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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 02.04.2003
Aktenzeichen: 8 S 712/03
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
Der Tatbestand des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB setzt voraus, dass das Gebäude, das durch einen gleichartigen Neubau ersetzt werden soll, noch vorhanden ist.
8 S 712/03

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Abbruchsgenehmigung und Versagung einer Baugenehmigung

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Prof. Dr. Schmidt sowie die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schenk und Rieger

am 2. April 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Januar 2003 - 11 K 2452/02 - werden abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Anträge sind unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen entgegen der Ansicht der Kläger keine ernstlichen Zweifel.

Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass das Grundstück der Kläger im Außenbereich liegt und es sich bei dem geplanten Neubau eines Wohnhauses auf diesem Grundstück nicht um ein privilegiertes Vorhaben im Sinn des § 35 Abs. 1 BauGB handelt. Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Kläger ist folglich gemäß § 35 Abs. 2 BauGB davon abhängig, dass seine Ausführung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts fehlt es an dieser Voraussetzung, da das Vorhaben das Entstehen einer Splittersiedlung befürchten lasse und außerdem die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtige. Dagegen wenden sich die Kläger ohne Erfolg.

Nach der in § 35 Abs. 3 BauGB enthaltenen beispielhaften Aufzählung liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange unter anderem dann vor, "wenn die Entstehung einer Splittersiedlung zu befürchten ist". Mit dieser Regelung will das Gesetz einer Zersiedlung des Außenbereichs entgegentreten, d. h. einer zusammenhanglosen oder aus anderen Gründen unorganischen Streubebauung. Eine solche ist im vorliegenden Fall zu befürchten. Da der Außenbereich grundsätzlich von allen nicht unmittelbar seinem Wesen und seiner Funktion entsprechenden Baulichkeiten freigehalten werden soll, ist in der Errichtung eines Wohnhauses im Außenbereich regelmäßig ein Vorgang der Zersiedlung zu sehen. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht ausnahmslos. So kann sich die Streubebauung im Außenbereich als die herkömmliche Siedlungsform darstellen mit der Folge, dass sich die Beibehaltung dieser Siedlungsform nicht als ein Vorgang der Zersiedlung werten lässt. Eine Ausnahme kann ferner gerechtfertigt sein, wenn ein Vorhaben an dem geplanten Standort in eine organische Beziehung zu einer bereits vorhandenen Bebauung tritt, sofern es sich bei dieser Bebauung selbst nicht um eine zu missbilligende Splittersiedlung handelt (grundlegend BVerwG, Urt. v. 26.5.1967 - IV C 25.66 - BVerwGE 27, 137). Ein solcher Ausnahmefall ist hier jedoch nicht gegeben.

Auf dem Grundstück der Kläger befindet sich mit Ausnahme einer Scheune und den Resten eines alten Wohnhauses, das durch den geplanten Neubau ersetzt werden soll, keine weitere Bebauung. Die angrenzenden Grundstücke sind ausweislich der bei den Akten des Landratsamts befindlichen Lagepläne ebenfalls unbebaut. Das Vorhaben der Kläger tritt daher an dem geplanten Standort nicht in eine organische Beziehung zu einer bereits vorhandenen Bebauung. Der Senat sieht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Streubebauung im Außenbereich um die in der betreffenden Gegend herkömmliche Siedlungsform handelt. Zwar behaupten die Kläger, dass sich "um ihr Grundstück herum" weitere Grundstücke mit Wohnnutzung befänden. Das bloße Vorhandensein vergleichbarer Siedlungssplitter rechtfertigt es jedoch nicht, diese Art der Bebauung als die für die Gegend herkömmliche Siedlungsform anzusehen. Ein solcher Schluss ist um so weniger zulässig, als in der Umgebung deutliche Siedlungsschwerpunkte vorhanden sind.

Wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, wird durch das Vorhaben der Kläger auch die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt. Die Errichtung eines Wohngebäudes im Außenbereich widerspricht der natürlichen, gewöhnlich durch Land- oder Forstwirtschaft gekennzeichneten Bodennutzung der dortigen Landschaft, weshalb ein solches Gebäude regelmäßig einen Fremdkörper darstellt. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn in der Umgebung vergleichbare bauliche Anlagen vorhanden sind, die den Charakter der Landschaft mitbestimmen. Dafür ist jedoch nichts zu erkennen. Wie sich aus den bereits erwähnten Lageplänen ergibt, ist die nähere Umgebung des Grundstücks der Kläger vielmehr mit Ausnahme der auf diesem Grundstück stehenden Scheune und den Resten des alten Wohnhauses unbebaut. In einer solchen, durch land- und forstwirtschaftliche Nutzung geprägten Umgebung wirkt ein Wohngebäude wesensfremd. Der Umstand, dass das geplante Wohnhaus an einer Stelle errichtet werden soll, an der sich bereits früher ein solches Gebäude befand, ändert daran nichts, da dieses Gebäude trotz der langen Zeit seines Bestehens seinerseits ein Fremdkörper war.

Gegen das angefochtene Urteil bestehen auch insoweit keine Bedenken, als das Verwaltungsgericht das Eingreifen des § 35 Abs. 4 BauGB verneint hat, nach dem bestimmten Vorhaben im Sinn des § 35 Abs. 2 nicht entgegen gehalten werden kann, dass sie die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder das Entstehen einer Splittersiedlung befürchten lassen. Das Vorhaben der Kläger wird weder von § 35 Abs. 4 Nr. 2 BauGB noch einer anderen Alternative dieser Bestimmung erfasst.

Zu den von § 35 Abs. 4 BauGB begünstigten Vorhaben zählt die in S. 1 Nr. 2 genannte Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Das vorhandene Gebäude muss zulässigerweise errichtet worden sein, es muss Missstände oder Mängel aufweisen sowie seit längerer Zeit vom Eigentümers selbst genutzt werden; Tatsachen müssen außerdem die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, scheitert die Anwendung dieser Vorschrift jedenfalls daran, dass das frühere Wohnhaus auf dem Grundstück der Kläger inzwischen bis auf das Untergeschoss und den Westgiebel abgebrochen worden ist und es damit an einem "vorhandenen Gebäude" fehlt; zudem wurde es zuvor nicht von den Klägern genutzt.

Anders als die LBO (vgl. § 2 Abs. 2 ) enthält das BauGB keine Definition des Begriffs "Gebäude". § 35 Abs. 4 BauGB lässt sich jedoch immerhin soviel entnehmen, dass der Gebäudebegriff als Unterfall von dem allgemeinen Begriff der (baulichen) Anlage mitumfasst wird, auf den auch § 29 BauGB abstellt. Das schließt es aus, unselbständige Teile einer baulichen Anlage als Gebäude zu qualifizieren (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.12.1995 - 4 B 245.95 -NVwZ 1996, 787 zum Begriff des Gebäudes im Sinn der BauNVO). Es bedarf daher nicht erst des - von den Klägern für unzulässig gehaltenen - Rückgriffs auf die bauordnungsrechtliche Begriffsdefinition in § 2 Abs. 2 LBO, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass es sich bei den nicht selbständig nutzbaren Resten des früheren Wohnhauses auf dem Grundstück der Kläger nicht um ein Gebäude im Sinn des § 35 Abs. 4 BauGB handelt. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB gestattet im Übrigen nur die Neuerrichtung eines "gleichartigen" Gebäudes. Selbst wenn man in den Resten des früheren Wohnhauses ein Gebäude sehen wollte, wäre den Kläger folglich nur die Neuerrichtung dieser Teile gestattet, nicht aber die Wiederherstellung der übrigen, nicht mehr vorhandenen Bausubstanz.

Die Kläger werfen dem Verwaltungsgericht ferner zu Unrecht vor, mit seiner Auslegung des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB den Anwendungsbereich der Bestimmung unangemessen einzuengen. Nach ihrer Ansicht ist der Begriff "vorhandenes Gebäude" § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB rückblickend zu verstehen, weshalb es für die Anwendung dieser Regelung genüge, dass ein Gebäude mit den beschriebenen Eigenschaften in der Vergangenheit vorhanden gewesen sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Die von den Klägern für richtig gehaltene Auslegung ist mit dem Wortlaut der Vorschrift unvereinbar, die von einem aktuell vorhandenen und nicht von einem früher einmal existierenden Gebäude spricht. Deutlich wird dies insbesondere durch § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchstabe b und c BauGB, nach denen es erforderlich ist, dass das Gebäude Missstände oder Mängel aufweist und seit längerer Zeit vom Eigentümer genutzt wird. Eine andere Auslegung verbietet sich davon abgesehen auch deshalb, weil § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB von einer Neuerrichtung und nicht wie § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB von einer alsbaldigen Neuerrichtung spricht. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB stellt durch diese zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung sicher, dass der Ersatzbau für ein durch ein außergewöhnliches Ereignis zerstörten Gebäude nicht als etwas fremdartig Neues, sondern als Ersatz und Fortführung des zerstörten Gebäudes erscheint (BVerwG, Urt. v. 21.8.1981 - 4 C 65.80 - BVerwGE 64, 42). Da eine vergleichbare Einschränkung in § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB fehlt, würde die von den Klägern vorgenommene Auslegung der Vorschrift dazu führen, dass die Neuerrichtung eines Gebäudes mit den in der Regelung beschriebenen Eigenschaften auch dann noch zulässig wäre, wenn das frühere Gebäude bereits lange Zeit vorher beseitigt worden ist. Der Sinn der Vorschrift würde mit einem solchen Ergebnis ersichtlich verfehlt.

2. Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, weist die Rechtssache auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf. Sie besitzt ferner keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB auch dann eingreift, wenn ein die in Buchstabe a bis c der Vorschrift genannten Bedingungen erfüllendes Gebäude nicht mehr vorhanden ist, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und rechtfertigt daher nicht die Eröffnung des Berufungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 159 S. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 S. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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