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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 21.09.2005
Aktenzeichen: 9 S 473/05
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
1. Eine Neubewertung einer Prüfungsleistung setzt voraus, dass eine verlässliche Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung der Prüfungsleistung (noch) vorhanden ist. Dies gilt auch für die sogenannte Notenverbesserungsklage.

2. Wann eine Neubewertung einer Prüfung praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten mangels verlässlicher Entscheidungsgrundlage wegen Zeitablaufs ausscheidet, lässt sich nicht verallgemeinernd bestimmen, sondern ist eine Frage des Einzelfalles.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

9 S 473/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Krankenpflegeprüfung

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wiegand und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Gaber

am 21. September 2005

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Januar 2005 - 10 K 5266/03 - wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Der zulässige Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von ihr in Anspruch genommenen Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), ihrer grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) rechtfertigen aus den mit dem Antrag angeführten Gründen die Zulassung der Berufung nicht.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sind nach der Rechtsprechung des Senats dann gegeben, wenn neben den für die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatsachenfragen bewirken und mithin der Erfolg des angestrebten Rechtsmittels zumindest offen ist. Dies ist bereits dann ausreichend dargelegt, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, VBlBW 2000, 392; Beschlüsse des Senats vom 27.01.2004 - 9 S 1343/03 -, NVwZ-RR 2004, 416 und vom 17.03.2004 - 9 S 2492/03 -). Ausgehend hiervon werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung mit dem Antragsvorbringen nicht hervorgerufen.

Die unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgte Abweisung des Hauptantrages auf Vergabe der Note "gut" greift die Klägerin mit ihrem Zulassungsantrag nicht substantiiert an, zumal insoweit ein Anspruch auf einen von ihr verlangten "Nachteilsausgleich" offensichtlich nicht bestünde. Vielmehr zieht die Klägerin in erster Linie die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts in Zweifel, dass sie angesichts der seit der Prüfung vergangenen Zeit wegen Fehlens einer verlässlichen Entscheidungsgrundlage auch auf die hilfsweise begehrte Neubewertung ihrer Prüfungsleistungen im praktischen Teil der Prüfung in der Krankenpflege keinen Anspruch habe, sondern wegen der von ihr geltend gemachten Prüfungsbeeinträchtigungen und Bewertungsfehlern allenfalls eine - von der Klägerin nach wie vor abgelehnte - Wiederholung der Prüfung verlangen könne. Damit vermag sie nicht durchzudringen.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass es der das Prüfungsrecht beherrschende Grundsatz der Chancengleichheit nicht gestatte, im Wege der Neubewertung über eine Prüfungsleistung zu entscheiden, wenn eine verlässliche Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung der Frage, ob die an eine erfolgreiche Prüfung zu stellenden Mindestanforderungen erfüllt seien, nicht oder nicht mehr bestehe. Das Erfordernis der Nachvollziehbarkeit der Prüfung in allen Einzelheiten und nicht nur in groben Zügen müsse auch für eine Notenverbesserung wegen der für den Berufszugang maßgeblichen Bedeutung der Note in gleicher Weise gewährleistet sein, wie für das Überschreiten der Bestehensgrenze einer Prüfung. Auch die verfahrensfehlerhaft oder inhaltlich fehlerhaft bewertete Prüfung müsse daher ganz oder teilweise wiederholt werden, wenn und soweit auf andere Weise eine zuverlässige Bewertungsgrundlage für die erneut zu treffende Prüfungsentscheidung nicht zu erlangen sei. Dies ist zutreffend und steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.04.1996 - 6 B 13/96 -, DVBl. 1996, 997; vgl. auch Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2. Aufl., Rn. 589, m.w.N.).

In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze hat das Verwaltungsgericht weiter ausgeführt, dass angesichts der schon 2 1/2 Jahre zurückliegenden Prüfung und inzwischen durchgeführter weiterer Prüfungen bereits Zweifel am Erinnerungsvermögen der Prüfer bestünden, auch wenn diese Protokollnotizen angefertigt und bei ihrer Gesamtbewertung herangezogen hätten. Es komme bei einer praktischen Prüfung nicht allein auf das gesprochene Wort an, sondern vielmehr auf die von der Klägerin durchgeführten Maßnahmen, die Art und Weise, wie sie die verschiedenen Maßnahmen erledigt habe, und insbesondere, in welcher Weise sie gegenüber den von ihr zu betreuenden Patienten aufgetreten sei. Diese die Bewertungsgrundlage bildende Leistung unterliege aber in hohem Maße dem unmittelbaren Eindruck, der von den Prüfern innerhalb der Prüfungszeit gewonnen werde, so dass auch deren stichwortartigen Notizen, die zwar bei der zeitnah erfolgenden Bewertung im Sinne einer Gedächtnisstütze dienlich sein könnten, nicht aber den Ablauf der Prüfung und den individuellen Eindruck, den die Klägerin bei der Erbringung ihrer Leistung vermittelt habe, in einer Weise wiederzugeben vermögen würden, wie es als Grundlage für eine Neubewertung zu verlangen sei. Es habe sich daher für das Gericht auch mit Blick auf deren erneuten, im gerichtlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen vom 05.01.2005 nicht aufgedrängt, die Prüfer zu den einzelnen, von der Klägerin beanstandeten Notizen zu befragen. Auch hieran werden mit dem Antragsvorbringen, das demgegenüber lediglich ein ausreichendes Erinnerungsvermögen der Prüfer für möglich hält, ernstliche Zweifel nicht geweckt, zumal bei einer Prüfung praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten auch der vorliegenden Art es für die Bewertung der Prüfungsleistung noch mehr auf den unmittelbaren Eindruck vom Prüfungsgeschehen ankommt als bei einer mündlichen Prüfung (vgl. etwa zu einer Prüfungslehrprobe: Urteil des beschließenden Gerichtshofs vom 09.05.1995 - 4 S 1322/93 -, BWVPr 1996, 113).

Die Annahme besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass der Rechtssache nicht nur allgemeine oder durchschnittliche Schwierigkeiten zukommen. Dieser Zulassungsgrund liegt vielmehr nur dann vor, wenn sich der konkret zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von dem Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfällen abhebt. Dies ist darzulegen. Hierzu gehört, dass in fallbezogener Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts die besonderen Schwierigkeiten ausdrücklich bezeichnet werden und ausgeführt wird, inwieweit sich diese von Verwaltungsstreitigkeiten durchschnittlicher Schwierigkeiten abheben (vgl. Beschluss des Senats vom 23.02.2004 - 9 S 175/04 -). Abgesehen davon, ob diese Voraussetzungen mit dem Antrag ausreichend dargelegt werden, bestehen solche besonderen tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im vorliegenden Fall nach Vorstehendem nicht.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn das erstrebte weitere Gerichtsverfahren zur Beantwortung von entscheidungserheblichen konkreten Rechtsfragen oder im Bereich der Tatsachenfragen nicht geklärten Fragen mit über den Einzelfall hinausreichender Tragweite beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts höhergerichtlicher Klärung bedürfen. Die Darlegung dieser Voraussetzungen verlangt vom Kläger, dass er unter Durchdringung des Streitstoffes eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund gibt, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.08.1997 - 7 B 261/97 -, NJW 1997, 3328). Diesen Anforderungen entspricht der Antrag nicht.

Die Klägerin hält für klärungsbedürftig sinngemäß die Frage, in welchem zeitlichen Rahmen eine Neubewertung "zeitnah" noch erfolgen könne. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird damit jedoch nicht aufgeworfen. Die Frage, nach welchem Zeitablauf eine verlässliche Entscheidungsgrundlage für eine Neubewertung der Prüfungsleistung entfällt, lässt sich nicht nach allgemeinen rechtlichen Kriterien abstrakt beantworten, sondern allein aufgrund einer Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles. Soweit die Klägerin noch darauf abstellt, dass ein Prüfling selbst bei offenkundigen Bewertungsfehlern wegen des zu erwartenden Zeitablaufs bis zu einer endgültigen Entscheidung keine Chance auf eine Neubewertung habe, ist er auf entsprechenden vorläufigen Rechtsschutz zu verweisen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschluss vom 11.04.1996, a.a.O.).

Nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist die Berufung wegen Divergenz nur zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Abweichung ist gegeben, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden Rechtssatz von einem in der divergenzfähigen Rechtsprechung aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht, wobei die Darlegung dessen die Herausarbeitung und Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze erfordert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.08.1997, NJW 1997, 3328). Solche divergierenden Rechtssätze mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.10.2002 - 6 C 7/02 -, NJW 2003, 1063, werden mit dem Antrag nicht herausgearbeitet. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr in Ansehung der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Rechtsgrundsätze ein noch erkennbares Prüfungsgeschehen gerade verneint. Soweit der Antrag beanstandet, diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts seien mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung vom 10.10.2002 nicht vereinbar, greift er in Wahrheit die Würdigung des Sachverhalts und die Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht im vorliegenden Einzelfall an. Solche Angriffe sind aber für die insoweit begehrte Zulassung der Berufung wegen Divergenz unbeachtlich

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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