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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 28.01.2002
Aktenzeichen: A 2 S 1052/01
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 51 Abs. 1
Die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 28.2.2001 an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 5.9.2001 (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage Stand August 2001) führen derzeit zu keiner qualitativen Veränderung der Einschätzung der Verfolgungslage eines irakischen Asylantragstellers aus dem von der Zentralregierung beherrschten Gebiet (Senatsurteil vom 5.12.2000 - A 2 S 1/98 -).
A 2 S 1052/01

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Semler, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Schraft-Huber und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Haller

am 28. Januar 2002

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 26. September 2001 - A 12 K 11532/00 - wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beteiligten, die dieser selbst trägt.

Gründe:

Der ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) gestützte Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist dann gegeben, wenn mit ihr eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung nicht geklärte Frage von allgemeiner, d.h. über den Einzelfall hinausgreifender Bedeutung aufgeworfen wird, die sich im Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. etwa BVerwGE 70, 24 ff. m.N.). Dementsprechend ist darzulegen, warum sich eine solche Frage im konkreten Fall in einem Berufungsverfahren stellt und aus welchem Grund sie der Klärung bedarf, d.h. über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (allg. M.; vgl. nur BVerwG, B. v. 19.08.1997, BayVBl. 1998, 507 m.N.).

Wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Bereich der Tatsachenfeststellungen geltend gemacht, muss die Antragsbegründung erkennen lassen, warum das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse in einer über den Einzelfall hinausgehenden Weise unzutreffend beurteilt haben soll, dass also z.B. einschlägige Erkenntnisquellen unberücksichtigt geblieben sind, dass das Gewicht einer abweichenden Meinung verkannt worden sei und dass die Bewertungen des Verwaltungsgerichts deshalb nicht haltbar seien. Schließlich muss dargelegt werden, warum die aufgeworfene konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage für das Verwaltungsgericht erheblich war und warum sie sich auch im Berufungsverfahren als entscheidungserheblich stellen würde. Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Antragsbegründung nicht.

Die Beklagte ist der Meinung, dass nach neuen Erkenntnissen des Auswärtigen Amts die Frage, ob ein irakischer Staatsangehöriger aus dem von der Zentralregierung beherrschten Gebiet allein wegen der Asylantragstellung im Falle einer Rückkehr mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse, erneut klärungsbedürftig sei. Dies ergebe sich aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 5.9.2001 (Stand Ende August 2001) und der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 28.2.2001 an das Bundesamt. Diese Quellen befassen sich u.a. mit der Rückkehr von rd. 6 000 irakischen Flüchtlingen aus dem Iran in den Irak, dem Dekret Nr. 110 des Revolutionären Kommandorats vom 28.6.1999, das einen Verzicht auf Strafverfolgung und Bestrafung von "Landesflüchtlingen" erklärt, und der diesbezüglichen Einschätzung durch den UNHCR und das IKRK.

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass ein Asylantrag eines irakischen Staatsangehörigen aus dem von der irakischen Zentralregierung beherrschten Gebiet als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst und jedenfalls nach langjährigem Auslandsaufenthalt bei einer Rückkehr dorthin beachtlich wahrscheinlich zu asylerheblichen Nachteilen in Anknüpfung an die tatsächliche oder vermutete politische Überzeugung führt (Senatsurteil vom 5.12.2000 - A 2 S 1/98 - und Urteil vom 26.4.2001 - A 2 S 2146/99 -). An dieser grundsätzlichen Beurteilung der Verfolgungsgefahr ist auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten angeführten neueren Erkenntnismittel des Auswärtigen Amts festzuhalten. Anhaltspunkte für eine qualitative Veränderung der Verfolgungslage für irakische Asylantragsteller ergeben sich derzeit daraus nicht.

Nach eigener Einschätzung des Auswärtigen Amts im Lagebericht vom 5.9.2001 ist dem Dekret des Revolutionären Kommandorats Nr. 110 vom 28.6.1999, dessen Fortgeltung ohne zeitliche Begrenzung zum Jahrestag des Amnestieerlasses durch das irakische Außenministerium verkündet worden ist, mit "Zurückhaltung" bzw. "Vorsicht" zu begegnen. Diese Einstellung decke sich mit der Betrachtungsweise des UNHCR. Das Auswärtige Amt weist zudem darauf hin, dass das Dekret keine besondere Klausel für irakische Staatsangehörige, die Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sind, enthält. Ferner sei nach Einschätzung des UNHCR der jeweilige Einzelfall für mögliche Konsequenzen entscheidend. Diese vorsichtige bis zurückhaltende Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Amnestiedekrets ist vor dem Hintergrund der bisherigen gleichlautenden Beurteilung irakischer Amnestiegesetze durch das Auswärtige Amt zu sehen und wird dadurch noch verstärkt. Danach sollten irakische Amnestiegesetze nämlich nicht überbewertet werden und sei eine generelle Einschätzung zur tatsächlichen Relevanz solcher Amnestien kaum zu treffen, da der Irak kein Rechtsstaat sei und die irakische Justiz und die Sicherheitsdienste offensichtlich willkürlich und unsystematisch vorgingen (vgl. insoweit Auskünfte des Auswärtigen Amts vom 13.6.1997 an VG Freiburg, vom 25.5.1998 an VG Aachen; Lagebericht vom 25.10./16.11.1999). Dass das IKRK im Iran demgegenüber unter Verweis auf das Amnestiedekret von 1999 zur Rückkehr in den Irak aufruft und dem Dekret hohe Glaubwürdigkeit beimisst, wie der Lagebericht wiedergibt, veranlasst zu keiner anderen Betrachtungsweise, ebenso wenig wie der Umstand, dass dem UNHCR in Bagdad und dem IKRK in Bagdad keine Erkenntnisse über strafrechtliche Verfolgungen von freiwillig zurückgekehrten Flüchtlingen vorliegen.

Anhaltspunkte, ob und inwieweit die Erkenntnisse des UNHCR und IKRK bezüglich der irakischen Flüchtlinge aus Iran überhaupt auf irakische Staatsangehörige, die aus dem westlichen Ausland in den Irak zurückkehren, übertragbar sind, ergeben sich aus den von der Beklagten angeführten Erkenntnismitteln nicht. Der Umstand, dass zwischen Iran und Irak im März 2001 ein Abkommen über die wechselseitige Rückkehr von Flüchtlingen geschlossen wurde, dürfte sogar eher dagegen sprechen.

Schließlich setzt sich der Zulassungsantrag mit den von der Einschätzung des Bundesamts insoweit abweichenden Erkenntnissen des Deutschen Orient-Instituts zur Beurteilung des Amnestiedekrets Nr. 110 des Revolutionären Kommandorats vom 28.6.1999 (DOI vom 24.7.2000 an VG Arnsberg; vom 5.9.2000 an VG Osnabrück und vom 31.10.2000 an VG Osnabrück) überhaupt nicht auseinander. Dass nach der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 28.2.2001 dort nicht nachvollzogen werden kann, "wie das Orient-Institut zu abweichenden Erkenntnissen gelangt", lässt dies angesichts der oben wiedergegebenen eigenen Einschätzung irakischer Amnestiegesetze durch das Auswärtige Amt nicht entbehrlich werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 (entspr.) VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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