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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 15.02.2006
Aktenzeichen: 8 S 2551/05
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2
Lebensäußerungen behinderter Menschen können grundsätzlich nicht als Belästigungen im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO angesehen werden.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

8 S 2551/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Baugenehmigung

hier: Antrag nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Stumpe sowie die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schenk und Dr. Christ

am 15. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. November 2005 - 13 K 3147/05 - werden zurückgewiesen.

Die Antragsteller 1, 2 und 4 sowie die untereinander als Gesamtschuldner haftenden Antragsteller 3 tragen je ein Viertel der Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 30.000,-- festgesetzt.

Gründe:

Die - zulässigen - Beschwerden haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Widersprüchen der Antragsteller gegen die dem Beigeladenen unter dem 30.8.2005 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Fachpflegeheims entgegen § 212 a Abs. 1 BauGB aufschiebende Wirkung beizumessen, weil das genehmigte Bauvorhaben mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegen keine nachbarschützenden Vorschriften verstoße. Die Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gibt keinen Anlass für eine abweichende Entscheidung.

Die Antragsteller rügen darin zum einen, mit der genehmigten Bebauung werde der Gebietscharakter verändert, weil dadurch die "Nicht-Wohnnutzung" in dem als Allgemeines Wohngebiet einzustufenden Umgebungsbereich ein Übergewicht erhalte und somit eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet werde. Dem vermag der Senat aber nicht zu folgen. Insbesondere trifft der Ausgangspunkt der Argumentation der Antragsteller nicht zu, durch das genehmigte Vorhaben werde in einer Zusammenschau mit der vorhandenen und sich baulich unmittelbar anschließenden Schule (für 35 Schüler) das "Regel-Ausnahmeverhältnis" zulasten der Regelnutzung Wohnen verlassen. Denn auf der Grundlage des heutigen Planungsrechts, das durch den am 14.4.2005 beschlossenen Bebauungsplan "Heubergstraße Stgt. 134" geprägt wird, der als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet vorschreibt, gibt es ein solches "Regel-Ausnahmeverhältnis" nicht. Vielmehr sind sowohl die (betreuten) Wohnbereiche - nach § 3 Abs. 4 BauNVO - als auch die weiteren Förder- und Betreuungsbereiche - nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO - allgemein zulässig, ohne dass es einer Entscheidung bedarf, ob der Schulbereich in die Betrachtung mit einbezogen werden muss, wie die Antragsteller meinen. Geht man dagegen mit ihnen von der Unwirksamkeit des Bebauungsplans aus, so würde die Gebietsart durch den Ortsbauplan 1940/3 aus den Jahren 1939/1940 in Verbindung mit der Ortsbausatzung der Antragsgegnerin vom 25.6.1935 (OBS) bestimmt. Dieser Plan ordnet den hier maßgeblichen Bereich an der Heubergstraße und dem Albuchweg der Baustaffel 7 zu, in der - wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat - die selbst in "höherwertigen" Landhausgebieten (Staffel 8 bis 9) nach § 7 Abs. 2 OBS zulassungsfähigen Gebäude, die der Bildung und der Krankenpflege dienen, mindestens ausnahmsweise genehmigt werden können. Da dieser Bereich der Baustaffel 7 sich aber von der Schwarenbergstraße im Süden bis zur Schellbergstraße im Norden erstreckt, gibt es keinen Grund für die Annahme, dass durch die Zulassung einer "Nicht-Wohnnutzung" der Gebietscharakter im Sinne der Ausführungen der Antragsteller "kippen" könnte.

Die Antragsteller machen ferner geltend, die genehmigte Bebauung verstoße im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung zu ihren Lasten gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil statt der plangemäßen offenen Bauweise (§ 22 Abs. 2 BauNVO, § 34 OBS) bzw. aufgelockerten Bebauung mit Einzelhäusern ein knapp 85 m langer, dreigeschossiger Baukomplex entstehe, hinsichtlich dessen Dachgestaltung darüber hinaus zahlreiche Befreiungen erteilt worden seien. Auch insoweit vermag ihnen der Senat nicht zu folgen. Alle angesprochenen Festsetzungen entfalten aus sich selbst keine nachbarschützende Wirkung (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.1.1999 - 3 S 2662/98 - VBlBW 1999, 310; Beschluss vom 1.3.1999 - 5 S 49/99 - VBlBW 1999, 270; Beschluss des Senats vom 16.12.2002 - 8 S 2660/02 - BRS 65 Nr. 119). Die Beanstandungen der Antragsteller könnten deshalb nur dann Erfolg haben, wenn das etwa in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und § 56 Abs. 5 LBO verankerte Gebot der Rücksichtnahme auf ihre nachbarlichen Belange verletzt wäre. Das wäre nur dann der Fall, wenn das Bauvorhaben des Beigeladenen die Antragsteller unzumutbar in städtebaulich erheblichen Belangen beeinträchtigen würde, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Davon kann aber im Hinblick auf die Bauweise und die Dachgestaltung keine Rede sein. Denn der Vorhalt der Antragsteller trifft nicht zu, dass mit der genehmigten Bebauung ein knapp 85 m langer, geschlossener und dreigeschossig in Erscheinung tretender Gebäudekomplex entstehen werde, der komplett über ihre Grundstücke reiche und sich diesen wie eine Grenzwand präsentiere. Vielmehr wird aus der Sicht des Wohnhauses der Antragstellerin 1 lediglich das Gebäude des Förder- und Betreuungsbereiches mit einer Wandlänge von etwa 18,75 m in Erscheinung treten. Angesichts der Entfernung von gut 12 m kann dieses zudem nordwärts gelegene Haus zu keiner unzumutbaren Belastung für die Antragstellerin 1 führen. Ähnliches gilt für das der Antragstellerin 2 gehörende Wohnhaus, das selbst eine Länge von etwa 20 m aufweist. Denn ihm wird - zudem in einer Entfernung von mindestens 20 m - lediglich die in einem Winkel von etwa 45° abgeknickte Südwestfassade des Pflegeheims mit einer Gesamtlänge von etwa 26 m gegenüberstehen. Auch die Antragsteller 3 werden vor ihrem Wohnhaus nicht mit einer geschlossenen Wand von der angegebenen Länge konfrontiert. Vielmehr blicken sie auf die ebenfalls abgewinkelte West- und Nordwestfassade des Pflegeheims, die insgesamt eine Länge von etwa 32 m aufweist. Auch bei ihnen ist wegen der gegebenen Entfernung von mindestens 17 m von keinen unzumutbaren Beeinträchtigungen auszugehen. Was schließlich die Belange der Antragstellerin 4 betrifft, so ist festzustellen, dass sie sich bereits heute - allerdings in einer Entfernung von etwa 33 m - der etwa 47 m langen Gebäudefront des bestehenden Hauskomplexes Heubergstraße 16 und 18 gegenübersehen und für sie dessen durch den Anbau des Pflegeheims eintretende Verlängerung um etwa 14 m angesichts der gegebenen Entfernung von über 40 m kaum wahrnehmbar sein wird. Es kommt im Hinblick auf die Betroffenheit aller Antragsteller hinzu, dass die Fassadenabwicklung des Gesamtkomplexes reich gegliedert ist und schon deshalb nicht der Eindruck einer kompletten Abriegelung des Albuchweges entstehen kann, wie die Antragsteller meinen. Soweit ihr Vorbringen die zugelassene Abweichung von der vorgeschriebenen Dachneigung betrifft, ist es kaum nachvollziehbar, denn dies wirkt sich - wenn überhaupt - zu ihren Gunsten aus, weil durch den zugelassenen geringeren Neigungswinkel die Gebäudehöhe gerade abgesenkt wird. Soweit eine Befreiung von der örtlichen Bauvorschrift erteilt wurde, wonach Dachaufbauten insgesamt höchstens die Hälfte der Gebäudelänge einnehmen dürfen, kann dies die Antragsteller schon deshalb nicht negativ betreffen, weil davon die Gebäudesilhouette nicht berührt wird. Im Übrigen tragen diese Dachaufbauten (Gaupen) zur Fassadengliederung und damit auch zur optischen Auflockerung der Bebauung bei.

Schließlich beanstanden die Antragsteller, das Verwaltungsgericht habe die von dem ihren Häusern zugewandten Wohntrakt und insbesondere von den Balkonen ausgehenden Lärmbelästigungen nicht hinreichend gewürdigt, indem es nur darauf abgestellt habe, dass der Tagesablauf der betreuten Bewohner stark strukturiert sei. Denn an Wochenenden und Feiertagen sei dies gerade nicht der Fall. Damit werden sie aber - wie der Beigeladene zu Recht vorträgt - der Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht gerecht. Denn es hat zum einen zutreffend darauf hingewiesen, dass Lebensäußerungen von Behinderten nicht als Belästigungen im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO angesehen werden können (OVG NRW, Beschluss vom 23.12.1985 - 11 B 1911/85 - UPR 1987, 144; VG Braunschweig, Urteil vom 16.3.2005 - 2 A 388/04 - DWW 2005, 383). Zum anderen hat es zu Recht auf die erheblichen Abstände zwischen dem Pflegeheim und den Wohngebäuden der Antragsteller abgestellt. Ferner hat der Beigeladene im Schreiben vom 1.9.2005 an die Antragsgegnerin klargestellt, dass auch an Wochenenden der Tagesablauf klar gegliedert sei und selbstverständlich eine Mittagsruhe sowie eine abendliche Bettgehzeit (ca. 19.30 Uhr) umfasse. In diesem Schreiben wird ferner darauf hingewiesen, dass die Lebensäußerungen behinderter Menschen auch nicht lauter seien als geräuschvolle Tätigkeiten in und um Familienwohnungen. Nach allem gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass von dem Pflegeheim, insbesondere von den vier Balkonen, den Antragstellern nicht zumutbare Geräusche ausgehen könnten.

Nach allem sind die Beschwerden mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Sätze 1 und 2 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Ebenso wie das Verwaltungsgericht orientiert sich der Senat dabei an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2004 (VBlBW 2004, 467, 469).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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