstrichenen Zeit funktionslos und damit unwirksam geworden.

Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (BVerwG, Urt. v. 29.04.1977 - 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5). Der Senat hat zwar in einem Urteil vom 29.08.1989 (- 5 S 2897/88 - BRS 49 Nr. 4) erwogen, ob die Tatsache, dass ein Bebauungsplan über 110 Jahre lang nicht verwirklicht wurde, zu dessen Außerkrafttreten führen könnte. Da jedoch allein das Verstreichen eines langen Zeitraums die Verwirklichung eines Bebauungsplans noch nicht ausschließt, hat der bloße Zeitablauf ohne das Hinzutreten weiterer Umstände in der Regel noch nicht dessen Funktionslosigkeit zur Folge (so auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.01.1998 - 8 S 2447/97 - und - 8 S 2430/97 - jeweils a.a.O. und m.w.N.). Ewas anderes gilt auch nicht bei geänderten Planungsabsichten der betreffenden Gemeinde. Schließlich hat diese die Möglichkeit, bestehende, ihren jetzigen Vorstellungen widersprechende Bebauungspläne aufzuheben oder zu ändern. So lange sie dies nicht getan hat, bleibt selbst ein über 100 Jahre alter Plan anwendbar.

Sonstige objektive Umstände, die einer (weiteren) fortdauernden Geltung der Baulinie entgegenstehen könnten, sind nicht erkennbar. Insbesondere ist die Straßenführung nicht geändert worden (vgl. zu einem solchen Fall VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.01.1998 - 8 S 2430/97 - a.a.O.). Bis auf die auf den Grundstücken Flst.Nrn. xxxx und xx errichteten Gebäude, die ausweislich der vorliegenden Pläne schon im 19. Jahrhundert direkt an der Grenze zur Straße bzw. zum Gehweg lagen, halten weiterhin alle Gebäude entlang der Pxxxxxx-straße westlich der Einmündung der Kxxxxstraße die straßenseitige Baulinie ein.

II.

Ist danach hier von der Geltung eines übergeleiteten einfachen Bebauungsplans (vgl. § 30 Abs. 2 BauGB) auszugehen mit einer von der Baulinie aus 50 m weiter südlich reichenden überbaubaren Grundstücksfläche, sind die von der Klägerin in dieser Fläche geplanten drei Reihenhäuser sowohl bei einer Beurteilung nach § 34 BauGB als auch nach § 35 BauGB zulässig.

Wegen dieser Festsetzung kann dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden, es füge sich hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die nähere Umgebung ein (§ 34 Abs. 1 BauGB). Geht man davon aus, dass die rückwärtige "Gartenzone" im Außenbereich liegt, so dass § 35 Abs. 2 und 3 BauGB anzuwenden wäre, ist es ebenfalls zulässig. Da die Reihenhäuser innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche errichtet werden sollen, kann insbesondere nicht angenommen werden, sie beeinträchtigten die natürliche Art der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) oder ließen die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung eine Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB; vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.02.1995 - 8 S 2183/94 - a.a.O., m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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