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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 28.11.2003
Aktenzeichen: 7 S 7/03
Rechtsgebiete: GG, VwGO, BAföG


Vorschriften:

GG Art. 6 Abs. 1
VwGO § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
VwGO § 87 a Abs. 2
VwGO § 87 a Abs. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
BAföG § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
1. Zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache durch den Einzelrichter nach § 87 a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 VwGO (Abgrenzung zur Zulassung durch den Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

2. Ein Fachrichtungswechsel nach einem ehebedingten Umzug kann aus unabweisbarem Grund erfolgt sein (in Anlehnung an BVerwG, Urt. v. 23.09.1999, FamRZ 2000, 642).


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

7 S 7/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Ausbildungsförderung

hat der 7. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Gehrlein und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Klein und Bader

am 28. November 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26. September 2002 - 11 K 4777/01 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die weitere Gewährung von Ausbildungsförderung.

Die Klägerin studierte ab dem Sommersemester 1998 bis zum Sommersemester 2000 an der Freien Universität Berlin in den Fächern Englisch und Geschichte mit dem Studienschwerpunkt Grundschuldidaktik und -pädagogik mit dem Studienziel 1. Staatsexamen. Ihr Berufsziel war das eines Lehramts an Grund- und weiterführenden Schulen bis zur Sekundarstufe I in der vom Land Berlin vorgesehenen Qualifikation "Lehrer mit zwei Fächern". Für diese Ausbildung wurde ihr vom Studentenwerk Berlin ab Mai 1998 bis einschließlich September 2000 Ausbildungsförderung nach dem BAföG gewährt.

Im Wintersemester 2000/2001 war die Klägerin beurlaubt. Zum 31.3.2001 ließ sie sich von der Freien Universität Berlin exmatrikulieren. Im Februar 2001 wandte sich die Klägerin erstmals an den Beklagten und teilte mit, sie plane, zum kommenden Sommersemester 2001 wegen ihrer bevorstehenden Heirat in den Raum Stuttgart/Ludwigsburg umzuziehen und ihr Studium dann an der PH Ludwigsburg fortzusetzen. Wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung der Ausbildung für das Lehramt an Grundschulen in Baden-Württemberg sei sie hierbei gezwungen, entweder das Fach Mathematik oder das Fach Deutsch hinzu zu wählen. Sie habe sich für die Fächerkombination Englisch/Mathematik entschieden. Dabei werde sie im Fach Mathematik in das erste Semester eingestuft.

Mit dem Sommersemester 2001 nahm die Klägerin ihr Studium an der PH Ludwigsburg in den Fächern Englisch/Mathematik auf und beantragte hierfür unter dem 25.4.2001 Ausbildungsförderung nach dem BAföG.

Mit Bescheid vom 6.7.2001 lehnte der Beklagte den Förderungsantrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, es handele sich insoweit um einen Antrag auf Förderung einer anderen Ausbildung nach einem Fachrichtungswechsel. Da der Wechsel erst nach dem fünften Fachsemester erfolgt sei, könne gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG Ausbildungsförderung nur gewährt werden, wenn der Fachrichtungswechsel aus unabweisbarem Grund erfolgt sei. Ein solcher Grund, z.B. eine unerwartete - etwa als Unfallfolge eingetretene - Behinderung oder Allergie gegen bestimmte Stoffe, liege jedoch nicht vor.

Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin aus, mit dem Wechsel des Studienortes sei tatsächlich kein Fachrichtungswechsel erfolgt. Sie wolle nach wie vor Lehrerin an Grundschulen werden. Ein Fachrichtungswechsel könne nicht angenommen werden, wenn das nämliche Studienziel beibehalten werde und es allein aufgrund der unterschiedlich ausgeübten Gesetzgebungskompetenz der Länder im Kultusbereich zu einer Änderung im Fächerkanon komme. Daneben liege aber jedenfalls ein unabweisbarer Grund für den erfolgten Wechsel vor. Der Grund sei die damals geplante Eheschließung gewesen, welche zwischenzeitlich am 23.6.2001 auch erfolgt sei. Um den Jahreswechsel 2000/2001 herum habe festgestanden, dass der (künftige) Ehemann der Klägerin sich nach Abschluss seines eigenen Studiums in Berlin in den Raum Stuttgart orientieren werde. Er habe dort seine Berufsausbildung zum psychologischen Therapeuten abschließen wollen, wobei von Schwerpunkt und inhaltlicher Ausrichtung her für ihn allein eine Ausbildungseinrichtung in Stuttgart in Frage gekommen sei. Die Ehegatten hätten daher beschlossen, den gemeinsamen Wohnsitz nach dort zu verlegen. Bei der Frage, wann ein unabweisbarer Grund i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG vorliege, müsse sich die Behörde auch von dem leiten lassen, was durch die Verfassung vorgegeben sei. Ein solcher unabweisbarer Grund sei dann gegeben, wenn eine Handlungsalternative nicht bestehe oder nicht zumutbar sei. Hier habe die Klägerin nur die Möglichkeit gehabt, am neuen gemeinsamen Wohnort der Ehegatten unter Inkaufnahme einer Modifikation ihres Studiums weiter zu studieren oder aber auf unbestimmte Zeit in erheblicher räumlicher Entfernung vom Ehemann zu wohnen. Letzteres sei ihr nicht zumutbar gewesen. Sachverhalte, die einen unabweisbaren Grund i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG ausmachten, seien nicht auf körperliche Eignung oder innere Neigungen beschränkt. Auch andere Umstände müssten berücksichtigt werden, soweit sie mit der Ausbildung in einem inneren Zusammenhang stünden. Hierzu gehöre auch ein Umstand aus dem persönlichen oder familiären Lebensbereich des Auszubildenden sowie die Frage, ob der Auszubildende in der Lage sei, an den erforderlichen Ausbildungsveranstaltungen teilzunehmen. Sei er hieran durch persönliche oder familiäre Umstände gehindert, so könne dies auch ein unabweisbarer Grund für einen Fachrichtungswechsel sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8.11.2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Da die Klägerin in dem neu aufgenommenen Fach Mathematik in das erste Semester eingestuft worden sei, liege nicht lediglich eine Schwerpunktverlagerung vor, vielmehr sei von einem Fachrichtungswechsel auszugehen. Es liege allerdings kein unabweisbarer Grund für diesen Wechsel vor. Als unabweisbar könnten nur solche Gründe anerkannt werden, auf deren Eintritt der Auszubildende persönlich keinerlei Einfluss habe. Eine Eheschließung sei kein solcher Grund. Das Eingehen einer Ehe beruhe auf der freien Entscheidung des betroffenen Paares und stelle keinen Umstand dar, den das Paar hinnehmen müsse und nicht beeinflussen könne. Wenn sich die Klägerin entschlossen habe, die Ehe einzugehen und im Zuge dieser Ehe ihrem Mann, der eine Ausbildung in Stuttgart absolviere, nachzufolgen, könne dieser Entschluss nicht als unabweisbarer Grund anerkannt werden.

Zur Begründung der hiergegen am 6.12.2001 zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Ihr Wechsel könne schon nicht als Fachrichtungswechsel i.S.v. § 7 Abs. 3 BAföG angesehen werden, da sie ihr Studienziel - Grundschullehrerin - niemals aufgegeben habe. Für diesen Wechsel liege aber jedenfalls ein unabweisbarer Grund vor. Ein ehebedingter Umzug, wodurch die Fortführung des bisherigen Studiums nicht mehr möglich sei, sei ein unabweisbarer Grund. Die Ehe stehe unter dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Den Eheleuten stehe es frei, den räumlichen und sozialen Mittelpunkt ihres gemeinsamen Lebens selbst zu bestimmen. Eine Trennung der Eheleute aufgrund förderungsrechtlicher Gesichtspunkte sei mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Es könne der Klägerin nicht zugemutet werden, weiterhin in Berlin zu studieren, während ihr Ehemann in Baden-Württemberg lebe. Nachdem im Lande Baden-Württemberg aber eine andere Fächerkombination als in Berlin verlangt werde, sei es der Klägerin nicht mehr möglich, ihr Studium mit dem Berufsziel Grundschullehrerin in der zunächst begonnenen Form fortzusetzen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, ihr dem Grunde nach Leistungen nach dem BAföG in gesetzmäßiger Höhe zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Unabweisbar im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG seien nur die Gründe, welche den Auszubildenden gleichsam schicksalhaft träfen. Dies sei bei der erfolgten Heirat der Klägerin und dem damit verbundenen Umzug nach Baden-Württemberg nicht der Fall.

Durch Urteil vom 26.9.2002 hat das Verwaltungsgericht - nach Anhörung der Klägerin und ihres Ehemannes in der mündlichen Verhandlung - nach dem Klagantrag erkannt und hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 7 Abs. 3 BAföG werde Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung geleistet, wenn der Auszubildende im Falle einer Hochschulausbildung - wie hier - nach dem Beginn des vierten Fachsemesters aus unabweisbarem Grund die Fachrichtung gewechselt habe. Diese Voraussetzungen seien entgegen der Ansicht des Beklagten erfüllt. Allerdings treffe dessen Annahme zu, die Änderung im Fächerkanon nach dem Wechsel von der Freien Universität Berlin zur PH Ludwigsburg - bei gleichbleibendem Berufsziel: Grundschullehrerin - stelle einen Fachrichtungswechsel i.S.v. § 7 Abs. 3 BAföG dar. Die Fachrichtung werde durch den Gegenstand der Ausbildung, d.h. durch das materielle Wissenssachgebiet, auf dem sie Kenntnisse und Fertigkeiten vermittle, und das angestrebte Ausbildungsziel bestimmt. Zwar habe die Klägerin ihr Ausbildungsziel Staatsexamen mit dem Berufsziel Grundschullehrerin nicht verändert. Eine Änderung sei aber mit Blick auf die von dieser studierten materiellen Wissenssachgebiete eingetreten. Bei einem Mehrfächerstudium wie einem Lehramtsstudiengang werde die Fachrichtung nicht allein durch den Begriff Lehramtsstudiengang bestimmt, sondern durch die Bezeichnung Studium für das Lehramt (an einer bestimmten Schulart) in den speziell gewählten Fächern. Mit der Hinzunahme des Faches Mathematik, in welchem die Klägerin folgerichtig in das erste Fachsemester eingestuft worden sei, habe die Klägerin daher einen Fachrichtungswechsel im Sinne von § 7 Abs. 3 BAföG vorgenommen.

Entgegen der Ansicht des Beklagten beruhe dies aber auf Seiten der Klägerin auf einem unabweisbaren Grund. Soweit der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden unter Bezugnahme auf Tz 7.3.16 a BAföG-VwV ausführe, insoweit könnten nur "schicksalhafte" Ereignisse berücksichtigt werden, übersehe er, dass es sich insoweit nicht um eine Definition, sondern lediglich um eine beispielhafte Erwähnung handele. Zu Unrecht gehe der Beklagte weiter davon aus, bestimmte Gründe - wie etwa hier die familiären Lebensumstände der Klägerin - könnten im Rahmen des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG von vornherein nicht als "unabweisbarer Grund" anerkannt werden. Vielmehr könnten auch persönliche und familiäre Umstände aus dem Lebensbereich des Auszubildenden als "unabweisbarer Grund" in Betracht kommen, sofern sie mit der Ausbildung in unmittelbarem Zusammenhang stünden und ihrer Gewichtung nach als unabweisbar anerkannt werden könnten.

Lägen - wie hier - für einen Fachrichtungswechsel mehrere Gründe im Sinne einer Kausalkette vor (Eheschließung mit Verlagerung des Familienwohnsitzes, Hochschulwechsel, Wechsel des Fächerkanons), so sei in Bezug auf jeden einzelnen dieser Gründe zu prüfen, ob ein unabweisbarer Grund i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG vorliege. Dies sei aber der Fall:

Ohne weiteres sei festzustellen, dass für den Wechsel im Fächerkanon für die Klägerin ein Grund vorgelegen habe, dem sie sich aus rechtlichen Gründen nicht habe entziehen können und der für sie daher zwangsläufig und mithin unabweisbar gewesen sei. Der Umstand, dass die einzelnen Bundesländer den Ausbildungsgang zum Grundschullehrer nicht bundeseinheitlich geregelt hätten und im Land Baden-Württemberg, im Unterschied zum Land Berlin, ein bestimmter Fächerkanon mit mindestens den Fächern Deutsch oder Mathematik zur Erlangung des Ausbildungszieles vorgeschrieben sei, sei von der Klägerin rechtlich nicht zu beeinflussen gewesen. Insbesondere sei eine Ausnahmeregelung für Studienwechsler aus anderen Bundesländern nicht vorgeschrieben. Der Fachrichtungswechsel bei Immatrikulation an der PH Ludwigsburg durch Hinzunahme des Faches Mathematik sei für die Klägerin daher aus rechtlichen Gründen unabweisbar gewesen.

Zwangsläufig und damit unabweisbar i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG, und zwar aus tatsächlichen Gründen, sei für die Klägerin auch der Wechsel der Ausbildungseinrichtung gewesen. Denn aufgrund der räumlichen Entfernung zwischen Stuttgart und Berlin sei es der Klägerin nach Verlegung des Familienwohnsitzes nicht mehr möglich gewesen, Ausbildungsveranstaltungen an der Freien Universität Berlin zu besuchen.

Unabweisbar, und zwar aus sittlichen Gründen, sei schließlich der Umzug der Klägerin in den Raum Stuttgart nach Verlegung des Familienwohnsitzes gewesen. Dabei verkenne das Gericht nicht, dass rein äußerlich betrachtet für die Klägerin auch die Möglichkeit bestanden hätte, den Familienwohnsitz zwar in den Raum Stuttgart zu verlegen, gleichwohl aber während des Semesters getrennt vom Ehemann eine "Studentenbude" in Berlin beizubehalten. Die andere Entscheidung, also für den Umzug, gemeinsam mit dem Ehemann, sei aber deswegen als sittlich zwangsläufig und damit unabweisbar i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG anzusehen, weil die letztgenannte rein äußerlich bestehende Handlungsalternative der Klägerin nicht habe angesonnen werden dürfen. Dies ergebe sich aus den Gründen des Urteils des BVerwG vom 23.9.1999, FamRZ 2000, 642, zum Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Die insoweit gemachten Ausführungen seien auch für den hier vorliegenden Fall der Überprüfung eines unabweisbaren Grundes maßgeblich. Art. 6 Abs. 1 GG stelle die Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, ohne diesen Schutz qualitativ zu beschränken. Gebiete dieses Grundrecht aber, an das verfassungsrechtlich unter Schutz gestellte Verhalten der Ehepartner im Ausbildungsförderungsrecht keine Sanktionen zu knüpfen, so habe Art. 6 Abs. 1 GG diese Wirkung gleichermaßen in Bezug auf § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG wie auch auf Nr. 2 dieser Vorschrift. Dabei könne für das vorliegende Verfahren dahinstehen, ob - worauf auch das Bundesverwaltungsgericht in dem o.a. Urteil hinweise - möglicherweise anders zu urteilen wäre, wenn die Ausbildung der Klägerin soweit gediehen gewesen wäre, dass der Abschluss nahe bevor gestanden und der Klägerin deshalb nur eine kurze familiäre Trennung zuzumuten gewesen wäre. Denn nach dem Ausbildungsstand der Klägerin wäre die Trennungszeit von ihrem Ehemann jedenfalls noch mehrjährig gewesen. Solches aber sei - jedenfalls unmittelbar nach der Eheschließung - nicht zumutbar. Es könne auch keine Rede davon sein, dass etwa der Vorwurf zu erheben wäre, die Verlegung des Familienwohnsitzes müsse als willkürlich angesehen werden. Der Ehemann der Klägerin habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung umfassend dargelegt, weshalb der Umzug von Berlin nach Stuttgart für ihn mit Blick auf das von ihm angestrebte Berufsziel notwendig gewesen sei.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung wiederholt der Beklagte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen: Ein unabweisbarer Grund liege nur vor, wenn sozusagen schicksalhaft ein von außen wirkendes Ereignis derart auf den Auszubildenden einwirke, dass dieser objektiv und subjektiv sein Studium unter keinen Umständen mehr fortsetzen könne. Ein solcher Grund liege hier aber nicht vor. Die Klägerin habe aufgrund ihrer eigenen freien Entscheidung die Ehe geschlossen und sei ihrem Ehemann in den Raum Stuttgart/Ludwigsburg gefolgt. Die Eheschließung sei kein quasi schicksalhaftes, von außen auf die Klägerin einwirkendes Ereignis, welches sie unabdingbar gezwungen habe, die Fachrichtung zu wechseln. Der Gesetzgeber habe nur schwerste Schicksalsschläge als unabweisbaren Grund gelten lassen wollen. Nicht darunter fallen könnten solche Umstände, die auf einer freien Entscheidung der Beteiligten beruhten. Demnach könne im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG die Eheschließung i.S.d. § 7 Abs. 3 BAföG zwar als "wichtiger Grund", nicht jedoch als "unabweisbarer Grund" angesehen werden. Die Grundsätze, welche das Bundesverwaltungsgericht in dem angesprochenen Urteil vom 23.9.1999 aufgestellt habe, gälten zwar für den unbestimmten Rechtsbegriff des wichtigen Grundes, könnten aber nicht für die Frage herangezogen werden, ob ein "unabweisbarer Grund" vorliege.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 16.12.2002 Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus: Nicht zutreffend sei die Auffassung des Beklagten, es könnten nur schwerste Schicksalsschläge als unabweisbarer Grund anerkannt werden bzw. es müsse ein von außen auf den Studenten einwirkendes Ereignis vorliegen, Umstände, die auf einer "freien" Entscheidung des Beteiligten beruhten, könnten nicht als unabweisbarer Grund anerkannt werden. Zudem werde seitens des Beklagten Art. 6 Abs. 1 GG nicht zutreffend gewürdigt. Der Beklagte übersehe in vollem Umfange, dass die Wertentscheidung des Grundgesetzes für Ehe und Familie gerade bei der Anwendung der unbestimmten und ausfüllungsbedürftigen Begriffe des einfachen Rechts mit einzufließen habe.

Zu Unrecht gingen der Beklagte und auch das Verwaltungsgericht davon aus, die Klägerin habe einen Fachrichtungswechsel vorgenommen. Nicht jede geringfügige und untergeordnete Änderung in der angestrebten Gesamtqualifikation begründe bereits einen Fachrichtungswechsel. Die bloße Hinzunahme des Faches Mathematik bedeute keinen nach § 7 Abs. 3 BAföG relevanten Wechsel, zumal die beiden von der Klägerin bereits an der FU Berlin studierten Fächer Englisch und Geschichte von dieser weiter betrieben würden. Die Klägerin habe mittlerweile, im Anschluss an das Sommersemester 2003, die Prüfung des ersten Staatsexamens in allen drei Fächern, auch in dem Fach Geschichte (als Erweiterungsprüfung), mit Erfolg abgelegt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 14.2, 24.9., 13.10. und vom 6.11.2003 Bezug genommen.

Dem Senat liegen die Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts vor. Hierauf und auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige (1.) Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht begründet (2.):

1.) Im vorliegenden Falle hat der Richter nach § 87 a Abs. 2 VwGO (sogenannter konsentierter Einzelrichter, vgl. hierzu etwa Kuntze in: Bader u.a. VwGO, 2. Aufl., § 87 a RdNrn. 15, 16) die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen. Hiergegen bestehen - anders als in den Fällen einer Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung durch den sogenannten fakultativen Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO (vgl. hierzu Funke-Kaiser in: Bader u.a., a.a.O., § 6 RdNr. 2) keine Bedenken (vgl. bezüglich des letztgenannten Falles den Beschluss des Senats vom 15.10.2003 - 7 S 558/03 -). Denn anders als im Falle des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO ist in § 87 a Abs. 2 VwGO als Voraussetzung einer Übernahme durch den Einzelrichter nicht bestimmt, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (zu der gleichwohl bestehenden Problematik dieser Vorschrift vgl. etwa Kuntze, a.a.O., § 87 a RdNr. 15).

2.) Auch nach Auffassung des Senats ist die Versagung von Förderungsleistungen nach dem - ehebedingten - Hochschulwechsel der Klägerin rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies hat bereits das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil im Einzelnen zutreffend dargelegt. Der Senat folgt diesen Ausführungen und nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug, zumal das Vorbringen des Beklagten in der Berufungsinstanz sich im Wesentlichen auf den seitherigen Vortrag beschränkt. Ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch der Senat der Auffassung, dass diese mit dem Wechsel von der Freien Universität Berlin nach der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg einen Fachrichtungswechsel im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG vorgenommen hat. Zwar hat die Klägerin das angestrebte Ausbildungsziel nicht verändert, vielmehr an ihrem Berufziel Grundschullehrerin festgehalten. Doch muss weiter beachtet werden, dass bei einem Mehrfächerstudium wie einem Lehramtsstudiengang die Fachrichtung nicht allein durch das Ausbildungsziel bestimmt wird, sondern auch durch das materielle Wissenssachgebiet, also durch die Fächer des jeweiligen Studienganges. Hier ist aber ein Wechsel insoweit eingetreten, als die Klägerin die bisher studierten Hauptfächer Englisch und Geschichte (vgl. hierzu die Immatrikulationsbescheinigungen für die Sommersemester 1999 und 2000, AS 33 und 54) wegen der abweichenden Prüfungsbestimmungen im Lande Baden-Württemberg so nicht beibehalten konnte. Vielmehr war sie, wie in ihrem Schreiben vom 3.2.2001 an den Beklagten (AS I 10) im Einzelnen dargelegt, gehalten, entweder das Fach Mathematik oder das Fach Deutsch neu hinzuzunehmen. Sie entschied sich - unter Beibehaltung des Faches Englisch - für das Fach Mathematik (vgl. die Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemester 2001, AS I 11). Das Fach Geschichte behielt die Klägerin, wie bereits in dem angesprochenen Schreiben vom 3.2.2001 angekündigt, als zusätzliches Fach bei und legte insoweit nach der nunmehr vorgelegten Bescheinigung der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg vom 4.11.2003 (VGH Bl. 77) mit Erfolg eine Erweiterungsprüfung ab. Letzteres ändert aber nichts daran, dass nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen mit der Neuaufnahme des Hauptfaches Mathematik - insoweit wurde die Klägerin in das erste Fachsemester eingestuft - ein Fachrichtungswechsel i.S.d. § 7 Abs. 3 BAföG vorgenommen worden ist.

b) Nachdem die Klägerin den Fachrichtungswechsel erst nach ihrem fünften Fachsemester vorgenommen hat, können ihr weitere Förderungsleistungen nur bewilligt werden, wenn der Wechsel aus unabweisbarem Grund (§ 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG) erfolgt ist. Dabei ist auch der Senat - mit dem angefochtenen Urteil - der Auffassung, dass - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht nur "sozusagen schicksalhaft von außen wirkende Ereignisse", "nur schwerste Schicksalsschläge" (vgl. die Ausführungen S. 3 der Berufungsbegründung vom 16.12.2002) Berücksichtigung finden können. Zwar mag eine solche "Faustregel" in Anlehnung an die Entscheidungsgründe des Urteils des BVerwG vom 30.4.1981, BVerwGE 62, 174, im Regelfall zu zutreffenden Ergebnissen führen. Doch kann eine solche "Regel", wie bereits das Verwaltungsgericht überzeugend dargetan hat, nicht unabdingbare Geltung beanspruchen. Dies gilt jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in welchem der in Art. 6 Abs. 1 GG normierte Schutz von Ehe und Familie zu berücksichtigen ist. In solchen Fällen können auch persönliche und familiäre Umstände aus dem Lebensbereich des Auszubildenden als "unabweisbarer Grund" in Betracht kommen, sofern sie das bisherige Ausbildungsverhältnis unmittelbar berühren. Der Senat folgt insoweit den Grundsätzen des Urteils des BVerwG vom 23.9.1999, FamRZ 2000, 642. Zwar ist diese Entscheidung zur Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes i.S.d. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG ergangen, doch haben die Grundsätze dieser Entscheidung, soweit sie aus dem in Art. 6 Abs. 1 GG normierten Schutz von Ehe und Familie abgeleitet worden sind, auch für die hier zu beurteilende Frage zu gelten, ob ein unabweisbarer Grund i.S.d. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG vorliegt. Dies aber lässt der Beklagte in der Berufungsbegründung vom 16.12.2002 unberücksichtigt. Seitens der Klägerin wird deshalb in der Berufungserwiderung vom 14.2.2003 zutreffend gerügt, die Ausführungen des Beklagten griffen hinsichtlich der Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 GG "zu kurz".

Aus den Gründen des erwähnten Urteils des BVerwG vom 23.9.1999 ist u.a. hervorzuheben: Auch ein vom Auszubildenden für den Fachrichtungswechsel geltend gemachter Umstand aus dem persönlichen oder familiären Lebensbereich kann sein bisheriges Ausbildungsverhältnis unmittelbar berühren. Dies gilt insbesondere für das eheliche Zusammenleben. In diesem Zusammenhang wird in dem erwähnten Urteil des BVerwG weiter ausgeführt:

"Es kommt also darauf an, ob dem Kläger zuzumuten war, in K. zu verbleiben. Das ist zu verneinen. Mit Recht macht die Revision geltend, dass das Ansinnen an den Kläger, er müsse eine Trennung von seiner Ehefrau aus förderungsrechtlichen Gesichtspunkten respektieren, mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das Grundrecht umfasst das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (BVerfGE 76, 1, 42). Grundsätzlich steht es allein den Ehepartnern zu, selbstverantwortlich und frei von staatlicher Einflussnahme den räumlichen und sozialen Mittelpunkt ihres gemeinsamen Lebens zu bestimmten (BVerfGE 51, 386, 397). Von diesem Bestimmungsrecht haben der Kläger und seine Frau, geschützt durch Art. 6 Abs. 1 GG, Gebrauch gemacht, so dass weder dem Kläger noch seiner Ehefrau der Vorhalt gemacht werden darf, dass sie in K. hätten verbleiben können. Tatsächlich hat die Ehefrau des Klägers - aus Studiengründen - ihren Wohnsitz nach T. verlegt, weil ihr Studienwunsch in K. nicht zu verwirklichen war, und der Kläger ist ihr gefolgt. Dann aber darf der Staat an dieses verfassungsrechtlich unter Schutz gestellte Verhalten des Klägers nicht im Ausbildungsförderungsrecht Sanktionen knüpfen, wenn dieser aufgrund solchen Verhaltens gehindert war, das begonnene und bis zum Vordiplom erfolgreich durchgeführte Studium mit der ursprünglichen Zielplanung zügig zu Ende zu führen. ..."

Die Grundsätze dieser Entscheidung haben, wie eingangs bereits ausgeführt, auch im Falle des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG Berücksichtigung zu finden. Dabei bedarf es hier keiner weiteren Entscheidung, wie etwa der Fall zu beurteilen wäre, wenn die Ausbildung der Klägerin bereits so weit gediehen gewesen wäre, dass der Abschluss des Studiums an der Freien Universität Berlin nahe bevorstehend gewesen und demgemäß den Beteiligten eine kurze familiäre Trennung zuzumuten gewesen wäre (vgl. auch hierzu das o.a. Urteil des BVerwG vom 23.9.1999). Denn der Wechsel erfolgte nach dem Ende des fünften Fachsemesters, also etwa zur Hälfte des damaligen Studiums (nach § 5 Abs. 2 Nr. 20 der früheren FörderungshöchstdauerV betrug die Förderungshöchstdauer für die Lehrerausbildung im Lehramt mit zwei Wahlfächern im Land Berlin neun Semester). Nach dem Ausbildungsstand der Klägerin wäre mithin die Trennungszeit von ihrem Ehemann noch mehrjährig gewesen. Dies aber ist - jedenfalls unmittelbar nach der Eheschließung, wie hier - nicht zumutbar. Des Weiteren ist dem Verwaltungsgericht darin zu folgen, dass die Verlegung des Familienwohnsitzes nicht als willkürlich angesehen werden kann. Wie S. 6 des angefochtenen Urteils im Einzelnen ausgeführt, hat der Ehemann der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht umfassend dargelegt, weshalb der Umzug von Berlin nach Stuttgart für ihn mit Blick auf das von ihm angestrebte Berufsziel - Weiterbildung am Stuttgarter Zentrum für Verhaltenstherapie - notwendig war.

Es kann nach alledem - bei richtiger Würdigung des Art. 6 Abs. 1 GG - nicht dem Beklagten darin gefolgt werden, die Eheschließung habe auf einer freien Entscheidung der Beteiligten beruht und könne demnach zwar als wichtiger Grund, nicht jedoch als unabweisbarer Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG angesehen werden (vgl. S. 3 der Berufungsbegründung vom 16.12.2002).

Die Berufung des Beklagten ist deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. Klärungsbedürftige Fragen des revisiblen Rechts stellen sich bei Berücksichtigung der Grundsätze des Urteils des BVerwG vom 23.9.1999 (FamRZ 2000, 642) insoweit nicht mehr.

Ende der Entscheidung

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