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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 04.01.2007
Aktenzeichen: 8 S 1802/06
Rechtsgebiete: BauNVO, LBO, BGB


Vorschriften:

BauNVO § 4a
LBO § 5
BGB § 242
1. Ein besonderes Wohngebiet setzt die Existenz eines Bebauungsplans voraus, weil nur dann das geforderte finale Element einer (geplanten) Fortentwicklung der Wohnnutzung erfüllt sein kann (wie BVerwG, Beschluss vom 11.12.1992 - 4 B 209.92 - NVwZ 1993, 1100).

2. Ein Nachbar, der seinerseits den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert, die Verletzung des Grenzabstands zu rügen, wenn die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben nicht schwerer wiegt als der eigene Verstoß und in gefahrenrechtlicher Hinsicht keine völlig untragbaren Zustände entstehen (wie VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.11.2002 - 3 S 882/02 - VBlBW 2003, 235).


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

8 S 1802/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Baugenehmigung

hier: Antrag nach § 80a Abs. 3 VwGO

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 04. Januar 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 13. Juli 2006 - 3 K 465/06 - wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 7.500,-- festgesetzt.

Gründe:

Die - zulässige - Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die streitige Baugenehmigung vom 27.2.2006 höchstwahrscheinlich zu Lasten der Antragstellerin gegen nachbarschützende Bestimmungen des Abstandsflächenrechts verstößt.

Die im Rahmen der Zurückweisung der Einsprüche der Angrenzer durch die Antragsgegnerin vorgenommene Berechnung der erforderlichen Abstandsflächentiefen ist bereits im Ansatz fehlerhaft, weil sie von der Annahme ausgeht, es gelte die Sondervorschrift des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 LBO, die in besonderen Wohngebieten ein Abstandsmaß von 0,4 der Wandhöhe zulässt. Ein besonderes Wohngebiet (§ 4 a BauNVO) setzt jedoch - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - die Existenz eines Bebauungsplans voraus, weil nur dann das geforderte finale Element einer (geplanten) Fortentwicklung der Wohnnutzung erfüllt sein kann (BVerwG, Beschluss vom 11.12.1992 - 4 B 209.92 - NVwZ 1993, 1100; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.1.1996 - 5 S 2766/95 -; Schlotterbeck/von Arnim/Hager, LBO, 5. Aufl. 2003, § 5 RdNr. 72). Im vorliegenden Fall ist aber kein Bebauungsplan vorhanden, weshalb - mangels anderer Anhaltspunkte - die allgemeine Bestimmung über die erforderliche Tiefe der Abstandsflächen des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBO zur Anwendung gelangt. Danach beträgt die (objektive) Abstandsflächentiefe 0,6 der Wandhöhe und ihr nachbarschützender Teil 0,4 der Wandhöhe, mindestens aber 2,5 m (§ 5 Abs. 7 Satz 3 LBO). Dieses Maß unterschreitet das genehmigte Bauvorhaben der Beigeladenen mit dem Hauptbaukörper bei weitem. Denn die dem Grundstück der Antragstellerin gegenüber liegende Hausfassade weist in ihrem 12,49 m breiten und um 0,875 m vorgerückten Mittelteil eine mittlere Wandhöhe (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 3 LBO) von etwa 9,75 m auf. Für die nördliche Gebäudeecke (auf dem Hausgrund der alten Garage) ergibt sich sogar eine Wandhöhe von über 11 m. Die Eintragung einer "Traufhöhe" von 8,40 m im Schnitt A - A kann in diesem Zusammenhang dagegen keine Rolle spielen, weil als Fußpunkt die Oberkante der Tiefgarage gewählt wurde. Der untere Bezugspunkt der für das einzuhaltende Abstandsmaß entscheidenden Wandhöhe ist vielmehr nach § 5 Abs. 4 Satz 2 LBO der Schnittpunkt der Wand mit der Geländeoberfläche. Das (Flach-)Dach einer Garage kann dagegen unter keinem Gesichtspunkt eine Geländeoberfläche darstellen (Beschluss des Senats vom 20.2.2004 - 8 S 336/04 - VBlBW 2004, 267). Ausgehend von den genannten Wandhöhen und dem nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBO anzuwendenden Multiplikator von 0,6 betragen danach die objektiv einzuhaltenden Abstandsflächentiefen etwa 5,85 m bzw. 6,60 m und die nach § 5 Abs. 7 Satz 3 LBO nachbarschützenden Anteile etwa 3,90 m bzw. 4,40 m. Der Hauptbaukörper des Vorhabens der Beigeladenen unterschreitet diese Werte mit geplanten Grenzabstände von 2,52 m bzw. 3,20 m deutlich und verletzt deshalb aller Voraussicht nach die Rechte der Antragstellerin als Eigentümerin des angrenzenden Grundstücks.

Unabhängig davon liegt ersichtlich auch deshalb zu Lasten der Antragstellerin ein Verstoß gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts vor, weil die Tiefgarage, deren nordöstliche Außenwand auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze stehen soll, die maximal zulässigen Maße für eine Grenzgarage bei weitem überschreitet. Denn nach § 6 Abs. 1 Satz 2 LBO dürfte die Grenzwand nicht größer als 25 qm und nicht länger als 9 m sein. Die Länge dieser Wand beträgt aber nach dem "Tekturplan Untergeschoss" 16,765 m und ihre Fläche nach den eigenen Angaben der Beigeladenen, die ihre Höhe auf 1,60 m bis 2,50 m beziffert, 34,37 qm.

Der Antragstellerin ist es auch nicht verwehrt, diese Verstöße gegen die Bestimmungen des Abstandsflächenrechts zu rügen. Die Beigeladene führt zwar zutreffend an, dass nach der Rechtsprechung des beschließenden Gerichtshofs ein Nachbar, der seinerseits den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert ist, die Verletzung des Grenzabstands zu rügen, wenn die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben nicht schwerer wiegt als der eigene Verstoß und in gefahrenrechtlicher Hinsicht keine völlig untragbaren Zustände entstehen (Urteil vom 18.11.2002 - 3 S 882/02 - VBlBW 2003, 235; vgl. auch den Beschluss des Senats vom 24.1.2006 - 8 S 638/05 - VBlBW 2006, 279). Sie verkennt aber, dass die durch das streitige Vorhaben hervorgerufenen Abstandsrechtsverstöße ungleich schwerer wiegen als die angeblich durch eine 31 m lange Garagenzeile auf dem Grundstück der Antragstellerin begangenen. Denn selbst wenn angenommen wird, dass die Beigeladene damit die Zeile von zwölf Garagen entlang der Südostgrenze des Grundstücks der Antragstellerin meint, die nach dem im vorliegenden Verfahren genehmigten Lageplan allerdings nur eine Länge von 24 m aufweist, lässt sich dieses eingeschossige Garagenbauwerk nicht mit dem streitigen aus zwei Vollgeschossen und zwei Dachgeschossen bestehenden Wohngebäude vergleichen. Es kommt hinzu, dass diese Garagenzeile nach der Teilung des Baugrundstücks an dieses nicht mehr angrenzt und auch zuvor mit diesem nur eine über Eck gemessene gemeinsame Grenze von etwa 12 m hatte. Das heutige Baugrundstück Flst. Nr. 410/11 wird durch diese Gebäudezeile dagegen überhaupt nicht (mehr) berührt. Vielmehr ist der südliche, dem genehmigten Vorhaben gegenüber liegende Bereich des Grundstücks der Antragstellerin unbebaut, aber ersichtlich bebaubar.

Deshalb geht letztlich auch das Argument der Antragsgegnerin fehl, geringere Abstandsflächentiefen könnten nach § 6 Abs. 4 LBO zugelassen werden. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass besondere örtliche Verhältnisse dies im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 LBO erforderten, noch finden sich Anhaltspunkte dafür, dass nachbarliche Belange der Antragstellerin im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO nicht erheblich beeinträchtigt werden. Davon könnte nur dann ausgegangen werden, wenn ihr Grundstück Besonderheiten aufwiese, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, ihre Schutzwürdigkeit im Hinblick auf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange deutlich gemindert erscheinen zu lassen (VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 29.1.1999 - 5 S 2971/98 - VBlBW 1999, 347, vom 10.3.1999 - 3 S 332/99 -, vom 25.1.2000 - 5 S 2996/99 - VBlBW 2000, 286 und vom 26.4.2002 - 5 S 629/02 - VBlBW 2002, 445; Urteile vom 15.9.1999 - 3 S 1437/99 -, vom 8.11.1999 - 8 S 1668/99 - BRS 62 Nr. 94 und vom 10.10.2002 - 5 S 1655/01 - ZfBR 2003, 171 LS; kritisch dazu: Sauter, LBO, § 6 RdNrn. 48 b f.). Dafür ist jedoch nichts ersichtlich. Insbesondere ist eine Bebauung auf dem Grundstück der Antragstellerin - auch nach der Einschätzung der Beigeladenen - "unproblematisch zulässig". Welche Bedeutung der in der Beschwerdebegründung aufgelisteten Bebauung in der "näheren Umgebung" zukommen soll, erschließt sich dem Senat nicht. Jedenfalls können aus dem Vorhandensein diverser Grenzgaragen und Schuppen auf verschiedenen nordöstlich und südwestlich des Anwesens der Antragstellerin gelegenen Grundstücken keine Rückschlüsse im Hinblick auf eine geminderte Schutzwürdigkeit dieses Anwesens gezogen werden.

Nach allem ist die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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