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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 03.04.2007
Aktenzeichen: 8 S 2835/06
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 2 Abs. 2
Eine Nachbargemeinde kann Rechtsschutz gegen die Zulassung eines Einzelvorhabens begehren, wenn die - rechtswidrige - Zulassungsentscheidung auf einer Verletzung des interkommunalen Abstimmungsgebots (§ 2 Abs. 2 BauGB) beruht und von dem Vorhaben unmittelbar negative Auswirkungen gewichtiger Art auf eine konkrete und schutzwürdige städtebauliche Konzeption ausgehen können - "gemeindenachbarliches Rücksichtnahmegebot" (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 15.12.1989 - 4 C 36.86 -, BVerwGE 84, 209 und Urteil vom 1.8.2002 - 4 C 5.01 -, BVerwGE 117, 25).
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

8 S 2835/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Baugenehmigung

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 03. April 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 9. November 2006 - 9 K 876/06 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen 2.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die - zulässige - Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die der Beigeladenen 1 erteilte Baugenehmigung vom 8.6.2006 für den Neubau eines Lebensmittelmarktes abgelehnt. Denn diese Baugenehmigung verletzt die Antragstellerin aller Voraussicht nach nicht in eigenen Rechten.

Eine Nachbargemeinde kann sich gegen die Zulassung eines Einzelvorhabens wenden, wenn die - rechtswidrige - Zulassungsentscheidung auf einer Verletzung des interkommunalen Abstimmungsgebotes nach § 2 Abs. 2 BauGB beruht und von dem Vorhaben unmittelbar negative Auswirkungen gewichtiger Art auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung der Nachbargemeinde ausgehen können - "gemeindenachbarliches Rücksichtnahmegebot" (grundlegend BVerwG, Urteil vom 15.12.1989 - 4 C 36.86 -, BVerwGE 84, 209; BVerwG, Urteil vom 1.8.2002 - 4 C 5.01 -, BVerwGE 117, 25 zur Baugenehmigung nach § 35 BauGB; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 11.2.1993 - 4 C 15.92 -, DVBl. 1993, 658; zur Voraussetzung der Rechtswidrigkeit der Zulassungsentscheidung nach der jeweiligen Genehmigungsschranke vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Bd. 1, § 2 RdNr. 103 und Uechtritz, NVwZ 2003, 176). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob die Beigeladene 2 den Bebauungsplan "Großer Acker" vom 11.11.1998, auf den die angefochtene Baugenehmigung gestützt ist, unter Verletzung von § 2 Abs. 2 BauGB erlassen hat, ob ein solcher Abwägungsmangel mit Blick auf die Rügefrist des § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F. unbeachtlich wäre, ob Großflächigkeit vorliegt und welcher Genehmigungstatbestand im Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans einschlägig und gegebenenfalls verletzt wäre. Denn auch nach eingehender Erörterung der Sachlage mit den Beteiligten im Termin am 3.4.2007 ist nicht erkennbar, dass das Vorhaben der Beigeladenen 1 die städtebauliche Ordnung und Entwicklung auf dem Gebiet der Antragstellerin in gewichtiger Weise beeinträchtigen könnte.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der genehmigte Lebensmittelmarkt die zentralörtliche Versorgungsfunktion, die das Einzelhandelskonzept der Antragstellerin der Innenstadt von Balingen zuweist, allenfalls geringfügig beeinträchtigen kann. Davon geht auch die von der Antragstellerin in Auftrag gegebene "Auswirkungsanalyse" der GMA vom Juli 2006 aus (S. 21). Dieser Punkt ist zwischen den Beteiligten im Übrigen auch nicht (mehr) streitig.

Die Antragstellerin macht jedoch geltend, dass der geplante Lebensmittelmarkt die Funktions- und Entwicklungsfähigkeit des in ihrem Einzelhandelskonzept vorgesehenen und als solchen gesicherten Nahversorgungsstandorts "Grauenstein/Weilstetten" in gewichtiger und rücksichtsloser Weise beeinträchtigt. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Allerdings enthielt das Einzelhandelskonzept der Antragstellerin diese Standortzuweisung von Anfang an, also auch bereits zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses über den Bebauungsplan "Großer Acker". Bereits nach dem vom Gemeinderat erstmals am 6.6.1989 aufgrund einer Marktuntersuchung der GMA beschlossenen Leitbildes zur Ansiedlung und Erweiterung von Einzelhandelsbetrieben in Balingen sollte der innenstadtrelevante Einzelhandel künftig neben der Innenstadt nur noch im Gebiet "Buhren/Frommern" und "Grauenstein/Weilstetten" zulässig sein (Sitzungsvorlage vom 24.5.1989 zur Gemeinderatssitzung am 6.6.1989). Auch bei der Fortschreibung des Einzelhandelskonzepts auf der Grundlage des Marktgutachtens der GMA von 1999 hielt die Antragstellerin an diesen beiden Nahversorgungszentren fest, die insbesondere "die Warenangebote des kurz- und mittelfristigen Bedarfs für die Bevölkerung" decken sollten, wozu u.a. aus dem Bereich Nahrungs- und Genussmittel die Segmente "Lebensmittel/Reformwaren", "Getränke, Spirituosen und Tabak", "Bäcker/Konditor" und "Metzger" gezählt wurden. Jedoch wurde bereits 1999 angenommen, dass die vorhandenen Anbieter weiter "geschwächt" werden könnten, und dass eine solche Entwicklung mit den Instrumenten der Stadtplanung nur eingeschränkt gestoppt werden könne (GR-Drucksache 201/1999, S. 12 f.; GMA-Gutachten 1999, S. 92). Im Jahre 2005 hat der Gemeinderat anlässlich der Fortschreibung des Marktgutachtens 2005 der GMA festgestellt, dass sich lediglich "Buhren-Zentrum" in Frommern als größerer Nahversorgungsstandort etabliert habe, während in den anderen Stadtteilen - also auch in Weilstetten - bereits kein Nahversorgungsangebot in Form eines qualifizierten Lebensmittelanbieters mehr vorhanden sei. Großenteils werde die Nahversorgung hier durch Metzgereien und Bäckereien mit ergänzendem Lebensmittelsortiment gewährleistet. Die GMA habe insoweit zur Bewältigung und Verbesserung der Grundversorgung alternative Versorgungskonzepte genannt (GR-Drucksache 178, 2005, S. 11 und Beschlussantrag Nr. 6 zur Grundversorgung der Ortsteile und Wohnbezirke, S. 2). In der Fortschreibung des Marktgutachtens 2005 der GMA heißt es dazu ergänzend, dass andere Nahversorgungsschwerpunkte - außer Frommern - lediglich noch den täglichen Bedarf der Bevölkerung des unmittelbaren Wohnumfeldes deckten und dort infolge des geringen Einwohnerpotentials auch zukünftig keine Versorgung durch einen klassischen Lebensmittelmarkt zu erwarten sei; vor diesem Hintergrund kämen insoweit allenfalls alternative Versorgungskonzepte zur Nahversorgung der Bevölkerung in Frage. Während der konventionelle Lebensmittelmarkt oder Discounter ein Mindesteinwohnerpotential von ca. 5.000 Einwohnern im engeren Einzugsgebiet fordere, könnten alternative Versorgungskonzepte wie "Kleinflächenkonzepte" (etwa Lebensmittelläden bis zu 300 qm Verkaufsfläche), "Ladengemeinschaften", "Hofflächen", "Convenience Shops" oder "Rollende Verkaufswagen/Zustelldienste" bereits ab etwa 1.000 Einwohnern im unmittelbaren Standortumfeld tragfähig sein (S. 24, 55 ff.).

Die Antragstellerin geht somit selbst davon aus, dass der Nahversorgungsstandort "Grauenstein/Weilstetten" als solcher nicht (mehr) existiert und auch nicht entwicklungsfähig ist. Diese Einschätzung wurde im Erörterungstermin am 3.4.2007 bestätigt. Danach ist im Gebiet Grauenstein in Weilstetten (insgesamt etwa 3.700 Einwohner) im hier relevanten Sortimentsbereich derzeit - unstreitig - nur noch ein "Schlecker-Markt" (kein Vollsortimenter und ohne Frischware), eine Bäckerei und ein Getränkemarkt vorhanden. Seitens der Antragstellerin wurde im Termin ausgeführt, dass der früher dort vorhandene Vollsortimenter ("Spar") im Jahre 2002 im Anschluss an die Eröffnung des "Lidl" im Baugebiet "Großer Acker" der Beigeladenen 2 (im Jahre 2001) seinen Betrieb aufgegeben habe. Die Bemühungen um ein Nachfolgeunternehmen seien erfolglos geblieben; dabei sei das Angebot, in Weilstetten einen Vollsortimenter anzusiedeln, unter Hinweis gerade auf den "Lidl" in Dotternhausen abgelehnt worden. Auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts legte der Gutachter der GMA, Herr Dr. Holl, sich nicht auf die Aussage fest, es bestehe Aussicht, dass sich der Bereich "Grauenstein/Weilstetten" in absehbarer Zeit noch gemäß dem Einzelhandelskonzept zum Nahversorgungsstandort entwickeln werde. Zwar sei dort die Ansiedlung eines Vollsortimenters mit einer Größe von unter 700 qm Nutzfläche prinzipiell denkbar, allerdings nur dann, wenn es keinerlei Konkurrenz von außen gebe.

Daher fehlt es an der Schutzwürdigkeit des im Einzelhandelskonzept vorgesehenen Nahversorgungszentrums "Grauenstein/Weilstetten". Auf den Schutz der Grundversorgung des täglichen Bedarfs der Bevölkerung des unmittelbaren Wohnumfelds in "Grauenstein/Weilstetten" oder anderswo hat die Antragstellerin das von ihr geltend gemachte Abwehrrecht nicht gestützt. Insoweit liegt auch keine Standortplanung mit Ausschlüssen des Einzelhandels in anderen Gebieten vor; vielmehr hält die Antragstellerin wohl nach wie vor daran fest, den Bereich "Grauenstein/Weilstetten" als Nahversorgungszentrum vorzusehen (vgl. GR-Drucksache 178/2005, S. 8). Da das Einzelhandelskonzept somit hinsichtlich der Sicherung des Bereichs "Grauenstein/Weilstetten" als Nahversorgungszentrum "funktionslos" geworden sein dürfte, kann eine "gewichtige" Beeinträchtigung der im Konzept zum Ausdruck gebrachten städtebaulichen Ordnung und Entwicklung auch nicht aus dem vom GMA-Gutachter prognostizierten Umsatzverlust von rund 10 % bei den Nahversorgungsangeboten u.a. im Stadtteil Weilstetten hergeleitet werden ("Auswirkungsanalyse" vom Juli 2006, S. 18).

Nach allem wird die Antragstellerin durch die der Beigeladenen 1 erteilte Baugenehmigung aller Voraussicht nach nicht in eigenen Rechten verletzt. Es mag sein, dass die Rechtslage bezogen auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung der Stadt Schömberg - die keinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt hat -, anders hätte beurteilt werden müssen, weil das Vorhaben der Beigeladenen 1 nach der "Auswirkungsanalyse" der GMA dort integrierte Standortlagen in erheblichem Umfang beeinträchtigt (Umsatzverluste von mindestens 18%), ohne dadurch "gerechtfertigt" zu sein, dass es eine Versorgungslücke in der Standortgemeinde deckt (S. 12, 16 und 20 f.).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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